Carola Burkert und Alfred Garloff vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung richten den Blick auf Geflüchtete als potentielle Arbeitnehmer/innen und stellen fest: Die Kosten der Prävention sind geringer als die Kosten einer nicht gelingenden oder nachholenden Integration.
Viele Arbeitgeber/innen suchen Auszubildende oder Arbeitskräfte, viele Flüchtlinge wollen in Deutschland bleiben und arbeiten. Das passt ja gut zusammen, oder? Unglücklicherweise ist nicht garantiert, dass tatsächlich zusammenwächst, was zusammen gehört. Man sollte sich nicht der Illusion hingeben, dass Deutschland seine Fachkräfteengpässe allein aufgrund der hohen Flüchtlingsmigration lösen könnte und die hohe Anzahl an Geflüchteten keine Auswirkungen auf die Arbeitslosigkeit hätten. Zwischen Flüchtlingsmigration und Deckung von Fachkräftebedarfen stehen zahlreiche Hindernisse: Sprachkenntnisse, Vermittlung, Prüfung und Anerkennung von Qualifikationen, Kompetenzfeststellung sowie der Abbau von kulturellen Barrieren und Vorbehalten, die auf beiden Seiten bestehen können. Um diese Hindernisse zu adressieren, sind enorme Kraftanstrengungen und ein langer Atem nötig.
Jedoch: Wenn wir den eingeschlagenen Weg weiter mutig beschreiten und nachjustieren, wo Weichen noch nicht ideal eingestellt sind, kann für eine Vielzahl der Geflüchteten die Integration in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt gelingen.
Gekommen, um zu bleiben: was die Geflüchteten mitbringen
In den vergangenen zwei Jahren kamen rund 1,2 Millionen Geflüchtete nach Deutschland (2015: 890.000; 2016: 280.000). Wie viele davon befristet oder längerfristig in Deutschland bleiben, ist auch davon abhängig, wie lange die Asylverfahren dauern (Asylbewerber/innen), von der Anzahl der Asylentscheidungen mit Schutzstatus, wie häufig benachbarte Staaten gemäß Dublin-Verfahren um Übernahme gebeten werden und dann auch tatsächlich übernehmen, sowie schließlich von der Anzahl der Aussetzungen der Abschiebung (Geduldete). Von den knapp eine Million Asylverfahren, die in 2015 und 2016 entschieden wurden, gab es in knapp 600.000 Fällen eine positive Entscheidung. Dies kann einen ersten Hinweis darauf geben, wie viele Personen zunächst hierbleiben.
Im Jahr 2015 waren etwas mehr als 70 Prozent der Asylantragsteller/innen und etwas mehr als drei Viertel aller anerkannten Flüchtlinge im erwerbsfähigen Alter, die anderen fast alle unter 16 Jahren. Rund 45 Prozent sind im Alter von 16 bis unter 30 Jahren. Aus der Altersstruktur ergibt sich ein hohes Bildungs- und Ausbildungspotenzial und ein Bildungs- und Ausbildungsauftrag für Kindergärten, allgemeinbildende Schulen, Berufsschulen und Betriebe.
Eine repräsentative Befragung der Geflüchteten zeigt, dass die Schulbildung der Geflüchteten sehr heterogen ist. Insgesamt verfügen zwar nur 58 Prozent der über 18-Jährigen über einen Schulabschluss, von ihnen jedoch verfügen 32 Prozent über einen Abschluss von einer weiterführenden Schule (zumeist Hochschulzugangsberechtigung). Der Anteil der Personen über 18 Jahre mit Berufs-und Hochschulabschlüssen ist mit 19 Prozent vergleichsweise gering, denn die Menschen kommen aus Ländern, in denen es kein Berufsbildungssystem wie in Deutschland gibt. Insgesamt zeigen die Geflüchteten jedoch hohe Bildungsaspirationen. Problematisch ist aber, dass viele zunächst arbeiten und erst später in Bildung und Ausbildung investieren.[i] Bei der Einordnung des beruflichen Bildungsniveaus ist erstens zu berücksichtigen, dass häufig der nicht vorhandene formale Abschluss eine Hürde beim Zugang in den Arbeitsmarkt darstellt, obwohl die Personen ggf. non-formale und informell erworbene Kompetenzen haben. Diese Kompetenzen sind jedoch schwierig zu verifizieren und daher ist ihre Verwertung auf dem deutschen Arbeitsmarkt, der häufig Zertifikate voraussetzt, schwierig. Zweitens können im Ausland erworbene Qualifikationen formal zwar vorhanden sein, aber aufgrund fehlender Anerkennung bzw. fehlender festgestellter Gleichwertigkeit kann diese Qualifikation auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht adäquat verwertet werden. Drittens ist die junge Altersstruktur der Geflüchteten zu berücksichtigen, denn viele sind im Schul- und Ausbildungsalter und haben somit ihren Bildungserwerb noch nicht abschlossen.
Angesichts der jungen Altersstruktur könnte das Schul- und Qualifikationsniveau der Geflüchteten noch erheblich steigen und somit die Ausbildungs- und Arbeitsmarktintegration erleichtern. Schulische Abschlüsse bilden eine wichtige Ausgangsgrundlage für den Zugang zur Ausbildung und berufliche Abschlüsse sind ihrerseits entscheidend für den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt.
Geflüchtete: Herausforderungen und Hürden
Wichtig ist, den Geflüchteten so schnell wie möglich einen Zugang zu Ausbildung und Arbeitsmarkt zu ermöglichen, sobald die schulische Laufbahn erfolgreich beendet wurde. Allerdings liegt eine Vielzahl von Hemmnissen vor: Viele Geflüchtete leiden unter Kriegs- und Unterdrückungserfahrungen oder sind traumatisiert; die Asylverfahren dauern lange und bewirken eine Unsicherheit bzgl. der Bleibeperspektive – sowohl für die Geflüchteten als auch für potentielle Arbeitgeber. Unzureichende deutsche Sprachkenntnisse sowie fehlende schulische und berufliche Qualifikationen stellen teilweise eine Hürde dar. Fehlendes Wissen der Geflüchteten über den deutschen Arbeitsmarkt - Bedeutung einer beruflichen Ausbildung, Zugangswege, Bewerbungsverhalten, Nachfrage der Betriebe nach Qualifikationen und Tätigkeiten etc. bildet eine weitere Zugangsschwierigkeit. Auch die mangelnde Einbindung in arbeitsmarktrelevante soziale Netzwerke bezüglich offener Stellen sowie eine ungünstige Wohnsituation oder die eingeschränkte Mobilität können sich als Hürden erweisen.
Eine weitere Herausforderung bildet die Heterogenität der Geflüchteten und die hieraus resultierende notwendige Anpassung der Angebote und Maßnahmen an die jeweiligen Bedarfe. Die Geflüchteten sind keine homogene Gruppe, sondern heterogen in vielerlei Hinsicht: Migrationsmotive, Herkunftsländer, Bildungs- und Qualifikationsstruktur, familiäre Ressourcen und die familiäre Situation.
An dritter Stelle steht die Herausforderung, dass die Arbeitsmarktintegration gerade bei den humanitären Migrant/innen Zeit benötigt und somit die Planungen an diesen langen Horizont angepasst werden müssen – die Flüchtlinge werden sich aufgrund der zahlreichen Hürden nur langsam in den Arbeitsmarkt integrieren. Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass die Beschäftigungsquote bei Fluchtmigrant/innen nach fünf Jahren rund 50 Prozent beträgt – während sie bei anderen Zuwanderergruppen zu diesem Zeitpunkt bereits bei rund 70 Prozent liegt.
Gute Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt
Die Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt für die anstehende Integration von Geflüchteten sind gut: Erwerbstätigkeit und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung haben im Vergleich zum Vorjahr weiter kräftig zugenommen, die Arbeitslosigkeit hat im Gegensatz zur Unterbeschäftigung abgenommen. Es entspricht einem längerfristigen Trend in Deutschland, dass seit rund 10 Jahren die Beschäftigung kräftig steigt und die Arbeitslosigkeit kräftig sinkt: Die Beschäftigung erreicht Rekordhöchststände und die Arbeitslosigkeit Rekordtiefstände seit der Wiedervereinigung.
Im Februar 2017 sind rund 43,63 Millionen Personen mit Wohnort in Deutschland erwerbstätig gewesen, gegenüber dem Vorjahresmonat war dies ein Anstieg um 614.000 Personen bzw. 1,4 Prozent. Nach der Prognose des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wird die Zahl im Jahresdurchschnitt auf 44,26 Millionen steigen.
Nach der IAB Prognose wird es auch bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten einen weiteren Anstieg geben. 2017 werden demnach 32,26 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein (ein Zuwachs von 760.000 Personen gegenüber 2016) und die Arbeitslosigkeit wird im Jahresdurchschnitt 2017 voraussichtlich bei 2,53 Millionen Personen liegen. Das sind rund 160.000 weniger als im Jahresdurchschnitt 2016. Damit wird der IAB-Prognose zufolge der tiefste Stand nach 1990 erreicht. Die Unterbeschäftigung, die neben der Arbeitslosigkeit auch Personen in entlastenden arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und in kurzfristiger Arbeitsunfähigkeit mitzählt, belief sich auf 3,68 Millionen Personen. Das bedeutet eine Zunahme um 18.000 gegenüber dem Vorjahr und ist vor allem auf die Ausweitung von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen für Geflüchtete zurückzuführen.[ii]
Arbeitsmarktstatistik: Wo sind die Geflüchteten?
Diese Rahmenbedingungen kennzeichnen einen aufnahmefähigen Arbeitsmarkt. Im Jahr 2017 werden die Geflüchteten zunehmend für den Arbeitsmarkt relevant, denn wenn deren Asylgesuche anerkannt werden und sie somit asylberechtigt sind, dürfen sie ohne Einschränkungen arbeiten. Finden sie keine Arbeit, dann finden sie sich in der Arbeitslosigkeitsstatistik wieder, sofern sie sich arbeitslos melden.
Viele der 1,2 Millionen Geflüchteten, die in den vergangenen zwei Jahren nach Deutschland gekommen sind, werden vorerst nicht in den Arbeitsmarkt eintreten, denn unter ihnen befinden sich viele Kinder und Jugendliche, die zunächst noch in die Schule gehen, sowie Frauen, deren Erwerbsbeteiligung in den Heimatländern gering war. Außerdem ist auch ein Teil derjenigen Geflüchteten, die nicht mehr zur Schule gehen und arbeiten wollen, nicht sofort in den Arbeitsmarkt zu integrieren, da es ihnen an entsprechenden deutschen Sprachkenntnissen und Qualifikationen häufig mangelt. Sie absolvieren zunächst Sprachkurse sowie integrations- und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und stehen daher auch dem Arbeitsmarkt zunächst nicht zu Verfügung.
Im März 2017 waren 465.000 Arbeitsuchende und 177.000 Arbeitslose im Kontext von Fluchtmigration registriert. Während die Zahl der arbeitssuchenden Fluchtmigrant/innen im Vergleich zum Vormonat um rund 10.000 zugenommen hat (arbeitsuchend kann sich melden wer z.B. in einer Weiterbildung ist), stieg die Zahl der arbeitslosen Flüchtlinge kaum. Viele Geflüchtete befinden sich in Sprachkursen oder anderen Maßnahmen, währenddessen sie nicht als arbeitslos gezählt werden. Bei der Unterbeschäftigung werden die Arbeitslosen und die Personen, die in Fördermaßnahmen und Sprachkursen sind, zusammengezählt. Die Unterbeschäftigung im Fluchtkontext steigt seit einiger Zeit – wie erwartet – deutlich an und lag im März 2017 bei 402.000 Personen – ein Anstieg von 9.000 im Vergleich zum Februar. Der Einsatz von integrations- und arbeitsmarktpolitischen Instrumenten[iii] führt dazu, dass die Unterbeschäftigung – im Gegensatz zur Arbeitslosigkeit – kontinuierlich steigt.[iv] Die wirkliche Integration in den Arbeitsmarkt steht also noch bevor – wenn nach Beendigung der Maßnahmen der Eintritt in den Arbeitsmarkt gelingen soll. Gelingt dies nicht, ist mit einer ansteigenden Arbeitslosigkeit bei den Geflüchteten zu rechnen.
Politische Empfehlungen in Bezug auf Menschen ohne konkrete Beschäftigungsperspektive
Zunächst sind die Asylverfahrensdauern qualitätsgesichert weiter zu verkürzen, um Rechtssicherheit sowohl für die Geflüchteten als auch für die potentiellen Arbeitgeber/innen herzustellen. In einem zweiten Schritt leistet ein schneller Zugang zu qualitätsgesicherten Integrationsangeboten – Sprachkurse, Unterstützungsstrukturen, Agenturen für Arbeit, Jobcenter, etc. – einen wichtigen Beitrag für den Integrationserfolg. Dies beginnt mit einer frühzeitigen und transparenten Information. Dabei ist zu gewährleisten, dass die Prozessketten nicht abreißen. An dritter Stelle sind ausreichend hochqualitative Sprachangebote sicherzustellen und so zu gestalten, dass sie die Heterogenität der Geflüchteten (z.B. Lernvoraussetzungen, angepasste Lernzeiten für Personen in Ausbildung und Beschäftigung, etc.) berücksichtigen.
Allerdings ist der Zugang zu Integrationskursen und somit zum Spracherwerb abhängig vom jeweiligen Status. Asylbewerber/innen mit guter Bleibeperspektive können im Rahmen von verfügbaren Kursplätzen zu Integrationskursen zugelassen werden. Eine gute Bleibeperspektive haben Geflüchtete, die aus Herkunftsländern mit einer Schutzquote von mindestens 50 Prozent kommen. Personen mit einer geringeren Schutzquote oder aus sicheren Herkunftsländer haben einen nachgeordneten oder überhaupt keinen Zugang zu den Angeboten. Das politische Konstrukt der guten Bleibeperspektive führt für eine Anzahl an Geflüchteten zu einer Nichtteilnahme an Integrationsangeboten/Integrationsmaßnahmen und erscheint – angesichts der langen Asylverfahrensdauern, der damit verbundenen Untätigkeit und der Ungewissheit der letztlichen Asylentscheidung – im Hinblick auf die Integration nicht zielführend. Bei einem längeren Aufenthalt in Deutschland verhindert es, dass frühzeitig mit Integrationsmaßnahmen begonnen wird und reduziert damit die Chancen ihres Erfolgs erheblich. Auch bei einer Rückkehr ins Heimatland könnte die Investition in kulturelle und sprachliche Kompetenzen Erfolge nach sich ziehen.
Viertens ist eine frühzeitig ansetzende arbeitsmarktorientierte Beratung von Geflüchteten notwendig. Einerseits ist die Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen zu unterstützen, andererseits sind die Kompetenzen von Flüchtlingen frühzeitig zu erfassen, um individuelle Kompetenzprofile zu entwickeln oder zu vervollständigen. Dabei müssen Verfahren der Kompetenzfeststellung zeitnah erprobt, evaluiert, vereinheitlicht und ausgebaut werden. Zugleich ist ein Diskurs über den Wert informell erworbener Qualifikationen notwendig, um auch non-formale Qualifikationen zu mehr Anerkennung zu verhelfen.
Zu verdeutlichen ist in der Beratung die Nachhaltigkeit und Wichtigkeit von Qualifizierung und Ausbildung – auch wenn kurzfristig der Helferjob aufgrund einer besseren Bezahlung attraktiver erscheint als die geringere Ausbildungsvergütung. Bei Geringqualifizierten sind Optionen zu einer berufsbegleitenden Qualifizierung einschließlich eines Spracherwerbs aufzuzeigen. Besonders für die Gruppe der unter 35-Jährigen sollten die Anstrengungen, eine duale Berufsausbildung zu beginnen und erfolgreich abzuschließen, ausgeweitet werden. Auch dieses Ziel ist nur mittelfristig zu erreichen, da der Berufsausbildung gegebenenfalls ausbildungsvorbereitende Maßnahmen vorzuschalten sind. Den Geflüchteten sollten starke Anreize zur eigenen Qualifizierung zum frühestmöglichen Zeitpunkt geboten werden. Hierzu müssten gegebenenfalls Strukturen überprüft werden (z.B. Kinderbetreuung während Bildungsphasen) oder auch Gesetzesänderungen geprüft werden, die bspw. Aufenthaltstitel an Bildungserfolge knüpfen.
Und fünftens ist ein transparentes und koordiniertes Netzwerk der relevanten Akteure erfolgskritisch und somit unerlässlich, um Doppelstrukturen und Brüche in der Ausbildungs- und Qualifizierungskette zu vermeiden.
Fördern von Unternehmensgründungen
Eine weitere – häufig kaum beachtete – Möglichkeit für eine Erwerbstätigkeit von Geflüchteten bildet die Selbstständigkeit. Hierin liegt ein großes Potenzial für die Wirtschaft und eine erfolgreiche Integration von Geflüchteten. Jedes fünfte Unternehmen in Deutschland wird von Migrantinnen und Migranten gegründet.[v] Auch unter den jüngst angekommenen Flüchtlingen sind viele, die in ihren Heimatländern selbständig tätig waren und dieses in Deutschland fortsetzen wollen: Von den Geflüchteten, die zwischen 2013 und 2016 nach Deutschland kamen, haben zuvor 27 Prozent in ihrem Heimatland ein eigenes Unternehmen geführt.[vi]
Der Deutschlandbericht des Global Entrepreneurship Monitor zeigt, dass nach Deutschland Zugewanderte häufiger gründen als in Deutschland Geborene. Die Gründung erfolgte aber erst nach vielen Jahren in Deutschland – nur 6 Prozent der Gründer/innen mit Migrationshintergrund starten ihr Unternehmen in den ersten vier Jahren nach der Ankunft. Die Autoren erwarten für Geflüchtete eine ähnliche Entwicklung.[vii] René Leicht vom Institut für Mittelstandsforschung der Universität Mannheim sieht auch aufgrund der hohen Gründungsneigung von Migrant/innen in der Flüchtlingsmigration eine große Chance, verweist allerdings auch auf die Tatsache, dass Migrant/innen im Schnitt erst elf Jahre nach ihrer Ankunft in Deutschland gründen. Die Ursachen sind vielfältig: Nach der Einreise stehen andere Dinge im Vordergrund, das Asyl- und Bleiberecht, eine Wohnung finden, die Sprache erlernen sowie Wissen aufbauen und Kontakte sammeln.[viii] Darüber hinaus stehen gründungswillige Flüchtlinge aufgrund sprachlicher Barrieren und fehlender Kenntnisse der hiesigen Strukturen vor zusätzlichen Herausforderungen, wenn es um den Aufbau der eigenen Selbstständigkeit geht. Damit diese Hürden nicht dazu führen, dass Selbständigkeit verhindert wird, ist eine gezielte Unterstützung notwendig. Die Beratungs- und Unterstützungsleistungen für Unternehmensgründungen von Geflüchteten sind bereits vorhanden oder werden entwickelt. Zum Beispiel führt die Plattform www.wir-gruenden-in-deutschland.de ausländische Gründungsinteressierte Schritt für Schritt mit umfangreichen Informationen durch eine Unternehmensgründung, das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie fördert Gründungspatenschaften[ix] oder die Industrie- und Handelskammern bieten regelmäßig Welcome-Veranstaltungen für Interessierte von Unternehmensgründungen an.[x]
Aufnahmebereitschaft und Aufnahmefähigkeit der Arbeitgebenden: ausbauen und unterstützen
Wie die Arbeitsmarktintegration gelingt, hängt auch von der Aufnahmebereitschaft und Aufnahmefähigkeit der Arbeitgebenden ab. Elf Prozent der im Rahmen einer DIHK-Umfrage antwortenden Unternehmen beschäftigen aktuell Flüchtlinge und über die Hälfte sieht deren Einsatz zunächst in den ausbildungs- und berufsorientierenden Beschäftigungsformen wie Praktika und Einstiegsqualifizierungen.[xi] Arbeitgeber/innen, die bereits Asylsuchende bzw. Geflüchtete eingestellt haben, begründen in einer weiteren Umfrage mit rund 80 Prozent ihre Einstellung von Geflüchteten mit einer gesellschaftlichen Verantwortung, rund ein Drittel mit der Sicherung ihrer Arbeits- und Fachkräftebasis und knapp ein Viertel mit der Schwierigkeit, anderweitig geeignete Arbeitnehmer/innen zu finden. Schwierigkeiten im Arbeitsalltag stellen vor allem die unzureichenden deutschen Sprachkenntnisse und beruflichen Fachkenntnisse dar.[xii]
Arbeitgeber/innen – vor allem klein- und mittelständische Unternehmen – sind zu unterstützen durch transparente Informationen bezüglich der Kenntnisse und Fähigkeiten der Geflüchteten und der rechtlichen Rahmenbedingungen ihres Einsatzes. Unterstützungsleistungen zum Bespiel durch Eingliederungszuschüsse ermöglichen ein risikoarmes Kennenlernen.
Die Aufgabe der Politik
Neue Studien des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung belegen[xiii]: Wenn es uns jetzt gelingt, zusätzliche Mittel für die sprachliche, allgemeinbildende und berufliche Qualifizierung bereitzustellen, möglichst vielen Geflüchteten möglichst frühzeitigen Zugang zu Integrationsangeboten zu bieten und bei den Integrationsbemühungen nicht nachzulassen, dann ist es zu schaffen, dass aus den Geflüchteten von heute die Arbeitnehmer/innen von übermorgen werden. Frühe Investitionen sind besonders erfolgsversprechend und daher rentabel. Die Kosten der Prävention sind geringer als die Kosten einer nicht gelingenden oder nachholenden Integration. Eine möglichst frühzeitige Integration ist darüber hinaus auch aus sozial- und fiskalpolitischen Gründen wünschenswert.
Fußnoten:
[i] Brücker, Herbert; Rother, Nina; Schupp, Jürgen; Babka von Gostomski, Christian; Böhm, Axel; Fendel, Tanja; Friedrich, Martin; Giesselmann, Marco; Holst, Elke; Kosyakova, Yuliya; Kroh, Martin; Liebau, Elisabeth; Richter, David; Romiti, Agnese; Schacht, Diana; Scheible, Jana A.; Schmelzer, Paul; Siegert, Manuel; Sirries, Steffen; Trübswetter, Parvati; Vallizadeh, Ehsan (2016): IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten: Flucht, Ankunft in Deutschland und erste Schritte der Integration. IAB-Kurzbericht, 24/2016, Nürnberg (http://doku.iab.de/kurzber/2016/kb2416.pdf, Abruf 06.04.2017).
[ii] Bundesagentur für Arbeit (2017): Der Arbeitsmarkt im März 2017. Frühjahrsbelebung startet stärker als üblich (https://www.arbeitsagentur.de/presse/2017-09-der-arbeitsmarkt-im-marz-2017, Abruf 02.04.2017); Fuchs, Johann; Hummel, Markus; Hutter, Christian; Klinger, Sabine; Wanger, Susanne; Weber, Enzo; Zika, Gerd (2017): IAB-Prognose 2017: Der Arbeitsmarkt stellt neue Rekorde auf. IAB-Kurzbericht, 09/2017, Nürnberg (http://doku.iab.de/kurzber/2017/kb0917.pdf, Abruf 02.04.2017).
[iii] Unabdingbar ist eine qualitätsgesicherte Evaluation der integrationspolitischen Maßnahmen am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Dies stellt für die Arbeitsmarktforschung eine Herausforderung dar, denn die Heterogenität der Geflüchteten ist durch die komplexen Flucht-, Bildungs-und Erwerbsbiografien größer als bei herkömmlich betrachteten Gruppen bei Arbeitsmarktevaluationen. Hinzu kommt die Heterogenität der Kontextfaktoren durch spezifische Lebensbedingungen der Geflüchteten (zum Beispiel rechtliche Situation, Unterbringung, Netzwerke, Mobilitätsbeschränkungen). Die Zahl öffentlicher und nicht-öffentlicher Integrationsmaßnahmen ist sehr hoch, was die Kausalanalyse ebenfalls erschwert und es ist zu bedenken, dass Evaluation die Verfügbarkeit geeigneter Daten voraussetzt. Hier ist darauf hinzuweisen, dass bei den administrativen Daten der Bundesagentur für Arbeit bzw. den darauf beruhenden Forschungsdaten des IAB bei Beschäftigten das Flüchtlingsmerkmal bisher nicht systematisch erfasst wird.
[iv] Bundesagentur für Arbeit, Statistik/Arbeitsmarktberichterstattung, Berichte (2017): Arbeitsmarkt kompakt – Fluchtmigration, Nürnberg, März 2017 (https://statistik.arbeitsagentur.de/Statischer-Content/Statistische-Analysen/Statistische-Sonderberichte/Generische-Publikationen/Fluchtmigration.pdf, Abruf 05.04.2017).
[v] Leicht, René; Berwing, Stefan; Förster, Nadine; Sänger, Ralf (2016): Gründungspotenziale von Menschen mit ausländischen Wurzeln: Entwicklungen, Erfolgsfaktoren, Hemmnisse. Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi), Kurzfassung (Vorläufige Ergebnisse), Mannheim/Mainz (http://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Studien/gruendungspotenziale-menschen-auslaendische-wurzeln.pdf?__blob=publicationFile&v=7, Abruf 02.04.2017).
[vi] Brücker, Herbert (Hrsg.); Rother, Nina (Hrsg.); Schupp, Jürgen (Hrsg.); Babka von Gostomski, Christian; Böhm, Axel; Brücker, Herbert; Fendel, Tanja; Friedrich, Martin; Giesselmann, Marco; Holst, Elke; Kosyakova, Yuliya; Kroh, Martin; Liebau, Elisabeth; Richter, David; Romiti, Agnese; Rother, Nina; Schacht, Diana; Scheible, Jana A.; Schmelzer, Paul; Schupp, Jürgen; Siegert, Manuel; Sirries, Steffen; Trübswetter, Parvati; Vallizadeh, Ehsan (2016): IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten: Überblick und erste Ergebnisse. IAB-Forschungsbericht, 14/2016, Nürnberg (http://doku.iab.de/forschungsbericht/2016/fb1416.pdf, Abruf 02.04.2017).
[vii] Sternberg, Rolf; Bloh, Johannes von; Brixy, Udo (2016): Global Entrepreneurship Monitor (GEM) * Länderbericht Deutschland 2015, Hannover (http://doku.iab.de/grauepap/2016/GEM-Laenderbericht-D-2015.pdf, Abruf 02.04.2017).
[viii] Tönnesmann, Jens (2015): Deutschlands Chance. Folgt auf die Flüchtlingswelle bald eine Gründungswelle? Für viele Migranten ermöglicht ein eigenes Unternehmen den gesellschaftlichen Aufstieg. Zeit Online, 02.10.2015 (http://www.zeit.de/2015/40/gruenderszene-fluechtlinge-unternehmensgruendung-deutschland-aufstieg, Abruf 02.04.2017).
[ix] http://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2016/20161108-pilotprojekt-gruenderpatenschaften-bmwi-unterstuetzt-die-selbstaendigkeit-von-fluechtlingen.html (Abruf 02.04.2017).
[x] Deutscher Industrie- und Handelskammertag e. V. (2015): Talfahrt gebremst, aber
Schwäche dauert an. DIHK Gründerreport 2015, Berlin (https://www.dihk.de/ressourcen/downloads/dihk-grunderreport-2015/at_download/file?mdate=1461574430193, Abruf 02.04.2017).
[xi] Deutscher Industrie- und Handelskammertag e.V. (2017): Unternehmen bieten Chancen - Arbeitsmarktintegration Geflüchteter. Ergebnisse der DIHK-Konjunkturumfrage bei den Industrie- und Handelskammern, Berlin (https://www.dihk.de/ressourcen/downloads/dihk-umfrage-fluechtlinge/at_download/file?mdate=1491381912188, Abruf 06.04.2017).
[xii] Mehrfachnennungen möglich, nicht repräsentative Umfrage. Vgl. OECD (2017): Nach der Flucht, der Weg in die Arbeit. Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen in Deutschland, Paris (http://www.oecd.org/berlin/publikationen/Arbeitsmarktintegration-von-Fluechtlingen-in-Deutschland-2017.pdf, Abruf 11.04.2017).
[xiii] Bach, Stefan; Brücker, Herbert; van Deuverden, Kristina; Haan, Peter; Romiti, Agnese; Weber, Enzo (2017): Investitionen in die Integration der Flüchtlinge lohnen sich, IAB-Kurzbericht, 2/2017, Nürnberg (http://doku.iab.de/kurzber/2017/kb0217.pdf, Abruf 11.04.2017).
Dieser Beitrag erschien in unserem Dossier „Arbeitsmarktintegration“ aus der Reihe „Welcome to Germany“.