Deutschland macht dicht! Das 2. Änderungsgesetz zum Zuwanderungsgesetz

von Torsten Jäger

Vor zwei Jahren ist das neue Zuwanderungsgesetz in Kraft getreten. Es sollte wegweisend sein für die Entwicklung zu einer weltoffenen und toleranten Einwanderungsgesellschaft: Einwanderung gestalten, Integration fördern und Flüchtlinge schützen. Das waren nach dem Bericht der sogenannten Süssmuth-Kommission im Sommer 2001 die Erwartungen an neue gesetzliche Regelungen im Ausländerrecht.

Kaum eine dieser Erwartungen wurde erfüllt: Das Ausländerrecht ist weitgehend Gefahrenabwehrrecht geblieben. Die Zuwanderungs- möglichkeiten sind eng begrenzt, der Weg zur Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft voller Hürden und die humanitären Regelungen für Flüchtlinge greifen nicht. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache:

  • Weniger als 1.000 Einwanderer konnten oder wollten im Jahr 2005 von den mit dem Zuwanderungsgesetz neu geschaffenen Zugangsmöglichkeiten für Hochqualifizierte Gebrauch machen und ließen sich in Deutschland nieder.
  • Die Zahl der Einbürgerungen ist seit Jahren rückläufig: Von 186.688 im Jahr 2000 auf nur noch 117.200 im Jahr 2005. Tendenz: weiter sinkend.
  • Die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland erreicht immer neue Tiefststände: ganze 30.100 Asylanträge haben Flüchtlinge im vergangenen Jahr in der Bundesrepublik stellen können. Im Jahr 2001 waren es immerhin noch knapp 120.000.

Mit dem „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union“, der in der Fassung vom 8. Februar 2007 vorliegt, soll nunmehr eine umfassende Änderung des Zuwanderungsgesetzes erfolgen. Der Gesetzentwurf enthält gravierende Veränderungen des Aufenthaltsgesetzes und anderer asyl- und ausländerrechtlicher Vorschriften. Beispiele dafür sind:

Einschränkung des Ehegattennachzugs

Künftig sollen Ehegatten von aufenthaltsberechtigten Ausländern und von Deutschen vor der Einreise Deutschkenntnisse nachweisen. Zudem soll der Ehegattennachzug von einem Mindestalter beider Ehegatten von 18 Jahren abhängig gemacht werden.

Vor allem die Verpflichtung, dass der nachziehende Ehepartner oder die nachziehende Ehepartnerin schon vor der Einreise Deutschkenntnisse nachzuweisen hat, wird für viele den Ehegattennachzug dauerhaft verhindern. Denn in den meisten Staaten werden Deutschkurse - wenn überhaupt - nur in den Hauptstädten oder in größeren Städten angeboten. In der Praxis ist der Erwerb von Sprachkenntnissen meist nur für Angehörige der großstädtischen Oberschicht möglich. Der Familiennachzug wird zur sozialen Selektion. Das Grundrecht als Familie zusammenzuleben soll künftig nur für Privilegierte gelten.

Die vorgesehene Regelung konterkariert die Logik, die dem Zuwanderungsgesetz zugrunde liegt. Dort sind für Neuzuwanderer Sprach- und Orientierungskurse explizit nach der Einreise vorgesehen. Wenig überzeugend klingt die im Begründungsteil des Gesetzentwurfs angebotene Erklärung, man wolle mit diesen Maßnahmen Zwangsverheiratungen entgegenwirken. Wer den betroffenen Frauen glaubhaft helfen will, müsste - anstatt auszugrenzen - den Auf- und Ausbau von Beratungsstrukturen in den Herkunftsländern und in Deutschland fördern und die Rechtstellung der betroffenen Frauen in Deutschland verbessern. Von all dem ist im Gesetzentwurf keine Rede.

Einbürgerung wird weiter erschwert

Der Gesetzentwurf sieht unter anderem vor, bestehende Einbürgerungserleichterungen für junge Erwachsene zurückzunehmen. Bisher können unter 23-jährige sich einbürgern lassen ohne nachzuweisen zu müssen, dass sie ihren Lebensunterhalt selbst sichern. Damit soll verhindert werden, dass Studenten und Auszubildende ihr Studium oder ihre Ausbildung abbrechen und arbeiten müssen, um sich einbürgern lassen zu können. Verlangt werden zukünftig von allen Einbürgerungswilligen Deutschkenntnisse in Wort und Schrift sowie der Nachweis von Kenntnissen der deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung und der hiesigen Lebensverhältnisse. Dieser Nachweis soll in der Regel durch einen Einbürgerungstest erbracht werden.

Schon heute sind die Einbürgerungsvoraussetzungen streng. Nachzuweisen sind ein mindestens achtjähriger rechtmäßiger Aufenthalt, die eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts und der Nachweis von deutschen Sprachkenntnissen. Zum Prüfprogramm gehört auch die Regelanfrage beim Verfassungsschutz. Verlangt wird weiterhin die Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung auf das Grundgesetz.

Die Einbürgerung dient der rechtlichen und sozialen Integration der in Deutschland lebenden Ausländer sowie der demokratischen Legitimation unserer staatlichen Ordnung. Die Einbürgerung und damit die Erlangung voller staatsbürgerlicher Rechte muss deshalb ein zentrales Ziel von Integrationspolitik sein. Dies war in den letzten Jahren parteiübergreifend anerkannt. Dennoch sinken die Einbürgerungszahlen seit Jahren deutlich: Von 186.688 im Jahr 2000 auf nunmehr noch 117.200 im Jahr 2005.
Weitere Hürden auf dem Weg zur Einbürgerung werden diesen Trend verstetigen und sind deshalb integrationspolitisch kontraproduktiv. Sie vermitteln Zuwanderern, die alle Voraussetzungen für die Einbürgerung erfüllen das Gefühl, als Staatsbürger nicht willkommen zu sein.

Integrationskurse: Lernen unter Zwang

Wer künftig seiner Verpflichtung zur Teilnahme an einem Integrationskurs nicht nachkommt, begeht laut Gesetzentwurf eine Ordnungswidrigkeit und kann mit einer Geldbuße bis zu 1.000 Euro belegt werden. Schon heute können Ausländer von den Ausländerbehörden zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet werden, wenn sie Leistungen nach SGB II beziehen oder nach Auffassung der Ausländerbehörde „in besonderer Weise integrationsbedürftig sind“. Wer dieser Aufforderung nicht nachkommt, muss mit einer Kürzung seiner Sozialleistungen rechnen.

Lern- und Integrationsprozesse können aber nicht mit Strafandrohungen erzwungen werden. Kursangebote, die Integrations- und Lernprozesse anstoßen wollen, müssen durch ihre Inhalte überzeugen. Die sogenannten Integrationskurse geraten mehr und mehr zu einem Dressurakt, den die betroffenen Zuwanderer unter dem Damoklesschwert sozialrechtlicher Sanktionen und Bußgeldzahlungen zu absolvieren haben. Das ist ein integrationspolitisch verfehlter und zudem absurder Ansatz, da die meisten der zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichteten Personen Sozialleistungen beziehen und finanziell nicht in der Lage sein werden, eventuellen Bußgeldforderungen nachzukommen.

Bleiberecht unzureichend – Kettenduldungen bleiben bestehen

In der öffentlichen Diskussion konzentriert sich die Aufmerksamkeit zur Änderung des Zuwanderungsrechts vor allem auf die Frage einer Bleiberechtsregelung und auf den diesbezüglichen Streit in der großen Koalition. Auch wenn der vorliegende Entwurf in einigen Punkten weitergeht als der Beschluss der Innenminister vom November 2006: Die vorgeschlagene Regelung ist unzureichend! Zwar soll die Frist, in der potentiell Begünstigte einen Arbeitsplatz vorweisen müssen, bis Ende 2009 verlängert werden.

Dennoch wird die Regelung - sollte sie überhaupt verabschiedet werden - wegen zahlreicher weiterer Ausschlusstatbestände nur wenigen Geduldeten eine dauerhafte Perspektive eröffnen. So soll beispielsweise den Ländern die Kompetenz gegeben werden anzuordnen, dass aus Gründen der Sicherheit Staatsangehörige bestimmter Staaten von der Bleiberechtsregelung ausgeschlossen werden. Zu vermuten ist, dass hier der Generalverdacht gegen Muslime in Formen gegossen und Staatsangehörige aus islamischen Ländern von der Bleiberechtsregelung ausgeschlossen werden sollen.

Der Entwurf ändert zudem nichts am Fortbestehen des Problems der Kettenduldungen. Die könnten nur abgeschafft werden, wenn der Übergang von der Duldung zur Aufenthaltsbefugnis auch für die Zukunft neu geregelt wird. Hierzu müsste § 25 Absatz 5 Aufenthaltsgesetz geändert werden. Da dies unterbleibt, sind erneute aufenthaltsrechtliche Härten in der Zukunft vorprogrammiert.

Ein falsches Bild vom Migranten und ein falsches Integrationsverständnis

Nicht Weltoffenheit und Toleranz - wie im Koalitionsvertrag festgeschrieben - prägen die Ausländer- und Asylpolitik der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien, sondern ein grundsätzliches Misstrauen und der Geist der Abschottung. Die im vorliegenden Gesetzentwurf geplanten Verschärfungen des Ausländer-, Asyl- und Einbürgerungsrechts leiten sich aus der ebenso verbreiteten wie irrigen Annahme ab, die Werte, Einstellungen und Überzeugungen von Zuwanderern seien für unser Gemeinwesen bis zum Beweis des Gegenteils gefährlich. Die Integrationspolitik ist dem falschen Gedanken verhaftet, dass Integration ausschließlich an den Sprach- und Bildungsdefiziten der Einwanderer scheitert.

Hier ist ein Perspektiv- und Paradigmenwechsel dringend erforderlich: Denn im Zeitalter der Globalisierung sind offene Gesellschaften wie die unsere, ob sie es wollen oder nicht, multikulturell und multiethnisch geprägt. Die Präsenz unterschiedlicher Ethnien, Kulturen und Sprachen in Deutschland konfrontiert Alteingesessene und Neuzugewanderte gleichermaßen mit der Aufgabe, die Konflikte und Chancen, die sich daraus ergeben, gemeinsam wahrzunehmen und zu bewältigen. Integrationspolitik muss deshalb zum Ziel haben, die vorhandene und künftig noch zunehmende Vielfalt zu akzeptieren und zum Nutzen der gesamten Gesellschaft wirksam werden zu lassen. Eine Alternative dazu gibt es nicht.

Was bleibt zu tun?

Eine menschenrechtskonforme und nachhaltige Integrationspolitik muss die Ressourcen und Potentiale von Menschen mit einer Migrationsgeschichte nutzbar machen. Hierzu ist eine Vielzahl konkreter Maßnahmen erforderlich. Einige Beispiele:

  • Spezifische Qualifikationen, Kompetenzen und Fähigkeiten von Migranten und Migrantinnen sind im Bildungsbereich, in der beruflichen Bildung und in der Arbeitswelt anzuerkennen und zu fördern.
  • Zugewanderten müssen bislang steinige Wege zur umfassenden staatsbürgerlichen Rechten geebnet werden. Die Bundesrepublik Deutschland muss die doppelte Staatsangehörigkeit auch für Drittstaatenangehörige generell zulassen. Sie ist dem deutschen Recht nicht grundsätzlich fremd, wie ihre Gewährung gegenüber Bürgern einiger EU-Staaten zeigt. Es ist Menschen mit einer Migrationsgeschichte nicht zuzumuten, mit dem Verzicht auf ihre bisherige Staatsbürgerschaft die Brücken zu ihrem Herkunftsland einzureißen.
  • Neue Wege für die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von Migrantinnen und Migranten müssen geöffnet werden. Auf kommunaler Ebene werden Entscheidungen getroffen, die unmittelbar große Auswirkungen auf die gesellschaftliche und soziale Situation des Einzelnen haben. Nur etwa 30 Prozent der AusländerInnen in Deutschland besitzen die Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaates der Europäischen Union und sind damit auf kommunaler Ebene wahlberechtigt. In einigen Ballungsgebieten können deshalb bis zu dreißig Prozent der Wohnbevölkerung nicht an der politischen Willensbildung auf kommunaler Ebene mitwirken. Union und SPD haben im ihrem Koalitionsvertrag vom 11. November 2005 einen Prüfauftrag bezüglich der Frage des kommunalen Wahlrechts für Ausländer, die keine EU-Bürger sind, vereinbart. Statt an der Ausgrenzung zugewanderter Drittstaatler festzuhalten, sollte die deutsche Politik dem Beispiel vieler EU-Mitgliedstaaten - z.B. Irland, Niederlande und Schweden - folgen, die allen lange im Inland lebenden Ausländern das aktive und passive Wahlrecht zugestehen. Die hierfür notwenige Voraussetzung ist die Änderung bzw. Ergänzung des Artikel 28 Absatz 3 GG.

Der Interkulturelle Rat in Deutschland erarbeitet gegenwärtig ein umfassendes Positionspapier, das sich mit den Erwartungen und Anforderzungen an eine nachhaltige und an den Menschenrechten orientierte Integrationspolitik befasst. Es wird voraussichtlich noch im März dieses Jahres veröffentlicht und auf seiner Homepage  www.interkultureller-rat.de zu lesen sein.

Die ausführliche gemeinsame Stellungnahme von Interkulturellem Rat, PRO ASYL und DGB zum Entwurf des sog. 2. Änderungsgesetzes zum Zuwanderungsgesetz (Stand 8. Februar 2007) steht zum Download bereit hier.

 

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Torsten Jäger ist Geschäftsführer des Interkulturellen Rates in Deutschland. Er ist Politologe und hat bei PRO ASYL und dem World University Service Flüchtlings- und entwicklungspolitische Bildungsarbeit geleistet.