Mehr als nur symbolische Politik? Was vom Nationalen Integrationsplan für Arbeit und Bildung zu erwarten ist

leeres verwüstetes Klassenzimmer

Von Karen Schönwälder

Ohne Zweifel: Integrationsgipfel und „Nationaler Integrationsplan“ gehören in eine Reihe von Fortschritten, die in Deutschland in den letzten Jahren im Umgang mit den Konsequenzen vergangener Einwanderungsprozesse gemacht wurden. Hatten SPD und Grüne die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts durchgesetzt, ist es nun die CDU, die die symbolische Anerkennung der durch Einwanderung geschaffenen Fakten befestigt hat.

Zwei Dinge haben Integrationsgipfel und „Nationaler Integrationsplan“ wohl jetzt schon bewirkt:

- Die Anerkennung von Migrantenorganisationen als Gesprächspartnern auf höchster Ebene hat diese politisch aufgewertet und wahrscheinlich sowohl in der Gesellschaft wie insgesamt unter den MigrantInnen den Bekanntheitsgrad und Einfluss einiger Migrantenpolitiker erhöht.

- Zweitens haben Integrationsgipfel und „Nationaler Integrationsplan“ öffentlich wirkungsvoll unterstrichen, dass – wie ja auch von der Bundeskanzlerin höchstpersönlich betont - die Integration der MigrantInnen ein zentrales politisches Anliegen ist und energisches Handeln erfordert.

Die Bedeutung einer solchen, zunächst einmal symbolischen Politik sollte nicht unterschätzt werden. MigrantInnen, die in Deutschland leben, empfinden es vielleicht als wichtiges Signal, wenn führende PolitikerInnen ihnen versichern, dass sie Teil dieser Gesellschaft sind und ein Anrecht auf Teilhabe an deren Gütern haben. Sie fühlen sich hoffentlich ermutigt, um diese Teilhabe zu kämpfen, sich in dieser Gesellschaft zu engagieren. Deutsche, die diesen Teilhabeanspruch bezweifeln und ihre Privilegien verteidigen wollen, haben es jetzt schwerer, sich auf politische Autoritäten zu berufen.

Staatliche Institutionen schließlich sind nun zumindest allgemein aufgefordert, die Integration der MigrantInnen voran zu treiben. Die hierfür Engagierten können sich ermuntert fühlen und mit dem Wind der offiziellen Regierungspolitik im Rücken in ihrem Bereich vielleicht mehr durchsetzen. Im Idealfall könnten sich Integrationsgipfel und Integrationsplan als Impulse erweisen, die Energien (und Mittel) freisetzen, Druck erzeugen und die Spielräume derjenigen, die bessere Lebenschancen für MigrantInnen erreichen wollen, vergrößern.

Ob der Nationale Integrationsplan mehr ist als symbolische Politik, muss sich noch erweisen. Anstelle einen knappen Plan mit, sagen wir, fünf bis zehn klaren, abrechenbaren und finanziell abgesicherten Zielvorgaben für das eigene Handeln festzulegen, entschied sich die Bundesregierung für die Vorlage eines 200 Seiten Konglomerats aus Analysen und Vorschlägen einer Reihe von Arbeitsgruppen, deren Verbindlichkeit unklar bleibt.

Ein wenig integrationsfähiges Bildungssystem

Im zentralen Bereich von Bildung, Ausbildung und Arbeitsmarkt enthalten vor allem die Abschnitte zur Bildung eine Fülle wichtiger Aussagen und wesentliche der von unterschiedlichen Akteuren in den letzten Jahren vorgetragenen Handlungsvorschläge. So hält der Arbeitsgruppenbericht fest, dass in Deutschland Bildungserfolge stärker als anderswo von sozialer Herkunft und Migrationshintergrund abhängen und dass es hier schlechter gelingt, Nachteile auszugleichen.

Etwas überraschend ist die starke Betonung eines negativen Einflusses von „Segregation“, vor allem, da hier etwas diffus sowohl hohe Anteile von Migrantenkindern in den Klassen als auch die eigentlich wohl viel wichtigere Trennung von Kindern unterschiedlicher sozioökonomischer Hintergründe angesprochen wird. Vielleicht ist dieser Absatz als hintergründige Kritik am dreigliedrigen Schulsystem zu lesen, das diese Trennung ja wesentlich befördert. Ausdrücklich wird dessen Überwindung nicht gefordert, ist aber letztlich Konsequenz der Forderung, „eine frühzeitige Auslese möglichst zu vermeiden“. Mehrfach hervorgehoben wird das positive Potential der Mehrsprachigkeit vieler Kinder aus Migrantenfamilien. Der Anspruch, Chancengleichheit zu gewährleisten, wird deutlich formuliert.

Die vorgetragenen Zielsetzungen und Interventionsrichtungen greifen wesentliche Punkte auf, die sowohl von Fachleuten als auch politisch für die Lebenschancen benachteiligter Migrantengruppen Engagierten für zentral gehalten werden: Gefordert wird ein Ausbau vorschulischer Bildungsangebote und der Ganztagsschulen. Die Bedeutung einer spezifischen Qualifizierung der Lehrkräfte, vor allem für eine Sprachförderung auch im Fachunterricht, wird ebenso hervorgehoben wie die der Zusammenarbeit mit den Eltern, für die den Migrantenorganisationen eine wichtige Rolle zugebilligt wird. Selbst die Rekrutierung von mehr LehrerInnen mit Migrationshintergrund und der Abbau von Diskriminierungen gehören zum Programm.

Vage Absichtserklärungen

Desillusionierend aber ist die Lektüre der vorgesehenen „Maßnahmen und Selbstverpflichtungen“: Der Bund zeigt sich im Bildungsbereich als so gut wie handlungsunfähig. Die Länder versprechen – wie der Bund – wenig verbindlich und wenig ehrgeizig, sich dafür einzusetzen, dass „demografiebedingt frei werdende Mittel“ „im Schwerpunkt“ für die Bildung genutzt werden; mehr kosten soll Bildung also weiterhin nicht. Über die Förderung der Mehrsprachigkeit will man nachdenken – während tatsächlich doch überall Ressourcen für eine Förderung der Herkunftssprachen zusammengestrichen wurden. Entschlossener wirkt die Absicht, Abbrecher- und Wiederholerquoten deutlich zu senken und Schulen mit hohen Anteilen benachteiligter SchülerInnen spezifische Mittel und besonders qualifiziertes Personal zur Verfügung zu stellen.

Arbeitsmarktintegration: noch viel Ratlosigkeit

Der Abschnitt zur beruflichen Ausbildung zeigt noch einmal deutlich, wie dramatisch die Ausgrenzung der Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist. Nur 5,3% der Auszubildenden waren 2005 (in den alten Bundesländern) AusländerInnen. In den letzten gut zehn Jahren wurden sie immer weiter verdrängt aus diesem Standardweg der qualifizierten nichtakademischen Berufsausbildung. Dass hier auch Diskriminierung (der Bericht nennt dies verschämt „mögliche Vorbehalte“) mitspielt, ist kaum zu bezweifeln. Daneben aber ist entscheidend, dass es insgesamt zu wenige Ausbildungsplätze gibt und dass in Zeiten erhöhter Konkurrenz schlechtere Schulabschlüsse stärker durchschlagen.

Auch über die Jugend hinaus fehlt eine klare Forderung nach einer „deutlichen Verbesserung der Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Migrationshintergrund“ nicht. Die Handlungsvorschläge zu Ausbildung und Arbeitsmarkt aber vermitteln nicht den Eindruck, dass so die ja nun keineswegs kleinen Probleme kleingekriegt werden können. Das liegt zum Einen daran, dass das Problem der Massenarbeitslosigkeit vor allem im Bereich der niedrig Qualifizierten eben nicht mit einigen, an sich noch so sinnvollen, Kursen zu bewältigen ist. Eine Angleichung der momentan unter AusländerInnen doppelt so hohen Arbeitslosenquote an die der Deutschen ist wohl nur im Zuge einer durchgreifenden Verbesserung der Beschäftigungssituation insgesamt zu erwarten.

Zum Anderen ist über das, was Trainings- und Fördermaßnahmen trotzdem leisten können, zu wenig bekannt, wurden über Jahre eine Fülle von Maßnahmen gefördert, ohne dass deren Wirkung umfassend evaluiert und neue Programme auf die Ergebnisse gestützt wurden. Letztlich aber gilt für Bildung und Arbeitsmarkt, dass die hier bestehenden Ungleichheiten Ausdruck ‚großer’ gesellschaftlicher Probleme sind. Es geht hier wesentlich (aber nicht nur) um die Perpetuierung sozialer Ungleichheit, um strukturelle Arbeitslosigkeit und die Ausgrenzung gering Qualifizierter. Wer wirklich gleiche Lebenschancen für MigrantInnen will, muss auch darüber diskutieren, ob diese Gesellschaft soziale Ungleichheit verringern und aktiv Arbeit schaffen will – Integrationsmaßnahmen speziell für Migranten werden nicht reichen.

Dennoch haben – unterhalb solcher Zielsetzungen - Bund, Länder und Kommunen etliche konkrete Handlungsmöglichkeiten, zum Beispiel als doch immer noch bedeutende Arbeitgeber, die zudem auch über die Auftragsvergabe auf weitere Arbeitgeber einwirken können. Im Integrationsplan findet sich immerhin eine recht deutliche Absichtserklärung der Bundesregierung, die sich „für eine systematische Erhöhung der Zahl von Auszubildenden mit Migrationshintergrund einsetzen“ will. Auch die Erweiterung der finanziellen Förderung von ausländischen Auszubildenden ist ein konkreter Schritt. Im allgemeinen Arbeitsmarktkapitel ist von einer adäquaten Repräsentanz von MigrantInnen unter den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes nicht die Rede. Die diffuse Aussage zur Einstellungspraxis vermittelt – wie auch andere Textstellen - den Eindruck, MigrantInnen sollten vor allem deshalb verstärkt rekrutiert werden, um eine ethnisch und sprachlich diverse Klientel öffentlicher Dienstleistungen adäquat bedienen zu können. Aber auch, wenn sie nicht mehrsprachig und interkulturell versiert sind, sollten sie einen Anspruch auf Gleichberechtigung haben. Den gut qualifizierten MigrantInnen wäre viel geholfen, wenn ihre Ausbildungsabschlüsse unproblematischer anerkannt würden.

Gleichstellungsgesetz: Kaum verabschiedet, schon vergessen?

Kurios ist, dass im gesamten Integrationsplan das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) keine Rolle spielt und die neue, für dessen Umsetzung verantwortliche Stelle weder als relevanter Akteur auftaucht noch an den Gesprächen beteiligt war. Dabei könnte doch das Gesetz und dessen Umsetzung eine wichtige Funktion haben u. a. im Sinne der Bewusstseinsbildung für existierende Benachteiligungen; die Gleichstellungsstelle Diskriminierungen anklagen und eine auf Chancengleichheit zielende Politik vorantreiben.

Internationale Erfahrungen verweisen darauf, dass die Vorgaben eines Antidiskriminierungsgesetzes einem guten Willen zu Integration und Diversity-Politik den nötigen Nachdruck verleihen können. Wie britische und amerikanische Untersuchungen zeigen, entfalten etwa in Betrieben Absichtserklärungen allein – auch wenn sie in offiziellen Diversity Charters festgehalten werden - wenig Wirkung. Konkrete Festlegungen zur Förderung von Minderheitenangehörigen, deren Überprüfung durch ein Monitoringsystem und eine hoch angesiedelte Verantwortlichkeit sind unbedingt notwendig, um einer Gleichberechtigung näher zu kommen. Viele der im Integrationsplan festgehaltenen Ziele bedürfen genau dieser Konkretisierung.

Integrations- und Desintegrationspolitik

Völlig fehlen im Integrationsplan Fragen des Zugangs zum Arbeitsmarkt und die Gesamtproblematik der MigrantInnen ohne Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung. In den Diskussionen der Arbeitsgruppe wurden hierzu von den Gewerkschaften, der Caritas und Professor Ingrid Gogolin Forderungen vorgetragen (nachlesbar in einem Dokumentationsband). Sie waren offensichtlich nicht konsensfähig. Nicht zuletzt diese klaffende Lücke verdeutlicht, dass die Integrationspolitik der Bundesregierung eine selektive Integrationspolitik ist, die begleitet wird von einer systematischen Desintegrationspolitik gegenüber bestimmten Gruppen, vor allem Flüchtlingen und ohne Genehmigung in Deutschland lebenden und arbeitenden AusländerInnen.

Problematisch ist auch, dass die Bundesregierung den hier dauerhaft lebenden MigrantInnen gegenüber unterschiedliche Akzente setzt. Mit der erneuten Verschärfung des Staatsangehörigkeitsrechts wird die symbolische Politik pro Zugehörigkeit konterkariert und den MigrantInnen erneut signalisiert, dass sie eben nicht mit offenen Armen in die politische Gemeinschaft aufgenommen werden. Eine soziale Spaltung zwischen auch politisch integrierten MigrantInnen einerseits und sozial wie politisch Ausgeschlossenen andererseits wird durch das Staatsangehörigkeitsrecht befördert.

„Konzertierte Aktion“ in der Integrationspolitik

Streiten lässt sich schließlich auch über die Effekte der „Konzertierten Aktion“ als die Integrationspolitik momentan betrieben wird. Eine Debatte über die Ziele von „Integration“ ist so zunächst einmal stillgelegt. Das hat zwar angesichts der gelegentlich ermüdenden Wiederholung alter Argumente seine Vorteile, in Kauf genommen wird aber, dass im Integrationsplan eine im Grunde assimilationistische Zielsetzung vorgetragen wird.

Integration, so heißt es in der Erklärung des Bundes, erfolge auf der Grundlage nicht nur des Grundgesetzes (bzw. der so genannten „freiheitlich demokratischen Ordnung“), sondern auch „unserer“ Wertvorstellungen und „unseres“ kulturellen Selbstverständnisses – was immer dies sei. Andererseits steht die wiederholte positive Hervorhebung der Mehrsprachigkeit ebenso wie der Bedeutung von Migrantenorganisationen eher für eine Politik der Pluralität.

Die Präsentation des Integrationsplans als gemeinsames Projekt des Staates und einer Reihe zivilgesellschaftlicher Akteure könnte den gesellschaftlichen Konsens erhöhen, aber auch Verantwortlichkeiten verwischen und kritische Potentiale binden. Ohne den Druck einer kritischen Öffentlichkeit aber, wird wohl kaum aus Absichtserklärungen wirkungsvolles Handeln werden.

November 2007

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Dr. Karen Schönwälder leitet seit 2003 die Arbeitsstelle „Interkulturelle Konflikte und gesellschaftliche Integration“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Ihre Forschungsschwerpunkte: Integrations- und Antidiskriminierungspolitik.