Integrationspolitik als Gesellschaftspolitik in der Einwanderungsgesellschaft

Memorandum der Integrationsbeauftragten
Deutschland ist eine Einwanderungsgesellschaft. Die Einwanderung der letzten fünfzig Jahre hat unsere Gesellschaft grundlegend verändert. Gut 14 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund leben heute in Deutschland, sind also Einwanderer oder hier geborene Kinder von Einwanderern. Die Ausländerstatistik spiegelt diese veränderte gesellschaftliche Realität nur unzureichend wieder. So verzeichnet das Ausländerzentralregister gegenwärtig 6,7 Millionen in Deutschland lebende ausländische Staatsangehörige. Doch sind in den vergangenen Jahren auch über 4 Millionen Aussiedler mit deutschem Pass eingewandert, wachsen etwa 1,5 Millionen Kinder aus binationalen Ehen mit deutscher Staatsangehörigkeit auf und wurden allein seit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes über eine Million Ausländer zu Deutschen. Mittlerweile dürften ebenso viele Deutsche mit Migrationshintergrund in Deutschland leben wie Ausländer.

Ob Ausländer, Eingebürgerte, Aussiedler oder Kinder aus binationalen oder ausländischen Ehen – die Bevölkerung in Deutschland ist ethnisch, sprachlich, kulturell und religiös vielfältiger geworden. Jede fünfte Eheschließung ist heute binational, jedes vierte Neugeborene hat mindestens einen ausländischen Elternteil, jeder dritte Jugendliche in Westdeutschland hat einen Migrationshintergrund. In einigen Ballungsgebieten stammen schon heute 40% der Jugendlichen aus Migrantenfamilien - mit steigender Tendenz. Der Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund wird in der Zukunft noch wachsen.

Nicht nur die Gesellschaft insgesamt, auch die Migrantenbevölkerung selbst ist vielfältiger geworden und hat sich ausdifferenziert. Längst handelt es sich nicht mehr um eine reine „Gastarbeiterpopulation“. Auch in der Migrantenbevölkerung haben wir es mit einer zunehmenden sozioökonomischen Differenzierung von Lebenslagen zu tun. Migranten in Deutschland, das sind heute Einwandererkinder der 3. Generation ebenso wie alte und neue EU Bürger, ausländische Senioren ebenso wie junge Akademiker. Der Anteil der Selbständigen unter den ausländischen Erwerbstätigen ist mittlerweile fast ebenso hoch wie unter Deutschen.

Während das Haushaltseinkommen von Migranten aus den ehemaligen Anwerbeländern oder von Aussiedlern deutlich unterdurchschnittlich ist, erzielen Migranten aus westlichen Ländern gleichwertige bis überdurchschnittliche Einkommen. Hohe Arbeitslosigkeit und ein erhebliches Armutsrisiko kennzeichnen die Lebenslagen insbesondere der ersten Migrantengeneration, aber auch von Aussiedlerfamilen. Doch schon im Inland geborene Ausländer sind in den oberen Einkommensgruppen wesentlich häufiger vertreten, was auf ihre soziale Mobilität verweist. Binationale Haushalte etwa weisen kaum signifikante Unterschiede zu deutschen Haushalten auf. Diese sozioökonomische Differenzierung von Lebenslagen in der Migrantenbevölkerung geht einher mit unterschiedlichsten kulturellen, religiösen und politischen Orientierungen.

Integrationspolitik als Gesellschaftspolitik in der Einwanderungsgesellschaft [pdf, 28 S., 113 KB]
Memorandum der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Marieluise Beck, September 2005

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Marieluise Beck war Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration während der rot-grünen Koalition.