In der im Sommer 2015 erschienenen Integrationsstudie MIPEX schneidet Deutschland im Bereich Antidiskriminierung nur äußerst mittelmäßig ab. Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, nimmt in einem Gastbeitrag Stellung.
Die Ergebnisse des MIPEX 2015 in Sachen Antidiskriminierungspolitik sind deutlich: Die deutsche Gleichbehandlungspolitik sei eine der schwächsten im internationalen Vergleich. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes sei mit so wenigen Befugnissen ausgestattet wie in kaum einem anderen Land. Auch Nichtregierungsorganisationen seien in ihrer rechtlichen Stellung und ihren Klagemöglichkeiten sehr eingeschränkt.
Das sind klare Worte. Und sie sind richtig. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes setzt sich seit Jahren für eine deutliche Stärkung der Antidiskriminierungspolitik ein – auch und gerade zugunsten der Integrationspolitik.
Dazu ist zunächst eines wichtig: Schluss zu machen mit dem Schubladendenken, das allzu häufig in der Politik vorherrscht. Integrations- und Antidiskriminierungspolitik werden oft getrennt behandelt. Aber beide gehören zusammen: Der Einsatz gegen Diskriminierung sollte als untrennbarer Bestandteil einer jeden Integrationspolitik verstanden werden.
Warum? Ein Beispiel: Natürlich ist es gut, wenn Migrantinnen und Migranten zunehmend besser in den Arbeitsmarkt integriert werden, wie der MIPEX 2015 zeigt. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie deshalb bei der Jobsuche keine Diskriminierungen erleben oder weit unter ihren Qualifikationen arbeiten müssen. Wenn das aus dem Blick gerät, ist ein besserer Zugang zum Arbeitsmarkt nur ein Pyrrhussieg.
Ein weiteres Beispiel: Was für Auswirkungen Diskriminierungen von Menschen mit Migrationsgeschichte in Schule, Ausbildung und Berufsleben haben können, wird noch viel zu wenig berücksichtigt. Wer aber in der Schule andauernd aufgrund seines Migrationshintergrunds abgewertet wird, erbringt nachweislich schlechtere Leistungen und engagiert sich weniger. Und im Arbeitsleben verbauen Diskriminierungen die Chancen auf gleiche Bezahlung, auf Aufstieg und angemessene Arbeit. Solche Probleme können besser in Angriff genommen werden, wenn Antidiskriminierung bei der Integrationspolitik stets mitgedacht wird.
Zehn Jahre Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
Als Antidiskriminierungsstelle blicken wir im kommenden Jahr auf das zehnjährige Bestehen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) zurück. Trotz aller Schwächen des AGG können wir auch eine beachtliche Reihe von Erfolgen auflisten. So gibt es zum Beispiel eine Reihe für Betroffene rassistischer Diskriminierung erfolgreicher Urteile, etwa zu Einlasskontrollen bei Clubs und Diskotheken.
Und: Die Antidiskriminierungsstelle ist zwar winzig im Vergleich zu ähnlichen Behörden in Ländern wie Großbritannien, Belgien, Schweden oder den Niederlanden. Aber: Wir sind froh, dass wir dessen ungeachtet in den vergangenen Jahren einiges anstoßen konnten, zum Beispiel durch unser Pilotprojekt zu anonymisierten Bewerbungsverfahren. Davon profitieren nachprüfbar Frauen sowie Menschen mit Migrationshintergrund. Auch unsere Projekte zu mehr Diversity in Verwaltungen und Hochschulen haben Veränderungen gebracht, um nur einige Beispiele zu nennen.
Aber es ist das Eine, zu sensibilisieren, präventiv zu wirken und Vorurteile abzubauen. Das andere ist es, Recht zu bekommen, wenn Diskriminierung bereits passiert ist. Hier fordern wir seit langem ein eigenes Klagerecht. Mit unserer juristischen Erstberatung haben wir zwar bereits vielen Menschen geholfen – oft reicht zum Beispiel ein mahnender Brief mit Bundesadler, um diskriminierende Arbeitgeber oder Dienstleiser zur Einsicht zu bewegen. Aber wenn es zum Prozess kommt, müssen Betroffene diesen Weg leider ohne unsere Unterstützung gehen. Das erfordert starke Nerven und eine Sicherheit, die viele nicht haben und die nicht Voraussetzung sein sollte, um gegen Benachteiligung vorzugehen.
Auch die seit jeher umstrittene Zweimonatsfrist, innerhalb derer Betroffene eine Diskriminierung geltend machen müssen, ist natürlich viel zu kurz. Das weiß jede und jeder, die oder der schon einmal selbst von Diskriminierung betroffen war und mit sich gerungen hat, wie und ob dagegen vorzugehen sei. Dabei brauchen wir mehr Menschen, die den Rechtsweg gehen: Wir brauchen mehr Präzedenzfälle, die Mut machen, Benachteiligungen nicht hinzunehmen.
Kaum Schutz im öffentlichen Bereich
Ein weiteres Manko: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz greift nicht im öffentlichen Bereich, zum Beispiel an Schulen und Hochschulen. Dabei erreichen uns zu diesen Themen besonders häufig Beratungsanfragen, insbesondere wenn es um rassistische Diskriminierung geht. Das föderale System bietet Betroffenen nicht ausreichend Schutz: An Antidiskriminierungsgesetzen in den Ländern fehlt es zu großen Teilen noch. Auch hier haben wir aber Bewegung in die Sache gebracht: Mit unserer „Koalition gegen Diskriminierung“. Bisher haben sich ihr zehn von 16 Bundesländern angeschlossen und damit zugesichert, Antidiskriminierungspolitik hoch auf die Agenda zu setzen und als Querschnittsaufgabe zu verankern. Ein wichtiges Zeichen, dass das Thema ernst genommen wird.
Wie in anderen Ländern der EU auch ist die Dunkelziffer derjenigen hoch, die Diskriminierungen zwar erleben, aber nicht melden oder gar Hilfe suchen. Denn noch immer wissen zu wenige Menschen, welche Rechte sie bei Diskriminierung haben – oder dass sie überhaupt Rechte haben! - und wo sie sich Hilfe holen können. Aber es mangelt auch nach wie vor an flächendeckender, niedrigschwelliger und qualifizierter Beratung.
Wir haben daher die Gründung von Netzwerken gegen Diskriminierung gefördert, die im Idealfall zu allen Diskriminierungsgründen beraten können. Den Netzwerken bieten wir zurzeit auch Qualifizierung für Beratungsstellen an. Doch das reicht nicht aus: Auch hier müssten die Bundesländer weit mehr an Unterstützung bieten, insbesondere um Beratungsstellen nachhaltig finanzieren zu können. Gute Beratung funktioniert nicht, wenn die Mitarbeitenden sich von Projektfinanzierung zu Projektfinanzierung hangeln müssen.
Spezifische Anlauf- und Beratungsstellen
Um Menschen zu ihrem Recht zu verhelfen, wären auch spezifische Anlauf- und Beratungsstellen nötig: Beispielsweise unabhängige Beratungsstellen für Betroffene von „Racial Profiling“. Aber auch im Bereich der Schulen bräuchte es unabhängige und niedrigschwellige Beratung, an die sich Schülerinnen und Schüler, Eltern und auch Lehrkräfte wenden können. Auch diese Stellen müssten rechtlich verankert, nachhaltig finanziert und mit ausreichenden Befugnissen ausgestattet sein, um Diskriminierungsfällen nachzugehen und so tatsächlich zu helfen.
Zu guter Letzt noch ein umfassenderes Problem, das wir anpacken wollen: Nach wie vor wissen wir nicht genug über das Ausmaß von Diskriminierung, welche Auswirkungen sie hat und welche Strategien und Maßnahmen wirklich helfen. Hierzu plant die Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine umfassende Umfrage, die im Herbst startet. Sie soll eine möglichst große Zahl von Menschen erreichen, die Diskriminierung erlebt oder beobachtet haben. Wir wollen nachvollziehen können: In welchen Lebensbereichen erfahren Menschen Benachteiligungen? Wer oder was verursacht sie? Welche Auswirkungen hat Diskriminierung? Welche Handlungsstrategien gibt es?
Die Umfrage soll nicht nur der Antidiskriminierungsstelle helfen, ihre Arbeit noch gezielter auszurichten. Nein: Wir wollen zeigen, dass Diskriminierung jeder und jedem passieren kann und daher auch alle angeht. Antidiskriminierungspolitik ist ein unverzichtbarer Bestandteil jeder Politik, die auf den Zusammenhalt der Gesellschaft abzielt.
Der 2015 erschienenene "Migrant Integration Policy Index" (MIPEX) untersucht und vergleicht die Integrationspolitiken in 38 Ländern. Dazu zählen alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie Australien, Kanada, Island, Japan, Südkorea, Neuseeland, Norwegen, die Schweiz, die Türkei und die USA. Im Bereich Antidiskriminierung landetete Deutschland im internationalen Vergleich lediglich auf Platz 22.