Warum der Beschluss der Bundestagsfraktion "Perspektive Staatsbürgerin und Staatsbürger" richtig ist

von Josef Winkler

Unser Konzept zur Integration von zugewanderten Menschen quasi „vom Mitbürger zum Staatsbürger“ hat außerordentliche Zustimmung aber auch zum Teil deutliche Kritik erfahren. Ich nutze im folgenden gerne die Gelegenheit noch einmal etwas genauer darzustellen, wieso wir unser Konzept so und nicht anders – übrigens einstimmig - beschlossen haben.

Mir ist es wichtig, darauf hinzuweisen, daß unser Ansatz, der Rolle der Aufnahmegesellschaft jeweils die Rolle der Migrantinnen und Migranten gegenüberzustellen, natürlich eine methodische Schwäche hat. Dies wurde ja auch in einigen Beiträgen u.a. auf dieser Homepage darlegt, war uns aber natürlich auch vorher schon klar.

Als indischstämmiger Deutscher könnte ich mich gut und gerne in beide Gruppen einordnen und in eine Menge anderer Gruppen wahrscheinlich auch noch.

Unser Integrationspapier versucht, anhand einer bestimmten Zielgruppe (in unserem Fall die Gruppe der Migrantinnen und Migranten mit Integrationsproblemen) durchzubuchstabieren, was in den verschiedenen Politikbereichen zu tun ist. Ein solcher Querschnittansatz konzentriert sich bewußt auf eine bestimmte Zielgruppe.

Selbstverständlich sind auch andere gesellschaftliche Gruppen von analogen Benachteiligungen betroffen. Des Risikos, daß dies so wirken könnte, als schlügen wir eine eindimensionale Betrachtungsweise vor, wo nur mehrdimensionale Betrachtungsweisen korrekt seien, waren wir uns bewußt. Trotzdem darf man ja nicht vergessen, daß im Kontext der Entstehung unseres Konzepts eine aufgeregte öffentliche Debatte geführt wurde, die uns zu Unrecht unterstellte, keine Anforderungen an Migrantinnen und Migranten zu richten. Durch die Vertragskonstruktion war es – allen Einwänden zum Trotz – möglich, dies in bisher nicht gekannter Klarheit zu widerlegen, ohne uns selbst zu dementieren.

Wir weisen in dem Papier an zentraler Stelle darauf hin, daß Integration für uns vor allem eine soziale Frage ist, und daß deshalb Migrantinnen und Migranten von bestimmten sozialen Benachteiligungen insbesondere, aber nicht ausschließlich betroffen sind. Deshalb fordern wir bewußt in unserem Maßnahmenkatalog, dem so genannten Integrationsfahrplan, Eltern mit und ohne Migrationshintergrund auf, beispielsweise die Bildungschancen ihrer Kinder stärker zu fördern. Und in unseren Konzepten zur bildungs- oder kinderorientierten Politik weisen wir umgekehrt selbstverständlich auf die besonderen Probleme hin, vor die unser selektives Schulsystem Kinder mit Migrationshintergrund, aber auch Kinder aus sozial schwachen Familien stellt.

Wir schlagen in unserem Grundsatzpapier deshalb den Abschluß eines “gesellschaftlichen Integrationsvertrages” vor, der sich sowohl an die sog. aufnehmende Gesellschaft als auch an “die Migrantinnen und Migranten” richtet: Der Staat soll gesellschaftliche Mobilität und sozialen Aufstieg auch für Zuwanderinnen und Zuwanderer ermöglichen und fördern – und so Teilhabegerechtigkeit gewährleisten. Und von den Menschen, die dauerhaft hier leben wollen, erwartet die Grüne Bundestagsfraktion, daß sie bereit sind, sich für unsere Gesellschaftsordnung zu öffnen und ihren Teil zur Entwicklung dieses Landes beizutragen, daß sie das individuell Mögliche tun, um die Voraussetzungen für eine Einbürgerung selbstständig zu erfüllen.

Da sich unser Papier nicht an alle Migrantinnen und Migranten richtet, sondern in erster Linie an solche mit Integrationsproblemen, negiert es auch nicht, daß bei vielen diese Forderung längst erfüllt ist und daher überflüssig wäre.

Zu den Stellungnahmen, die einen Mangel an Wissenschaftlichkeit und eine Mißachtung angeblich standardisierter Nomenklatur kritisieren, sei eine Bemerkung gestattet: Ich bedauere überhaupt nicht, daß unser Beschluß aus migrationswissenschaftlicher Sicht offenbar z.B. bei der verwendeten, natürlich vereinfachten Terminologie dem einen oder anderen „Profi“ Probleme bereitet. Ich bin aber nicht bereit, jede gerade in der Fachwelt festgelegte Terminologie und Differenzierung zu verwenden, ohne Rücksicht darauf, ob dies in der Öffentlichkeit jemand versteht. Erfolgreich vermittelbare Integrationspolitik erfordert meiner Meinung nach die Zuspitzung wissenschaftlicher Erkenntnisse und politischer Meinungen in einer Art und Weise, die möglichst viele unserer WählerInnen erreicht und die in konkrete Vorschläge mündet, wie wir sie in unserem Konzept vorgelegt haben.

Ganz nebenbei bemerkt, ist selbst uns sonst nicht wohlgesonnenen Journalisten aufgefallen, daß weder die PDS noch die SPD, ganz zu schweigen von FDP und CDU ein in sich so schlüssiges und konkretes Papier vorgelegt haben. Der lange Diskussionsprozeß in der Fraktion, an dem mehr als ein Dutzend Abgeordnete über Monate beteiligt waren, hat uns dabei sicherlich geholfen.

Zudem betont das Integrationspapier an zentraler Stelle, daß ein Großteil der hier lebenden Migrantinnen und Migranten längst in unserer Gesellschaft angekommen ist und sie auf vielfältige Weise bereichert, unter ihnen insbesondere auch die MigrantInnenverbände, Moscheevereine usw. Sie haben eine wichtige Brückenfunktion in unserem Integrationskonzept. Viele Verbände haben uns in Gesprächen über unser Konzept auch vermittelt, daß sie das ähnlich sehen und diese Brückenfunktion auch stärker als bisher ausfüllen wollen.

Noch mal zur Klarheit: Die Frage die ich mir gestellt hatte, als ich der Fraktion ein solches Vertrags-Modell vorschlug, war nicht, ob es wissenschaftlich betrachtet die korrekte Herangehensweise an das Thema ist, sondern ob es unsere Fraktion in der Sache und vor allem politisch betrachtet aus der Defensive bringen kann. Die zunehmende Tendenz - sowohl von Seiten der Konservativen als auch von publizistisch tätigen so genannten Islam-KritikerInnen - die Grünen und ihre positive Einstellung zur Multikulturellen Gesellschaft für die Integrationsprobleme in Deutschland und für Verbrechen bis hin zu Ehrenmorden verantwortlich zu machen, hat mir Sorgen bereitet. Darauf mußte die Fraktion eine möglichst gemeinsame Antwort finden. Dies ist mit unserem einstimmigen Beschluß, der am Ende einer monatelangen Diskussion stand, gelungen.

Politisch und inhaltlich haben wir einen sehr guten Aufschlag zu einer innerparteilichen und auch innerfraktionellen Debatte gegeben. Im Rahmen einer umfangreichen Integrationstour und weiterer Initiativen wollen wir unseren Beschluß nicht als Schlußpunkt dieser Debatte verstehen, sondern als Anregung zur notwendigen Weiterentwicklung grüner Programmatik im Bereich der Integrationspolitik.

 


 
 
 

 

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Josef Winkler ist seit 2002 Mitglied des Deutschen Bundestages und Sprecher für Migrationspolitik, Kirchenpolitik und interreligiösen Dialog der Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen.