Mit mehr Gemeinnützigkeit die Krise auf dem Wohnungsmarkt bekämpfen

Interview

Die Preise für Mietwohnungen und Bauland steigen. Immer mehr Bürger*innen gehen auf die Straße. In Berlin wurde sogar ein Volksbegehren zur Enteignung großer privater Wohnungsunternehmen gestartet. Für die Krise auf dem Wohnungsmarkt gibt es aber keine schnellen Lösungen. 

Wohnungsmarkt: Foto von einem Wohnhaus

Sabine Drewes sprach mit Chris Kühn, MdB, Sprecher für Bau- und Wohnungspolitik der Grünen Bundestagsfraktion, und Daniela Wagner MdB, Sprecherin für Stadtentwicklung, darüber, was Kommunen und der Bund gegen die explodierenden Mieten tun können.

Sabine Drewes​: Die bisherigen Konzepte gegen steigende Mietpreise scheinen nicht zu wirken. Welche Ideen haben Sie?

Chris Kühn: Zuallererst brauchen wir eine Mietpreisbremse, die ohne unnötige Ausnahmen funktioniert und die die Neuvertragsmieten wirklich abbremst. Ich plädiere außerem für eine Mietengarantie im Bestand. Das Mietrecht, das in den letzten Jahren sukzessive ausgehöhlt und geschliffen wurde, muss wieder ein Schutzrecht für Mieterinnen und Mieter sein. Vermieter und Mieter müssen sich wieder auf Augenhöhe begegnen. Dazu gehört auch ein stärkerer Kündigungsschutz.

Vor einiger Zeit war ich in einer Notunterkunft speziell für wohnungslose Familien. Die Sozialpädagogen dort haben mir eins mit auf den Weg gegeben: Sorgen Sie dafür, dass Kinder in Deutschland nicht mehr zwangsgeräumt werden können. Es kann doch nicht sein, dass eine Familie, die unverschuldet in Mietrückstand geraten ist, am Ende zwangsgeräumt wird und die Kinder über Monate in Sammelunterkünften leben müssen. Ein besserer Kündigungsschutz, gerade auch für Familien, würde hier viel helfen und dazu beitragen, das Gleichgewicht zwischen Mietern und Vermietern wieder herzustellen.

Immer mehr Sozialwohnungen fallen aus der Bindung, kann das noch gestoppt werden?

Chris Kühn: Seitdem 1989 die Wohnungsgemeinnützigkeit abgeschafft wurde, haben wir rund zwei Millionen Sozialwohnungen verloren. Und die wenigen, die neu dazu gebaut werden, verlieren nach 10 – 15 Jahren ebenfalls ihre Bindung und heizen die Wohnungsmärkte noch weiter an, wenn sie privatisiert werden. Das ist eine Negativspirale, die wir endlich durchbrechen müssen. Dafür müssen wir deutlich mehr in den sozialen Wohnungsbau investieren. Ich erwarte, dass der Bund nicht nur eine Milliarde, sondern mindestens das Doppelte zur Verfügung stellt.

Die Grünen haben ein Programm für Neue Wohngemeinnützigkeit vorgeschlagen. Was ist darunter zu verstehen?

Chris Kühn: Mit dem Konzept der Neuen Gemeinnützigkeit werden Kommunen und gemeinnützige Bauträger wieder in die Lage versetzt, viel mehr dauerhaft günstige Mietwohnungen zu bauen und zu erhalten. Dabei soll Steuergeld gegen bezahlbaren Wohnraum getauscht werden. Mit dem Programm einer Neuen Wohngemeinnützigkeit sollen drei Milliarden Euro jährlich in die Hand genommen werden, um 100.000 günstige Mietwohnungen jedes Jahr neu zu schaffen und dauerhaft zu erhalten. Das Ziel sind eine Million dauerhaft bezahlbare Wohnungen in zehn Jahren. Dafür sollen die Vorkaufsrechte in den Kommunen gestärkt werden. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben muss Grundstücke günstig den Kommunen abgeben, um Sozialwohnungen zu errichten, statt weiter zu privatisieren.

Die Baulandpreise gehen durch die Decke. Was kann man dagegen machen?

Daniela Wagner: Die Spekulation mit Bauland dreht sich immer schneller und es bestehen bundesweit über eine halbe Million Baugenehmigungen, die nicht genutzt werden. Das geht so nicht weiter. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben sollte deswegen in einen gemeinnützigen Bundesbodenfonds umgewandelt werden. Die Liegenschaften des Bundes sollen nicht mehr zu Höchstpreisen ausverkauft werden. Der Bundesbodenfonds soll Grundstücke aufkaufen und gemeinnützigen, kommunalen oder landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften zur Verfügung stellen und den Aufbau kommunaler Bodenfonds unterstützen. So wird Spekulation mit Boden in konjunkturellen Hochphasen verringert. Zusätzlich soll der Bundesbodenfonds Neubau oder Aufkäufe im Rahmen der Neuen Wohngemeinnützigkeit unterstützen.

Werden Bodenfonds allein ausreichen, um die Preisspirale zu durchbrechen?

Daniela Wagner: Sicherlich nicht. Zusätzlich brauchen wir dringend Änderungen im Baugesetzbuch. Es muss den Kommunen erleichtert werden Baugebote auszusprechen und Vorkaufsrechte wahrzunehmen. Die Kommunen brauchen mehr Zeit, um das Vorkaufsrecht anzuwenden. Sie sollen das Instrument für die Bodenbevorratung einsetzen können. Zusätzlich sollte es den Kommunen eher ermöglicht werden, Wertesteigerungen von Grundstücken, welche durch Baurecht entstehen, abzuschöpfen.

Die Kommunen tun sich schwer damit, gerade kleinere über das Stadtgebiet verteile Grundstücke im Innenbereich geordnet zu entwickeln. Ich schlage vor, dies zu erleichtern mit einem Instrument ähnlich der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme. Damit soll etwa die Anwendung von Baugeboten der Bau von Kitas und Schulen in diesen Gebieten erleichtert werden. So wollen wir die Hürden für die Kommunen, Entwicklungsmaßnahmen im Innenbereich durchzuführen, verringern, die Sozialbindung des Eigentums stärken und dem Grundsatz Innen- vor Außenentwicklung zu mehr Geltung verhelfen.

Ein anderes Problem ist der Flächenfraß. Kann man mehr Wohnraum schaffen ohne Flächenfraß?

Daniela Wagner: Eine Studie der TU Darmstadt zeigt, dass ein großes Potenzial besteht, Wohnraum ohne Flächenfraß zu schaffen, und zwar über den Ausbau von Dächern, die Aufstockung von Immobilien, sowie die Umnutzung von Leerstand in Gewerbe- und Büroimmobilien. Insgesamt kommt die Studie auf ein Potenzial von bis zu 2,7 Millionen Wohnungen. Dieses Potenzial könnte man mit einem „Sofortprogramm Bauflächenoffensive“ heben.

Ich schlage vor, hierfür 800 Millionen Euro in die Hand zu nehmen und die Kosten für Aus- und Aufbau von Dächern und die Aktivierung von leer stehenden Gebäuden in Ortskernen des Umlandes finanziell zu unterstützen. Mit dem Programm kann die Innenentwicklung im Bestand gestärkt werden. Es wäre eine Antwort auf die steigenden Baulandpreise und würde Wohnungsbau ohne Flächenfraß ermöglichen.