Spezialisten mit Migrationshintergrund

von Swetlana Franken

Die Zahl der Menschen nicht deutscher Herkunft in der Bundesrepublik nimmt kontinuierlich zu. "Über 14 Millionen Menschen, also fast jeder fünfte Einwohner, haben einen Migrationshintergrund - unabhängig von ihrer deutschen oder ausländischen Staatsangehörigkeit", erklärte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck in einem Bericht zur Lage der Ausländer in Deutschland am 24.06.05. Jedes vierte Kind in der BRD hat einen ausländischen Elternteil. In einigen Ballungsgebieten stammen 40 Prozent der Jugendlichen aus Migrantenfamilien. Diese Tendenz wird sich in Zukunft noch verstärken, kulturelle und religiöse Vielfalt werden das Leben in der deutschen Gesellschaft von Generation zu Generation zunehmend kennzeichnen.

Zugleich werden Migranten in Deutschland häufig nicht als Bereicherung, sondern als Quelle für soziale und kulturelle Probleme angesehen. Aufrufe zu „mehr Toleranz“ unterstellen eine von vornherein negative Einstellung zu Andersartigen, die geduldet werden sollen. Auch die Debatte über „Integration von Ausländern“ stellt die Weichen auf „sich anpassen“ (Assimilation) anstatt „von Vielfalt profitieren“ (Synthese von Kulturen).

Neben dieser eher sozialen hat die Problematik der Migration eine wirtschaftliche Seite. Nicht nur gering qualifizierte, sondern auch hoch ausgebildete Spezialisten mit Migrationshintergrund haben es bis jetzt schwierig in unserer Gesellschaft, einen Arbeitsplatz zu finden, der ihren Erwartungen, Qualifikationen und Ansprüchen gerecht wird. Das Potenzial dieser Akademiker liegt brach und wird von der Wirtschaft der Bundesrepublik nur begrenzt benutzt.

Die aktuelle Situation auf dem Arbeitsmarkt zeigt neben hoher Arbeitslosigkeit einen stetig wachsenden Bedarf an hochqualifizierten Fachleuten, insbesondere in zukunftsträchtigen Berufen. Zahlreiche junge Spezialisten aus dem europäischen und nichteuropäischen Ausland würden gerne nach Deutschland kommen – das Land mit einer der höchsten Lebensqualitäten Europas übt eine starke Anziehungskraft aus. Doch die Erfahrung mit der 2001 eingeführten Green Card hat gezeigt: es ist gar nicht leicht, qualifizierte und engagierte Spezialisten nach Deutschland zu holen. Das Verfahren an sich und die allgemeine Einstellung in der deutschen Gesellschaft haben eine massenhafte Immigration hochgebildeter Ausländer verhindert.

Allerdings gibt es bereits in der Bundesrepublik ein Potenzial von qualifizierten Fachleuten – die hier ausgebildeten Spezialisten, Absolventen deutscher Hochschulen mit Migrationshintergrund. Hunderttausende von jungen Akademikern absolvieren jährlich ihr Studium und haben Schwierigkeiten, einen geeigneten Arbeitsplatz in Deutschland zu finden. Die Zahl von Studenten aus dem Ausland und mit Migrationshintergrund an deutschen Hochschulen nimmt ständig zu.

Laut Statistischem Bundesamt ist in den letzten zehn Jahren der Anteil der Ausländer an den Studierenden von 7% auf 12% und bei den Studienanfängern von 12% auf 16% gestiegen. Dies ist durch die Transformationsprozesse in den ehemaligen sozialistischen Staaten, durch die Öffnung und Demokratisierung vieler arabischer, asiatischer, südamerikanischer u.a. Länder, sowie durch einen hohen bzw. wachsenden Stellenwert des Studiums bei Spätaussiedlern aus der ehemaligen Sowjetunion und bei Deutschtürken zu erklären. Von rund 2 Millionen Studierenden an deutschen Hochschulen im Wintersemester 2003/04 hatten 246.100 eine ausländische Staatsangehörigkeit, fast genauso viele weisen - bei deutschem Pass - einen Migrationshintergrund auf (Spätaussiedler, Deutschtürken etc.). Insgesamt geht es um fast eine halbe Million Spezialisten.

Diese Hochschulabsolventen zeichnen sich in der Regel durch kulturspezifische Kompetenzen, vielseitige Sprach- und Kulturkenntnisse, Anpassung an die deutsche Gesellschaft und Kultur sowie ein deutsches Diplom aus. Diese Eigenschaften schaffen ihnen wesentliche Vorteile gegenüber Arbeitsmigranten aus dem Ausland.

Den erwähnten kulturspezifischen Kompetenzen von Migranten wird bis jetzt nur wenig Aufmerksamkeit zuteil. Spezialisten mit Migrationshintergrund können durch ihren anderen kulturellen Hintergrund, durch ihre andere Herangehensweise an Probleme, durch ihre anderen Wertvorstellungen die Problemlösungsprozesse in Unternehmen bereichern und sie kreativer und erfolgversprechender gestalten. Insbesondere multikulturelle Teams in Unternehmen können durch die Vielfalt an Betrachtungsperspektiven, Mentalitäten und Wissen enorme Synergieeffekten erzielen. Einzelne deutsche Unternehmen, die für sich Vorteile von Diversity entdeckt haben, benutzen die Vielfalt ihrer Belegschaften als Stärke. Als Musterbeispiele können dabei die Ford Werke und die Deutsche Bank dienen.

Auch als Arbeitgeber sind die Spezialisten mit Migrationshintergrund für die deutsche Gesellschaft von Bedeutung. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes hat sich die Zahl der ausländischen Selbstständigen zwischen 1991 und 2003 um 110.000 (+63%) erhöht. Die kulturspezifischen Kompetenzen wie höhere Risikobereitschaft und Flexibilität, aber auch die Beschaffung des Gründerkapitals innerhalb der Großfamilie spielen dabei eine wichtige Rolle.

Ein weiterer Vorteil der Hochschulabsolventen mit Migrationshintergrund ergibt sich aus zunehmenden Internationalisierungstendenzen deutscher Unternehmen. In internationalen Verhandlungen und Kooperationen braucht man Sprach- und Kulturexperten, und die Mitarbeiter mit Migrationshintergrund sind dabei unentbehrlich. Wie viele deutsche Manager können Arabisch, Chinesisch, Russisch oder eine andere osteuropäische Sprache bzw. sind mit entsprechenden kulturellen Geflogenheiten und Verhaltensnormen vertraut?

Ein multikulturelles interdisziplinäres Arbeitsteam aus Professoren und Studenten der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der FH Köln hat sich zum Ziel gesetzt, die kulturspezifischen  Kompetenzen der Akademiker mit Migrationshintergrund und deren Berufschancen und Einstiegschwierigkeiten in deutschen Unternehmen zu untersuchen, um Empfehlungen zu ihrer Förderung zu entwickeln. Zu diesem Zweck wurden Hochschulabsolventen deutscher Hochschulen mit Migrationshintergrund (und zum Vergleich eine deutsche Kontrollgruppe) mithilfe eines Onlinefragebogens befragt.

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Dr. Swetlana Franken ist Professorin für Unternehmensführung mit dem Schwerpunkt interkulturelles Management an der Fachhochschule Köln.