Migration von Afrika nach Europa - „Eine Ehe ist die einzige Möglichkeit zu bleiben“

Flüchtlingsmütter mit ihren Kindern
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Die illegale Migration hat viele negative Folgen, oft verlieren Mütter ihre Kinder, die alleine nach Europa fliehen

 

Madame Diouf, Sie haben vor einiger Zeit Ihren einzigen Sohn verloren, der mit anderen jungen Männern illegal über das Meer nach Europa emigrieren wollte. Das Boot verunglückte, alle 82 Männer ertranken. War dieser persönliche Schicksalsschlag der Grund dafür, dass Sie die Organisation Women’s Association against Illegal Migration gegründet haben?

 Ja und nein. Natürlich hat mich der Tod meines Sohnes sehr mitgenommen. Ich habe darüber nachgedacht, was getan werden muss, um die Situation bei uns zu verbessern. Ich komme aus einer Fischereiregion, die Menschen bei uns leben vom Meer. Aber aktuelle internationale Abkommen erschweren unsere tägliche Arbeit um ein Vielfaches, und unsere Lebensbedingungen werden immer schlechter. Das fördert die illegale Migration.

Was kann Ihre Organisation tun?

Sie hilft einerseits Müttern, die ihre Kinder durch illegale Ausreise verloren haben. Und andererseits kämpfen wir dafür, dass die jungen Leute im Land bleiben.

Was können Frauen konkret tun?

Bei uns bestehen die Familien fast nur aus Frauen und Kindern, die Männer sind nicht da oder auf dem Meer. Trotzdem haben wir eine patriarchale Gesellschaft: Wichtige Entscheidungen in den Familien treffen die Männer. Das können wir Frauen nicht länger hinnehmen. Und das wollten wir auch nicht mehr. Also haben wir uns zusammengetan und kämpfen für ein besseres Leben: Wir klären auf, was passiert, wenn junge Frauen und Männer illegal auswandern, wir sagen ihnen, mit welchen Gefahren sie unterwegs und in Europa zu rechnen haben. Und wir versuchen Arbeitsplätze zu besorgen. Das ist alles sehr schwer, und wir stoßen immer wieder an Grenzen.

Zum Beispiel?

Oft höre ich von 16-jährigen Jugendlichen, dass sie unbedingt nach Spanien auswandern wollen, illegal natürlich. Und dann sage ich: Dort erwartet dich nichts Gutes. Und was antwortet mir der junge Mann?

Was?

Dass er als Illegaler nicht nach Afrika zurückgeschickt wird, solange er nicht volljährig ist. Und oft höre ich den Satz: Lieber begehe ich Selbstmord, als dass ich mich zurückschicken lasse.

Wie gehen Sie damit um?

Die Mütter meiner Organisation und ich tragen eine rote Armbinde, wenn wieder ein Jugendlicher ertrunken ist. Wir wollen damit sichtbar warnen vor den Folgen illegaler Migration.

Wenn von illegalen Flüchtlingen die Rede ist, sind in der Regel Männer gemeint. Frauen, die ihr Land verlassen, stehen kaum im Fokus des öffentlichen Interesses. Wie viele Frauen befinden sich unter den Flüchtlingen?

Genaue Zahlen sind nicht bekannt, aber Schätzungen zufolge sollen es etwa zehn Prozent sein.

Mit welchen Problemen haben Frauen zu kämpfen, die als Flüchtlinge ihre Heimatländer verlassen?

Sobald die jungen Frauen in Europa angekommen sind, versuchen sie zu heiraten. Eine Ehe ist mehr oder weniger die einzige Möglichkeit, dort zu bleiben.

Klären Sie die Frauen darüber auf, dass sie in Europa nur geringe Chancen haben?

Ich besuche oft afrikanische Frauen, die in Europa gelandet sind. Den meisten geht es nicht gut, manche schlafen sogar auf der Straße. Ich nehme ihre Erfahrungen mit nach Hause und spreche darüber oft im Radio. Ich versuche, öffentlich zu machen, dass die Arbeitslosigkeit von Afrikanern in Europa sehr hoch ist, und dass der Traum vom europäischen Paradies eben nur ein Traum ist.

Ein weiteres Problem afrikanischer Migrantinnen sind Prostitution und sexuelle Ausbeutung. Wissen die Frauen das?

Es gibt Aufklärungsprogramme, auch ich erzähle immer wieder davon. Aber die Frauen gehen trotzdem und setzen sich automatisch diesen Gefahren aus. Und wenn sie dann in die Prostitution gezwungen worden sind, verschweigen sie das zu Hause.

Warum?

Sie würden stigmatisiert werden, wenn das bekannt würde. Durch die Prostitution ist die Familie entehrt.

Warum ist der Drang zu gehen dennoch so groß?

Da haben die Medien einen erheblichen Anteil daran. Die Aufklärungsprogramme kommen vielfach nicht an gegen die Fernsehbilder aus Europa mit den schönen Autos, den großen Häusern, den glücklichen Menschen. Die Bilder des Wohlstands sind stärker als das mahnende Wort.

Was passiert mit den Frauen, die es nicht schaffen zu heiraten?

Die meisten wollen wieder zurück nach Afrika. Aber das können sie nicht, meist scheitert es schon an der Fahrkarte, die sie sich nicht bezahlen können.

In Europa herrscht vielfach noch immer das Vorurteil vor, dass afrikanische Frauen nicht mehr können als putzen und Kinder hüten. Selbst dann, wenn sie Akademikerinnen sind und sogar promoviert haben. Ist das den Frauen bei Ihnen Zuhause bewusst?

Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit afrikanischer Migrantinnen in Europa suchen afrikanische Akademikerinnen oft mehrere Jahre nach einem Job. Aber sie finden keinen, deshalb arbeiten sie ja als Putzkraft oder als Babysitter. Das prägt das Bild afrikanischer Frauen in Europa sehr stark. Dabei könnten die Frauen mit ihrer Ausbildung, mit ihrem Können und Wissen in Afrika in höheren Funktionen arbeiten und helfen, die Probleme hierzulande zu lösen.

Was muss getan werden, damit Frauen nicht verstärkt auswandern?

Zunächst muss es einen runden Tisch geben, an dem verschiedene Seiten sitzen: die Europäische Union, die Afrikanische Union, Organisationen der Zivilgesellschaft wie meine Association. Unsere Probleme müssen offen angesprochen werden, sonst kann nicht gehandelt werden. Wir brauchen dringend den Dialog zwischen Afrika und Europa, damit endlich alle wissen, worum es eigentlich geht.


Die Fragen stellte Simone Schmollack.

 

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Yayi Bayam Diouf ist Präsidentin der "Women’s Association against Illegal Migration" (WAIM), einer NGO in Senegal, die sich der Aufklärungsarbeit über die Folgen illegaler Emigration und Menschenhandel widmet und sich für gerechte Entwicklung engagiert.