Interkulturelle Liebe als Wahrnehmungsprozess

von Carmine Chiellino

„Liebe ist die Fähigkeit, Ähnliches an Unähnlichem wahrzunehmen“ schreibt der Sohn der korsischen Opernsängerin Maria Calvelli-Adorno und des Frankfurter Weinhändlers Oscar Alexander Wiesengrund in seinen „Reflexionen aus dem beschädigten Leben“ (Minima Moralia, 1951, § 122).

T.W. Adornos Definition der Liebe als Wahrnehmungsprozess bietet sich als Grundthese an, um das Thema der Liebe in Bezug auf seine ästhetische Zweckmäßigkeit in der interkulturellen Literatur in Deutschland näher zu betrachten. Dabei wird das Vorhaben in zwei zeitliche Abschnitten geteilt: die Zeiten der Entstehung der interkulturellen Literatur (1964-1990) und die Zeiten danach, ab 1990 bis heute; dazwischen ein kontrastives Intermezzo über Liebe und Interkulturalität in der deutschen Literatur der 60er und 70er Jahre, als es sich abzeichnete, dass die Einwanderung kein Zwischenspiel in der Geschichte der jungen Republik sein konnte.

Zwei Gedichte über Liebe in der Interkulturalität

Aus der Gründerzeit liegen ein italienischsprachiges Gedicht von Giuseppe Giambusso und ein deutschsprachiges von Fruttuoso Piccolo vor, die aufgrund ihrer sich ergänzenden Fragestellungen bestens geeignet sind, um den dialogischen Umgang mit der Liebe zur Zeit der aufkommenden Interkulturalität herauszuarbeiten:

Giuseppe Giambusso:
“In deiner Sprache“

Ich spreche
mit dir
in deiner Sprache.

Ich esse
mit dir
in deiner Sprache.

Ich singe
mit dir
in deiner Sprache.

Ich streite
mit dir
in deiner Sprache.

Warum
gelingt es mir nicht
dich in deiner Sprache
zu lieben? 

Aus: Jenseits des Horizonts/
Al di là dell’orizzonte
, 1985, S.75

Fruttuoso Piccolo:
„Liebe aus der Ferne“

 

Ich spreche
deine Sprache

aber

ich träume
in einer anderen
Sprache

So schreibe ich:

Ich liebe dich.
 

 

 

(Aus: durch DIE SPRACHE
ein ander(es) ICH
, 1987, S.86)

Beim parallelen Lesen der Gedichte, stellt sich heraus, dass in beiden etwas angesprochen wird, das zu damaliger Zeit als nicht erreichbar galt. In beiden Gedichten unterzieht sich das lyrische Ich einem lebensbejahenden Erkenntnisprozess in Bezug auf seine sozialen Kompetenzen innerhalb der neuen Alltagskultur. Dabei kommt das lyrische Ich zu ermutigenden Erkenntnissen, erreicht jedoch nicht jenen von Zweifeln befreiten Gefühlszustand, der ein geglücktes Zusammenleben der Liebenden ahnen lässt.

Im Giambussos Gedicht erfahren die LeserInnen, auf welchen sozialen und emotionalen Ebenen des alten und neuen Alltags (Sprechen, Essen, Singen und Streiten) der Selbstlernprozess des lyrischen Ichs stattgefunden hat, jedoch erfährt der Leser nicht aus welchem Grund der erfolgreiche Lernprozess bei dem Verb „lieben“ zum Stillstand gerät. Weiter erfährt der Leser nicht, ob das lyrische Ich die angesprochene Person in seiner eigenen Sprache schon liebt und dennoch es ihm nicht gelingt, sie in ihrer Sprache zu lieben bzw. sich ihr sprachlich anzuvertrauen. Noch weniger können die LeserInnen verstehen, wieso die gemeinsam erlebten Handlungen und Gefühle beim Sprechen, Essen, Singen und Streiten nicht in die ersehnte Liebe münden können.

Wohlgemerkt, die Sprache, in der die Liebe sich nicht äußern kann, muss nicht unbedingt die italienische Sprache, in der das Gedicht verfasst worden ist. Im Gedicht wird lediglich die Andersartigkeit der Muttersprache der angesprochenen Person herausgestellt und zwar als das allerletzte Hindernis vor dem Ausleben der Liebe in einer gemeinsamen Sprache. Somit stellt sich Giuseppe Giambusso eine der zentralen Fragen der interkulturellen Literatur in Europa der 70er Jahre, die lautet: Was soll, jenseits des Sprachwechsels noch geschehen, um in einer neuen Sprache liebensfähig zu werden?

Eine Antwort darauf, was in einer interkulturellen Liebe nach dem Sprachwechsel nicht geschehen soll, ist leicht zu formulieren, wie dies Salman Rushdie in seinem Roman The Satanic Verses, 1988, mehr als zehn Jahre nach dem Gedicht von G. Giambusso  getan hat. Salman Rushdie hat seine Antwort an jener Stelle seines Romans formuliert, wo die Protagonistin Pamela Lovelace, in Wut über die Liebesvorstellung des „verstorbenen“ Lebensgefährten Saladin Chamcha, ihren asiatischen Geliebten warnend anvertraut: „Ich war die gottverdammte Britannia. Warmes Bier, gefühlte Fleischpasteten, gesunder Menschenverstand und ich. Aber ich bin auch wirklich Wirklichkeit, J.J.; das bin ich wirklich wirklich.“ (Aus: Die satanische Versen, 1989, S. 179)

Die Britin Pamela Lovelace verlangt von ihrem asiatischen Partner J.J. als autonom existierendes Ich wahrgenommen und geliebt zu werden und nicht als Vertreterin eines Landes, einer Esskultur, einer Lebensweise verschlungen zu werden und schon gar nicht mit einer Sprache verwechselt zu sein.

Gerade in dem knappen Gedicht „Liebe aus der Ferne“ lässt Fruttuoso Piccolo durchschimmern, wie unbewusst sich derartige hemmenden Erwartungen an die Geliebte beim kulturfremden eingewanderten Ich einschleichen können, gerade wenn die gelernte Sprache der ersehnten Person als einziger Vermittler von Nähe zwischen den Liebenden verabsolutiert wird.

Das Gedicht lässt weiter erahnen, dass die monolinguale Vorstellung von Liebe in der frühesten Zeit der aufkommenden Interkulturalität eine einschränkende Alttagswirklichkeit in der gemeinsamen Sprache der interkulturellen Liebenden durchsetzte. Nur unter solchen wegweisenden Annahmen, wird es für die aufmerksamen LeserInnen nachvollziehbar, wieso in Piccolos Gedicht das lyrische Ich der einverleibten Sprache der Geliebten als Ort der gemeinsamen Liebe misstraut bzw. wieso es sich in Schutz vor seinen erworbenen Sprachenkompetenzen nimmt. Das lyrische Ich tut dies, in dem es sich die Fähigkeit, in einer anderen Sprache zu träumen, bewahrt hat und dies der geliebten Person mitteilt.

Da den LeserInnen nicht anvertraut wird, was oder von wem das lyrische Ich in der anderen Sprache träumt, bleiben sie vor einem Rätsel stehen, das selbst dann bestehen bleibt, wenn das lyrische Ich sich aus der Ferne und schriftlich zu seiner Liebe für die im Gedicht angesprochene Person bekennt. Im Gedicht bleibt weiterhin unausgesprochen, aus welchen Gründen das lyrische Ich, das immerhin die Sprache der geliebten Person gelernt hat, sich doch in ihr weiterhin unfähig empfindet, sie in ihrer Sprache anzusprechen.

Nach dem Bekenntnis zur Sprache des angesprochenen Du werden die LeserInnen nicht mit einer zweckerklärenden Konjunktion „um“ sondern mit einem adversativen „aber“ konfrontiert. Daher bleibt es den LeserInnen frei, sich Fragen zu stellen, wie z.B.: Steht dort ein „aber“, weil das lyrische Ich nicht darauf verzichten darf, weiter in einer anderen (seinen?) Sprache zu träumen? Oder handelt es sich bei dem lyrischen Ich um einen Polyglott, der monolinguale Nähe zwischen den Liebenden als sinnlichen, erotischen Verlust empfindet

Liebe, Erotik und Vielsprachigkeit

Das Träumen in einer anderen als der gelernten Sprache, in der das lyrische Ich sich als liebesfähig empfinden sollte, hätten SozialwissenschaftlerInnen noch in den 80er Jahren als unmissverständlichen Hinweis auf die gespaltene Persönlichkeit der SprachwechslerInnen ausgelegt. Dabei hätten sie dem Dichter und seinem lyrischen Ich unterstellen können, dass er/es unfähig sei, in der neuen Sprache zu leben und zu lieben, da er/es immer noch auf das Träumen in einer anderen Sprache angewiesen sei. Ihnen hätten sie unterstellen können, dass er/es Inhalte aus den Träumen als existenzielles Substrat für die gelernte Sprache brauche.

Weiterhin hätten sie argumentiert, dass der Dichter und sein Ich in einem Loyalitätskonflikt zwischen Heimat und Fremde stecken geblieben wären sowie, dass es ihnen noch nicht gelungen sei, sich zwischen alter und neuer kultureller Zugehörigkeit zu entscheiden: hier leben und von dort träumen. Kurzum, er und es wären unfähig, in oder durch die neue Sprache zu leben und zu lieben. In der Tat lässt sich das Gedicht auch so lesen, jedoch der Grund könnte ein anderer als die vermutete, lebenslängliche Zerrissenheit der Sprachwechsler sein.
 
Für sein minimalistisches Gedicht über interkulturelle Liebe wählt Fruttuoso Piccolo vier Verben: Sprechen, Träumen, Schreiben und Lieben, die das sinnstiftende Crescendo in der Menschenwerdung wiedergeben, soweit die angesprochenen Handlungen in ein und derselben Sprache stattfinden. Das Träumen in einer anderen Sprache unterbricht im Gedicht die angekündigte monolinguale Übereinkunft zwischen den Liebenden und stellt eine überraschende Andersartigkeit heraus, die suggeriert, dass das lyrische Ich ein Leben in zwei Sprachen führt. Die Schlusssynthese mit Hilfe des Schreibens bzw. das Verschriften von Sprechen und Träumen verschafft dem lyrischen Ich die Möglichkeit, seinen Körper als Ort der Träume aus der riskanten Nähe zur ersehnten Person zurückzunehmen. Ferner ermöglicht ihm der Übergang von mündlicher zu schriftlicher Mitteilungsform, die Sinnlichkeit des Sprechens in einer anderen Sprache, die ihn als Anderssprechenden offenbaren würde, sowie die Exotik andersklingender Akzente zu unterbinden.

Als intertextuelleR LeserIn könnte man sogar wagen, das Gedicht von Fruttuoso Piccolo als Gegenthese dazu zu verwenden, um eine der Abschlussszenen aus Thomas Manns Der Tod in Venedig (1913) im Sinne der Liebe in Zeiten der Interkulturalität zu hinterfragen. In den Abschlussszenen der Novelle führt Aschenbach immer wieder Selbstgespräche und träumt dabei von dem polnischsprechenden Tadzio. Erst als Aschenbach innerlich so weit ist, dass er sich seine Liebe zu Tadzio zugestehen kann, greift er zur Sprache und „flüsterte […] die stehende Formel der Sehnsucht, […] „Ich liebe dich!“ (Gesammelte Werke, 1974, Bd. VIII, S. 498) – auf Deutsch und von der Ferne. Danach überlässt Thomas Mann seinen Protagonisten dem nahenden Tod.

Ob Tadzio Aschenbachs deutschen Satz je verstanden hätte, erfahren die LeserInnen nicht. Und genau so wenig können sie sich vorstellen, wie Thomas Manns ProtagonistInnen sich über ihre Liebe ohne eine gemeinsame Sprache verständigt hätten bzw. wie sie ihre interkulturelle Nähe ausgelebt hätten.

Insofern darf Fruttuoso Piccolo den LeserInnen seines Gedichts nicht vorenthalten, dass sein lyrisches Ich die Sprache der geliebten Person erworben hat. Zugleich teilt er mit, dass das lyrische Ich sich nicht in der nun gemeinsamen Sprache in seiner Ganzheit ausleben kann. In dieser Unmöglichkeit der monolingualen Liebe liegt die adversative Konjunktion „aber“ aus Piccolos Gedicht begründet. Die Fähigkeit in einer anderen Sprache zu träumen weist in Piccolos Gedicht gezielt sowohl auf verhindernde als auch auf beflügelnde Dimensionen der Liebe hin, die nur dann erlebbar werden, wenn Liebende nicht zur selben Sprachkultur gehören.

Weiterführende Auskünfte über Liebe und Erotik in der Vielsprachigkeit finden sich in der Autobiographie, die George Steiner mit dem Titel Errata. An Examined Life 1997 veröffentlich hat. Hier schreibt der Polyglott und Vordenker in Sachen Erotik und Vielsprachigkeit wie folgt:

Das kaum erkundete Wechselspiel zwischen Eros und Diskurs veranschaulicht dramatisch das Privileg des Polyglotten. […] Der Eros des Vielsprachigen, selbst der eines Einsprachigen, der über verbale Mittel verfügt und zu hören fähig ist, unterscheidet sich von dem des sprachlich Unterprivilegierten oder des Menschen, der über kein Gehör verfügt. Am einen Ende finden wir die stotternde Wut, die sexuelle Erstickung, die in Büchners Woyzeck aus so paradoxe Weise zum Ausdruck kommt; an dem anderen Ende steht ein regelrechter Donjuanismus von Zungen – jenes unentrinnbar sprachlich-erotische Instrument – welcher Babel verherrlicht. Wie monoton muß das Lieben im Paradies gewesen sein.
(Errata - Bilanz eines Lebens, S. 120 u.121/122)

So gesehen bedarf es eines Lebens als Polyglott und in der Interkulturalität, um das Leben im Paradies, d.h. in einer glückstiftenden Monokulturalität als monoton zu begreifen.

Dagegen sind die kleinen Gedichte von G. Giambusso und von F. Piccolo nach zeitlich begrenzter, jedoch tief greifender Erfahrung eines Lebens mit einer weiteren Sprache entstanden. Bei ihrer Entscheidung für ein Thema, das schon in den 70er Jahren in der Luft lag, und ohne ästhetische Unterstützung von Vorbildern haben sich die angehenden Dichter auf sich selbst und auf das Atmosphärische einlassen müssen. Dennoch ist es ihnen mit erstaunlicher Treffsicherheit gelungen, zwei Kernfragen in den Mittelpunkt der aufkommenden interkulturellen Literatur in Deutschland zu stellen: Wie wird das lyrische Ich in einer neuen Sprache liebesfähig? Und wie verhalten sich Vielsprachigkeit und Liebe bzw. Erotik zueinander. Ihre thematische Treffsicherheit ist deswegen als erstaunlich zu betrachten, weil zur selben Zeit andere Themen und Fragestellungen die Literatur der EinwanderInnen bestimmten.

Von der Literatur der EinwanderInnen zur interkulturellen Literatur in Deutschland

Die Literatur der EinwanderInnen ist in engem Modellkontakt mit der engagierten bundesdeutschen Literatur der 60er Jahre entstanden, die als sozialpolitische Literatur um die Arbeitswelt und als Frauenliteratur in dem damaligen  Literaturbetrieb sehr einflussreich war. Als Zeichen loyaler Zugehörigkeit zu den eingewanderten Minderheiten haben sich die GründungsautorInnen ästhetische und thematische Zielsetzungen auferlegt, die Orientierungshilfe bei der Gründung der Literatur der EinwanderInnen geleistet haben, sich jedoch im Lauf der Zeit als eingrenzend erwiesen haben.
 
Poemen, Gedichtsammlungen, Erzählungen und die ersten Romane von Aras Ören sowie von Franco Biondi, Aysel Özakin, Zvonko Plepelić, Lisa Mazzi, Güney Dal, Antonio Hernando, Yüksel Pazarkaya, Eleni Torossi, Gino Chiellino oder Habib Bektaş zeugen von diesem Engagiertsein und von diesem Gefühl der thematischen Verpflichtung.

Im Mittelpunkt ihrer Erstlinge stehen Themen wie Gleichstellung der EinwanderInnen am Arbeitsplatz und soziale Gerechtigkeit in der Gesellschaft, solidarisches Verhalten zwischen Deutschen und EinwanderInnen, Bleiberecht für EinwanderInnen, Gegensätze zwischen Heimat und Fremde, die zweifache Unterdrückung der Frauen in der Fremde, solidarische Haltung unter der Minderheiten, Lebensprojekte zur kollektiven Sicherung der Zukunft der sich bildenden Minderheiten, aber auch die selbstgefährdende Beteiligung an der Diskussion der deutschen Mehrheit über die erfundene Identitätskrise der EinwanderInnen.

Nur selten und am Rande werden von ihnen Fragestellungen wie bei Giambusso und Piccolo berührt, aber immer wieder in einem klaren engagierten Erzählkontext, wie dies der Fall ist in der Erzählung Wenn Ali die Glocken läuten hört (1979) von Güney Dal und in der Novelle Abschied der zerschellten Jahre (1984) von Franco Biondi. Nicht anders wird in dem engagierten Kontext der Frauenliteratur verfahren, z.B. in Aysel Özakins Erzählung Schatten und Schritte (1985) sowie in  ihrem späteren Roman Die blaue Maske (1988); in Lisa Mazzis Porträts von Frauen in der Fremde aus den Bänden: Der Kern und die Schale (1986) und Unbehagen (1998) oder in Natascha Wodins Die Ehe (1997).

Erst das Erkennen der ästhetischen und inhaltlichen Grenze des eigenen Engagements hat die Mehrheit der AutorInnen aus der Gründungszeit allmählich dazu bewegt, nach autonomen Konzepten und dezentralisierten Themen zu suchen, um das Eigene als Auslöser von Kreativität zu wagen. So kam es dazu, dass sich im Lauf der 80er Jahre Inhalte und ästhetische Konzepte in den Mittelpunkt ihrer Werke gestellt haben, die zu einer beachtlichen Entwicklung der gesamten literarischen Strömung geführt haben.
  
Darunter seien folgende Kernthemen und ästhetischen Fragen herausgestellt, und zwar durch beispielhafte Werke:

  • Die ästhetische Umsetzung von integrierten Lebensläufen der Protagonisten als Entwurf für ein Leben in der Interkulturalität in den Romanen von Aras Ören und Franco Biondi (siehe unten). 
  • Gestaltung von übernationalen Lebensräumen für das Europa des XXI. Jahrhunderts in den Hauptwerken von Libuše Moníková, darunter Eine Schädigung (1981), und Treibeis (1992 ) und später als Zentralthema in den Werken von Artur Becker, wie in dem beispielhaften Roman Kino Muza (2003). 
  • Konfliktreiche Lernprozesse bei dem kreativen Umgang mit geerbter Zugehörigkeit, wie in den Gedichten von Zehra Çırak (siehe unten) und in Sherko Fatahs späterem Roman Im Grenzland (2001). 
  • Loyalität zum Einwanderungsland, wie in José F.A. Olivers Gedichten aus dem Band Weil ich dieses Land liebe (1991) und in Sudabeh Mohafezs Erzählungen aus dem Band: Wüstenhimmel,  Sternenland (2004). 
  • Im Bereich der ästhetischen Fragen wird mit Erfolg erprobt, dass es möglich und höchst kreativ ist: Literatur ohne den ethnozentrischen Pakt mit den muttersprachigen LeserInnen zu schreiben (siehe unten), wie es in den Gedichten von Cyrus Atabay sicherlich ab dem Band Das Auftauchen an einem anderen Ort (1977) und in den Erzählungen und Romanen von Galsan Tschinag, darunter Eine tuwinische Geschichte und andere Erzählungen (1981) und Der blaue Himmel (1984) mit Erfolg durchgeführt wird. Dies setzt allerdings voraus, dass die AutorInnen in der Lage sind, ihre Sprache, sei es die neue, oder sei es die Muttersprache, wie es z.B. bei Marisa Fenoglio der Fall ist (siehe unten), mit einem interkulturellen Gedächtnis auszustatten.

Obwohl die interkulturelle Literatur mit derartigen Themen und Fragestellungen ihren Durchbruch bei den deutschsprachigen LeserInnen im Laufe der 80er Jahre erreicht hat, sucht man vergebens nach größeren Aufmerksamkeit für die oben gestellten Fragen zur Liebe und Erotik in einer Zeit der aufkommenden Vielsprachigkeit, die ihnen, wie zu sehen ist, hier und dort nur als Ausnahme erteilt wird.

Liebe und Interkulturalität in der bundesdeutschen Literatur: Rainer Werner Fassbinder und Heinrich Böll
 
Den Gedichten, die am Anfang einer aufkommenden Literaturströmung entstehen, fällt zwangsläufig folgende explorative Aufgabe zu: fokussierende Bilder, neu innere und äußere Landschaften, engagierte Bestandsaufnahmen oder atmosphärische Ankündigungen zu entwerfen, um die Tragfähigkeit der ausgesuchten Sprache zu erproben. Dies ist umso mehr der Fall. wenn die literarische Bewegung durch SprachwechslerInnen im Entstehen ist. In diesem Kontext fällt den Gedichten sogar die Funktion des Wegweisens zu, wie bis hier deutlich geworden ist.

Erst später wird die Prosa, die in Form von Erzählungen und Romanen folgt, darauf bestehen, die Zeichen der Zeit argumentativ und systematisierend aufzugreifen. Dies hat womöglich damit zu tun, dass ProtagonistInnen von Erzählungen und Romanen auf eine Sprache angewiesen sind, die über räumliche Tiefe verfügt; eine Sprache, die ihnen erlaubt, Erfahrungen zu sammeln und Entwicklungsprozesse zu durchlaufen. Daher verwundert es nicht, dass es bundesrepublikanische Autoren wie Rainer Werner Fassbinder und Heinrich Böll gewesen sind, die als erste das Thema der Liebe zur Zeit der Interkulturalität aufgegriffen haben.

Sie konnten dies deswegen tun, weil sie über eine Sprache verfügten, die sensibilisiert worden war, den Alltag der Republik als würdiges Menschenleben zurück in den Mittelpunkt der Literatur zu führen, und weil die Autoren als bewusste Bürger einer demokratischen Republik sich verpflicht hatten, Sprache und Leben vor jeder rückgewandten Tendenz zu schützen.

Rainer Werner Fassbinder hat mit dem Antitheaterstück Katzelmacher (1968) den Anfang gemacht und kurz danach hat Heinrich Böll mit seinem Hauptwerk Gruppenbild mit Dame (1971) genau so entschieden das Thema an sich gerissen. Leider hat die bundesdeutsche Germanistik bis heute versäumt, Gruppenbild mit Dame in dieser Richtung zu lesen. Oder dürfen die LeserInnen nicht erkennen, dass z.B. die deutsche Protagonistin in dem Werk kulturintern steril ist, während sie von einem Fremden schwanger wird?  In jedem Fall besteht die konstitutive Gemeinsamkeit dieser Werken aus der engagierten Entscheidung, Liebe und Interkulturalität zum treibenden Impuls des Lebens ihrer Protagonisten werden zu lassen.

Für sein Antitheaterstück knüpft R.W. Fassbinder sehr gezielt an die frühesten  „interkulturellen“ Erfahrungen der Bundesrepublikaner nach der Befreiung aus der nationalsozialistischen Diktatur an, als die Deutschen die Adria als Region des aufkommenden Massentourismus, aber auch als unerwarteten Ort der Versöhnung mit den unzuverlässigen Kriegspartnern aufsuchten.

Dies mag auch erklären, warum R.W. Fassbinder auf die negative Bezeichnung  Katzelmacher als überdeutlichen Titel für sein Stück zurückgreift (im Weiteren ist von Itakern die Rede), und warum die Jugendlichen in dem Stück fest davon überzeugt sind, dass der ankommende Fremde ein „Italiener aus Italien“ sein muss, nur weil die Firmeninhaberin Elisabeth Plattner ihren Urlaub in Italien verbracht hatte.

Selbst wenn die Ankunft des Fremden eher als Auslöser von erotischen Fantasien und Potenzneid, als von sozialen Konflikten thematisiert wird, und selbst wenn am Schluss Marie ihre Liebe zu Jorgos nur als negative Utopie ausleben kann, ist dennoch mehr als überraschend, dass im Jahr der 68-Revolution R.W. Fassbinder sich bewusst mit der Ankündigung der Interkulturalität in der Bundesrepublik beschäftigt hat. Aus dieser wegweisenden Intuition wird in dem späteren Film Angst essen Seele auf (1974) ein substantieller Hinweis darauf, dass die Bundesrepublik vor grundlegenden Erfahrungen stand, die sie zu machen haben würde, um sich als geachtetes Mitglied in ein sich veränderndes Europa integrieren zu können.

Nicht anders sieht das Erzählziel aus, mit dem Heinrich Böll die 68-Revolution überspringt und im Jahr 1971 sein Hauptwerk Gruppenbild mit Dame (hier DTV 1974) veröffentlicht. Für ihn liegt die Zukunftsabsicherung der jungen Bundesrepublik eher in den „Entscheidungsschlachten“ (S. 174)  von deutschen Frauen wie Leni Pfeiffer, als in der ausgeklungenen Revolte. Das wesentliche an dieser Frau besteht nach Bölls Entwurf in ihrer Fähigkeit, das Unerlaubte als menschliche Handlung auszuleben und dadurch Normalität in ihrem Leben wiederherzustellen, wie z.B. durch Kaffetrinken mit einem russischen Kriegsgefangenen, trotz Lebensgefahr. Bölls Provokation besteht in der überdeutlichen Tatsache, dass Leni, „das deutscheste Mädel der Schule“ (26), das „verkannte[s] Genie der Sinnlichkeit“( S. 31)  sich während des Krieges unter Lebensgefahr „ausgerechnet einem Ausländer, dazu noch einem Sowjetmenschen“ (S. 27) anvertraut und mit ihm ein Kind zeugt. Lange nach Boris` Tod, in der Zeit des Wirtschaftswunders, wird Leni „einen türkischen Arbeiter erhören“ und durch ihn zum zweiten Mal schwanger werden (S. 10).

Beide Werke gehören zum Kanon der deutschen Literatur der Nachkriegszeit: Katzelmacher als Antitheaterstück, Gruppenbild mit Dame als Hauptwerk eines Nobelpreisträgers. Ihr gemeinsames Aufbauprinzip geht auf das Theaterstück Medea von Euripides zurück, das als Urmodell der interkulturellen Literatur begriffen werden kann. Dort findet sich der Urtopos, wonach es die Frau ist, die den ankommenden Fremden als (ihren) Mann aufnimmt.

Zwischen dem Antitheaterstück und dem Roman ergibt sich jedoch folgende Differenz: während Marie vorhat, mit Jorgos nach Griechenland zu seiner Familie zu fahren, trägt Leni durch die zweifache Schwangerschaft in ihrer Heimatstadt dazu bei, dass die Republik sich zu veränderten Wirklichkeit bekennen wird.

Dagegen ist in beiden Werken festzustellen, dass es im Vergleich sehr begehrte Protagonistinnen sind, die sich für eine Liebe in der Interkulturalität entscheiden,und nicht Verliererinnen, wie es etwa in  Josef Conrads Novelle Amy Foster (1901) oder in Luigi Pirandellos Novelle Lontano (1923) der Fall ist. Sowohl Marie als auch Leni sind als eigenwillige Frauen entworfen worden, die ihr Leben anders als in der vertrauten Monokulturalität ausleben wollen. Beide wagen es, ein interkulturelles Lebensprojekt in sich entstehen zu lassen, und es ohne Kompromisse und Rücksicht auf Selbstgefährdungen zu verwirklichen. Ob es ihnen gelingen wird, erfahren die LeserInnen nicht, denn in beiden Werken geht es um die Entscheidung für die aufkommende Interkulturalität und nicht darum, sie beispielhaft für die LeserInnen vorzuleben.

Überraschend an beiden Werken ist dennoch, dass selbst Autoren wie R.W. Fassbinder, H. Böll und alle, die das Thema der aufkommenden Interkulturalität in Deutschland aufgreifen, die sprachliche Ausgangsposition ihrer Protagonisten kaum als ästhetisches Potential ausschöpfen.

R.W. Fassbinder lässt Marie durchaus beglückende Sinnlichkeit in Jorgos Sprachversuchen entdecken (S. 16). Woanders gerät Jorgos Sprache an die Grenze des Unmenschlichen (S. 28) und zwar in Form der authentischen Wiedergabe der Sprache der GastarbeiterInnen. Nicht anders verhält sich H. Böll, der Mehmet in seiner Sprache sprechen oder verstummen lässt, während Boris sich als Trakl-Kenner erweist. Ob die beiden Autoren im Lauf der Zeit erkannt hätten, dass die interkulturellen Lebensprojekte ihrer Protagonistinnen an der dominanten wie unantastbaren Zentralität der Muttersprache ihrer deutschen Partner gescheitert wären?

Auf diese Frage findet sich in der deutschen Literatur zur Zeit der aufkommenden Interkulturalität leider keine Antwort. Es gab zeitweilig eher die Begeisterung von ausländerfreundlichen LinguistInnen, die sich eine Kreolisierung der deutschen Sprache durch eine Literatur in der Sprache der „Kanaken“ als neues Betätigungsfeld vergeblich erwünscht hatten, und es gab die öffentliche Ersatzbegeisterung für Formulierungen à la Trapattoni wie: „Ich habe fertig“ und „Schwach wie eine Flasche leer“, die inzwischen als geflügelte Worte für triviale Heiterkeit am Stammtisch sorgen.

Liebe in der interkulturellen Literatur um die Jahrhundertwende

Unter den Autoren aus der Gründungzeit sind Aras Ören und Franco Biondi den umgekehrten Weg wie Rainer Werner Fassbinder und Heinrich Böll gegangen. Während in ihren Romanen die ProtagonistInnen an dem gewagten  interkulturellen Lebensprojekt scheitern, gelingt es den Autoren, in ihren Romanen sprachliche Handlungen zu entwerfen, die beispielhaft für ein Leben in der Interkulturalität sind.

An erster Stelle sei in diesem Kontext auf Franco Biondi hingewiesen, der mit seinem Roman Die Unversöhnlichen. Im Labyrinth der Herkunft seine LeserInnen darüber informiert, dass der Protagonist Dario Binachi gerade dabei ist, sich von seiner deutschen Frau Hilde zu trennen und dass er vorhat, der Unversöhnlichkeit, an der ihr gemeinsames interkulturelles Lebensprojekt zu scheitern droht, nachzugehen. Er wird dies jedoch nicht in Frankfurt tun, wo die PartnerInnen ihre Unversöhnlichkeit erleben, sondern in S. Martino, wo der Protagonist sie zum ersten Mal in seinem Leben erfahren hat. Bei den schmerzhaften und widersprüchlichen Nachforschungen stellt sich heraus, dass die Kindheit und Jugend des Protagonisten durch die verschiedensten Dimensionen von Unversöhnlichkeit (Mann/Frau, Faschismus/Demokratie, Religion/Atheismus, Links/Rechts in der Zeit der Republik, Wohlstand und Obdachlosendasein, sesshaften und herumziehende Schausteller) geprägt worden sind. Erst durch die Integration dieses italienischsprachigen Lebensabschnitts des Protagonisten in die deutsche Sprache kann er sich mit sich selbst versöhnen, d.h. er kann mit einer integrierten, lebensfähigen Sprache zurück nach Frankfurt fahren.

Nicht anders verfährt Aras Ören in seinem türkischsprachigen Roman Eine verspätete Abrechnung. Der Verfasser beschreibt, wie sein Protagonist sich vergebens um die Liebe einer deutschen Dramaturgin namens Renata bemüht, nach dem sie ihn verführt hat. Durch ihre Autonomie und Berufsleben stellt sie ein Lebensmodell dar, das er bereit ist, als Integrationsweg zu gehen. Jedoch wird sein Liebesprojekt von Renata, die bereit ist, mit AusländerInnen am Theater zu arbeiten, nicht angenommen. Im Roman ist auch zu erfahren, wie Jahre danach, die inzwischen zur Aussteigerin gewordene Renata vom türkischen Protagonisten zurückgewiesen wird, gerade weil sie nicht mehr die Gesprächspartnerin darstellt, in die er sich mit dem Wunsch nach einem gemeinsamen interkulturellen Lebensprojekt verliebt hatte.

Während Franco Biondi seinem Roman den Untertitel Im Labyrinth der Herkunft gegeben hatte, trägt Aras Örens fünfbändiges Opus, zu dem Eine verspätete Abrechnung gehört, die entgegenwirkende Überschrift Auf der Suche nach der Gegenwart, womit sowohl die Suche nach einer paritätischen Zugehörigkeit der ProtagonistInnen zu ihrer Gegenwart in Berlin als auch die Suche nach sprachlicher Zugehörigkeit zu ihrer Gegenwart in Deutschland bzw. Europa zu verstehen ist. Insofern hat sich Aras Ören nicht von den ureigenen Themen getrennt, jedoch hat er erkannt, dass die Zugehörigkeit der Türkei zu Europa am intensivsten über eine Sprache abgesichert werden kann, die in der Lage ist, das Leben einer europäischen Metropole zu erfassen und als Eigenes mitzuteilen.

Die interkulturelle Leistung des Romans Eine verspätete Abrechnung liegt in der vom Autor erarbeiteten Sensibilisierung der türkischen Sprache für das Leben ihrer SprecherInnen im Kern Europas. Von Berlin aus trägt Aras Ören zur aktiven Sensibilisierung der türkischen Sprache in der Türkei bei, genauso wie die italienischen Autoren Giuseppe Ungaretti und Filippo Tommaso Marinetti und der griechische Lyriker Konstantinos Kavafis zur Erneuerung der italienschen bzw. der neugriechischen Literatur am Anfang des 20. Jahrhundertes von Alexandria aus beigetragen haben. Eine Erneuerung der Sprachen in Europa durch interkulturelle Sensibilisierung gehört in der Tat zu den Kernthemen der europäischen Literatur ab der zweiten Hälfte des XX. Jahrhunderts.

Diese Sensibilisierungsarbeit kann durch SprachwechslerInnen geleistet werden: durch AutorInnen, die in ihrer Muttersprache oder Sprachkultur Themen einer interkulturellen Zukunft behandeln, oder durch AutorInnen, die in ihrer Muttersprache über das Leben ihrer ProtagonistInnen in einer anderer Sprache schreiben.

Parallel zu Aras Ören hat z.B. die in Italien sehr erfolgreiche Marisa Fenoglio in ihren Romanen Casa Fenoglio (1995), Vivere altrove (1997), Mai senza una donna (2002) und L’altrove longevo (2009) vier Abschnitte aus einem italienischsprachigen Frauenleben innerhalb der deutschen Gesellschaft über fünf Jahrzehnte dargestellt. Dabei hat sie die mitgebrachte Sprache soweit für das Fremde sensibilisiert, dass das monokulturelle Italienisch in die Lage versetzt worden ist, sowohl das Leben einer Italienischsprechenden in Deutschland als auch die deutsche Gegenwart auf Italienisch als eigenen Sprachinhalt auszudrucken.

Mit welchem Paradigmenwechsel die Generation nach dem Sprachwechsler diese existentielle Spracharbeit für eine gemeinsame Zukunft in Europa weiter geführt hat, ist die letzte Frage dieses Beitrags.
 
Weder hier noch dort, weder das Fremde noch das Eigene sondern Ich, Ich und überall Ich 

Die Generation der AutorInnen, die sich um die Jahrhundertwende durch eine beachtliche Anzahl von Werken in dem bundesrepublikanischen Kulturbetrieb etabliert hat, lässt sich chronologisch und typologisch in drei Gruppen teilen.

Zur ersten Gruppe zählen jene SchriftstellerInnen, in deren Erstlingen aus den 80er Jahren zufällige oder gesuchte thematische Nähe zu den AutorInnen aus der Gründerzeit vorkommt. Jedoch schon in den darauf folgenden Werken sind die Berührungspunkte so gezielt anders entwickelt worden, dass die LeserInnen ihrer jüngsten Werke in jedem Fall von einem Paradigmenwechsel ausgehen müssen, um verfälschende Einordnungen und ärgerliche Missverständnisse zu vermeiden. Zusätzlich zur persönlichen Vorgeschichte der/s einzelnen AutorIn haben folgende zwei Faktoren zu einem allgemeinen Paradigmenwechsel beigetragen: jedeR AutorIn entwickelt sein ästhetisches Konzept von Werk zum Werk, um es immer individueller, d.h. unverwechselbar werden zu lassen.

Dies geschieht allerdings nicht in einem ästhetischen Vakuum, sondern in der kaum vermeidbaren Atmosphäre der herrschenden literarischen Trends, genauso wie die Anfänge der interkulturellen Literatur im Geist der engagierten bundesrepublikanischen Literatur der 60er Jahre stattgefunden haben. Daher verwundert es nicht, dass in den Werken fast jeder dieser AutorInnen Einflusse aus der Pop-Literatur zu vermerken sind, wie z.B. die befreiende Zentralität eines auf sich bezogenen Ichs, die körperbetonte Sprache, sei es als Song oder sei es als Rhythmus, im Gegensatz zu der kontrollierten Sprache des sozialen und kulturellen Engagements und dem Crossover der Kulturen. Zusammen stellen derartige Impulse aus der Pop-Literatur eine hilfreiche Alternative dar zu bestehenden Dualitäten wie: Eigenem und Fremdem, Hier und Dort, Loyalität und Zugehörigkeit oder Solidarität und Diskriminierung, die für das ästhetische Projekt der AutorInnen als unbrauchbar empfunden werden, selbst wenn diese Dualitäten als Orientierungshilfen im Hintergrund vor der drohenden Trivialisierung interkultureller Themen à la Vladimir Kaminer nach wie vor greifen. 

Intensive und weitgefächerte Suche nach individueller ästhetischer Autonomie ist  bei AutorInnen wie z.B. Zafer Şenocak zu beobachten, in dessen Gedichten aus den 80er Jahren eine klare solidarische Haltung zu den Minderheiten spürbar ist (Übergang - Ausgewählte Gedichte 1980-2005), während für die späteren Werke ein befreites Spektrum  von aussagekräftigen Themen, wie in seinen Essays (War Hitler Araber, 1994) oder in seinen Romanen (Gefährliche Verwandtschaft, 1998 ), prägend ist. Diese unermüdliche Suche dient nicht nur der Klärung des eigenen ästhetischen Projekts oder der  kulturhistorischen Wechselbeziehungen zwischen der Türkei und Deutschland, sie stellt auch den Weg dar, den einE vielfältigeR AutorIn gehen muss, um sich als LyrikerIn, EssayistIn und Romancière/ier durchsetzten zu können. 

Nicht wesentlich anders verläuft die Entwicklung des Lyrikers José F.A. Oliver. Aus der engagierten, d.h. eindeutigen Sprache des lyrischen Ichs der ersten Gedichtbände (Auf-Bruch, 1987, Heimatt und andere fossile Träume, 1989) hat sich inzwischen eine lyrische Sprache mit starken autoreferenziellen Bezügen entwickelt, wie in Fernlautmetz, 2000. Unter Einsatz von risikofreudigen Sprachschöpfungen und von körperbetonten Rhythmen werden der deutschen Sprache überraschende akustische Ausdrucksfähigkeiten abgetrotzt, die den Lyriker in die Lage gebracht haben, sich mit einem eigenwilligen Sprachestil in der deutschen Lyrik der Gegenwart zu behaupten.

Nach seinem klaren Bekenntnis zur Exilthematik mit dem Erstling Die Welt ist groß und Rettung lauert überall (1996) hat sich Ilija Trojanow eines Themas angenommen, das zum literarischen Geist der Zeit gehört, nämlich die Welt erneut zu entdecken. Dies geschieht bei ihm teils als Vermittler von Kulturen, die von Europa als Kolonien unterdruckt wurden, wie in Nomade auf vier Kontinenten (2007), teils auch als Suche nach neuen Impulsen gegen die Kulturverflachung in Europa.

Feridun Zaimoglu hat zwar mit überlauten Solidaritätskundgebungen zu seiner türkischen Zugehörigkeit begonnen wie mit Kanak Sprak, 1995, Abschaum, 1997, und Koppstoff, 1999, hat es sich dann jedoch in den darauf folgenden Werken nicht nehmen lassen, sich zwischen kultureller Herkunft, wie in Leyla, 2006, und eigenen Erfahrungen als autonomes Ich wie in Rom Intensiv, 2007, frei zu bewegen.

Bei Zehra Çırak ist von Anfang an, zu erkennen (Flugfänger, 1988), dass sie sich von Sprache und nicht von leblosem Marmor z.B. angezogen fühlt, weil sie durch Sprache und nicht durch Marmor ihre Kreativität ausleben will. Für sie ist Sprache Werkzeug und Inhalt bzw. Inhalt und Werkzeug ihrer Dichtkunst. Die interkulturelle Vielfalt ihrer Themen (Fremde Flügel auf eigener Schulter, 1994)  trägt dort zur Qualität ihrer Gedichte bei, wo sie für Spannung zwischen der deutschen Sprache und den ihr fremden Inhalten sorgt, die von der Lyrikerin als kreative und solidarische Haltung in Kunst umgesetzt wird.

Zur zweiten Gruppe ist festzustellen, dass es wirkt wie ein Verlagswunder, dass um die Jahrhundertwende mehrere Autorinnen veröffentlicht worden sind, die nicht zur türkischen Minderheiten gehören. In Bezug auf diese Generation von Autorinnen wird behauptet, dass sie Schriftstellerinnen geworden sind, genauso wie ihre beste Freundin vielleicht Apothekerin oder Rechtsanwältin geworden ist. Es wird weiter festgestellt, dass es bei ihnen um eine klare Berufswahl geht, die seinen Auslöser nicht in ihrer interkulturellen Zugehörigkeit hat. Daher sollten sie als Schriftstellerinnen deutscher Sprache betrachtet und vor allem jenseits ihres Lebenslaufs gelesen  werden. Jede Eingrenzung ihrer Berufsidentität wird als überflüssig betrachtet bzw. als diskriminierend erlebt. 

Stellvertretend für viele andere wird immer wieder auf Terézia Mora, Zsuzsa Bánk, Marica Bodrožić, Jagoda Marinić sowie Sudabeh Mohafez, hingewiesen. Dass sie hier dennoch als Gruppe vorgestellt werden, liegt nur daran, dass trotzt ihrer klaren Entscheidung, Autorinnen in deutscher Sprache sein zu wollen, es ihnen in ihren Erstlingen nicht gelungen ist, sich den ureigenen Themen und den ästhetischen Modellen der interkulturellen Literatur in deutscher Sprache zu entziehen. Der Grund dafür liegt in ihrem interkulturellen Lebenslauf, der sie thematisch und ästhetisch dazu verführt, interkulturell vorzugehen.

Gegen diese thematische und ästhetische Verführung hat sich in den 90er Jahren Akif Pirinçci als erster gewehrt. Angesichts des ausgebliebenen Erfolgs seiner interkulturellen Liebesgeschichte Tränen sind immer das Ende (1980) hat Akif Pirinçci  die radikale Entscheidung getroffen, Detektivromane zu schreiben, in denen eine Katze mit dem Namen Felidae (1989) als Protagonistin auftritt. Ob es ihm durch die Übertragung des Menschlichen auf das Tierische gelungen ist, das Eigene auszuschalten und monolingual in der deutschen Sprache zu werden, soll von einem Kriminalromanexperten irgendwann untersucht werden.

Die ersehnte Berufsidentität, deutsche Schriftstellerin ohne wenn und aber zu sein, scheitert grundsätzlich an der existentiellen Unmöglichkeit, einen gereiften interkulturellen Lebenslauf monokulturell, d.h. monolingual auszuleben. Einer der Hauptmerkmale eines interkulturellen Lebenslaufs besteht in der Sprachkompetenz des Verstehens ohne zu übersetzen. Das monolinguale Umfeld erfährt von dieser Kompetenz durch eine für sie unbegreifliche Erfahrung mit interkulturellen Kindern, die das Übersetzen zwischen ihren Sprachen als lästig empfinden und sich dagegen währen.

In erwachsenem Alter lässt sich bekanntlich das „Unbehagen am Übersetzen “ mit Hilfe eigener oder erlernter Übersetzungsstrategien überwinden. Die Kompetenz des Verstehens ohne zu übersetzen entwickelt sich im Leben von interkulturellen Kindern aus dem dialogischen Umgang mit den Sprachen untereinander. Gerade diese kaum vermeidbare Ausbildung einer derartigen dialogischen Kompetenz der Sprachen erlaubt keinen Rückzug in die Monolingualität, d.h. in das Verstehen durch übersetzen. Dieser Rückzug wird nicht einmal dann zugelassen, wenn eine dritte Sprache im interkulturellen Lebenslauf eines heranwachsenden Menschen dazu kommt.

Eklatantes Beispiel dafür ist erneut George Steiner mit seinen erfolglosen Anstrengungen, herauszufinden, ob es unter seinen drei Lebenssprachen eine Muttersprache gäbe, d.h. die Sprache in der alles übersetzt, d.h. verstanden und aufbewahrt wird (After Babel. Aspects of Language and Translation 1975, Nach Babel, 1994, S.135-144).

Es lässt sich nicht ausschließen, dass es Wege für SchriftstellerInnen mit interkulturellen Lebensläufen geben kann, um monolingualer, d.h. deutscheR, italienischeR oder französischeR SchriftstellerIn zu werden. Jedoch hat sich dieser Wunsch in den Werken, die von den erwähnten Autorinnen vorgelegt worden sind, nicht durchgesetzt. Dies ist daran zu erkennen, dass die Autorinnen sich in keinem ihrer Werke konsequent an den Pakt der nationalen Literatur gehalten haben. Dieser Pakt lautet: für AutorInnen und LeserInnen bildet die Sprache des Werkes als gemeinsame Muttersprache sowohl der AutorInnen als auch der LeserInnen und der ProtagonistInnen die Voraussetzung dafür, das Werk so zu schreiben, das es von kultureigenen LeserInnen sprachlich und nicht nur inhaltlich verstanden werden kann.

Der Pakt ist durchaus in Terézia Moras Seltsame Materie (1999) und Alle Tage (2004), in Zsuzsa Bánks Der Schwimmer ( 2002), in Sudabeh Mohafezs Wüstenhimmel, Sternenland (2004), in Marica Bodrožić’s Der Spieler der inneren Stunde, 2005, sowie in manchen Geschichten von Jagoda Marinić aus dem Band: Eigentlich ein Heiratsantrag ( 2001) respektiert worden in dem Sinn, dass die Sprache, die geschrieben vorliegt, Deutsch ist, und dennoch reicht es nicht einmal aus, MuttersprachlerInnen zu sein, um sie sprachlich zu lesen.

Das Dialogische zwischen der deutschen Sprache und der Sprachkultur, mit der die geschriebene Sprache immer wieder ins Gespräch treten muss, um sich den Zutritt zum kulturellen Gedächtnis der nicht deutschen ProtagonistInnen zu verschaffen, ist so eklatant, dass die Werke monolingual lesen zu wollen, heißen würde, sie eindimensional verstehen zu wollen. Das Vorgehen der Sprachen unter sich lässt sich auch nicht als intertextuelle Monolingualität erfassen, weil das dialogische Vorgehen der Sprachen unter sich konstitutiv für den Lebenslauf der ProtagonistInnen bzw. für den  kulturellen und sprachlichen Hintergrund der Ich-ErzählerInnen ist, der sich wiederum aus sprachlichen und kulturellen Kompetenzen der Autorin ernährt.

Wohlbemerkt geht es hier keines Falls um um eine lästige Vereinahmung der angeführten Autorinnen, sondern um die Art und Weise wie ihre vorliegenden Werke am interessantesten gelesen werden können, um dadurch ihre paradigmatische Autonomie innerhalb der interkulturellen Literatur in deutscher Sprache herauszustellen. Natürlich können und müssen diese Werke unter anderen Perspektiven gelesen und erschlossen werden, denn nur so können sie sich als Meisterwerke der Gegenwartsliteratur in Europa behaupten.

Zur dritten Gruppe gehören jene AutorInnen, die nach wie vor als SprachwechslerInnen dazu kommen können, sei es im Kontext einer kollektiven Einwanderung sei es als einzelnes Schicksal. Darunter Artur Becker mit Der Dadajsee (1997) über die Reise und Rückkehr eines polnischen Auswanderers zu seinem Geburtsort, und Lena Gorelik mit Meine weißen Nächte (2004) über die Ankunft einer russischen Familie in den deutschen Alltag.

Liebe und Interkulturalität nach dem großen Paradigmenwechsel

Angesichts der dominierenden Vielfalt von Paradigmenwechseln zwingt sich die Frage auf, was hat sich in Bezug auf Giambussos und Piccolos Fragen geändert? Der sich immer wieder bestätigende Befund lautet: ihre Fragen scheinen vorerst überholt zu sein, weil die Liebe in seltenen Fällen als Auslöser von interkulturellen Lebensprojekten thematisiert wird. Dies schimmert noch in Terézia Moras Roman Alle Tage durch und kann von Autoren aus der dritten Gruppe wie z.B. von Artur Beckers Roman Kino Muza (2003) in klassischem Stil, jedoch mit überraschenden Ergebnissen wieder aufgegriffen werden.

Inzwischen treten in Liebesgeschichten Ich-ErzählerInnen oder ProtagonistInnen auf, die selbst interkulturell sind und meistens in einem interkulturellen Alltag agieren, der als Alltagsleben in einer deutschen Stadt oder in der restlichen Welt dargestellt wird, ohne jedoch dem Zwang irgendeiner kulturellen Zugehörigkeit ausgesetzt zu sein. So trägt es sich in Selim Özdoğans Roman Im Juli (2000) zu und genauso wird dieser Paradigmenwechsel als Erzählperspektive in Feridun Zaimoglus jüngstem Roman Liebesbrand (2008) erneut eingesetzt. Jedoch mit dem prägenden Unterschied, dass bei Özdoğan die Liebe auf eine Reise von Berlin nach Istanbul geht, während sich bei Zaimoglu die Liebe auf eine Reise macht, die aus der Türkei nach Nordeuropa führt.

Höchstinteressant ist jedoch die metaphorische Dimension der Bewährungsreise, die für die Liebenden On The Road ausgesucht worden ist. Es ist dieselbe Zugroute der türkischen EinwanderInnen aus Aras Örens Roman Eine verspätete Abrechnung, der bekanntlich mit der Großfeier einer türkischen Hochzeit in Berlin zu Ende geht, aber auch aus Güney Dals Europastraße 5, die von Berlin in die Türkei führt, die gefahren werden muss, um den verstorbenen Großvater in der Türkei billig bestatten zu können.

Es sieht so aus, als ob die Bewährungsreise der Liebenden aus beiden Romanen die schmerzhafte und erniedrigende Reise der Aus- und Einwanderer in der kollektiven Erinnerung der Nachkommenden ersetzten sollte, während das Unterwegssein bzw. die räumliche Nichtzugehörigkeit der ProtagonistInnen dafür sorgt, dass ihre Liebe sich frei von sozialen und Zugehörigkeitszwängen entfalten kann.

Eine weitere interessante Reise hatte Zafer Senocak mit seinem Krimiroman Der Mann im Unterhemd (1995) zuvor gestartet, in dem der interkulturelle Alltag einer deutschen Großstadt im Gegensatz zum monokulturellen Alltag einer türkischen Stadt gesetzt wird, um das Thema der Enttabuisierung der Sexualität in einem islamischen Kontext aufzugreifen. Ein Thema, das inzwischen der Filmmacher Fatih Akin mit dem Film Gegen die Wand (2004) zum eigenen Hauptthema gemacht hat.

Es überrascht auch nicht, dass in der Zeit der Interkulturalität die Liebe als Rückzuck in die innere Interkulturalität ausgelebt wird. Interkulturelle ProtagonistInnen finden zueinander, gerade weil interkulturelle Begegnungen mit Frauen oder Männern aus der Mehrheit gescheitert sind. Ein Beispiel dafür ist der Lehrer Halil aus Zafer Şenocaks Gefährliche Verwandtschaft (1998), der sein Glück bei einer deutsch-türkischen Freundin findet, gerade weil sie die Summe der mono- und interkulturellen Nachteile darstellt.

Paradigmatisch für eine ganze Generation von interkulturellen Liebenden wird wohl auch der Grundkonflikt aus Jagoda Marinićs Erzählung „Ich wünschte, er hätte nie geredet davon, dass man nur eine lieben kann“ sein (aus: Eigentlich ein Heiratsantrag, 2001). Dort lebt die interkulturelle Protagonistin Ivana ihre Liebe zu David als befreiende Flucht aus der einengenden Monokulturalität ihrer südländischen Familie aus, schafft es jedoch nicht, sich aus dem Loyalitätszwang zu ihren Eltern zu befreien, obwohl sie sich in ihrer existentiellen Andersartigkeit von ihnen weder verstanden noch anerkannt fühlt.

Neben diesen drei Grundtendenzen ist gewiss mit weiteren interkulturellen Spannungen und Erzählperspektiven unter der jüngsten AutorInnengeneration zu rechnen, bis jeder für sich zur eigenen ästhetischen Autonomie gegenüber den prägenden Einflüssen der Pop-Literatur gefunden hat.

Aber wie sieht die Liebe in der Zeit der Interkulturalität bei einer Autorin aus, die aufgrund ihres Lebenslaufs und schriftstellerischen Werdegangs in der Lage ist, sämtliche Phasen und Übergänge in der Entwicklung der Interkulturalität in Deutschland zu überblicken, weil sie seit 1957 in Deutschland lebt und schreibt?

Mit dem großen Überblick einer in der Fremde herangereiften interkulturellen  Lebensführung hat Marisa Fenoglio Nicola Trosino den Protagonisten ihres Romans Mai senza una donna (2002, Niemals ohne eine Frau) sämtliche Verirrungen zur Zeit der Interkulturalität durchlaufen lassen. Als klassischen Fluchtweg aus dem monokulturellen Familienalltag mit Pinuccia sucht sich der erfolgreiche Einwanderer eine Spätaussiedlerin als Geliebte aus, die ihn allerdings durch eine sofortige Schwangerschaft erst zur Trennung und dann zur Heirat sanft nötigt. Ihr interkulturelles Lebensprojekt scheitert jedoch an ihrer Unfähigkeit, die gegenseitige klischeehafte Wahrnehmung zu überwinden.

Gegen die sinnliche Eintönigkeit des Alltags mit Ellen, lebt der Protagonist seine Beziehung mit Karin in aller Öffentlichkeit aus, bis die Firma ihm nahe legt, es aufgrund seiner leitenden Funktion zu unterlassen.

Während einer Geschäftsreise in Afrika erklärt er sich aus Gefälligkeit bereit, Noor, die Tochter eines arabischen Geschäftspartners, als Gaststudentin bei sich aufzunehmen. Mit Noor erträumt er sich die Möglichkeit, Ellen zu verlassen und beauftragt einen Architekten, ein Haus als „Liebesnest“ für Noor und sich zu entwerfen. Die Krise in der Firma lenkt ihn so weit von seiner jungen Partnerin ab, bis sie eine Beziehung mit dem Architekten anfängt und aus dem Liebesnest auszieht. Bei einem Genesungsaufenthalt in Nizza lernt der Protagonist eine Maklerin kennen, die in Brasilien als Tochter eines spanischen Vaters groß geworden ist, sich inzwischen von dem französischen Ehemann getrennt hat und vier Sprachen spricht, weil Enrichetta  in Brasilien Italienisch gelernt hat. Sie folgt ihm nach Deutschland, führt Ordnung in seinen Alltag ein und zusammen finden sie zu erneutem sexuellen Glück, bis zu seinem zweiten Herzinfarkt, der allerdings durch einen Routineeingriff überwunden werden kann.

Am Ende der Verirrungen des Protagonisten im Spiegelkabinett der Interkulturalität stellt sich die Frage, ob der Protagonist rettende Klarheit in seinem Leben durch die kongeniale Begegnung mit einer interkulturellen Partnerin erreicht hat oder ob er selbst im Lauf seiner Verirrungen das verstanden hat, was George Steiner folgenderweise formuliert hat:

„Der sexuelle Akt ist ein zutiefst semantischer. Wie die Sprache ist er der formenden Kraft von gesellschaftlichen Konventionen, Verfahrensregeln und angesammelter Vergangenheit unterworfen“.
(Nach Babel, hier 1994, S. 35-36)

Oder folgende apodiktische Weisheit des Sohnes einer korsischen Opersängerin und eines Frankfurter Weinhändlers durch Enrichetta erfahren hat:

„Geliebt wirst du einzig, wo du schwach dich zeigen darfst, ohne Stärke zu provozieren.“
(ebenda, § 122)

 

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Carmine Chiellino, geb. 1946, hat Italianistik und Soziologie in Rom sowie Germanistik in Gießen studiert. Er ist Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Augsburg und hat u.a. vier eigene Lyrikbände veröffentlicht.

 

„Der Engelfotograf”
Leseprobe von Gino Chiellino (weiter)