von Alexander G. Weheliye
"Nicht anerkannt / fremd im eigenen Land / kein Ausländer und doch ein Fremder."
Diese Zeilen stammen aus dem Hip-Hop-Track „Fremd in eigenen Land” von Advanced Chemistry aus dem Jahr 1992. Obwohl dieser Song inzwischen älter als eine Dekade ist, hat der Text nichts von seiner Gültigkeit eingebüsst, da vor allem People of Color in Deutschland sowohl vor dem Gesetz als auch im öffentlichen Raum noch immer als Fremde gelten, während weiße Deutsche entsprechend selbstverständlich als „Deutsche“ oder als Teil der Mehrheitsgesellschaft situiert sind und sich, ebenso selbstverständlich, als solche wahrzunehmen pflegen.
Begriffe wie “People of Color” und “Weiße” sind politisch konstituierte und historisch wandelbare Kategorien, die zwar oftmals an phänotypischen Merkmalen festgemacht werden, aber nicht auf diese zu reduzieren sind. In diesem Sinne sind “People of Color,” die Menschen, die in Deutschland von verschiedenen rechtlichen, politischen, ökonomischen, und kulturellen Institutionen und Diskursen als Nicht-Deutsche positioniert werden. “Weiße” wäre das hegemoniale Pendant, dass von diesen Institutionen und Diskursen als ursprünglich und naturgegeben Deutsch repräsentiert wird.
Da das Staatsbürgerrecht trotz seiner Reform im Jahre 2000 noch immer weitestgehend auf dem Abstammungsprinzip "jus sanguinis" beruht und eine doppelte Staatsbürgerschaft nicht zulässt, werden die meisten in Deutschland lebenden People of Color somit rechtlich ausgegrenzt. Die Ausgrenzung erfolgt in diesem Kontext nicht nur durch den juristischen Ausschluss aus der Staatsbürgerschaft, sondern vor allen Dingen durch die Verortung von People of Color jenseits der symbolischen Grenzen Deutschlands, gleichgültig, ob sie im Besitz eines deutschen Passes sind oder nicht.
Dieser symbolische Ausschluss findet unter anderem in den Massenmedien statt, in denen People of Color selten präsent sind, und wenn, dann unter der Bedingung, ihre „nicht-deutsche“ Identität entweder nicht zu thematisieren oder aber, sie besonders herauszustellen und folglich dominante Stereotypen festzuschreiben. Und er findet sich in alltäglichen rassistischen Praxen, mittels derer People of Color etwa durch die indiskrete Frage „Woher kommst du?“ oder durch unqualifizierte Kommentare wie „Du kannst aber gut Deutsch“ immer wieder gesagt bekommen, dass sie kein Teil der nationalen Gemeinschaft sind.
In diesem völkisch definierten und mithin rassifizierten nationalen Kontext erscheinen People of Color also als Antithese des genuin Deutschen und Advanced Chemistry haben dies in ihrem Text präzisiert: “Ich habe einen grünen Pass mit 'nem goldenen Adler drauf.” Das was diese Zeile bemerkenswert macht, ist die Tatsache, dass die drei Rapper der Gruppe zwar als italo- und afro-deutsche Staatsbürger sprechen, die deutsche Staatsbürgerschaft sie faktisch jedoch weder vor alltäglichem Rassismus schützt, noch davor, von weiten Teilen der weißen Bevölkerung auch weiterhin nicht als Deutsche angesehen, geschweige denn anerkannt zu werden. Mit anderen Worten: die blosse Modifikation des Staatsbürgerrechts ändert für People of Color mit oder ohne deutschen Pass zumeist nichts daran, der symbolischen Grenzen Deutschlands verwiesen zu werden.
Nehmen wir als Beispiel die Begriffe, mit denen People of Color in Deutschland bezeichnet und aus der nationalen Gemeinschaft ausgegrenzt werden. Die Begriffswandlung von „GastarbeiterInnen“ über „AusländerInnen“ zu „MigrantInnen“ verdeutlicht vor allem eines: mittels rhetorischer und politischer Macht den Terminus „deutsch” zu vermeiden, um ihn weiterhin unter exklusivem Verschluss zu halten. Anstelle einer Benennung von Mehrfachzugehörigkeit, die – wie im angloamerikanischen Raum üblich – durch die Formulierung eines „Bindestrich”-Deutsch-Seins ohne weiteres wertfrei artikuliert werden könnte, geht es in der hegemonialen Begriffswelt immer darum, die Nicht-Zugehörigkeit von People of Color zur deutschen Gesellschaft zu konstruieren und zu akzentuieren. Es ist also wenig erstaunlich, dass die vielbeschworene, jedoch von der „Mehrheitgesellschaft“ nicht wirklich gewollte, Integration zum Scheitern verurteilt ist.
Integration „Made in Germany“ fordert nämlich nicht nur die völlige Aufgabe einer eventuellen weiteren Staatsbürgerschaft, sondern auch die Aufgabe aller anderen Faktoren, die von der „Mehrheitgesellschaft“ als „nicht-deutsch“ empfunden werden, wie z.B. Sprache, Religion, Kultur etc. In den binär angelegten und rassistisch aufgeladenen Debatten um „Leitkultur“ und „Parallelgesellschaften“, die „Deutsche“ (Weiße) und „MigrantInnen“ (People of Color) räumlich, zeitlich und kulturell voneinander trennen, wird oftmals nur die Integrationsunwilligkeit oder -unfähigkeit der „Anderen“ in Betracht gezogen, die Resistenz von weißen Deutschen hingegen wird selten thematisiert. Solange Integration jedoch sowohl rechtlich wie auch kulturell lediglich nach hegemonialen Ausschlussprinzipien funktioniert, wird es in Deutschland „Parallelgesellschaften,“ oder aus minoritärer Sicht kulturelle Rückzugsräume geben.
Im Jahre 1953 schrieb der afroamerikanische Autor James Baldwin seinen Essay „Stranger in the Village“, in dem er über einen Aufenthalt in einem Schweizer Dorf reflektiert, wo er der erste nicht-weiße Besucher war. Diese Erfahrung inspirierte ihn zu einem Vergleich seiner Position als schwarzer Mann in den USA und in Europa. Er bemerkte, dass weiße Europäer vor 50 Jahren noch den Luxus hatten, ihn als Fremden zu betrachten, während weiße Amerikaner letztlich damit beginnen mussten, ihn nach Jahrhunderten der Ausbeutung und Unterdrückung als US-amerikanischen Staatsbürger anzuerkennen. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die deutsche “Mehrheitsgesellschaft” sich ein halbes Jahrhundert später noch immer in dem illusionären Glauben wiegt, nicht-weiße Menschen könnten keine Deutschen sein und Weiß-Sein und Deutsch-Sein seien identisch. Diese gefährliche Ignoranz allerdings widerspricht nicht nur den historischen, sondern vor allen Dingen den gegenwärtigen Gegebenheiten, denn, um es in Anlehnung an James Baldwin zu sagen: Deutschland ist nicht mehr weiß und wird es auch niemals wieder werden.
Dr. Alexander G. Weheliye, geboren und aufgewachsen in Deutschland, ist Ass. Professor für Englisch und African American Studies an der Northwestern University in Chicago. Im Juli 2005 erschien sein Buch "Phonographies- Grooves in Sonic Afro-Modernity".