Rezension von Nina Khan
"InderKinder" ist das dritte Buch einer Reihe zum Thema Migration aus Indien nach Deutschland, die im Draupadi Verlag erschienen ist. Nach "masala.de" (zur Situation von Menschen aus Südasien in Deutschland, 2006) und "Heimat in der Fremde" (Migrationsgeschichten der ersten Generation, 2008) richtet "InderKinder" den Blick nun auf die zweite Generation von Migrant_innen aus Indien und lässt diese zu Wort kommen. Zwölf autobiographische Erzählungen, Gespräche und Porträts werden mit sieben wissenschaftlichen Essays kombiniert, die diese Erzählungen reflektieren und sie in einen größeren Kontext stellen. Ziel des Buches ist es, die Erfahrungen der InderKinder und ihre Reflexion darüber einer breiten Öffentlichkeit näher zu bringen und so einen „wertvollen Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs über Migration und Integration“ zu leisten. Der Titel "InderKinder" erinnert unweigerlich an die 2000 geführte Kampagne "Kinder statt Inder", die im Rahmen der Diskussion um die Green Card und den Zuzug von IT-Spezialist_innen aus Indien nach Deutschland geführt wurde. Weniger bekannt dürfte Vielen der in diesem Zusammenhang entstandene Begriff InderKinder als Selbstbezeichnung von Kindern indischer Migrant_innen sein, die so einen humoristischen und selbstbewussten Umgang damit wählten und von denen einige in diesem Buch zu Wort kommen. Die Herausgeber_innen, die die erste und zweite Generation vereinen, standen jedoch vor der Aufgabe zu definieren, wer als InderKind gilt – und einigte sich auf Menschen mit mindestens einem biologischen, in Indien aufgewachsenen Elternteil. Die Problematik dieser biologistischen Kategorisierung zeigt sich beispielsweise im Gespräch mit Merle Kröger, die sich dieser Kategorie nicht zugehörig fühlt, sie aber zugeschrieben bekommt. Mitherausgeberin Urmila Goel reflektiert diese künstliche und ethnisierende Konstruktion und weist zudem darauf hin, dass andere, sich zugehörig fühlende Menschen, dadurch wiederum ausgeschlossen würden. Diese Reflexion steht exemplarisch für einen insgesamt sehr selbstkritischen Ansatz der Herausgeber_innen, der positiv hervorzuheben ist. In der Einleitung werden Idee und Konzept des Buches vorgestellt sowie ein kurzer Abriss zur Migrationsgeschichte von Indien nach Deutschland gegeben. Laut Mitherausgeber Jose Punnamparambil sollten die InderKinder von ihren "kulturbedingten Konflikterfahrungen" berichten. Als mögliche Konfliktfelder nennt er die elterliche Erziehung, die Anpassung an "hiesige Sitten, Traditionen und Moralvorstellungen" (z.B. in Bezug auf die Partnersuche) und einen schwierigen und schmerzhaften Identitätsfindungsprozess. Auch der Arbeitstitel "Zwischen den Kulturen", unter dem das Buch entstand, zeigt zunächst eine Sichtweise auf die Geschichten der InderKinder als potentiell konfliktreich aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu zwei Kulturen und weniger aufgrund von Rassismus und Fremdzuschreibungen in der deutschen Gesellschaft. Teilweise spiegelt sich diese anfängliche Herangehensweise in den autobiographischen Erzählungen wieder, wird aber an vielen Stellen aufgebrochen und sowohl von Herausgeber_innen wie Autor_innen hinterfragt. Autobiographische Erzählungen Eher zwischen den Zeilen und selten explizit als Rassismuserfahrungen benannt, lassen sich schmerzhafte Erlebnisse herauslesen: Betty Cherian-Oddo berichtet von einer "gewissen Ausländerfeindlichkeit", die ihr von älteren Menschen, in Geschäften und in der Schule entgegengebracht wird. Renuka Jain würde aus Angst vor rassistischen Übergriffen nicht die neuen Bundesländer bereisen und Daniela Singhal erinnert sich, wie ihr Name und ihre indische Herkunft ihr in der Schulzeit peinlich waren, sodass sie versuchte, diese zu verbergen. Umso mehr erstaunt es, dass viele Autor_innen trotz dieser enormen Herausforderungen, denen sie zumeist schon als Kinder begegnen mussten (z.B. als N-Kuss beschimpft zu werden), berichten, kaum oder keine Diskriminierungserfahrung gemacht zu haben. Sprachlich und inhaltlich sticht jedoch Diptesh Banerjee mit seinen Erzählungen aus diesen Erfolgsgeschichten hervor und berichtet von Rassismuserfahrungen, die bereits in Kindergarten und Schule beginnen und heute in der eigenen Wut über die "Multi-Kulti-Lüge", Sarrazin und das Gefühl, ein Mensch zweiter Klasse zu sein, münden. "Natürlich hilft ein akzentfreies Deutsch sowie das 'Christ-Sein'" Essays "Ich möchte lieber über Rassismus sprechen als über 'Indischsein', 'Deutschsein' oder 'Integriertsein'" Viele weitere Denkanstöße werden in den Essays im Hinblick auf die Erfahrungen in den Erzählungen und die Integrationsdebatte gegeben. Shobna Nijhawan weist darauf hin, dass die beschriebenen Konflikte zum großen Teil Generationenkonflikte sind und so stellt sich die Frage, wie viel Kultur daran überhaupt beteiligt ist. Sie bemängelt die fehlende Möglichkeit, in Deutschland als Kind mit indischen Wurzeln diese auch außerhalb des diasporischen Kontextes selbstbewusst leben zu können. Bis heute hat sie sich nicht von dem "selbsterzeugten (...) Druck, so zu sein wie deutsche Kinder" erholt. Rohit Jain stellt eine Kulturalisierung der eigenen Erfahrungen der InderKinder fest, die in der Metapher "Zwischen den Welten" zum Ausdruck kommt. In einem Gespräch mit Urmila Goel beschreibt Nivedita Prasad ihre Beobachtung, Konflikte würden in den Erzählungen ethnisch begründet, Vorurteile verinnerlicht und Rassismus erstaunlich wenig benannt, wenngleich von Rassismuserfahrungen berichtet wird. Indem etwa von "Ausländerfeindlichkeit" gesprochen wird, machen sich manche InderKinder selber zu etwas Anderem, Nicht-Dazugehörigen. Paul Mecheril verdeutlicht die Widersprüche, denen auch dieses Buch nicht entkommen kann: Es ermöglicht die wichtige Selbstrepräsentation von "Geanderten", ein Privileg, das in dieser Gesellschaft ungleich verteilt ist; gleichzeitig wird mit dieser Repräsentation das zu Repräsentierende überhaupt erst geschaffen, eine "andere" Identität erst hergestellt. Es werden "die Anderen als Andere bestätigt" und ein "Selbst-Othering" der InderKinder ermöglicht. Was daraus folgt, sieht er auch in den Erzählungen: Selbst-Ethnisierungen, Selbst-Exotisierungen, Doing India und Doing Indianness. Trotz der ermöglichten Selbstrepräsentation scheint ein Entkommen aus dem deutschen Migrationsdiskurs so leicht nicht möglich, da Rassismuserfahrungen zur Verinnerlichung von Zuschreibungen und zu einem Streben nach Assimilation führen können. Fremdbilder können zu Selbstbildern werden. Dennoch sieht er die InderKinder nicht als passive Opfer, sondern betrachtet gerade das vorliegende Buch als Ausdruck von Stärke. Der Kampf um Selbstrepräsentation kann ihm zufolge den Diskurs verändern und neue Perspektiven eröffnen. InderKinder bietet höchst spannende und tiefe Einblicke in das Leben von Inder_innen der zweiten Generation in Deutschland, die durch eine sehr persönliche Aufmachung unterstrichen werden. Dabei besticht die mutige Bereitschaft der Erzähler_innen, derart intime Einblicke in ihre Familiengeschichten, die Beziehung zu ihren Eltern, Erfahrungen mit Ausgrenzung und die fortwährende Reflexion über die eigene Identität zu geben und diese wiederum in den Essays analysieren zu lassen. Interessant wäre es gewesen, die Leitfragen zu kennen, die die InderKinder als Grundlage für ihre Erzählungen erhalten haben. Eine Bereicherung für das Buch wären Beitrage von InderKindern mit muslimischem Hintergrund oder aus andern sozioökonomischen Schichten gewesen. Das Vorhaben, diese auf der Webseite des Buches zu veröffentlichen ist lobenswert, aber es ist fraglich, wie diese Zielgruppe erreicht werden soll und ob eine Umsetzung realistisch ist. Die Essays stellen die Erzählungen in einen größeren Kontext, hinterfragen starre Kategorien und geben Denkanstöße in Bezug auf Zugehörigkeiten, Selbst- und Fremdzuschreibungen, "Othering" und Rassismus. Das Buch ermöglicht die Selbstrepräsentation von Menschen, die für gewöhnlich mit dem Zusatz "Migrationshintergrund" belegt und von anderen besprochen werden. Dass es dabei manche Denkmuster und Kategorien der gängigen Integrationsdebatte reproduziert, ist kaum vermeidbar und wird durch die fortwährende (Selbst-)Reflexion der Autor_innen sowie Herausgebenden aufgefangen. Dieser höchst selbstkritische und transparente Ansatz ist hervorzuheben und wäre für manch anderes Buch und die Integrationsdebatte in Deutschland insgesamt wünschenswert. Urmila Goel, Jose Punnamparambil und Nisa Punnamparambil-Wolf (Hrsg.): InderKinder. Über das Aufwachsen und Leben in Deutschland. Heidelberg: Draupadi Verlag, 2012. Quellenangaben: Dieser Text wurde zuerst auf "Suedasien.Info" veröffentlicht. |
Nina Khan ist Südasienwissenschaftlerin und Ethnologin. Sie promoviert zum Thema „Neue Geber, neue Diskurse? Eine vergleichende Untersuchung traditioneller und neuer Geber der internationalen Entwicklungszusammenarbeit am Beispiel Indien“.