Wird Inklusion durch Multikulturalismus gefördert?

Foto der "Monument to Multiculturalism" Skulptur

von Rashmi Luther
 

Das Thema Vielfalt und Inklusion wird immer wichtiger. Nicht nur in Ländern wie Kanada, das historisch als „Siedlernation” ausgewiesen ist, sondern ebenso in europäischen und anderen Ländern. Im Kontext der Auswirkungen der globalen ökonomischen Umstrukturierung, mit der große Abwanderungen und Standortwechsel von Personen über verschiedene nationale und regionale Grenzen hinweg einhergehen, drängen sich diese Themenbereiche immer mehr auf. Angesichts dieser Entwicklungen und der aus ihnen resultierenden Diversifikation im Erscheinungsbild der Nationalstaaten wundert es nicht, dass europäische Staaten nach Kanada schauen und dessen ‘multikulturalistisches’ politisches Rahmenwerk als mögliches Modell betrachten. Dieses Modell hat enorme Anziehungskraft. Es spiegelt Möglichkeiten für eine friedvolle ‘Koexistenz’ verschiedener Bevölkerungsgruppen wider (wobei unter anderem Religion, Ethnizität, Kultur, politische Ansichten, Rasse und Sprache eine Rolle spielen). Und es ist ein Beispiel für ‘Inklusion’, wo alle „individuell ausgeprägte, aber gleiche Mitglieder der Gesellschaft“ sein können.

Als ineinander greifende und fortlaufende Prozesse erwarten einen hier Herausforderungen und Widerstände. Dies sollte man bei den Bemühungen um den Aufbau einer vielfältigen und inklusiven Gesellschaft berücksichtigen. Eine weitere Vorbedingung ist eine verbindliche und langfristig angelegte Verpflichtung des Staates, mit entsprechend angemessenen und dauerhaft bereitgestellten Ressourcen. Die kanadische Erfahrung mit dem Multikulturalismus zeigt, dass darüber hinaus auch zwingend eine organisierte, aktive und politisierte Community-Ebene existieren muss. Für den Aufbau inklusiver Gesellschaften und zur Unterstützung der Ideale der Demokratie –  egal ob sie repräsentativer oder partizipativer Art ist – bleibt ein dynamischer, engagierter und informierter Community-Sektor entscheidend.

Die folgenden Ausführungen basieren auf sorgfältigen Analysen und den Erfahrungen mit dem kanadischen Multikulturalismus seit seinen Anfängen. Der 8. Oktober 2006 ist exakt der 35. Jahrestag der kanadischen Multikulturalismus-Politik, mit der das spannungsreiche Projekt 'Einheit mit Vielfalt' begann. Der Multikulturalismus bleibt ein umkämpftes Terrain, etwas das leidenschaftliche Debatten darüber hervorruft ‘wer’ wir sind und ‘was’ Kanada im Kern ausmacht. Die Debatten unterstreichen auch die Machtbeziehungen, auf denen das Konzept basiert: Hier wird festgelegt, wer und warum wen als Volkszugehörigen (oder nicht) identifiziert.

Multikulturalismus-Politik – „Einheit in Vielfalt“

Wie die europäischen Länder hat auch Kanada historisch den Zugang zu seinen Landesgrenzen über Einwanderungspolitik(en) kontrolliert. Vor den 1970er Jahren zum Beispiel favorisierte man, entsprechend den damaligen politischen Richtlinien, Einwanderer aus Europa und Großbritannien als dauerhafte Ansiedler. Sie erachtete man als kulturell ähnlicher und an das kanadische Umfeld anpassungsfähiger. Dagegen waren die Bestimmungen für die Zuwanderer aus dem Süden sehr eng gefasst. Man überwachte sowohl ihre Anzahl als auch ihre Aufenthaltsdauer genau, beachtete, welcher Arbeit sie nachgehen, wo sie leben, zu welchen Leistungen sie Zutritt erhalten usw. Ergebnis dieser politisch geprägten Bevorzugung war ein im Gegensatz zu heute völlig unterschiedliches Erscheinungsbild Kanadas am 8. Oktober 1971, als die Multikulturalismus-Politik von Pierre Trudeau proklamiert wurde.

Alle neuen Einwanderer- oder Flüchtlingsgruppen sehen sich in ihrem Ansiedlungs- und Anpassungsprozess Schwierigkeiten verschiedener Steigerungsgrade gegenüber. Aber in Hinblick auf die Zeit der Entstehung der Multikulturalismus-Politik muss man nachvollziehen, dass die organisierten Gruppen jener Zeit ihren Schwerpunkt auf Inklusion als ‘kulturelle Anerkennung’ setzten. Dies könnte daran liegen, dass sie die verbleibenden Hindernisse auf dem Weg zu einer sinnvollen Integration und Akzeptanz im kanadischen Umfeld relativ gering einschätzten. Es lässt sich daher sagen, dass Fragen der Zugangsmöglichkeiten, Chancen, Leistungen und des Schutzes damals nicht so entscheidend waren wie für spätere Einwanderergruppen, die hinsichtlich ihrer Kultur, Rasse und Religion ‘auffälliger’ waren.

De facto ist Kanadas Multikulturalismus-Politik das Produkt eines besonderen historischen Kontextes. Ihre Ausformulierung war sowohl politisch motiviert als auch Antwort auf die Ansprüche der organisierten und wortmächtigen Community-Gruppen europäischer Abstammung jener Zeit. Diese Ansprüche zielten auf ‘Anerkennung’ ihrer Kulturen als Teil des kanadischen Mosaiks.

Während das Multikulturalismus-Konzept vom kanadischen Staat vorangebracht und von einigen ‘kulturellen’ oder ‘ethnischen’ Gruppen angenommen wurde/wird, wurde und wird es von den “First Nations” (die indianischen Völker Kanadas, Anm. d. Ü.) und Ureinwohnergruppen (wie die Inuit oder Métis, die nicht zu den First Nations gezählt werden, Anm. d. Ü.) zurückgewiesen. Sie definieren sich selbst nicht anhand solcher Etikettierungen, sondern grenzen sich politisch ab als eigenständige Nationen mit dem inhärenten Recht sich selbst zu regieren und selbstbestimmt zu leben.

Während darüber hinaus einige ethnische Gruppen dabei bleiben, die Multikulturalismus-Politik für die Anerkennung der kulturellen Vielfalt Kanadas zu preisen, attackieren sie andere weiter mit dem Argument, dass diese Politik Vielfalt nur im Rahmen von Kanadas Zweisprachigkeit anerkennt, also die beiden Gründungsnationen privilegiere. Diese Position sieht hier eine zunehmende Spaltung und eine Hierarchisierung zwischen “uns” (die beiden Gründungsnationen) und “denen” (die ethnischen Gruppen). Manche vertreten auch, diese Politik fuße auf der in gewisser Weise naiven Vermutung, dass die Unterstützung kultureller Ausdrucksformen auf eine irgendwie wundersame Weise Akzeptanz, Zugehörigkeit und Inklusion voranbringe, wodurch wiederum eine harmonische Koexistenz hergestellt würde.

Wie in den Richtlinien der Multikulturalismus-Politik ausgelegt, konzentriert sich das staatliche Bekenntnis zu ‘Inklusion’ größtenteils auf Bereiche wie ‘Anerkennung’, ‘Bewahrung’ und ‘Teilen’ der kulturellen Vielfalt bzw. des kulturellen Erbes. Wobei es durchaus auch ausdrückliche Bekenntnisse zu anderen, substanzielleren Aspekten von ‘Inklusion’ gibt, wenn in den Richtlinien von “gerechter Partizipation”, der “Eliminierung von Partizipationsschranken”, “Gleichbehandlung” “gleichem gesetzlichen Schutz” und „institutioneller Inklusion“ die Rede ist.

Es überrascht nicht, dass es zwischen den beiden verschiedenen Gruppierungen Spannungen gibt. Zum Beispiel die Gruppierung, die die ‘Anerkennung’ heraushebt, tendiert zu einem mehr folkloristischen Verständnis von Inklusion („Saris, Steel Drums und Samosas“), das unterstellt, dass wir miteinander besser auskommen würden, wenn wir alle nur unsere jeweiligen kulturellen Unterschiede verstehen und wertschätzen. Bekannt wurde dieser Multikulturalismus-Ansatz als „Vermischen-und-Verrühren“ („mix and stir“). Er wird dafür kritisiert, dass ‘Kultur’ als statisch und eindimensional betrachtet und dass er Stereotypen und Generalisierungen von kulturellen Gruppen fördert.

Im Gegensatz dazu neigen die ‘Partizipation’-Anhänger dazu, die Betonung bei ‘Inklusion’ auf die Beseitigung systemischer Barrieren zu legen im Glauben, dass dann alle eine ‘Gleichbehandlung’ erfahren. Strategien, die sich gegen die systemischen Barrieren wenden, sind z.B. solche, die existierende und historische Ungleichheiten in Bezug auf Rasse, Kultur, Sprache und Religion hinterfragen. Sie werfen die Frage auf, inwiefern ‘Unterschiede’ so interpretiert wurden, dass die Partizipation einiger Gruppen beschränkt wurde, während andere Gruppen privilegiert wurden. Des Weiteren kritisieren sie die Bedingungen, die zu Marginalisierung führen (Rassismus und ein Zweiter-Klasse-Status), die politisch, ökonomisch, sozial und kulturell produziert und reproduziert werden.

Solche Ansätze sind ihrer Natur nach auf Konfrontation ausgelegt. Denn sie fordern den status quo heraus und verlangen, dass sich die Gesellschaft und ihre institutionellen Organisationen und Praktiken ebenfalls wandeln müssen, um der Realität einer vielfältigen Gesellschaft gerecht zu werden. Während die oben beschriebenen beiden Gruppierungen unbestreitbar miteinander in einem Spannungsverhältnis stehen, teilen sie nichtsdestotrotz das gleiche zugrunde liegende Ziel, nämlich die Integration. Allerdings gleicht in dem erstgenannten „Vermischen-Verrühren-Ansatz“ die Integration eher der Assimilation. Für die Gesellschaft und ihre soziale Organisation besteht die Herausforderung hier bloß darin, Kulturfeste zu veranstalten. Letztere Gruppierung versteht Integration jedoch als einen permanenten Prozess von Herausforderungen, Anpassung und Wandel, der die Gesamtgesellschaft und ihre Mitglieder mit einbezieht.

Die Relevanz der Multikulturalismus-Politik im gegenwärtigen Kontext

Seit Ausrufen der Politik 1971 ist das Antlitz Kanadas unbestritten bunter geworden. Das liegt teilweise an Veränderungen der Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik und hängt  zusammen mit größeren Umbrüchen wie geo-politischen Umgestaltungen, globaler wirtschaftlicher Umstrukturierung, Freihandel, Kriegen, Katastrophen usw. Inklusion im Sinne von ‘Anerkennung’ reicht daher nicht mehr aus. Stattdessen wird es immer dringlicher, dass Anerkennung und Inklusion im Sinne eines substanziellen und nicht symbolischen Multikulturalismus neu entworfen werden.

Ein solcher Neuentwurf würde abzielen auf verbesserten Zugang, Chancengleichheit, handfeste Ergebnisse, substantielle Partizipation wie auch auf Klauseln zum Schutz der Menschenrechte und vor Diskriminierung und auf Maßnahmen zur positiven Diskriminierung, um die Produktion von historischen und systemischen Ungleichheiten zu überwinden. Dies würde sich ebenso in Programmen und einer Politik niederschlagen, die sich ‘Gerechtigkeit’ (durch differenzierte Behandlung der Unterschiedenen) zum Ziel setzt im Unterschied zu ‘Gleichheit’ (im Sinne von Gleichmacherei), z.B. Bildungsgerechtigkeit, Beschäftigungsgerechtigkeit und Dienstleistungsgerechtigkeit.
 
Die Hauptkritikpunkte

Immer wieder weist die Kritik der Multikulturalismus-Politik - bekannt als ‘amtlicher’ Multikulturalismus – nach, dass die gegenwärtige Politik widersprüchliche Konzepte verfolgt. Einerseits dient sie zum Beispiel als Mechanismus zur Bildung und Aushandlung verschiedener Ansprüche von Gruppen und Gemeinschaften. Andererseits aber ist sie auch ein Mechanismus, der von oben kontrolliert und verwaltet wird, und dadurch die Prioritäten und Ausrichtungen verändern und je nach politischem Kalkül die Ressourcen zurücknehmen oder ganz streichen kann. Und obwohl die Politik anerkennt, dass Vielfalt sowohl individuelle als auch Gruppen-/Gemeinschafts-/Verbandsunterschiede umfassen muss, tendiert sie in der Praxis dazu, Rahmenbedingungen zu favorisieren und zu unterstützen, die vorwiegend individuelle Rechte und Wahlmöglichkeiten in den Vordergrund rücken.

Darüber hinaus zeigt sich auch ein Spannungsverhältnis zwischen dem Wunsch nach Anerkennung kultureller Unterschiede und dem Wunsch, alle als einander gleich zu betrachten. Dieses Spannungsverhältnis besteht weiter, obwohl es fälschlicherweise und noch dazu ohne Erfolg meint, eine gewisse „Versöhnung“ erreicht zu haben. In Übereinstimmung mit den Lehren des Liberalismus, die die ‘Gleichheit’ dem Verschiedensein vorziehen, wurde nämlich ein ‘farben- und kulturblinder’ Ansatz angewandt (Fleras and Elliott 2002). So wird zwangsläufig ein one-size-fits-all-Ansatz (Einheitsgröße) bevorzugt, nach dem historische und systemimmanente Ungerechtigkeiten des Kolonialismus, Imperialismus, Rassismus, Sexismus usw. weiter unangesprochen bleiben.

Mainstream bzw. Status-Quo-Kritikpunkte (Es reicht!)

  1. Verschwendung von Steuergeldern – Diese Kritik behauptet, dass die Ziele des Multikulturalismus im Wesentlichen erreicht wurden, da die Gesellschaft bereits kulturell differenziert sei. Auf diese Weise wird Multikulturalismus als Endzustand und nicht als fortlaufender und sich entwickelnder Prozess verstanden. Den Wunsch nach Kulturerhalt betrachtet man eher als Privatangelegenheit, die keine öffentliche Unterstützung rechtfertigt. Mit dem Aufkommen neoliberaler Ideologien hat sich diese Art Kritik verstärkt.
  2. Die nationale Einheit ist bedroht – Vertreter dieser Meinung schlagen Alarm, der Multikulturalismus führe zu einer Balkanisierung der Gesellschaft und ende in Identitätsspaltungen (Seiler 2002, Rummens 2002). Sie argumentieren, die Spaltungen der alten Welt würden in die Gesellschaften der neuen verpflanzt, was die Entwicklung einer verbindenden nationalen Identität untergrabe. Diese Kritik favorisiert eine Politik der Assimilation, durch die die ‘Anderen’ eher so wie ‘Wir’ werden sollen.
  3. Die nationale Sicherheit ist in Gefahr – Die Zahl der Anhänger dieser Sichtweise nahm nach dem 11. September zu und signalisiert eine wachsende Angst vor den ‚Anderen’, den ‚Verschiedenen’. Verschiedenheit gilt als  Bedrohung des Friedens, der Ordnung, Stabilität und nationalen Sicherheit. Diese Kritik unterstützt auch eine restriktivere und selektivere Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik, um potentielle Terroristen auszumerzen.
  4. Fragmentierung der Gesellschaft – Diese Kritik richtet sich gegen eine Betonung der Unterschiede zwischen den Gruppen und argumentiert dagegen, der Fokus müsse auf Allgemeinheiten und gemeinsamen Werten belassen bleiben. Diese Kritik unterstützt eine ‘farbenblinde’, ‘kulturblinde’ und ‘Gleichheit’ betonende Annäherung an den Begriff Vielfalt.

Die Kritikpunkte der ‘ethnischen’ Communities (Zu wenig!)

  1. Pluralismus wird nur vorgegaukelt – Hier wird die Multikulturalismus-Politik dafür kritisiert, die Verschiedenheit nur symbolisch oder dem Anschein nach anzuerkennen, im Wesentlichen eher rhetorischer denn substantieller Natur zu sein. Das Argument lautet deshalb, diese Politik werfe bloß oberflächlich Augenmerk auf die Unterschiede, anerkenne aber unzureichend die entsprechenden Rechte und Ansprüche (Fleras 2002). Dieses Versagen wird wegen einer dadurch entstandenen Hierarchisierung der Kulturen kritisiert. Gemeint sind hier die beiden Gründungsnationen und die ‘ethnischen Gruppen’.
  2. Bei der Handhabung der Vielfalt wird von einem farbenblinden Ansatz ausgegangen – Die Kritik richtet sich hierbei gegen ein Verständnis von Gleichheit als Gleichmacherei und beinhaltet, dass dadurch Strategien verfolgt werden, die die Betonung auf „Zugangsmöglichkeiten“ und „Chancengleichheit“ legen, ohne die Geschichte der Ungerechtigkeiten zu beachten, wie sie in Form des Kolonialismus, Imperialismus, Rassismus und Sexismus von verschiedenen Gruppen erfahren wurden. Diese Kritiker geben daher dem Begriff „Gleichberechtigung“ den Vorzug, da dieser die systemischen Komponenten eher einschließt.
  3. Ein entpolitisiertes Verständnis von Vielfalt – Diese Kritiker vertreten die Meinung, der ‘amtliche’ Multikulturalismus neige dazu, die Assimilation, Regelbefolgung und Inklusion innerhalb existierender Systeme zu unterstützen, die Ungleichheiten hervorrufen und reproduzieren, anstatt diese Systeme hinreichend herauszufordern und zu verändern (Fleras 2002). Deshalb, behaupten die Kritiker, würde der ‘amtliche’ Multikulturalismus diverse Gruppen unabsichtlich als ‘Teilnehmer’ in diesen abträglichen Kreislauf einbeziehen.
  4. Eine Entmutigung, sich den bestehenden Strukturen von Macht und Privilegien, der dominierenden Normen und ‘Traditionen’ sowie der Ungleichheiten zu stellen – Diese Kritik beinhaltet, dass der ‘amtliche’ Multikulturalismus jenen das Wasser abgrabe, die das vorherrschende System der Macht und Privilegien herausfordern und dagegen opponieren, indem man ihnen die staatliche Unterstützung reduziere und die Anliegen von Gruppen oder Gemeinschaften entmachte.

Multikulturalismus als offizielle Regierungspolitik wird von den ethnischen Communities also dafür kritisiert, dass damit Gleichberechtigung versprochen wird, wobei das Ganze in ein Rahmenwerk der Ungleichberechtigung eingebettet sei.

Gemeinschaftsaktivismus und relative Auswirkungen

Trotz aller Streitigkeiten, Schwierigkeiten und Unvollkommenheiten, die mit der Konzeptualisierung von Multikulturalismus – und besonders mit der amtlichen Regierungspolitik – verbunden sind, waren Community-Gruppen in hohem Maße daran beteiligt, die Politik als mögliche Struktur zu nutzen, ihre ureigenen Interessen und Belange voranzutreiben. Sie nutzten sie als Instrument um: sich selbst in zusammenhängenden Körperschaften zu organisieren, ihre Mitgliedschaft zu politisieren, die weitere Community über ihre Themenbereiche zu unterrichten, ihre Präsenz als politische Akteure zu legitimieren, für eine inklusivere Politik und entsprechende Programme einzutreten, an öffentlichen politischen Diskussionen teilzunehmen und ihre Vertretung in Gremien, Kommissionen und in der Regierung auszubauen.

Ohne irgendeine dieser Zielsetzungen verharmlosen zu wollen: Es wäre eine Täuschung anzunehmen, dass dadurch Wunder vollbracht wurden und dass eine Inklusion erreicht worden wäre. Trotz all dieser und anderer Bemühungen sehen sich viele Neuzuwanderer und auch länger anwesende Einwanderer- und Flüchtlingsgruppen, insbesondere jene, die man als ‘sichtbare Minderheiten’ betrachtet, immer noch wesentlichen Integrationsbeschränkungen gegenübergestellt. Es ist traurig, dass viele immer noch auf die Einlösung dieses Versprechens der Gleichberechtigung warten.

Bedauerlicherweise ist der Rassismus immer noch ein Hauptfaktor, mit dem viele konfrontiert werden, sobald sie Unterkunft, Beschäftigung oder Ausbildungsstätten suchen. Auf kulturelle Sensibilitätslosigkeit trifft man noch immer in Krankenhäusern, in Einrichtungen der sozialen Dienste. Araber, Schwarze und Ureinwohner werden von der Polizei immer noch eher mit Argwohn beäugt und wahrgenommen. Die Medien kommen in Hinblick auf verschiedene Gruppen immer wieder auf alte Stereotypen zurück. Die Zeugnisse und Erfahrungen, die Neuankömmlinge mitbringen, werden immer noch nicht als denen der Kanadier gleichwertig anerkannt. Obwohl bereits viel getan wurde, sind die Auswirkungen dieser Bemühungen nicht immer anhaltend bzw. nachhaltig. (Das ist jedoch eine ganz andere Diskussion, die noch geführt werden muss.) Es hilft aber, gerade jetzt darauf zu verweisen, dass das bisher Erreichte in hohem Maße von der Konvergenz der folgenden Faktoren abhing:

  • staatliche Verpflichtungen (moralisch und finanziell); 
  • öffentliche Unterstützung; 
  • Mechanismen und Gelegenheitsstrukturen, um die allgemeine Politik und Entscheidungsfindungsprozesse zu beeinflussen; 
  • das Vorhandensein gut organisierter und kohärenter Community-Sprecher.

Schlussfolgerung

Multikulturalismus bleibt folglich innerhalb der ethnisch-rassischen und ethnisch-kulturellen Gemeinschaften sowie in der weiteren kanadischen Öffentlichkeit ein Streitthema. Einige bejubeln seine Erfolge und verteidigen heftig seine Beibehaltung, während andere ihn als Reizthema sehen, das Spaltungen fördert und die Entwicklung einer nationalen gemeinsamen Identität vereitelt.

Im Zuge der zunehmenden neoliberalen Kritik am Multikulturalismus mussten bereits einige, die zuvor den Multikulturalismus für seinen Symbolismus und Mangel an Substanz kritisierten, widerwillig zu seiner Verteidigung schreiten. Ihre Verteidigungshaltung hängt dabei sicher nicht notwendigerweise mit der (Multikulturalismus-)Politik zusammen. Vielmehr wird hier die Überzeugung verteidigt, dass der Staat eine entscheidende Verantwortung hat, aktiv in die Schaffung einer gerechten Gesellschaft einzugreifen.

Dennoch, trotz aller Kritik ist der Multikulturalismus immer noch attraktiv wegen seines Potentials (vorausgesetzt er wird neu definiert), durch die gemeinsame Verpflichtung zwischen dem Staat und seinen Mitgliedern zum Aufbau einer gerechten und inklusiven Gesellschaft beizutragen.

Aus dem Englischen von Tim Mücke

April 2006

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Rashmi Luther ist Professorin an der University of Carleton in Ottawa Kanada.Sie arbeitete als Beraterin der Regierung in der Menschenrechtskommission und dem Antirassismus-Sekretariat von Ontario.