Eines der interessantesten Phänomene der kulturellen Globalisierung, die HipHop-Kultur, ist im New York der Siebziger Jahre geboren. Hier waren es Afroamerikaner, jamaikanische Einwanderer und Latinos auf den Straßen des Einwandererviertels Bronx, die vier prägenden Ausdrucksformen der HipHop-Kultur entwickelten: Rap, den markanten Sprechgesang, DJing, innovative Mix-Techniken, Breakdance, die akrobatischen Straßentänze, und Graffiti, die subversive Kommunikationskultur der Sprayer. Von hier aus trat die HipHop-Kultur ihren globalen Siegeszug an. Sie breitete sich in alle Weltregionen aus und etablierte sich als globale und zugleich vielfältig lokale Jugendkultur.
Im HipHop finden die Communities meist marginalisierter Jugendgruppen und People of Color in multikulturellen großstädtischen Milieus Mittel und Formen für den Ausdruck ihrer Gefühle, Erfahrungen und Perspektiven auf der Grundlage eigener sprachlicher, musikalischer und soziokultureller Traditionen. Zugleich haben Fernsehen, Musik- und Werbeindustrie den HipHop entdeckt und zu einem der populärsten und auch kommerziell erfolgreichsten Lifestyle-Modelle entwickelt. HipHop wurde so auch Mainstream, Teil der Konsumentenkultur der zahlungskräftigsten NachfragerInnen.
Ist der HipHop durch die Kommerzialisierung und die Verwischung der Grenzen zwischen rebellischer Underground-Kultur und Mainstream Opfer seines eigenen Erfolgs geworden?
Auch in Deutschland kann der HipHop schon auf mehr als zwanzig Jahre einer wechselvollen Entwicklung zwischen authentischem Ausdruck marginalisierter Jugendlicher und Mainstream zurückblicken. Er hat sehr erfolgreiche Rapper aus den Einwanderer-Communities hervorgebracht, die besonders in den Anfängen diese Musikform entscheidend geprägt haben. Der kommerzielle Durchbruch gelang ihm aber erst in den 90er Jahren, als vor allem weiße Rapper wie Die Fantastischen Vier die ersten Charterfolge feierten. Abgesehen von Ausnahmen wie Advanced Chemistry oder dem Rödelheim Hartreim Projekt spielten People of Color im markanten Gegensatz zu den USA, Großbritannien und Frankreich lange Zeit im deutschen HipHop-Geschäft nur eine eher periphere Rolle, während der HipHop rassistischen Stereotypen folgend gerade den People of Color und besonders schwarzen Deutschen zugeordnet wird. Allerdings scheinen die jüngsten Entwicklungen einen Wendepunkt zu markieren: People of Color sind im Mainstream HipHop und R&B so sichtbar und hörbar wie nie zuvor und haben so die Chance, den Stereotypen mit ihren Texten und Techniken zu entgegnen.
Die Beiträge zu diesem Dossier spannen den weiten Bogen vom HipHop als globalem Phänomen bis hin zu den diversen lokalen Gestalten des HipHop in Deutschland. Sie beschreiben den unglaublich großen Einfluss des HipHop auf die Selbstkonzepte der Jugendlichen von geschlechtlicher und ethnischer Identität, Coolness und Dissidenz. In dem Maße wie hier Diskriminierung, Hass, Rassismus, Sexismus, aber auch Fairness, Ironie und Hoffnung zum Ausdruck kommen, ist diese Jugendkultur Gradmesser der kulturellen Entwicklung einer Einwanderungsgesellschaft, die auf dem Weg ist, die Trennungslinien zwischen dem Eigenen und den Anderen, der Leitkultur und den Minderheitenkulturen hinter sich zu lassen.
Das Dossier wurde konzipiert und redigiert von Alexander G. Weheliye. Verantwortlich: Olga Drossou, MID-Redaktion
Dezember 2006