Wie bricht man diskriminierende Strukturen und Einstellungen auf, deren Folge die Abwertung und Benachteiligung ganzer gesellschaftlicher Gruppen ist? In Deutschland liegen zu dieser Problematik vor allem Erfahrungen aus der Frauengleichstellungspolitik vor. Sie zeigen, dass trotz vieler Fortschritte in Richtung Geschlechtergerechtigkeit beharrliche strukturelle und kognitive Barrieren verhindern, dass umfassende Erfolge erzielt werden. Klar ist daher, dass ein aktives und konsequentes Handeln sowie langfristiges Engagement von allen Teilen der Gesellschaft gefordert sind. Aber welche konkreten Maßnahmen sollen ergriffen werden? Sind gesetzliche Quoten die Lösung, wie sie beispielsweise derzeit für Frauen in Leitungspositionen großer Unternehmen oder zur Verbesserung der Repräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst diskutiert werden? Der Widerstand in Deutschland gegen solche Quoten ist erheblich. Außerdem hat sich gezeigt, dass weder rechtliche Verbote und Appelle, noch freiwillige aber unverbindliche Vereinbarungen allein ausgereicht haben, um den notwenigen Einstellungswandel einzuleiten.
Sehen wir uns also jenseits von Deutschland nach Lösungswegen um. Die Erfahrungen vieler Länder mit einer aktiven Antidiskriminierungstradition zeigen, dass das Zusammenwirken von gesetzlichen Vorschriften mit „Positiven Maßnahmen“ am ehesten zum Abbau von Diskriminierungen geführt hat. Die EU hat dieser Erkenntnis in ihren Antidiskriminierungsrichtlinien Rechnung getragen. Sie sehen vor, dass „zur Gewährleistung der vollen Gleichstellung“ Positive Maßnahmen zulässig seien, mit denen Benachteiligungen und ungleiche Chancenverteilung zwischen Bevölkerungsgruppen „ausgeglichen oder verhindert werden können“. Die Bevölkerungsgruppen, um die es dabei
geht, unterscheiden sich in Bezug auf die Merkmale Geschlecht, ethnische Herkunft, zugeschriebene „Rasse“, Religion, Weltanschauung, Alter, Behinderung oder sexuelle Identität. In Deutschland wurde entsprechend in § 5 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) erstmalig explizit die Möglichkeit verankert, Positive Maßnahmen - als Ausnahme von dem zuvor formulierten Diskriminierungsverbot - zugunsten von Menschen, die zu den geschützten Gruppen gehören, einzuführen.
Doch weder der europäische noch der deutsche Gesetzgeber haben diese Maßnahmen näher definiert oder die Situationen benannt, in denen solche ergriffen werden sollten oder gar müssten. Die Gesetzgeber haben damit die Ausgestaltung dieses Instruments der Wirtschaft und der Gesellschaft überlassen und deren Überprüfung den europäischen und deutschen Gerichten, die die legalen Spielräume Positiver Maßnahmen von Fall zu Fall ausloten. Diese rechtliche Offenheit wird hierzulande jedoch noch zu wenig als Chance begriffen und genutzt. Nicht nur die privaten, sondern auch die wegen ihrer Vorbildfunktion wichtigen staatlichen Akteure in Bund, Ländern und Kommunen zeigen wenig Bereitschaft, Positive Maßnahmen auf den unterschiedlichsten Ebenen zu ergreifen, um beispielsweise der Benachteiligung von MigrantInnen auf dem (öffentlichen) Arbeits- und Wohnungsmarkt, im Bildungs- und Gesundheitswesen oder in Institutionen des öffentlichen und politischen Lebens entgegenzusteuern.
Die Kosten für diese Untätigkeit tragen tagtäglich zu allererst die Betroffenen selbst. Darüber hinaus wird jedoch auch der gesamtgesellschaftliche Zusammenhalt durch anhaltende Diskriminierung geschwächt. Hinzu kommen die Herausforderungen der Globalisierung und des demografischen Wandels, die Deutschland nur dann meistern kann, wenn es sich zu einem international attraktiven „Land der Möglichkeiten“ entwickelt, das EinwanderInnen sowie allen hier lebenden Menschen gleiche Chancen garantiert und ihnen soziale Aufstiegschancen einräumt.
Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind daher gefordert, Chancengleichheit für alle Bevölkerungsgruppen und in allen Organisationen und gesellschaftlichen Bereichen stärker als bisher herzustellen. Hierfür bieten Positive Maßnahmen als Kernelemente einer aktiven Antidiskriminierungs- und Gleichstellungspolitik effektive Handlungsmöglichkeiten. Dieses Dossier bietet einen Überblick über die rechtlichen Grundlagen und politischen Rahmenbedingungen Positiver Maßnahmen und zeigt Möglichkeiten - aber auch Fallstricke - bei ihrer Umsetzung auf. Mit vielen Beispielen aus dem In- und Ausland will es anregen, auch hierzulande bewährte Handlungsansätze und Aktionen zu implementieren sowie mit neuen Ideen zu experimentieren. Dieses Dossier analysiert die rechtlichen Grundlagen und politischen Rahmenbedingungen Positiver Maßnahmen sowie Vorteile und Fallstricke bei ihrer Umsetzung. Mit vielen Beispielen aus dem In- und Ausland will es anregen, auch hierzulande bewährte Handlungsansätze und Aktivitäten zu implementieren sowie mit neuen Ideen zu experimentieren.
Das Dossier wurde von Andreas Merx konzipiert und redigiert.
Gesamtredaktion: Olga Drossou, MID-Redakteurin
Andreas Merx ist Politologe und Organisationsberater mit den Arbeitsschwerpunkten Antidiskriminierung/AGG, Diversity Politics/Politiken der Vielfalt und Integration/Interkulturalität. Er lebt und arbeitet in Berlin.
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