each one teach one

von Kutlu Yurtseven

Eigentlich wollte ich nie Lehrer werden! Ich bin Rapper, Musiker und wollte nie etwas anderes werden. Nebenbei habe ich Anglistik und Geschichte studiert. Dann bekam ich von der Jazzhausschule Köln den Auftrag, in Köln-Mülheim einen Rap-Workshop zu geben. Es gab eine ganze Reihe Rap-Workshops in der Jazzhausschule, ich aber wurde in den sozialen Brennpunkt geschickt. Wahrscheinlich weil ich als Türke dafür besonders geeignet sein muss. Von da aus ging es weiter, von Brennpunkt zu Brennpunkt, bis ich schließlich an einer Schule in Gelsenkirchen gelandet bin.

Tatsächlich nehmen mich die Jugendlichen sehr schnell als Bezugsperson an, sehen mich als einen der ihren an. Mehr aber noch bin ich für sie der lebende Beweis, dass man es schaffen kann. Dass sie es schaffen können, auch wenn Schule und Medien ihnen immer wieder zu verstehen geben, dass sie nichts können, dass sie nichts wert sind. Und die Mehrzahl ihrer LehrerInnen scheint das wirklich zu glauben, warum sonst sollten sie so erstaunt sein über die Rap-Texte ihrer SchülerInnen, die in meinen Workshops entstehen, über den Fleiß und die Leistungsbereitschaft ihrer SchülerInnen, die sie doch eigentlich viel besser kennen müssten als ich.

Manchmal kommen mir die Jugendlichen in meinen Workshops vor wie meine Freunde von damals. Dann wieder frage ich mich, ob die gegenwärtigen Verhältnisse es überhaupt noch zulassen, dass es einer wie ich schaffen kann, ein Junge aus einer türkischen Arbeiterfamilie. Meine Grundschullehrerin damals wollte mich übrigens auf die Hauptschule schicken, weil ich neben 1ern und 2ern auch eine einzige 4 im Zeugnis hatte, in Schönschreiben! Leider ist diese Missachtung durch meine Lehrerin kein Einzelfall:

Bildungschancen von MigrantInnenkindern

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Sie hat mir auch später immer wieder gesagt, wenn wir uns auf der Straße trafen, dass es nicht schlimm sei, wenn ich das Abitur nicht schaffe. Mein Vater hat dann durchgesetzt, dass ich dennoch Abitur machen konnte.

Die gepackten Koffer

Ich hatte eine sehr schöne Kindheit und Jugend in Köln–Flittard und hab mich immer als "ne kölsche jung" angesehen. Es hat trotzdem fast 20 Jahre gedauert bis ich meine Koffer auspacken durfte. Meine Eltern träumten nämlich bis zu meinem Abitur von der Rückkehr in die Heimat. Sie hatten sich ein Grundstück in der Türkei gekauft, ein Haus gebaut und eigentlich genug Geld gespart, trotzdem haben sie diesen Traum nie realisiert.

Warum sind wir nicht zurückgekehrt? Zunächst war es mein Bruder der seine Ausbildung zum Gießer abschließen sollte. Dann wollte ich unbedingt mein Abitur machen. Natürlich glänzten meinem Vater die Augen bei diesem Gedanken: ein gebildeter Junge aus einer türkischen Arbeiterfamilie, das gab es damals nicht so oft. Dann sollte aber auch Schluss sein, dann sollten wir alle zurück in die Heimat.

Heimat - das war für mich Köln, aber auch Istanbul. Es ist diese unerträgliche Leichtigkeit, aus zwei Kulturen zu schöpfen. Was sich so romantisch anhört, hat mich zunächst daran gehindert, hier in Köln richtig anzukommen und mich hier wirklich zu Hause zu fühlen. Das Leben hier schien ja zeitlich begrenzt. Was man mir auch von anderer Seite deutlich zu verstehen gab. Als ich nämlich mit 16 Jahren meinen türkischen Pass samt Aufenthaltserlaubnis abholte, wies mich der zuständige Beamte mit drohendem Unterton darauf hin, dass sie mich ganz schnell ausweisen, sobald ich mir etwas zu Schulden kommen ließe.

Dann habe ich meine Zulassung zur Uni bekommen, und da war auch für meinen Vater klar, dass es kein Zurück mehr gibt. Wohin auch sollte es zurückgehen? In ein Land, aus dem er vor 25 Jahren ausgewandert war? In dem er noch einmal ganz von vorn hätte beginnen müssen? In der Zwischenzeit hatte mein Bruder geheiratet, und das erste Enkelkind war da, die Wurzeln unserer Familie hatten sich schon längst in Köln verankert, ohne dass es der Stamm richtig erkannt hatte.

Sen Türksün Almanyali – Du bist ein Türke, Deutschländer

'Sen Türksün Almanyali', dieses Lied der Gruppe Cartel hat Anfang der 1990er das Lebensgefühl einer ganzen Generation von Türken auf den Punkt gebracht. Hier sind wir TürkInnen, in der Türkei werden wir DeutschländerInnen genannt. Wir fühlen uns beiden Ländern zugehörig, und gehören doch nirgendwo richtig dazu. "Du bist Türke, Deutschländer!", das war der Slogan, der unsere Zerrissenheit zum Ausdruck brachte.

Überhaupt Rap-Musik, HipHop war unsere Kultur, eine Kultur von Jugendlichen für Jugendliche, und vor allem ein Sprachrohr, um unsere Wut, Aggression, Trauer aber auch die Schönheit vom Leben zwischen zwei Kulturen auszudrücken. Das war in der Anfangszeit nicht immer einfach, weil wir kaum Vorbilder hatten, also haben wir uns hingesetzt und einfach ausprobiert:

Schreiben

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Wortschatz 1

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Wortschatz 2

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Song "Die Söhne der Gastarbeiter" (1)

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Song "Die Söhne der Gastarbeiter" (2)

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Song "Die Söhne der Gastarbeiter" (3)

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Song "Die Söhne der Gastarbeiter" (4)

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HipHop war unser eigenes Ding, eine Kultur fernab von den Regeln, den Traditionen, Religionen und Lebensweisen, die wir tagtäglich mischen, und mit denen wir zu Recht kommen mussten.

Mölln, Solingen und der braune Mob

"damals hieß man uns willkommen mit pauken und trompeten
die Musik ist verstummt, und heute hört man sie nur reden,
dass wir uns in Deutschland nicht so recht integrieren,
ist es integration, wenn häuser brennen und sie applaudieren?“
Microphone Mafia - 'Denkmal'

Im Mai 1993 stecken Neo-Nazis in Solingen ein von TürkInnen bewohntes Haus in Brand. Fünf Menschen kommen bei dem Anschlag ums Leben. Es folgten die Anschlägevon Mölln und Hoyerswerda. Da haben viele gespürt, dass es Menschen gibt, die keine AusländerInnen, GastarbeiterInnen oder ImmigrantInnen (egal wie man sie nennt) in Deutschland haben wollen. Diese Anschläge führten dazu, dass sich immer mehr ImmigrantInnen zurückzogen und ihrerseits pauschalisierten: Deutsche sind Nazis, die uns hassen. Und wir müssen zusammenhalten, damit es nie wieder zu solchen Anschlägen kommt.

Es entstanden starke subkulturelle Strukturen, die Distanz zum deutschen Alltag wurde größer. Und das bekommen unsere Kinder heute zu spüren. Sie sind hier geboren, die Träume von einer Rückkehr in die Heimat sind ausgeträumt. Sie werden für immer hier leben und trotzdem fühlen sie sich nicht zugehörig hier in Deutschland. Dieses Gefühl frustriert, und es macht äußerst aggressiv.

Ich kenne das von mir. Ich hatte lediglich Glück, dass ich zwar Eltern hatte, die 10 Stunden am Tag gearbeitet haben, die aber trotzdem ihre Söhne unterstützen konnten und wollten, nicht mit materiellen Werten, sondern mit Ausflügen, Einsatz in der Schule und Zusammenhalt. Und für die es nichts Schöneres gab, als ihre Kinder lächeln zu sehen. Und ich hatte immer ein Ziel. Wer kein Ziel vor Augen hat, hat auch nichts zu verlieren!

each one teach one

Was mir damals geholfen hat, diese Aggression kreativ zu nutzen, war die RapMusik. Diesen Ausweg gibt es heute nur noch bedingt, weil die großen und bekannten Vorbilder selbst Gewalt predigen. Und die Medien nehmen es bereitwillig auf.

Aufschrei in Deutschland

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Rap-Name Stan

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Also werden weiter Geschichten von Gewalt und Kriminalität erzählt, weil das momentan der einzige Weg scheint, Aufmerksamkeit zu bekommen. Die Leidtragenden kommen aus der nächsten Generation.

Rap als Vorbild oder als Abbild der Realität?

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Wenn ich mir die Jugendlichen in meinen Workshops anschaue: eigentlich haben sie dieselben Voraussetzungen und Chancen, wie ich sie hatte vor 20 Jahren. Und doch scheint ihr Blick auf die Zukunft ein ganz anderer. Für meine Generation waren es die GrundschullehrerInnen, der Mann vom Amt und die Anschläge von Solingen und Mölln, die uns durch kleinere und größere Schläge ausgrenzten und das Gefühl vermittelten, hier in diesem Land nicht willkommen zu sein.

Für die Jugendlichen von heute sind es weniger einzelne Ereignisse, sondern vielmehr ein generelles Gefühl, die immer wiederkehrende Prophezeiung, dass man es nicht schaffen wird, dass man nichts wert ist.

Dezember 2008

Bild entfernt.

Kutlu Yurtseven ist gemeinsam mit Rossi und Oender als Microphone Mafia seit Ende der 1980er Jahre in der europäischen HipHop-Szene aktiv. Als Rapper und Musiker hat er zahlreiche Schul- und Jugendprojekte initiiert.