Das AGG in der arbeitsrechtlichen Praxis – ein Baustein für mehr Chancengleichheit

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von Volker Roßocha

Inhalt

Der Umfang des Gleichbehandlungsgebots im Arbeitsleben
Die Ausnahmen vom Diskriminierungsschutz 
Die Pflichten des Arbeitgebers
Die Rechte der Beschäftigten
Klagerecht von Betriebsrat und Gewerkschaft
Fazit
Endnoten  

„Überflüssig“, „wachstumshemmend“ oder „bürokratisches Monster“ – so die Wertungen von Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden, Anwaltsvereinigungen und ParteivertreterInnen in ihrer oftmals fundamentalen Kritik an den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwürfen zur Bekämpfung von Diskriminierungen.

Für die Industrie- und Handelskammer Heilbronn-Franken handelte es sich bei dem Entwurf für ein Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz um ein „neues Anti-Freiheitsgesetz“, wie es in einem Flugblatt Anfang 2005 hieß. Aufgerufen wurde zum öffentlichen Protest, Unterschriften sollten gesammelt und Briefe an den damaligen Wirtschaftsminister geschrieben werden. Möglich, dass die IHK-Oberen den Gesetzentwurf nicht gelesen hatten. Oder stehen ihre Vorstellungen von „Freiheit“ im Widerspruch zum Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes, wenn sie rhetorisch fragen „Wussten Sie schon, dass Sie Ihre Wohnung an jemanden vermieten müssen, den Sie gar nicht haben möchten?!“

Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Dieter Hundt, bezeichnete das Gesetz als „ein Beschäftigungsprogramm für Rechtsanwälte“. In einer Rede am 24. Februar 2005 fragte er, „müssen wir neue Gesetze für Streithansel schaffen“?

Für viele Menschen in Deutschland dagegen gehören Diskriminierungen und Ungleichbehandlungen zu den Alltagserfahrungen, die sie bei der Suche nach einem Ausbildungs- oder Arbeitsplatz, bei der Wohnungssuche, auf dem Amt oder beim Besuch von Gaststätten oder Hotels machen müssen. Wer einen Blick auf die Stellen- oder Immobilienanzeigen in den Wochenendausgaben der Tageszeitungen wirft, stößt immer wieder auf Sätze, wie „suchen eine Verstärkung für unser junges Team“ oder auch das Kürzel „k.A.“ für keine Ausländer. Nicht immer handelt es sich um Diskriminierungen, die sich gegen eine einzelne Person richten, wie bei der Kündigung eines Mitarbeiters einer Wuppertaler Firma, der die Anweisung seines Chefs, Türken aus dem Bewerbungsverfahren auszuschließen, nicht befolgte. Häufiger sind es Selektionsmechanismen und Vorbehalte, die beispielsweise die Chancen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund bei der Ausbildungsplatzsuche verringern. Die Gewerkschaften haben daher die umfassende Definition von Diskriminierung der Europäischen Union begrüßt. In den Richtlinien wird klar gestellt, dass auch indirekte Benachteiligungen, Belästigungen und die Anweisung zur Ungleichbehandlung als Diskriminierungen zu betrachten sind.

Mit dem nunmehr verabschiedeten „Gesetz zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung“ werden – wenn auch verspätet – die Vorgaben aus den vier EU-Antidiskriminierungsrichtlinien umgesetzt. Zu den wichtigsten Bestandteilen des Gesetzes gehört das „Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)“. Richtig ist, dass die Bundesregierung an ihrer Auffassung festgehalten hat, den Schutz vor ungerechtfertigten Benachteiligungen nicht nur auf die in den vier EU-Richtlinien enthaltenen Diskriminierungsgründe zu beschränken, sondern auf alle in Artikel 13 EU-Vertrag genannten Gruppen auszuweiten. Das heißt: Verboten sind – entsprechend § 1 – rassistische Diskriminierungen [1]sowie ungerechtfertigte Benachteiligungen aufgrund der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität.

Wegen der massiven Kritik aus den Unionsparteien und vom Bundesrat, die auch im Wahlkampf 2005 geäußert wurde, bedurfte es teils weit reichender Kompromisse, um eine Zustimmung der CDU-Fraktion und des Bundesrates zu erreichen. So gilt das Verbot der Diskriminierung wegen der Weltanschauung zwar grundsätzlich; ausgenommen sind aber alle zivilrechtlichen Verträge. Einige andere Vorschriften, wie z.B. zum Schutz vor Diskriminierungen bei der Wohnungssuche, die noch in letzter Minute geändert wurden, stehen im Widerspruch zu den EU-Richtlinien. Darüber hinaus bleiben die Möglichkeiten der Unterstützung von Betroffenen hinter den Erwartungen von Antidiskriminierungsverbänden und Migrantenorganisationen zurück. Nicht vorgesehen ist eine Beratungsstruktur auf allen Ebenen, sondern nur die Einrichtung einer Antidiskriminierungsstelle auf Bundesebene.

Dennoch: Das im August 2006 in Kraft getretene Gesetz ist ein wichtiger Baustein zur Bekämpfung von Diskriminierungen und Ausgrenzungen. Mit dem Gesetz werden über die bestehenden Regelungen des Grundgesetzes, des Strafrechts, des Beschäftigtenschutzgesetzes, des Bürgerlichen Gesetzbuches sowie des Betriebsverfassungsgesetzes und des Personalvertretungsgesetzes hinaus, Möglichkeiten zur Beseitigung von Benachteiligungen geschaffen. Die Rechte der Betroffenen sind deutlich gestärkt worden. Sie können den Ersatz finanzieller Schäden oder auch die Unterlassung ungerechtfertigter Benachteiligungen verlangen; eine Beweislasterleichterung wurde eingeführt.

Die Verabschiedung des Gesetzes war der erste Schritt. Jetzt gilt es, die Regelungen umzusetzen und den Diskriminierungsschutz mit Leben zu erfüllen. Im Folgenden konzentriert sich dieser Beitrag auf die Regelungen für das Arbeitsleben und deren Umsetzung.

Der Umfang des Gleichbehandlungsgebots im Arbeitsleben

Der Diskriminierungsschutz umfasst neben den im Betrieb Beschäftigten auch Bewerberinnen und Bewerber um eine Arbeits- oder Ausbildungsstelle, bereits ausgeschiedene Beschäftigte sowie HeimarbeiterInnen, Leiharbeitnehmerinnen und
-arbeitnehmer und Scheinselbständige. Auch der sachliche Geltungsbereich ist weit gefasst und bezieht die Bedingungen für die Beschäftigungsaufnahme und den beruflichen Aufstieg, die berufliche Fort- und Weiterbildung sowie die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen mit ein. Nicht eindeutig dagegen sind die Regelungen zum Kündigungsschutz. Einerseits gilt das Benachteiligungsverbot des AGG gemäß § 2, Abs. 1 Nr. 3 auch für die Bedingungen zur Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses und steht somit im Einklang mit der Rahmenrichtlinie, andererseits bestimmt der Abs. 4 des gleichen Paragraphen, dass bei Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes Anwendung finden. Dieser zu Rechtsunsicherheiten führende Widerspruch ist ebenfalls eine Folge der noch kurz vor der Verabschiedung des Gesetzes vorgenommenen Änderungen. Hier werden wohl die Gerichte klären müssen, ob eine richtlinienkonforme Auslegung der Bestimmungen des Kündigungsschutzes ausreichend ist.

Besonders herauszuheben ist, dass das Benachteiligungsverbot auch in den Fällen gilt, in denen ein Merkmal nur angenommen wird, es aber tatsächlich nicht vorliegt (§ 7). Wird beispielsweise die Teilnahme an einer Weiterbildung vom Vorgesetzten abgelehnt, weil er annimmt, der Beschäftigte sei homosexuell, so greifen auch hier die im Gesetz vorgesehenen Rechtsfolgen.

Die Bestimmungen des AGG erweitern die bereits in § 75 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) enthaltenen Diskriminierungsverbote, die sich lediglich auf im Betrieb Beschäftigte beziehen. Die dortige Aufzählung der Merkmale umfasst allerdings zusätzlich noch die Nationalität (Staatsangehörigkeit) und die politische oder gewerkschaftliche Betätigung.

Da die Bestimmungen des AGG in § 2 Abs. 1 Nr. 2 über die Einzelarbeitsverträge hinaus ausdrücklich auch die in Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträgen enthaltenen Arbeitsbedingungen einbeziehen, sollten diese hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsgebot des AGG überprüft werden. Eine besondere Herausforderung besteht daher insbesondere für Unternehmensleitungen und Betriebsräte von Großbetrieben, da einerseits eine Vielzahl von Regelungen vorhanden sein können und diese andererseits danach überprüft werden müssen, ob sie mittelbare Benachteiligungen auslösen können.

Daher gehören auch die betrieblichen Auswahlverfahren und Tests auf den Prüfstand. Untersuchungen der Bundesagentur für Arbeit und des Bundesinstituts für Berufsbildung belegen, dass beispielsweise Jugendliche mit Migrationshintergrund trotz vergleichbarer schulischer Leistungen oder höherer Schulabschlüsse schlechtere Chancen beim Einstieg in die Berufsausbildung haben. Bei den Tests muss insbesondere geprüft werden, ob sich durch die gewählten Fragestellungen, die häufig keinen unmittelbaren Bezug zur Beschäftigung haben, mittelbare Benachteiligungen ergeben können. Dies ist z.B. der Fall, wenn kulturhomogene Fragen gestellt und deren Nichtbeantwortung durch ausländische Jugendliche zum Ausschlusskriterium werden. Gleiches gilt im Übrigen auch für Vereinbarungen zur betrieblichen Weiterbildung. Auch hier ist zu fragen, ob nicht bestimmte Kriterien eine Benachteiligung insbesondere von Frauen, Behinderten oder Menschen mit Migrationshintergrund entfalten.

Die Ausnahmen vom Diskriminierungsschutz

Das AGG sieht verschiedene, teils weit reichende Ausnahmen vom Verbot der Ungleichbehandlung im Beschäftigungsbereich vor.

Eine unterschiedliche Behandlung ist unabhängig vom Diskriminierungsmerkmal zulässig, wenn die Unterscheidung eine wesentliche und entscheidende Voraussetzung darstellt (§ 8). Einsichtig und rechtmäßig ist, dass ein Mann, der sich auf eine Stelle als Psychologin in einem Frauenhaus bewirbt, im Bewerbungsverfahren ausgeschlossen wird. Rechtmäßig wäre ebenfalls die Ablehnung eines Sehbehinderten, der sich als Dachdecker bewirbt. Eine Stellenausschreibung für eine körperlich schwere Beschäftigung, die sich nur an Männer richtet, fiele aber wohl unter das Verbot der Diskriminierung bei Ausschreibungen nach § 11 AGG, denn die körperliche Leistungskraft kann auch bei Menschen gleichen Geschlechts sehr unterschiedlich ausgeprägt sein.

Neben diesen zulässigen Unterscheidungen sieht das AGG in § 9 Ausnahmeregelungen für die Merkmale Religion und Weltanschauung vor. Danach können Religionsgemeinschaften und deren Einrichtungen die Religionszugehörigkeit zur Voraussetzung für eine Einstellung machen, wenn diese nach ihrem Selbstverständnis eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Darüber hinaus dürfen die Religionsgemeinschaften und ihre Einrichtungen von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne des jeweiligen Selbstverständnisses verlangen.

Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und ihrer Einrichtungen und dessen Vereinbarkeit mit dem in Art. 13 EG-Vertrag verankerten Diskriminierungsverbot spielte bereits in den Verhandlungen über die Richtlinien und bei der Debatte um die ersten Entwürfe für ein Antidiskriminierungsgesetz eine besondere Rolle. Die Kirchen leiten aus Art. 140 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 137 III Weimarer Reichsverfassung das Recht auf autonome Festlegung ihres Dienst- und Arbeitsrechts ab. In der Folge könnten sie von allen Mitarbeitenden erwarten, dass „sie an der an der Weitergabe des Evangeliums … mitwirken“[2]. Demgegenüber erkennen die Gewerkschaften zwar die Religionszugehörigkeit als wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung an, sofern es sich um eine Tätigkeit mit eindeutigem Verkündungsauftrag handelt. Im Falle einer Einstellung eines Hausmeisters oder einer Küchenhilfe in einem Krankenhaus darf aus ihrer Sicht die Religionszugehörigkeit nicht verlangt werden[3]. Die weitgehenden Ausnahmeregelungen des § 9, die den Kirchen das generelle Recht zur unterschiedlichen Behandlung ermöglichen, sind – aus Sicht des DGB – mit den Wertungen der EU-Rahmenrichtlinie nicht zu vereinbaren[4]. Auch an dieser Stelle bleibt zu hoffen, dass die EU-Kommission bei ihrer Überprüfung des AGG den Widerspruch zu den Richtlinien als Vertragsverletzung anerkennt.

Ebenfalls zulässig sind unterschiedliche Behandlungen wegen des Alters, gemäß § 10, wenn diese angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sind. Der Gesetzgeber nennt beispielhaft Mindestanforderung an das Alter oder auch die Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen. Gerechtfertigt ist diese Regelung sicherlich zum Schutz älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder im Fall der Angabe eines Mindestalters, sofern damit beispielsweise der Schutz von Jugendlichen gewährleistet werden kann. Insofern dürfen mit dem Gleichbehandlungsgesetz andere Schutzgesetze, wie das Jugendarbeitsschutzgesetz nicht ausgehebelt werden. Fraglich ist allerdings, ob damit jede Differenzierung, beispielsweise im Hinblick auf den Zugang zu einer betrieblichen Altersversorgung, zulässig ist.

Die Pflichten des Arbeitgebers

Neben den bereits genannten Regelungen zur diskriminierungsfreien Ausschreibung hat der Arbeitgeber die Verpflichtung, Beschäftigte vor ungerechtfertigten Benachteiligungen zu schützen (§  12). Ihm kommt die Aufgabe zu, Maßnahmen für ein Arbeitsklima zu schaffen, das frei ist von Ungleichbehandlungen und Belästigungen. Bei einem Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot hat der Arbeitgeber geeignete Maßnahmen zu ergreifen, diese können arbeitsrechtliche Maßnahmen bis zur Kündigung einschließen. Die Schutzpflicht des Arbeitgebers greift nicht nur bei einem diskriminierenden Verhalten von Beschäftigten, sondern auch, wenn die Benachteiligung von Vorgesetzten und von Dritten ausgeht. Auch hier muss der Arbeitgeber durch geeignete Maßnahmen das Gleichbehandlungsgebot durchsetzen.

Die Arbeitgeber sind weiter verpflichtet, die Regelungen des Gesetzes in geeigneter Weise bekannt zu machen. Zwar beschreibt das Gesetz nicht den Umfang der Informationspflicht, dennoch reicht es nicht aus, in einer Betriebsversammlung auf die Bestimmungen des Gesetzes hinzuweisen oder einen Link zu der entsprechenden Internetseite des Bundesjustizministeriums am schwarzen Brett zu veröffentlichen. Der betriebliche Diskriminierungsschutz erfordert eine nachhaltige Strategie zur Information der Beschäftigten und der Vorgesetzten, in deren Gestaltung die Betriebs- und Personalräte einbezogen werden müssen. Das betriebliche Bildungswesen muss, entsprechend § 12, Abs. 2, ebenfalls in die Informationsstrategie einbezogen werden. Danach hat er in der Aus- und Fortbildung darauf hinzuwirken, dass Diskriminierungen unterbleiben.

Die Betriebsvereinbarung von FRAPORT aus dem Jahre 2001[5]sieht bereits entsprechende Seminare mit Führungskräften vor, an deren Konzeption der Betriebsrat beteiligt ist. Außerdem werden die Gleichbehandlungsziele in die Curricula der Aus- und Fortbildung integriert. Ein positives Beispiel für eine umfassende Informations- und Qualifizierungspolitik zur Gleichbehandlung finden wir auch bei Volkswagen. VW veröffentlicht unter dem Titel „Partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz“ Informationen für Betroffene und Beteiligte[6]. Darin enthalten sind Verhaltenshinweise, Beschwerdemöglichkeiten und auch Maßnahmen zur Qualifizierung.

Neben dem Arbeitgeber haben die Betriebsräte nach § 75 BetrVG die Aufgabe, über die Gleichbehandlung zu wachen. Eine ähnliche Formulierung beinhaltet § 67, Abs. 1 Bundespersonalvertretungsgesetz. Eine zusätzliche Möglichkeit zur Förderung der Gleichbehandlung ergibt sich für die Betriebsräte darüber hinaus aus § 80 BetrVG. Danach kann der Betriebsrat beispielsweise Maßnahmen beantragen, die die Integration ausländischer Beschäftigter fördern oder die zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit dienen.

Die Rechte der Beschäftigten

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz räumt den von Diskriminierung betroffenen Beschäftigten Beschwerde- und Entschädigungsrechte ein. Zunächst hat der Arbeitgeber eine oder mehrere Stellen als Beschwerdestellen zu benennen und diese in geeigneter Form bekannt zu geben.

Das Gesetz beinhaltet keine weitergehende Vorgabe zur Organisationsform der Stelle. Daher obliegt es zunächst dem Arbeitgeber, welche Stelle oder welche Stellen benannt werden. Voraussetzung ist allerdings, dass sie fachlich und organisatorisch geeignet und für die Beschäftigten erreichbar sind. Als Beschwerdestelle könnte auch die Personalabteilung eines Betriebes in Betracht kommen. Allerdings bestehen dagegen Bedenken, da diese eine Beschwerde möglicherweise nicht ausreichend objektiv bearbeiten kann. In Betrieben und Dienststellen, in denen eine Arbeitnehmervertretung vorhanden ist, unterliegt die Benennung der Mitbestimmung. Der Arbeitgeber kann daher die Entscheidung für die Einrichtung oder Benennung der Beschwerdestelle nicht allein treffen.

Ob nur eine oder aber mehrere Stellen benannt werden, hängt sicherlich von der Größe des Betriebes und der Betriebsorganisation ab. In größeren Betrieben, mit vielen Abteilungen, ist es sicherlich sinnvoll, mehrere Stellen mit der Annahme von Beschwerden zu betrauen. In der Betriebsvereinbarung von EKO-Stahl aus dem Jahr 2002 werden beispielsweise Vorgesetzte, Geschäftsleitung, Personalwesen, arbeitsmedizinischer Dienst, Betriebsrat, und die Schwerbehindertenvertretung genannt.

Da diese Stellen nach § 13 AGG über die Annahme einer Beschwerde hinaus, diese auch zu prüfen und das Ergebnis mitzuteilen haben, ist die Beurteilung der Beschwerde für einen möglicherweise vorhandenen Schadenersatz- oder Entschädigungsanspruch von großer Bedeutung. Von daher sind – gerade, wenn mehrere Stellen benannt werden – Vereinbarungen über Aufgaben, Kompetenzen und das Zusammenwirken der verschiedenen Stellen erforderlich.

Diskriminierungen können als Folge von Vorurteilen oder aus Unkenntnis der kulturellen oder sozialen Herkunft entstehen, auch Veränderungen bei den Arbeitsabläufen oder der Betriebsorganisation können Benachteiligungen auslösen. Gerade in Arbeitssituationen, in denen ein partnerschaftliches Arbeitsklima nicht vorhanden ist, muss zunächst Vertrauen gegenüber einer Beschwerdestelle hergestellt werden. Eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Betroffene sich überhaupt beschweren, ist eine vertrauliche Behandlung einer Beschwerde. Ein unmittelbarer Ausgleich oder ein Gespräch zwischen den beteiligten Personen würde möglicherweise zu weiteren Konflikten führen. Daher ist in dem Beschwerdeverfahren festzulegen, dass alle zu ergreifenden Maßnahmen zur Beseitigung einer Benachteiligung mit den Betroffenen abgesprochen werden. Darüber hinaus muss gewährleistet werden, dass die Betroffenen die Möglichkeit erhalten, die Beschwerde gemeinsam mit einer Vertrauensperson vortragen zu können.

Im Gesetz werden keine weiteren Vorgaben für das Beschwerdeverfahren gemacht. Betriebs- und Personalräte müssen mit den Unternehmens- oder Dienststellenleitungen in Verhandlungen darüber reden, wie das Beschwerdeverfahren ausgestaltet wird.

Gemäß § 15 AGG hat die von Diskriminierung betroffene Person einen Anspruch auf Schadenersatz für entstandene materielle Schäden, sofern den Arbeitgeber ein Verschulden trifft. Die wirksamste Form des Schadenersatzes wäre, z. B. bei einer Benachteiligung im Einstellungsverfahren, die Verpflichtung zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses. Der Abs. 6 schließt allerdings diesen Anspruch aus. Der Ausschluss gilt auch für Fälle, in denen ein beruflicher Aufstieg versagt wird. Der durch die Ablehnung entstandene finanzielle Schaden kann aber geltend gemacht werden. Neben dem Ersatz eines materiellen Schadens können von Diskriminierung Betroffene auch einen Entschädigungsanspruch geltend machen. Hierbei handelt es sich um eine Art Schmerzensgeld, dieses darf allerdings im Fall einer versagten Einstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen. Das Gesetz schreibt vor, dass der Anspruch auf Schadenersatz bzw. auf Entschädigung innerhalb von zwei Monaten geltend gemacht wird. Wird der Anspruch abgelehnt, so bleiben den Betroffenen noch drei Monate zur Einreichung einer Klage beim zuständigen Arbeitsgericht.

Über den Anspruch auf Ersatz eines entstandenen Schadens hinaus, haben Diskriminierungsopfer, nach § 14 AGG auch das Recht zur Verweigerung der Arbeitsleistung. In der Begründung des Gesetzes wird auf Fälle der Belästigung oder der sexuellen Belästigung hingewiesen. Beim Leistungsverweigerungsrecht ist Vorsicht geboten, denn erstens, muss dem Arbeitgeber Gelegenheit gegeben werden, die Benachteiligung abzustellen und zweitens, liegt die Beweispflicht bei der betroffenen Person. Es reicht nicht aus, dass eine Diskriminierung vermutet wird, sondern es müssen objektive und nachweisbare Handlungen vorliegen.

Bedeutsam und den Richtlinien entsprechend sind die Bestimmungen zum generellen Maßregelungsverbot. Gemäß § 16 AGG darf ein Arbeitgeber eine von Diskriminierung betroffene Person nicht wegen einer Beschwerde benachteiligen. Das Benachteiligungsverbot gilt auch für Beschäftigte, die Betroffene unterstützen oder als Zeugen im Beschwerdeverfahren auftreten.

Zur Durchsetzung von Gleichbehandlungsrechten ist die Frage der Beweislast besonders wichtig. Nach der jetzt geltenden Regelung in § 22 AGG muss eine betroffene Person Indizien beweisen, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen. Können Beweise vorgelegt werden, so hat die Gegenpartei nachzuweisen, dass entweder eine benachteiligungsfreie Entscheidung getroffen wurde oder die Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist. Bei dieser Regelung handelt es sich nicht um eine Beweislastumkehr, sondern lediglich um eine Beweiserleichterung.

Klagerecht von Betriebsrat und Gewerkschaft

Hinter dem Titel des § 17 „Soziale Verantwortung der Beteiligten“ verbirgt sich eine der umstrittensten Regelungen des Gesetzes. Zunächst werden Tarifvertragsparteien, Arbeitgeber, Beschäftigte und deren Vertretungen aufgefordert, am Diskriminierungsschutz mitzuwirken. Diese Mitwirkungsfunktion entspricht im wesentlichen den Vorgaben der EU-Richtlinien, die allerdings nicht nur die Überwachung des Benachteiligungsverbots enthalten, sondern auch die Aufforderung enthalten, Antidiskriminierungsvereinbarungen abzuschließen.

Bei groben Verstößen gegen die Bestimmungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch den Arbeitgeber haben gemäß § 17 Abs. 2 AGG der Betriebsrat und die im Betrieb vertretene Gewerkschaft das Recht, beim Arbeitsgericht auf Unterlassung zu klagen. Dieses Recht setzt voraus, dass das Betriebsverfassungsgesetz Anwendung findet, d.h. es müssen mindestens 5 Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer beschäftigt und wahlberechtigt sein. Da das Recht neben dem Betriebsrat auch der zuständigen Gewerkschaft zusteht, ist es für die Gewerkschaften unerheblich, ob ein Betriebsrat gewählt worden ist.

Eine Klage kann aber nur eingereicht werden, bei einer schwerwiegenden und fortgesetzten Benachteiligung einer Person oder einer Gruppe von Personen. Gibt es beispielsweise eine Anweisung des Arbeitgebers, keine Migranten im Angestelltenbereich einzustellen, so handelt es sich hier um einen groben Verstoß. Gleiches gilt für Fälle, in denen der Arbeitgeber sich nachhaltig weigert, seinen Informations- und Schulungspflichten nachzukommen.

Mit einer entsprechenden Klage nicht verbunden werden kann die Geltendmachung von Ansprüchen der Beschäftigten. Diese müssen selbst ihre Rechte wahrnehmen.

Betroffene haben über die betrieblichen Strukturen hinaus auch die Möglichkeiten, Unterstützung bei einem Antidiskriminierungsverband zu suchen. Die Verbände können gemäß § 23 AGG als Beistände Benachteiligter im gerichtlichen Verfahren auftreten, sofern eine anwaltliche Vertretung nicht vorgeschrieben ist. Die Anerkennung als Antidiskriminierungsverband setzt aber eine bestimmte Größe oder Mitgliederzahl voraus. Die Verbände übernehmen mit ihren Beratungsmöglichkeiten eine wichtige Funktion beim Diskriminierungsschutz. Gleiches kann auch für die nach dem Gesetz vorgesehene Antidiskriminierungsstelle des Bundes gelten. Betroffene können sich auch an sie wenden. Neben Beratung und Information für Betroffene hat die Stelle auch die Aufgabe, über das Mittel der Öffentlichkeitsarbeit und der Durchführung wissenschaftlicher Untersuchungen zum Diskriminierungsschutz beizutragen. Zur Umsetzung dieser Aufgaben bedarf es einer engen Kooperation mit den vorhandenen Antidiskriminierungsbüros, mit den Selbstorganisationen der Minderheiten und mit Einrichtungen und Verbänden.

Fazit

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz erweitert die bislang schon vorhandenen Regelungen zum Schutz vor Diskriminierungen im Beschäftigungsbereich. Es bietet den Betroffenen die Möglichkeit, sich gegen ungerechtfertigte Benachteiligungen zu wehren und bietet die Voraussetzungen für einen finanziellen Ausgleich für den entstandenen Schaden.

Ein umfassender Schutz vor Diskriminierungen im Arbeitsleben setzt voraus, dass Arbeitgeber und Betriebsrat sich eindeutig von allen Formen ungerechtfertigter Benachteiligungen distanzieren und deutlich machen, dass Diskriminierungen nicht geduldet werden. Das bedeutet auch, Belästigungen nicht als Form eines etwas „rauen Betriebsklimas“ abzuwerten. Im Gegenteil, Beschwerden müssen ernst genommen und sensibel aufgegriffen werden. Die betrieblichen Erfahrungen zeigen, Diskriminierungen beeinflussen nicht nur das Betriebsklima, sie beeinträchtigen die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten und den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens. Internationale Unternehmen, wie Volkswagen[7] machen inzwischen auf die Zusammenhänge zwischen der Gleichbehandlung und dem wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens aufmerksam.

Neben den individuellen Rechten stehen den Arbeitnehmervertretungen erweiterte Möglichkeiten zur Durchsetzung des Gleichbehandlungsgebots zur Verfügung. Beschäftigte, Betriebsräte und Gewerkschaften sollten diese Rechte nutzen und zur Umsetzung der gesetzlichen Bestimmungen Vereinbarungen mit den Arbeitgebern treffen. Nicht getan ist es mit allgemeinen Erklärungen der Unternehmensleitungen; notwendig sind eindeutige und klare Verabredungen, auf deren Basis Beschäftigte, Vorgesetzte und Leitungsstrukturen handeln können.

Das Gleichbehandlungsgesetz dient – wie der Titel schon sagt – der Umsetzung der Vorgaben der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien. Notwendig ist daher auch, zu überprüfen, ob die Verpflichtungen umfassend umgesetzt werden. Im Bereich der Gleichbehandlung bei der Wohnungssuche unabhängig von der ethnischen Herkunft, aber auch im Hinblick auf die Regelungen für den Abschluss von Versicherungsverträgen sowie bei den weitgehenden Ausnahmeregelungen für die Religionsgemeinschaften (Beschäftigung und Zugang zu Waren und Dienstleistungen) bestehen erhebliche Zweifel. Die Europäische Union wird – wie auch bei anderen Ländern – zu prüfen haben, ob das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz den europäischen Vorgaben entspricht.

Für einen umfassenden Schutz vor Diskriminierungen ist ein gesellschaftliches Klima, in dem Vorurteile und Vorbehalte als Begründung für eine Benachteiligung keinen Platz haben, erforderlich. Daher kommt es darauf an, den Diskriminierungsschutz nicht länger als Tabuthema oder als Einschränkung individueller Freiheiten zu betrachten. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz schafft dazu den rechtlichen Rahmen. Notwendig ist darüber hinaus eine gemeinsam mit den gesellschaftlichen Organisationen entwickelte Initiative, mit der die Gleichbehandlung als integrativer Bestandteil einer demokratischen und pluralen Gesellschaft gefördert wird. Die Antidiskriminierungsorganisationen, Selbstorganisationen und Gewerkschaften sind bereit und haben ihre Vorstellungen[8] vorgelegt; die Bundesregierung und die im Parlament vertretenen Parteien sollten nun ihren Beitrag leisten.

 

Endnoten

[1]  Erhebliche Vorbehalte bestehen gegenüber der Verwendung des Begriffs der „Rasse“. Bereits die Europäische Union erläutert in der Antirassismusrichtlinie, dass sie Theorien zurückweist, "mit denen versucht wird, die Existenz verschiedener menschlicher Rassen zu belegen“. Eine Verwendung des Begriffs in der Richtlinie impliziere nicht die Akzeptanz solcher Theorien. Auch in der Begründung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes macht der Gesetzgeber deutlich, dass die Verwendung des Begriffs „Rasse“ problematisch sei. Dennoch werde daran festgehalten, da der Begriff einen Anknüpfungspunkt zu dem Begriff „Rassismus“ bilde. Im Gegensatz zu Art. 3 Grundgesetz und in Anlehnung an den Art. 13 EG-Vertrag habe man aber zur Klarstellung die Formulierung „aus Gründen der Rasse“ gewählt.

[2]  Vortrag von Dr. Ricarda Dill anlässlich des Workshops „EU-Antidiskriminierungsrichtlinien“ des Bildungswerks des DGB und der Evangelischen Kirche im Rheinland, dokumentiert in Info-Brief Nr. 5 des Forums gegen Rassismus, Berlin 2004

[3]  Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum Gesetz zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien, Februar 2005

[4]  „Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz – Überblick über die Neuregelungen mit praktischen Erläuterungen“, Deutscher Gewerkschaftsbund, August 2006

[5]  Veröffentlicht unter http://www.migration-online.de/.

[6] „Partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz“, Herausgeber: Volkswagen AG, Zentrales Personalwesen, 3. Auflage 8/2002

[7] In der Einleitung zu der bereits genannten Broschüre von VW wird darauf hingewiesen, dass durch sexuelle Belästigungen, Mobbing und Diskriminierungen den Betrieben enorme Kosten aufgrund von verringerter Produktivität, Qualitätseinbußen, Verschlechterung der Teamarbeit und des Betriebsklimas entstehen.

[8] Im Rahmen des „Forums gegen Rassismus“ wurden bereits 2005 konkrete Maßnahmen für eine Kampagne für Gleichbehandlung vorgelegt.

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Volker Roßocha ist Leiter des Bereichs Migrations- und Antirassismuspolitik beim DGB-Bundesvorstand.