EU-Osterweiterung
Die Simulation von drei Szenarien bis zum Jahr 2011 zeigt, dass Deutschland von der EU-Erweiterung profitiert – mit oder ohne Freizügigkeit der Arbeitskräfte aus den neuen Mitgliedsstaaten. Mit der Erweiterung der Europäischen Union (EU) zum 1. Mai 2004 sind weitere Barrieren für Handel, Auslandsinvestitionen und die Migration von Arbeitskräften zwischen den alten und den neuen Mitgliedsstaaten beseitigt worden. Die Integration der mittel- und osteuropäischen Länder in die Güter-, Kapital- und Arbeitsmärkte der Gemeinschaft hat allerdings vielfältige Ängste in den alten Mitgliedsstaaten der EU geweckt. Mit Hilfe eines Simulationsmodells hat das IAB die Effekte der Osterweiterung auf Produktion, Löhne und Beschäftigung in Deutschland untersucht.
Die Osterweiterung der Europäischen Union (EU) wird in den alten Mitgliedsstaaten mit gemischten Gefühlen betrachtet: Unter anderem wird befürchtet, dass die Konkurrenz arbeitsintensiver Produkte auf den Gütermärkten, die Verlagerungvon Kapital und die Zuwanderung von Arbeitskräften zu sinkenden Löhnen und steigender Arbeitslosigkeit führen. Tatsächlich ist das Einkommensgefälle zwischen den alten und den neuen Mitgliedsstaaten sehr viel höher als in vergangenen Erweiterungsrunden: Gemessen in Kaufkraftparitäten betrug im Jahr 2005 das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf in den acht neuen Mitgliedsstaaten aus Mittel- und Osteuropa (NMS-8)1gut die Hälfte des BIP der bisherigen Mitgliedsstaaten (EU-15). In Bulgarien und Rumänien, die zum 1. Januar 2007 beigetreten sind, beträgt es sogar nur rundein Viertel (Eurostat 006).Aus handelstheoretischer Perspektive sind bei einer Integration von Ländern mit hohen Unterschieden in den Pro-Kopf-Einkommen und Faktorausstattungen erhebliche Einkommensgewinne zu erwarten. Allerdings können die Unterschiede in den Faktorausstattungen auch zu sinkenden Löhnen und – bei Lohnrigiditäten – zu fallender Beschäftigung führen. Vor diesem Hintergrund wird hier untersucht, welche Effekte die Osterweiterung für gesamtwirtschaftliche Produktion, Löhne und Beschäftigung in Deutschland hat. Zunächst wird die Entwicklung von Handel, Kapitalverkehr und Migration zwischen Deutschland und den neuenMitgliedsstaaten dargestellt. Danach werden ihre Wirkungen mit Hilfe eines Simulationsmodells analysiert. Dabei liegen unterschiedliche Szenarien für die Entwicklung der Migration nach Einführung der Freizügigkeit zu Grunde.
Die Ergebnisse der Studie in Kürze:
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Seit der EU-Erweiterung im Jahr 2004 gehören acht neue mittel- und osteuropäische Mitgliedsstaaten (NMS-8) zur Europäischen Union. Am 1. Januar 2007 kamen Bulgarien und Rumänien dazu.
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Die Entwicklung von Handel, Kapitalverkehr und Migration zwischen Deutschland und den NMS-8 ist seither durchweg günstig verlaufen:
- Bei dynamischer Entwicklung des Außenhandels verzeichnet Deutschland hohe Überschüsse in der Handels-und Leistungsbilanz.
- Die befürchtete Billiglohnkonkurrenz auf den Gütermärkten hat nur marginale Preisänderungen verursacht. -
Der reglementierte Arbeitsmarktzugang für Arbeitskräfte aus den NMS-8 hat zu einer moderaten Nettozuwanderung geführt.
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Das IAB hat die positiven Wirkungen der EU-Osterweiterung nun mit Modellrechnungen bis zum Jahr 2011 bestätigt. Es wurden drei Szenarien simuliert, die folgende Effekte zeigen:
- Auch bei Freizügigkeit der Arbeitskräfte ist mit hohen Wohlfahrtsgewinnen durch Handel und Kapitalverkehr zu rechnen.
- Freizügigkeit erhöht BIP und Beschäftigungin Deutschland zusätzlich.
- Lohnwachstum und Rückgang der Arbeitslosigkeit sind mit Freizügigkeit etwas geringer als ohne, aber immer noch spürbar.
- Von der Veränderung der Sektorstruktur bei Freizügigkeit sind auch positive Arbeitsmarkteffekte zu erwarten. - Insgesamt kann eine positive Bilanz der EU-Osterweiterung für Deutschland gezogen werden.
1Am 1. Mai 004 sind Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, die Slowakei, Malta und Zypern der EU beigetreten. In diese Untersuchung werden nur die acht mittel- und osteuropäischen Länder einbezogen (NMS-8). Malta und Zypern wurden aufgrund ihrer geringen Größe nicht berücksichtigt.
Die Studie von Timo Baas, Herbert Brücker und Elmar Hönekopp erschien in: IAB Kurzbericht Nr. 6/2007.