Ein Kunstprojekt zu europäisch-afrikanischen Patenschaften

von Susanna Kahlefeld

Kunstprojekt ADOPTED

Gudrun F. Widlok sammelt in einem Holzkasten Karteikarten. Sie sind beschriftet mit den Personalien von Menschen, die über ihr Vermittlungsbüro ADOPTED Pateneltern suchen: Insgesamt 150 Menschen aus verschiednen europäischen Ländern, die, wie Widlok sagt, „an Bindungslosigkeit leiden“. Ihnen vermittelt sie Pateneltern in Afrika, Asien und Südamerika. Zwei Mal war sie mit ihrem Holzkasten in Westafrika.

„Die Organisation ADOPTED vermittelt familiär bindungslosen Europäern Pateneltern in Afrika, Asien und Südamerika. als mobiles Büro bietet ADOPTED eine Anlaufstelle für Personen, die neben Arbeit und Großstadtleben aufgehört haben ein Familienleben zu führen, sich aber dennoch nach Geborgenheit und Zugehörigkeit sehnen. In einer westlichen Welt, in der Werte wie Geborgenheit, Zugehörigkeit und Zusammenhalt verloren gegangen zu sein scheinen, bringt eine Agentur Menschen auf persönlicher und emotionaler Ebene denen näher, die diese Werte pflegen.“

1997 entstand auf einer Reise nach Afrika die Idee zu einem Kunstprojekt: Nicht afrikanische Kinder sollten europäische Pateneltern bekommen, sondern erwachsene Europäer, denen die familiäre Bindung fehlt, sollten als Patenkinder an afrikanische Familien vermittelt werden. Es ging um die Irritation, die durch die Umkehrung der Idee von europäisch-afrikanischen Patenschaften entstehen musste.
 

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Widlok entwickelte zunächst eine fiktive Dokumentation über die Tätigkeit ihres Vermittlungsbüros. Sie begann so zu tun, als ob es ADOPTED schon ewig gäbe, installierte ihr Büro auf Ausstelllungen und in Projekträumen, zeigte Fotos, Geschichten von Patenschaften und ihren Karteikasten mit europäischen Bewerbern. BesucherInnen konnten sich informieren und registrieren lassen. Dazu mussten sie einen Anmeldebogen ausfüllen und sich fotografieren lassen.

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Mittlerweile ist ADOPTED kein reines Kunstprojekt mehr, sondern Realität.

Anfang 2003, nachdem sie einen Preis für ihr Projekt gewonnen hatte, konnte Widlok nach Burkina Faso und Ghana reisen. Auf einer Ausstellung in der Hauptstadt von Burkina Faso Ougadougou präsentierte sie ihr Büro und die Portraits der Bewerber, interessierte Pateneltern konnten sich eine Person auswählen, für die sie die Patenschaft übernehmen wollten. Zuerst gab es Gelächter, aber dann fanden sich – auf Anhieb und völlig unerwartet – für 35 Bewerber Patenfamilien.

„Wie der Kontakt gestaltet wird, überlasse ich jedem Einzelnen. Ich weiß, dass es Briefkontakte gibt, dass E-mails geschrieben werden und auch Besuche geplant sind.“

Im September 2005 fand eine zweite Präsentation in der Universität Accra in Ghana statt. Es meldeten sich über fünfzig Familien, die eine Patenschaft für eine Person aus Europa übernehmen wollen. Seit 1997 hat Widlok ihr Büro bei Ausstellungen, Festivals und Veranstaltungen in ganz Europa aufgebaut. Im Moment arbeitet sie an einem Dokumentarfilm Film über ihr Projekt, der 2007 fertig sein soll.

Die Initiatorin des Projekts Gudrun F. Widlok (38) ist in Oberhausen geboren und aufgewachsen. Sie studierte an der Folkwang-Schule in Essen Kommunikationsdesign mit dem Schwerpunkt Fotografie. Mit Afrika beschäftigte sie sich schon in ihrer Diplomarbeit, arbeitete aber bis 1999 zunächst als Standfotografin für Kino und Fernsehproduktionen. Das Projekt ADOPTED entstand 1997 in Sambia. Gudrun f. Widlok lebt in Berlin.

ADOPTED wurde u.a. auf folgenden Ausstellungen und Festivals präsentiert:

  • situaciones festival, 2001 Cuenca/Spanien
  • Familienbild, 2001 Berlin (NGBK)
  • goldrausch12, 2001 Berlin (Kunstraum Kreuzberg/Bethanien)
  • evolutionäre zellen - selbstbeauftragtes gestalten gesellschaftlicher perspektiven (Preisträgerin), 2002 Berlin (NGBK)
    reich & berühmt 2003, Berlin (Podewil)
  • garage 2003, Stralsund
  • FIT, Freie Internationale Tankstelle, 2003 Berlin
  • depot, 2004 Wien
  • mooimarkshow wien – johannesburg, 2005 Wien (Kunsthalle Exnergasse)
  • Kunstkreuz Friedrichshain, 2006 Berlin
  • emballage II, 2006 Braunschweig (Festival an der Kunsthochschule)

 

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Julia, 30 Barcelona
Lange war ich in einen Mann verliebt, der sich nicht richtig für mich entscheiden konnte. Drei Jahre ging das so. Ich habe alles mögliche versucht, um von ihm los zu kommen. Aber immer gab es Rückfälle. und wie das so ist mit Süchten – das habe ich einsehen müssen – schafft man es viel leichter, wenn man etwas anderes hat. Eine Freundin riet mir damals, ich solle mich für einen Patenschaftsplatz bewerben. So ist das alles gekommen. Ich bin den Mann endlich los und von der Familie längst nicht so abhängig wie von ihm. Die bekennen sich zu mir und damit bin ich frei.

Javier, 20, Burgos
Ewig bin ich nicht mehr vor die Tür gegangen. Ich wollte die da alle nicht sehen. Im Internet bin ich dann auf die Organisation aufmerksam geworden. Ich habe mich für die Patenschaft beworben und mir wurde eine Familie vermittelt. Und mit diesem Wissen im Kopf gehe ich nun wieder zu öffentlichen Veranstaltungen. Ich kann wieder Freunde treffen und fühle mich als soziales Wesen.

Toni, 35, Rotterdam
Immer wieder stecke ich im totalen Stress oder habe irgendeine Krise. Oft denke ich, dass alles nicht richtig läuft, oder, dass ich irgendwie was falsch mache. Da habe ich manchmal ein richtig schlechtes Gewissen, weil mein Leben so ist, wie es ist. Ich denke, ich müsste es anders machen. Ich weiß aber nicht wie, oder vielmehr, was falsch ist. Also lass ich mich adoptieren. Ein sicheres Bett! Leute, die eine Familie sind und dann plötzlich sind sie meine Familie. Ich bin erleichtert und glücklich. Ich muss sie auch gar nicht ständig treffen, sie sind einfach da. fertig. Sie fragen nicht, ob sie alles richtig machen, ob ihr Leben einen Sinn hat. Die Frage existiert überhaupt nicht. Sie machen einfach. Sie haben einen Sinn. Alleine dieses mir manchmal ins Gedächtnis zu rufen, ist nicht mehr wegzudenken. Ich brauche sie, sie brauchen mich nicht, doch daran denken sie nicht einmal. Ich bin das Patenkind und fertig. Keine langen Für- und Widerdiskussionen. Wenn ich es nicht mehr aushalte, fahre ich hin.

Ferdinand, 33, Paris
Ich habe jetzt das Gefühl, als könnte ich endlich zusammenhängend denken.

Roberta, 36, Berlin
Ich würde mich gerne nach Ungarn adoptieren lassen. Die Leute da sind so nett und die Landschaft ist wie Afrika, das gefällt mir. Arm sind die Leute da, aber sehr sehr herzlich. Von der Sprache verstehe ich auch kein Wort. Außerdem ist es näher.

Amy, 33, London
Lange Zeit war ich Hausfrau, verheiratet und hatte Familie. Aber die Enge und die Abhängigkeit haben mich fertig gemacht. Jetzt geht es mir besser. Ich bin getrennt von meiner leiblichen Familie und habe mich in Sambia adoptieren lassen. Dort muss ich auch nicht hinfahren, ich muss keine Briefe schreiben und mich um niemand sorgen. Ich habe Familie, gut zu wissen. nicht mehr und nicht weniger.

Manolo, 29, Paris
Im Moment lese ich total viel in Tagebüchern, Romanen, Reiseberichten, das läßt mich ziemlich viel tagträumen. Ich lese auch viel afrikanische Literatur und bin völlig gefangen und weggetreten. Diese Traum- und Fantasievorstellungen sind eigentlich intensiver als mein reales Leben. Wenn sich etwas im Kopf abspielt, tut es das auch im Herzen. Manchmal schmerzt das. Und das ist Glück. Mit der Patenfamilie ist es so. Sie ist meine eigene Familie, die mich glücklich macht, ich habe meine Familie nie gesehen. Das werde ich auch weiterhin so halten. Denn durch die Virtualität dieser Menschen erst kann ich echtes Glück empfinden.

Links

> Adopted Website

> Über Gudrun F. Widlok

Die Dokumentation wurde zusammengestellt von Gudrun F. Widlok

 

 

 

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Das ADOPTED Büro