von Michael Werz
Dass es in den USA konservative Evangelikale gibt, hat sich inzwischen in der ganzen Welt herumgesprochen. Dass es sich dabei um eine komplizierte Gruppe handelt, die politisch keinesfalls über einen Kamm zu scheren ist, wird jedoch seltener zur Kenntnis genommen.
Ein gutes Beispiel ist Richard Land, prominenter Chef der Southern Baptists, mit weit über sechzehn Millionen Anhängern der größten Organisation ihrer Art unter den über 1.400 protestantischen Denominationen in den Vereinigten Staaten. Richard Land wird gelegentlich als der „Lobbyist Gottes“ bezeichnet, so gut sind die Kontakte des sechzigjährigen Texaners in den Korridoren der Macht in Washington. Man sagt, dass das Weiße Haus unter Ronald Reagan immer seine Anrufe beantwortet habe, das Weiße Haus unter Bush dem Älteren weniger, unter Clinton gar nicht mehr, und nachdem sein langjähriger Freund George Bush einzog, wartete man nicht mehr auf Richard Lands Anrufe, sondern bezog ihn und andere konservative Christen in wöchentliche Telekonferenzen zur strategischen Themen wie Abtreibung und Schwulenehe mit ein.
Besonders aus deutscher Perspektive liegt die Vermutung nahe, dass sich solch knochenharter Konservatismus auch automatisch gegen Migranten und Minderheiten richtet.
Das ist aber falsch. Richard Land war nicht nur federführend an der 1995 formulierten Entschuldigung seiner Organisation für die Sklaverei beteiligt, sondern er hat auch in der erbittert geführten Diskussion um illegale Einwanderer eine zentrale Rolle auf Seiten der Befürworter einer Gesetzesreform angenommen, die von vielen Konservativen als unpatriotische Amnestie für Gesetzesbrecher denunziert wird. Solchen Leuten pflegt er unter Hinweis auf die im Gesetz vorgesehenen Regeln zur Einbürgerung Illegaler zu sagen: Wer in diesem Zusammenhang von einer „Amnestie“ spreche sei in Wahrheit derjenige, „der einen Englisch-Sprachkurs benötigt“ – und nicht die Einwanderer.
Englischkurse für wen?
Auf das Argument, dass Gesetzesbrecher in den USA nicht geduldet und deportiert werden sollen pflegt er zu antworten, dass es wichtig sei zwischen den (meist mexikanischen) Einwanderern zu unterscheiden, die „ein Gesetz brechen, um zu arbeiten“ und den Amerikanern, „die ein Gesetz brechen, um nicht zu arbeiten.“ Auch die einschlägigen Zahlen hat er parat: Dass ein Viertel bis ein Drittel der Arbeitsmigranten gar nicht in den USA bleiben würden, wäre da nicht die Grenzbefestigung am Rio Grande, die sie in Amerika einsperrt und oft dazu zwingt, ungeplant und unter großem Risiko die Familie nachzuholen und sich hier niederzulassen.
In Reden vor seinen Anhängern argumentiert Land, dass die Southern Baptists gegenüber zwei Königreichen Verpflichtungen hätten: den Vereinigten Staaten und Gott. Ersteres bedeute, Gesetze einzuhalten und der Regierung gegenüber loyal zu sein – Land war bekennender und lautstarker Unterstützer des Irak-Krieges. Aber die zweite, spirituelle Loyalität bedeute, dass Menschen geholfen werden müsse, die in Not geraten sind oder der Unterstützung bedürften. Dies hat letztlich höhere Wertigkeit: Wenn Menschen unter Gesetzen ungerechtes Leid erfahren, „dann müssen wir eben die Gesetzte ändern“, so Land.
Religionsfreiheit - American style
Diese eher fortschrittlichen Positionen werden von vielen in der eigenen Organisation ebenso wenig geteilt wie die standfesten Äußerungen von Richard Land in seinen beiden Radioprogrammen. Für ihn erwächst die moralische Verpflichtung gegenüber Einwanderern nicht nur den Glaubensgrundsätzen, sondern sie ergibt sich auch aus einer weiterreichenden ethischen Verantwortung für eine Gesellschaft, in der die Verfassung die Religion vor staatlicher Einflussnahme so weitgehend schützt, wie kaum eine andere. „Der Kongress darf kein Gesetz erlassen, das die Einführung einer Staatsreligion zum Gegenstand hat, die freie Religionsausübung verbietet…“ heißt es im ersten Verfassungszusatz. Religion wird nicht toleriert, sondern befreit von Staatlichkeit und verwandelt sich so in privates Gewerbe. In den meisten Bundesstaaten ist es einfacher, eine Kirche als eine Firma zu gründen.
Nicht nur die Southern Baptists haben von dieser historischen Besonderheit profitiert. Ohne Klerus und phlegmatischen Überbau konnten die Religionsgemeinschaften flexibel und pragmatisch auf die immensen regionalen und sozialen Unterschiede in den USA reagieren. Für die Offenheit gegenüber Migranten macht Richard Land auch die Entprofessionalisierung der Missionsarbeit verantwortlich. Viele Baptisten hätten durch die „Revolution der Missionierung eine globale Denkweise“ entwickelt, weil sie die Menschen und die Probleme in Afrika, Lateinamerika und Asien aus eigener Anschauung kennen.
Kirchenasyl und Sklaverei
Auf diese Gruppen innerhalb der Southern Baptists stützt sich Richard Land. Als der republikanische Kongressabgeordnete James Sensenbrenner aus Wisconsin im vergangenen Jahr ein Gesetz vorlegte, das die Unterstützung illegaler Einwanderer, etwa durch Kirchen und Privatleute, unter Strafe stellte, war Lands Reaktion recht eindeutig. Ihn erinnerte Sensenbrenners Gesetz an die rassistischen „Fugitive Slave Laws“ von 1850, die jeden kriminalisierten, der einem entflohenen Sklaven half – der größtmögliche rhetorische Frontalangriff, den die amerikanische politische Tradition erlaubt.
Letztlich wird das geschehen, was in den USA bislang immer geschah: Die xenophoben Nativisten werden eine politische Niederlage erleiden, jedoch nicht, ohne vorher großen politischen und sozialen Schaden anzurichten. Dass Leute wir Richard Land für diese Niederlage mitverantwortlich sein werden ist kein Zufall, sondern hängt mit der besonderen Rolle der Religion in den USA zusammen. Karl Marx hatte zur gleichen Zeit als die „Fugitive Slave Laws“ verabschiedet wurden erkannt, dass beide Dimensionen zusammengehören. Er bezeichnete Amerika als das „Land der vollendeten politischen Emanzipation“, welches zugleich auch „vorzugsweise das Land der Religiosität“ sei.
Michael Werz ist Transatlantic Fellow des German Marshall Fund of the United States und Visiting Researcher am Institute for the International Study of Migration an der Universität von Georgetown in Washington DC.