Gesundheit und Gesundheitsversorgung lesbischer und schwuler MigrantInnen in Deutschland

von Gabriele Dennert

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Migration bedeutet mehr als die Überwindung von Landesgrenzen. Der Prozess des Ankommens in der neuen Gesellschaft setzt die Überwindung etlicher weiterer Barrieren voraus. Sowohl aus der Sicht der Gesellschaft als auch aus der Perspektive des migrierten Individuums spielt die Frage der „Gesundheit“ dabei eine wesentliche Rolle: Zum einen haben Migrationserfahrungen Auswirkungen auf die persönliche körperliche und psychische Gesundheit, zum anderen ist der gleiche Zugang zur Gesundheitsversorgung für alle BürgerInnen eine zentrale Frage gesellschaftlicher Ein- und Ausschlüsse. Dies wird besonders wichtig, wenn es um die Situation von MigrantInnen geht, die als Lesben und Schwule einer weiteren Minderheit angehören.

Recht auf Gesundheitsversorgung ohne Diskriminierung

Im Artikel 35 der „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“ heißt es: „Jede Person hat das Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und auf ärztliche Versorgung nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“ (Europäische Union 2000, 16). Gleichberechtigter Zugang zu einer fachgerechten Gesundheitsversorgung soll die Grundlage für gute Gesundheit aller BürgerInnen schaffen, die als eine Voraussetzung für die Teilhabe am sozialen, wirtschaftlichen und politischen Leben angesehen wird. Artikel 21 derselben EU-Grundrechtecharta verbietet folgerichtig die Diskriminierung, unter anderem aufgrund von Geschlecht, ethnischer oder sozialer Herkunft und auch der sexuellen Orientierung.

Lesben und Schwule mit Migrationshintergrund

Lesbische und bisexuelle Frauen, schwule und bisexuelle Männer sind Teil der weltweiten Migrationsbewegungen. Unter den 15,3 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland (Mikrozensus 2005, vgl. Berens, Spalek, & Razum, 2008) befinden sich, wenn man die übliche Schätzung von 5% Homosexueller zugrunde legt, ungefähr 765.000 Lesben und Schwule. Zwei Drittel der 15,3 Millionen MigrantInnen sind selbst eingewandert, ein Drittel stammt aus migrantischen Familien – über die Hälfte sind deutsche Staatsangehörige. Hinzu kommen noch Lesben und Schwule, die als sog. irreguläre MigrantInnen mangels Aufenthaltstitel in den Statistiken nicht geführt werden.

Aufgrund der Marginalisierung lesbischer und schwuler Lebensweisen und von MigrantInnen, werden die Anliegen und Bedürfnisse von migrierten Lesben und Schwulen gesellschaftlich kaum wahrgenommen und diskutiert. Dabei kommt Fragen der gesellschaftlichen Inklusion und Partizipation in Zeiten der kulturellen Pluralisierung – sei es durch Migrationsprozesse oder die Diversifizierung von sexuellen Lebensweisen und Geschlechterrollen – eine große Bedeutung für soziale Gerechtigkeit und Kohäsion einer Gesellschaft zu. Das Gesundheitswesen ist hierfür ein zentraler Ort: „Gesundheitssysteme und all ihre beteiligten Personen und Kräfte können genauso analysiert werden im Hinblick auf deren Auswirkung auf die Würde des Menschen, Gleichheit und Freiheit wie im Hinblick auf die Fähigkeit, Krankheiten zu verhindern und zu behandeln.“ (Fabeni & Miller, 2007, 93; Übersetzung G.D.)

Lesben und Schwule im Migrationsprozess

Migration und das nachfolgende Ankommen in der neuen Gesellschaft sind wichtige Erfahrungen in der persönlichen Biographie und eröffnen neue Lebensmöglichkeiten, die geschlechtsspezifisch geprägt sind (Espin, 1997). Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten, Berufstätigkeit und die Anforderungen an die persönliche Rolle im öffentlichen wie privaten Raum verändern sich. Das Coming Out als Lesbe oder Schwule mag vor der Migration geschehen oder danach erlebt worden sein oder sogar die treibende Kraft hinter dem Migrationswunsch gewesen sein. Immer ist eine Integration von verschiedenen Erfahrungen, gesellschaftlichen, familiären und sozialen Anforderungen im persönlichen Lebensentwurf nötig.

Dabei sehen sich lesbische Migrantinnen und schwule Migranten einerseits von fördernden Einflüssen – z.B. möglicherweise verbesserten Bildungschancen für Mädchen, der Möglichkeiten einer eigenständigen Berufstätigkeit für Frauen oder das Vorhandensein einer lesbisch/schwulen Subkultur – unterstützt. Anderseits werden sie auch durch Diskriminierung in Form von Rassismus, Sexismus oder Ablehnung gegenüber Homosexuellen behindert.

Die Situation verfolgter Lesben und Schwuler im Asylverfahren

Die wenigsten Lesben und Schwulen, die nach Deutschland einwandern, migrieren auf der Flucht vor Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. Aufgrund ihrer besonderen rechtlichen und sozialen Lage stellen Lesben und Schwule im und nach dem Asylverfahren jedoch eine Gruppe dar, bei der hoher Bedarf für Verbesserungen der Lebenssituation besteht.

Häufig Verfolgung – selten Asyl

Prinzipiell besteht die Möglichkeit, dass verfolgten Lesben und Schwulen in Deutschland Asyl gewährt wird – sie also einen Aufenthaltsstatus erlangen können. Eine kleine Anfrage im Bundestag im Jahr 2006 hat ergeben, dass beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) keine Statistik geführt wird, Homosexualität nach Einschätzung des BAMF “eher selten“ im Asylverfahren als Begründung vorgebracht wird (Bundesregierung, 2006).

Leider ist dies kein Hinweis darauf, dass die Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung und Lebensweise weltweit nur selten auftritt: In 7 Ländern und Regionen wird männliche und/oder weibliche Homosexualität mit der Todesstrafe bestraft, in weiteren 92 Ländern strafrechtlich verfolgt (ILGA, 2008). Hinzu kommen Verfolgung und Gewalt durch nicht-staatliche Gruppierungen bis hin zur eigenen Familie, deren Ausmaß teilweise enorm ist: So gaben in einer südafrikanischen Befragung 10% der Schwarzen und 4% der weißen Lesben an, alleine im Zweijahreszeitraum 2002/03 sexuelle Gewalt erlebt zu haben (ILGA, 2006).

Barrieren für Lesben und Schwule auf der Flucht

Die bekannten Hürden, denen sich Frauen, Männer, Jugendliche und Kinder auf der Flucht und im Asylverfahren gegenüber sehen, nehmen für Lesben und Schwule eine spezifische Gestalt an:

  • Menschen im Asylverfahren sind auf die Zusammenarbeit und die Unterstützung durch Mitflüchtlinge angewiesen, um an Informationen zu gelangen und sozialer Isolation entgegenzuwirken. Wenn ihre Homosexualität bekannt wird, riskieren sie ablehnende Reaktionen und sozialen Ausschluss.
  • Die Unterbringung in Flüchtlingsunterkünften, teilweise in Mehrbettzimmern, setzt Schwule und Lesben in hohem Maße dem Risiko von Gewalt durch andere BewohnerInnen und auch das Personal aus (zum Thema sexuelle Gewalt gegen Frauen durch Personal vgl. Das Lagersystem macht sexuelle Ausbeutung möglich). 
  • Die Anforderung des Asylverfahrens, in Asylantrag und Anhörungsverfahren stimmige und offene Angaben zu ihrer Verfolgungsgeschichte machen zu können, stellt eine große Barriere dar für Menschen, die oft selbst ihre sexuelle Identität aufgrund der erlebten gesellschaftlichen Ausgrenzung nicht akzeptieren können. Zudem setzt sie ein Konzept von homosexueller Identität voraus, das zwar in Mitteleuropa verbreitet ist, jedoch nicht mit Selbstkonzepten und Identitäten der Ursprungskultur übereinstimmen muss (Castro Varela, 1999).
  • Für Frauen sind weltweit die Möglichkeiten für ein unabhängiges Leben außerhalb einer Ehe mit einem Mann und das Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper und ihre Sexualität eingeschränkt (Rothschild, 2005). Viele Menschenrechtsverletzungen an Lesben – von der Psychiatrisierung, dem Ausschluss vom Erwerbsleben, über familiäre Gewalt bis zur Zwangsverheiratung durch die Familie – bleiben undokumentiert und werden nicht als solche anerkannt.

Problematische Rolle der Sexualmedizin: „Irreversible“ Homosexualität

Spezifisch für Männer und Frauen, die Asyl wegen Verfolgung aufgrund ihrer homosexuellen Orientierung beantragen, ist das Begutachtungsverfahren zur „Glaubhaftmachung“ des Fluchtgrundes. Sie können nur dann Asyl erhalten, wenn ihre Homosexualität „irreversibel“ ist eine „unentrinnbare schicksalhafte Festlegung auf homosexuelles Verhalten bzw. Triebbefriedigung“ vorliegt (LSVD 2009). Oft werden deshalb sexualmedizinische Gutachten vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eingefordert, die Asylbewerberinnen selbst bezahlten müssen (Frank, 2009). 

Das Medizinsystem nimmt hier – bei gleichzeitig fehlendem Zugang zu einer psychotraumatologischen Versorgung – für Lesben und Schwule im Asylverfahren eine höchst problematische Position ein.

Migration – sexuelle Orientierung – Gesundheit

Soziale Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten haben direkte Auswirkungen auf die Gesundheit von Frauen und Männern und greifen damit in den körperlichen und seelischen Nahbereich von Menschen ein. Dies beeinflusst wiederum ihre Möglichkeiten zur individuellen Lebensgestaltung und auch gesellschaftlichen Partizipation. Lesben und Schwule sind in etlichen Studien und Veröffentlichungen als unter- und fehlversorgte Gruppe im Gesundheitswesen identifiziert worden mit erhöhten Gesundheitsrisiken, insbesondere im Bereich psychischer Gesundheit und Suchterkrankungen, und einem speziellen Versorgungsbedarf z.B. in der HIV-Prävention und Therapie. Auch werden Lesben und Schwule von Präventions- und Früherkennungsangeboten in der Regel weniger erreicht – sei es durch Nichtraucherkampagnen oder der Krebsfrüherkennung. (Gay and Lesbian Medical Association, 2001).

Nancy Krieger hat beschrieben, wie soziale Ungleichheiten in den Körper und die Psyche „eingeschrieben“ werden und Krankheit sowie Gesundheit von Gruppen und Individuen beeinflussen (Krieger, 2005). Ethnizität, Migrationserfahrung, sozioökonomische Position und Geschlecht interagieren als soziale Determinanten von Gesundheit – und in der Folge findet sich ein deutlicher Gradient im Gesundheitszustand zwischen gesellschaftlich privilegierten und marginalisierten Gruppen (Davey Smith, 2003).

Minoritäten-Stress durch Homophobie

Für Lesben, Schwule und andere sexuelle Minderheiten liegt mit dem Minoritäten-Stress-Modell (Meyer, 2007) ein theoretisches Verständnis vor, wie Diskriminierung und Vorurteile gegen Menschen mit einer nicht-heterosexuellen Orientierung als Stressoren auf die psychische Gesundheit von Lesben und Schwulen wirken. Stressoren sind Herausforderungen an Einzelne, die kurzzeitig oder dauerhaft sein können, und einen Energieaufwand bei der Bewältigung erfordern – oder auch die persönlichen Bewältigungsmöglichkeiten überfordern können. Minoritätenstress erfordert demnach dauerhaft eine höhere Bewältigungsleistung von Lesben und Schwulen mit möglichen negativen Folgen für die psychische und körperliche Gesundheit.

Die von Meyer konzeptualisierten Ebenen des Minoritäten-Stresses für Lesben und Schwule werden wesentlich durch das soziale Umfeld – und damit z.B. auch durch eine Migrationserfahrung und deren Auswirkungen – mediiert. Diese Ebenen sind (1) Erfahrungen von Diskriminierung und Gewalt, (2) die Befürchtung von Diskriminierungs- und Gewalterlebnissen, (3) das Verbergen der eigenen sexuellen Orientierung und Lebensweise und (4) die Verinnerlichung negativer gesellschaftlicher Bewertungen über lesbische und schwule Lebensweisen.

Psychosoziale Situation von lesbischen und schwulen MigrantInnen

Für Lesben und Schwule mit Migrationshintergrund kann dies bedeuten, dass sie für ihre unterschiedlichen Lebenszusammenhänge verschiedene Formen von Bewältigungshandeln entwickeln müssen, die sich auch widersprechen können: So kann eine lesbische Frau sich in ihrer migrantischen Community entscheiden, ihre Lebensweise nicht zu thematisieren und damit unsichtbar zu bleiben, während sie in der – von der Mehrheitskultur dominierten – Lesben-Community darum kämpfen muss, als Migrantin und Lesbe wahr- und ernstgenommen zu werden.

Auf der anderen Seite kann ein Migrationsprozess eine starke Ressource für ein erfolgreiches Coming Out sein (Escalona Zerpa, 2007) – und damit zur körperlichen und psychischen Gesundheit beitragen (Wolf, 2004).

Saideh Saadat (Saadat, 2001) hat als migrantinnenspezifisches Thema in der Lesbenberatung einerseits Schwierigkeiten mit dem Coming Out in der Herkunftsfamilie – mit möglichen Folgen wie soziale Isolation – und andererseits die Suche nach Kontakt zu lesbischen Migrantinnen und einem Ort für einen Austausch innerhalb der Ursprungskultur beschrieben.

Daten zur Gesundheitslage von lesbischen und schwulen MigrantInnen

MigrantInnen stellen international innerhalb der wachsenden Forschungslandschaft zu Lesben- und Schwulengesundheit eine bisher vernachlässigte Gruppe dar (Gay and Lesbian Medical Association, 2001). In einer US-amerikanischen Studie von Mays (Mays, Yancey, Cochran, Weber, & Fielding, 2002) zeigte sich z.B., dass Lesben innerhalb ethnischer Minoritäten und migrantischer Gruppen mehr gesundheitliches Risikoverhalten zeigten und weniger von Vorsorgeprogrammen erreicht wurden als heterosexuelle Frauen dieser Minderheiten.

Nur wenige Forschungsergebnisse für Deutschland

An der einzigen bisher verfügbaren Befragung lesbischer Frauen in Deutschland zu ihrer Gesundheitssituation (Dennert, 2005) nahmen auch 8% Migrantinnen der ersten und zweiten Generation teil (44 von 578 Befragten). Sie unterschieden sich in psychischer und körperlicher Gesundheit, Inanspruchnahme der Gesundheitsversorgung oder Gesundheitsverhalten nicht von den Frauen ohne Migrationserfahrung. Aufgrund der Studienmethodik können keine Aussagen getroffen werden, ob und inwiefern die Lebenssituation als lesbische Migrantin einen Einfluss auf die psychische oder körperliche Gesundheit hat. Aber es ist festzuhalten, dass es offensichtlich etliche lesbische Migrantinnen gibt, die Zugang zur lesbischen Community und zu Ressourcen für ihre Gesundheitsförderung und -aufrechterhalten gefunden haben. Es wäre spannend und bedarf weiterer Forschung, zu erfahren, wie ihnen dies in einer Situation der mehrfachen Marginalisierung gelingt.

Die Migrantinnen in der Lesbenbefragung hatten genauso häufig Diskriminierung und Gewalt im Gesundheitswesen erlebt und ihre Zufriedenheit mit ÄrztInnen war ähnlich groß wie bei den Nicht-Migrantinnen. Insgesamt outeten sie sich weniger häufig als nicht-migrantische Lesben – und sahen sich in der Folge auch tendenziell weniger aufgrund ihrer sexuellen Orientierung in der Gesundheitsversorgung diskriminiert. Lesben mit Migrationshintergrund gaben für alle Bereiche – der Herkunftsfamilie, den Arbeitsplatz und die Gesundheitsversorgung vom Hausarzt bis zur Psychotherapeutin – an, weniger offen als Lesben aufzutreten. Sie gaben auch mehr Gründe an, die sie von einem offenen Auftreten im Gesundheitswesen abhielten, insbesondere die Befürchtung, Dritte könnten von Ihrer Homosexualität erfahren. Obwohl die befragten Migrantinnen genauso viel sexuelle Erfahrungen mit Frauen und sogar etwas weniger mit Männern hatten als die nicht-migrierten Frauen, bezeichneten sie sich selbst doppelt so häufig als bisexuell.

Männer, die Sex mit Männern haben, und HIV

Differentielle Einflüsse von Migrationserfahrung und Lebensweise auf die Gesundheit werden auch bei schwulen Männern deutlich. Hier liegen Daten vor allem für den Bereich der HIV/Aids vor. Die neuerfassten Infektionen mit HIV steigen seit 2001 wieder an, überproportional bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM). Laut Robert-Koch-Institut entspricht zwar der Anteil von nichtdeutschen MSM mit neuerfasster HIV-Infektion ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung, jedoch unterscheidet sich die Verteilung der Herkunftsländer davon. Nichtdeutsche, HIV-infizierte MSM stammen bevorzugt aus westeuropäischen Ländern, Nord- und Südamerika (Robert-Koch-Institut, 2006).

Forderungen an eine akzeptierende Gesundheitsversorgung

Diskriminierungsfreie Versorgung

Lesben und Schwule sehen sich etlichen Barrieren im Gesundheitswesen gegenüber, die ihren Versorgungszugang behindern. Insbesondere mangelndes Fachwissen zu lesben- und schwulenspezifischen Fragestellungen, Diskriminierung und Homophobie seitens der MedizinerInnen und eine Unterversorgung mit akzeptierenden Versorgungsangeboten wurden als Probleme identifiziert (Dennert & Wolf, 2009). Lesben und Schwule verhandeln und entscheiden deshalb – soweit möglich – in Situationen, in denen sie besonders verletzlich sind, ob und wie sie sich outen – und die Situation, in einer gesundheitlich bedürftigen Lage und auf Versorgung angewiesen zu sein, ist eine solche.
Die oben dargestellten Ergebnisse unterstützen die Annahme, dass bei lesbischen und schwulen MigrantInnen dieser Aushandlungsprozess spezifisch verläuft: Die Bedenken, sich zu outen sind größer – Versorgungssituationen müssten für sie also erkennbar sicher vor homophoben und rassistischen Diskriminierungen sein, um ein offenes Auftreten und damit den Zugang zu einer adäquaten Gesundheitsversorgung zu ermöglichen.

Fachwissen und –kompetenz fördern

Um lesbische und schwule MigrantInnen nicht-diskriminierend und qualitativ hochwertig medizinisch und psychotherapeutisch zu versorgen, bedarf es eines spezifischen Fachwissens und kommunikativer und interpersoneller Kompetenz bei BehandlerInnen. Hierzu erscheint es sinnvoll, bereits in Ausbildungsgänge und Studiengänge die notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln.

Zielgruppenspezifische Angebote ausbauen

Für lesbische und schwule MigrantInnen gibt es kaum zielgruppenspezifische Angebote. Die Lesbenberatung Berlin erhielt auf 55 Anfragen bei MigrantInnenprojekten in Berlin zu Beratungsmöglichkeiten für Lesben nur 2 Antworten und konstatierte: „Lesbische Migrantinnen werden in unserem psychosozialen Versorgungssystem nicht mitgedacht.“ (Saadat, 2001). Auch die online-Plattform der Deutschen Aids-Hilfe  zur HIV-Prävention bei Männern, die Sex mit Männern haben, entbehrt gegenwärtig noch Rollenmodelle mit Migrationshintergrund.

Neben der Berücksichtigung von lesbischen und schwulen MigrantInnen den bestehenden Versorgungsstrukturen bedarf es eines Ausbaus spezialisierter Angebote. Dies nicht nur eine Förderung von zielgruppenspezifischen Angeboten, sondern auch eine verstärkte interkulturelle Öffnung des Gesundheitssystems für Fachkräfte mit Migrationshintergrund. Sonderbedarfszulassungen für PsychotherapeutInnen mit verschiedenen Sprachkenntnissen und einer Qualifizierung für lesbische und schwule Belangen erscheinen als eine mögliche und sinnvolle Maßnahme.

April 2009

Literatur

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  • Bundesregierung (2006). Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Sevim Dagdelen, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. - Drucksache 16/1824 - Die rechtliche Situation homosexueller Flüchtlinge in Deutschland und die Lage der Bürger- und Menschenrechte von Lesben, Schwulen und Transsexuellen in Afghanistan, Iran und Irak (Drucksache 16/2142). Deutscher Bundestag.
  • Castro Varela, M. d. M. (1999). Queer the Queer! Queer Theory und politisch Praxis am Beispiel Lesben im Exil. In Lesbenleben quer gelesen. beträge zur feministischen theorie und praxis 52, 29-40.
  • Davey Smith, George (Hrsg.): Health inequalities. Lifecourse approaches (2003). Bristol: The Policy Press.
  • Dennert, G. (2005). Die gesundheitliche Situation lesbischer Frauen in Deutschland. Herbolzheim: Centaurus. 
  • Dennert, G. & Wolf, G. (2009). Gesundheit lesbischer und bisexueller Frauen. Zugangsbarrieren im Versorgungssystem als gesundheitspolitische Herausforderung. Femina Politica, 1/2009 (in print).
  • Escalona Zerpa, Martha: Die Sichtbarkeit lesbischer Migrantinnen in der BRD. In G.Dennert, C. Leidinger, & F. Rauchut (Eds.), In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben. 302-303. Berlin: Querverlag.
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  • Europäische Union: Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2000). (2000/C 364/01).
  • Fabeni, S. & Miller, A. M. (2007). The Importance of Being Perverse: Troubling Law, Identities, Health and Rights in Search of Global Justice. In I.H.Meyer & M. E. Northridge (Eds.), The Health of Sexual Minorities. Public Health Perspectives on Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender Populations. 93-129. New York: Springer.
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  • ILGA: ILGA publishes State-sponsored Homophobia report. (2008) 
  • Krieger, Nancy (Hrsg.): Embodying Inequality (2005). Amityville: Baywood Publishing.
  • LSVD: Asylrecht für Lesben und Schwule. (2009).
  • Mays, V. M., Yancey, A. K., Cochran, S. D., Weber, M., & Fielding, J. E. (2002). Heterogeneity of health disparities among African American, Hispanic, and Asian American women: unrecognized influences of sexual orientation. American Journal of Public Health, 92, 632-639.
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  • Saadat, S. (2001). Zwischen den Stühlen - Auf der Suche nach psychosozialen Angeboten für lesbische Migrantinnen in Berlin. In J.u.S.F.f.g.L.Senatsverwaltung für Schule (Ed.), Lebenswelten von Migrantinnen und Migranten in Berlin (pp. 66-68). Berlin: Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport Berlin. 
  • Wolf, G.: Erfahrungen und gesundheitliche Entwicklungen lesbischer Frauen im Coming-Out-Prozess. Herbolzheim: Centaurus.

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Gabriele Dennert ist promovierte Ärztin und Master of science (Public Health). Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe Biologische Krebstherapie in Nürnberg administriert die Internetplattform www.lesbengesundheit.de.