von Thomas Liebig
Die internationale Migration steht weit oben auf der Politikagenda vieler Länder, da erwartet wird, dass auch ein Rückgriff auf Migranten notwendig sein wird, um Arbeitsmarktengpässen im Kontext einer alternden Bevölkerung zu begegnen. Bereits jetzt sind mehr als 12 Prozent der Bevölkerung Deutschlands im Ausland geboren - ein Anteil vergleichbar mit dem in den USA. Wenn die in Deutschland geborenen Kinder von Migranten (die sogenannte „zweite Generation“) hinzugerechnet werden, liegt der Anteil bei rund 18 Prozent. In absoluten Zahlen ist Deutschland nach den USA das OECD-Land mit den meisten im Ausland geborenen Personen.
Angesichts dieser Zahlen ist es offensichtlich, dass Migration ein Phänomen ist, das einen signifikanten Einfluss auf die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft hat und haben wird. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Arbeitsmarktintegration zu, da diese massgebend ist für die Fähigkeit der Zuwanderer, ein eigenständiges Leben zu führen. Sie ist darüber hinaus entscheidend für die Akzeptanz der Zuwanderung in der Bevölkerung und die Sicherung der langfristigen Tragfähigkeit der Zuwanderungspolitik. Die Beschäftigungsquote – d.h. der Anteil der Personen im Alter von 15-64, die eine Arbeit haben – ist damit ein zentraler Indikator nicht nur für die Arbeitsmarktintegration, sondern auch für die Integration im weiteren Sinne.
Es ist sinnvoll, für die Untersuchung der Arbeitsmarktintegration eine Humankapitalperspektive einzunehmen. Wenn Personen einwandern, verfügen sie über Fähigkeiten und Qualifikationen, die in der Regel in einem anderen Land erworben wurden. Somit stellt sich zunächst die Frage, ob die Fähigkeiten/Kompetenzen der Migranten für den Arbeitsmarkt des Immigrationslandes grundsätzlich geeignet sind. Wenn dies bejaht werden kann - zum Beispiel wenn gewisse Grundsprachkenntnisse vorhanden sind - geht es darum, ob diese Fähigkeiten/Kompetenzen “äquivalent” mit denjenigen von im Inland geborenen Personen sind – und inwiefern diese Äquivalenz von Bedeutung ist. Schließlich geht es um die Frage, wie die Fähigkeiten der Migranten den Arbeitgebern “vermittelt” werden können.
Zur Situation in Deutschland
Neben der Zuwanderung aus den ehemaligen Rekrutierungsländern (insbesondere aus der Türkei, dem ehemaligen Jugoslawien, Italien, Griechenland und Spanien) ist die Situation in Deutschland durch die hohe Zuwanderung durch Aussiedler und humanitäre Migranten in den späten 80er und frühen 90er Jahren geprägt. Aussiedler und Spätaussiedler bilden gegenwärtig die grösste Gruppe, gefolgt von Personen aus der Türkei.
Die Situation der Zuwanderer ist jedoch nicht immer aus den Statistiken ersichtlich, da „Immigranten“ weitgehend anhand der Nationalität identifiziert werden. Dies führt dazu, dass Aussiedler und Zuwanderer, welche die deutsche Nationalität angenommen haben, häufig mit den in Deutschland geborenen Deutschen zusammengefasst werden. Dies ist ein Defizit in der statistischen Infrastruktur, das behoben werden muss, um die Integrationsprobleme der grossen und wachsenden Zahl von Immigranten (d.h. im Ausland geborene Personen, Zuwanderer) mit deutscher Staatsbürgerschaft zu identifizieren und beobachten zu können.
Die deutsche Staatsbürgerschaft ist keine Garantie für Integration. Dennoch lässt sich zeigen, dass in den meisten Ländern – wie auch in Deutschland – Migranten, die die Staatsbürgerschaft des Empfangslandes angenommen haben, auch bei sonst gleichen sozio-ökonomischen Charakteristika (Alter, Qualifikation, etc.) besser in den Arbeitsmarkt integriert sind als Migranten mit ausländischer Staatsangehörigkeit.
Bis Anfang der 90er Jahre waren Immigranten relativ gut in den deutschen Arbeitsmarkt integriert.
Viele Zuwanderer kamen jedoch in den frühen 90er Jahre nach Deutschland und somit zu einer Zeit, als sich die Wirtschaftslage zu verschlechtern begann. Sie sind durch die negative Arbeitsmarktlage seit dieser Zeit besonders betroffen – ähnlich, wie dies auch in anderen europäischen Ländern der Fall war. Immigranten profitieren jedoch auch vom gegenwärtigen Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt relativ stark. Insgesamt reagiert die Beschäftigung der Zuwanderer – und insbesondere der Neuzuwanderer – in den meisten Ländern stärker auf die Konjunktur als die Beschäftigung von im Land geborenen Personen.
Verschlechtert hat sich in Deutschland in den vergangenen 15 Jahren insbesondere die Lage der Aussiedler und Spätaussiedler mit weniger als acht Jahren Aufenthalt, deren Beschäftigungsquote bei den Männern seit 1992 um rund 20 Prozentpunkte zurückgegangen ist. Ein ähnlicher Rückgang ist bei den zugewanderten Türken zu beobachten, von denen viele in Sektoren oder Berufen tätig waren, die vom Strukturwandel stark betroffen sind. Die Beschäftigungsquote der zugewanderten Frauen im Erwerbsalter liegt bei lediglich 48 Prozent. Dies ist verglichen mit anderen Ländern niedrig und zum grossen Teil darauf zurückzuführen, dass viele Immigranten aus Ländern kommen, in denen Frauen häufig nicht erwerbstätig sind.
Ein Grund für die Lücke in der Beschäftigungsquote zwischen Zuwanderern und im Land geborenen Personen ist das häufig niedrigere Bildungsniveau von Zuwanderern
Über 36% der Zuwanderer im Alter von 25-64 haben einen Abschluss unterhalb der Sekundarstufe II, jedoch nur 12% der in Deutschland Geborenen. In nur wenigen anderen Ländern ist dieser Unterschied ähnlich stark ausgeprägt. Jedoch kann das niedrigere Qualifikationsniveau von Migranten – wie auch in anderern Ländern – nur einen Teil der Unterschiede in der Beschäftigung erklären.
Insgesamt sind die Resultate für die Zuwanderer – vor allem für die Männer – im Mittelfeld der betrachteten OECD-Länder einzuordnen.
Die problematische Situation der „zweiten Generation“ - und deren Ursachen
Ein Grund dafür, dass Zuwanderer auch bei hoher Qualifikation eine geringere Beschäftigung haben als Nichtmigranten mit gleichem Abschlussniveau ist die Tatsache, dass im Ausland erworbene Abschlüsse und Berufserfahrung auf dem Arbeitsmarkt des Empfangslandes häufig stark abdiskontiert werden. Diese möglichen Probleme spielen bei im Land geborenen Kindern von Zuwanderern keine Rolle. Der Lackmustest der Integration ist somit, ob die im Zuwanderungsland geborenen Kinder der Immigranten im Bildungssystem, dem Arbeitsmarkt und der Gesellschaft „erfolgreich“ sind. Hier ist das Bild in den meisten europäischen OECD-Ländern nicht besonders vorteilhaft.
OECD-PISA Daten belegen, dass der Abstand zwischen der „zweiten Generation“ und den übrigen Schülern in vielen europäischen Ländern – und insbesondere in Deutschland – erheblich ist. Über die Hälfte des Unterschieds lässt sich durch den unterschiedlichen sozioökonomischen Hintergrund – vor allem bezüglich des Qualifikationsniveaus der Eltern – erklären. Doch selbst bei Berücksichtigung dieser Faktoren bleibt häufig eine erhebliche Lücke – so auch und gerade in Deutschland.
Diese Tendenz setzt sich auch bei den Schulabschlüssen fort. Kinder von Zuwanderern sind unter den Niedrigqualifizierten stark überrepräsentiert. Dies gilt für die meisten europäischen Länder – mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs. Aber selbst mit Universitätsabschluss sind die Chancen der Kinder von Zuwanderern, eine Beschäftigung zu haben, zum Teil erheblich geringer Bildungs- und Sprachdefizite können somit nur einen Teil der niedrigeren Beschäftigung erklären.
Ein Grund sind fehlende persönliche Netzwerke. Eine aktuelle IAB-Studie belegt, dass über ein Drittel der offenen Stellen in Deutschland über persönliche Kontakte besetzt werden. In anderen Ländern – z.B. in Schweden – ist der entsprechende Anteil zum Teil noch erheblich höher. Immigranten und deren Kinder verfügen in der Regel nur über wenige Kontakte zu potentiellen Arbeitgebern, was sie bei der Arbeitsplatzsuche strukturell benachteiligt.
Eine weitere Ursache ist Diskriminierung. In allen Ländern, in denen wissenschaftliche Untersuchungen hierzu durchgeführt wurden, hat sich gezeigt, dass Diskriminierung ein nicht unerhebliches Hindernis darstellt. Zum Teil müssen Kinder von Zuwanderern bei gleicher Qualifikation (in den entsprechenden Teststudien der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) deutete lediglich der Name auf einen Migrationshintergrund hin) drei bis viermal so viele Bewerbungen schreiben wie Kinder von Nichtzuwanderern, bis sie eine Einladung zu einem Bewerbungsgespräch erhalten. Der niedrigere Bildungshintergrund kann somit auch ein bequemer Vorwand sein, um diskriminierende Einstellungen zu verdecken.
Erfolgreiche Massnahmen der Arbeitsmarktintegration
Bei den Massnahmen zur Arbeitsmarktintegration ist es wichtig, neben generellen Hilfen für Personen mit Migrationshintergrund die speziellen Probleme der Neuzuwanderer auf der einen Seite und die besondere Lage der „zweiten Generation“ auf der anderen Seite zu beachten.
Um das Problem mangelnder Netzwerke anzugehen, sind Mentorenprogramme und Massnahmen, die Personen mit Migrationshintergrund in Kontakt mit potentiellen Arbeitgebern bringen (z.B. Kontaktforen), vielversprechende Massnahmen. Erfahrungen aus Dänemark haben beispielsweise gezeigt, dass firmenbasiertes Training ein besonders effektives Arbeitmarktintegrationsinstrument ist. Dänische Daten belegen ebenfalls, dass Lohnzuschüsse erheblich effektiver sind für Zuwanderer als für im Land geborene Personen.
Für die Neuzuwanderer hat der frühe Arbeitsmarktzugang eine zentrale Bedeutung, da dieser die Beschäftigungswahrscheinlichkeit auch langfristig beeinflusst. Sprachtraining sollte deshalb mit Arbeitserfahrung verbunden sein, und nicht exzessiv sein, um die Arbeitsplatzsuche nicht zu behindern. Erfahrungen aus Schweden deuten darauf hin, dass Sprachtraining möglicherweise nur bis zu einem Umfang von rund 500 bis 800 Stunden die Beschäftigungswahrscheinlichkeit merklich erhöht.
Für die Kinder der Zuwanderer ist der frühe Spracherwerb entscheidend für den Schulerfolg. Erfahrungen aus Frankreich zeigen einen besonders starken Einfluss des Besuchs des (Vor-)Kindergartens im Alter von zwei bis drei Jahren auf den späteren Schulerfolg der zweiten Generation auf. Nach dem Schulabschluss ist gerade in Deutschland der Zugang zur Berufsausbildung von grosser Bedeutung. Hier hat ein Berufsbildungsabschluss einen wesentlich stärkeren Einfluss auf den Arbeitsmarkterfolg der zweiten Generation als bei Personen ohne Migrationshintergrund.
Was bleibt zu tun? – Empfehlungen für Deutschland
In den vergangenen Jahren hat Deutschland erhebliche Fortschritte in der Integrationspolitik gemacht. Das Thema „Integration“ ist zu einem Schwerpunkt der Politik von Bund, Länder und Kommunen geworden. Ansatzpunkte für weitere Verbesserungen sieht die OECD vor allem in folgenden Bereichen:
- Die Integrationskurse sollten stärker auf das Ziel der Arbeitsmarktintegration ausgerichtet werden. Dies sollte sowohl bei den Kursinhalten als auch bei der Kursfinanzierung (im Hinblick auf eine stärkere Resultatorientierung) berücksichtigt werden.
- Die deutsche Sprache sollte bereits im frühen Kindergartenalter systematisch gefördert werden. Dabei ist eine Verbindung mit der Sprachförderung der Mütter sinnvoll - idealerweise in der gleichen Institution. Nach dem Schulabschluss gilt es, den Zugang der zweiten Generation zur Berufsausbildung zu verbessern und bereits bestehende Instrumente zur Förderung besser zu evaluieren.
- Um die Qualifikationen der Zuwanderer besser zu nutzen, ist es ratsam, die Möglichkeiten der Validierung von Kompetenzen zu verbessern, auszubauen, und mit anschliessenden Brückenangeboten zu verbinden.
Abschliessend noch ein Wort zur Diskriminierung. Obwohl Diskriminierung – im Gegensatz zu vielen anderen Ländern – in der Debatte in Deutschland nicht als dringendes Problem wahrgenommen wird, ist Wachsamkeit geboten. Denn Diskriminierung führt - ebenso übrigens wie ein öffentlicher Diskurs, der die Sicherheit des Aufenthaltsstatus in Frage stellt - zu geringeren Anreizen zur Investition in Bildung und Sprache.
Der Artikel basiert auf der OECD-Studie "Jobs for Immigrants (Vol.1): Labour Market Integration in Australia, Denmark, Germany and Sweden".
Für Exemplare des Berichts (Englisch):
OECD Berlin Centre, Tel: +49 30 2888 353
Email: berlin.contact@oecd.org
Für weitere Informationen über Migration und Integration in der OECD:
www.oecd.org/els/migration
Thomas Liebig ist Referent in der Division für Internationale Migration des Arbeitsmarkt- direktorats der OECD und einer der Verfasser der Studie „Jobs for Immigrants (Vol.1): Labour Market Integration in Australia, Denmark, Germany and Sweden“.