Diversity Management als Veränderungsprozess

von Marion Keil

Vielfalt ist nötig, Vielfalt steigert Gewinne, Vielfalt im Unternehmen ist gut – so ist heute in der Politik, in Unternehmen, mindestens aber bei den Unterzeichnern der „Charta der Vielfalt“  zu hören. Doch wie kann man es wirklich erreichen, dass ein kleines, ein mittelständisches oder ein großes Unternehmen, gar ein Konzern, seine MitarbeiterInnen mit auf den Weg nimmt in eine empirisch nicht gesicherte Gewinnzone durch Diversity Management?

Diversity Management heute -  Vielfalt und Image
Das Thema Diversity Management hat in den letzten Jahren einen rasanten Aufstieg in Öffentlichkeit, Politik und Wirtschaft genommen. Etliche EU -, Bundes- und Landesprojekte wurden finanziert, händeringend best practice Beispiele in KMUs und Konzernen gesucht,  Web-Seiten eröffnet und mit Mittelstop wieder geschlossen. Unternehmen stellten so manche Initiative, die vorher schon immer ihr Frauenförderungsprogramm gewesen sein mag, durch vorher „Frauenbeauftragte“ genannte Mitarbeiterinnen, nun als Diversity Management dar. Oder hoben eine Maßnahme wie die internen Netzwerkgruppen für Menschen mit Migrationshintergrund oder Homosexuelle als ihre Antwort auf Diversity Management hervor (siehe: Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration: Vielfalt als Chance-Charta der Vielfalt Berlin 2008).

  •  Als erstes fällt also die Vielfalt der Versuche zum Diversity Management ins Auge. 
  • Es fällt zweitens auf, das bewusstseinsbildende Trainings auf Führungs- und Mitarbeiterebene die bisher offenbar präferierte Intervention in großer Fläche sind. Und fragt man MitarbeiterInnen in den Unternehmen, in denen schon viel Bewusstseinsbildung gelaufen ist, 
  • so fällt drittens auf, dass große Fragezeichen aufleuchten, was das Thema soll und warum ausgerechnet der Fokus auf Frauen (das lehnen meist die Frauen selbst und die Männer ab), oder Internationalität (das schürt Ängste vor Arbeitsplatzverlagerung) oder  Homosexualität (das wird am ehesten verdrängt) oder andere Themen, liegt. Der Sinnzusammenhang fehlt den meisten MitarbeiterInnen.

Die Frage mag erlaubt sein: geht es den meisten Unternehmen heute darum, sich dem Thema aus Imagegründen zu widmen? Schlägt man zusammen mit der Pflicht zur Schulung im Rahmen des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes in Deutschland zwei Fliegen mit einer Klappe und schult Führungskräfte gleichzeitig zum Thema Diversity Management – dann hat das Unternehmen zunächst einmal seine Pflicht erfüllt. Gleichwohl  haben etliche Unternehmen auf der Leiter zum erfolgreichen Diversity und Inclusion damit den ersten Schritt getan.

Herausforderungen in der Zukunft
Doch wie kann es weitergehen? Die Diversity Manager haben etliche sogenannte business cases entwickelt, die eindeutig belegen sollen, warum Diversity Management wichtig ist. Die Begründungen sind hinlänglich bekannt: die demographische Entwicklung, die steigenden internationalen Verflechtungen, die steigende Anzahl von Frauen als Konsumentinnen und Führungskräfte und viele weitere Argumente. Damit einher geht die Notwendigkeit, dem Fachkräftemangel vorzubeugen, Frauen in technische Berufe zu unterstützen oder präferierter Arbeitgeber im Kampf um die besten Talente zu werden. Hier sind viele gute Ansätze entwickelt und umgesetzt worden (girls days, Unternehmen an die Schulen und Universitäten usw.).

Auffallend ist der permanente Begründungszwang, unter dem Diversity Manager zu stehen scheinen, sodass man sich die Frage stellen kann, ob die Unternehmensspitze denn Diversity Management tatsächlich für so relevant hält, dass es sich „lohnt“ in dieses Thema zu investieren. Doch die eigentliche Herausforderung der Zukunft für das Thema Diversity Management scheint zu sein, wie die Verknüpfung des Themas mit dem „harten“ Geschäft gelingt. Befruchtet das Thema die Abteilungen Marketing, Forschung und Entwicklung, den Vertrieb, die Produktion spürbar? Bringt es hier einen für das Unternehmen spürbaren „value added“? Leider findet sich dazu kein betriebswirtschaftlich-empirisches Material, welches eine klare Verbindung zwischen getätigten Maßnahmen im Diversity Management und gestiegenem ROI (return on investment) schafft.

Interessanterweise gibt es jedoch einen nachgewiesenen Zusammenhang auf regionaler Ebene. Der amerikanische Regionalwachstumswissenschaftler Richard Florida weist auf der Grundlage einer 200 Regionen Amerikas umfassenden Forschung anhand eines creativity index (dieser setzt sich zusammen aus Patentanmeldungen pro Kopf, regionaler Anteil von High-Tech-Unternehmen, Anteil der Bevölkerung mit Hochschulabschluss und dem Anteil ethnischer, sozialer und kultureller Vielfalt) nach, dass sich nur in solchen Regionen wirtschaftliches Wachstum entwickelt, die im Rating nach dem Kreativitätsindex besonders hoch stehen. (Richard Florida The rise of the creative class: And How It's Transforming Work, Leisure, Community and Everyday Life Paperback 2003). Wo Technology, Talent und Toleranz zusammenfinden, entsteht also Wachstum, eine Hypothese zur positiven ökonomischen Evidenz von Diversity Management, die auf  der  betriebswirtschaftlichen Ebene von Unternehmen noch aussteht.

Was kann in der Zwischenzeit für das Thema Diversity Management noch getan werden, um die Dynamik zu erzeugen, die es braucht, um die Köpfe und Herzen der MitarbeiterInnen und besonders der Führungskräfte zu erreichen? Um das Thema auch in Krisenzeiten weiterzuverfolgen?

Die Realität scheint zwiespältig
Schaut man in die Unternehmen und fragt MitarbeiterInnen und Führungskräfte, was Diversity Management ist, ob und wie es gelebt wird, dann zeigt sich ein differenziertes und ambivalentes Bild in der Umsetzung.

Der Sinnzusammenhang
Menschen sind vernunftbegabt und fragen glücklicherweise nach Bedeutungen und Sinn. Und das tun Führungskräfte wie MitarbeiterInnen. Sie fordern Antworten darauf, was das Unternehmen veranlasst, Diversity Management plötzlich eine offenbar hohe Bedeutung einzuräumen. Sie fragen, warum z.B. ein oder zwei Unterschiedsmerkmale wie gender oder Alter protegiert werden sollen. Bekommen sie zuwenig sinnstiftende Antworten, oder widerspricht das Top Management in ihren Handlungen der propagierten Philosophie, verliert das Thema sofort an Bedeutung und wird in die Kategorie „eine neue Sau, die durchs Dorf getrieben wird, das überstehen wir auch noch“ einsortiert.

Die Quotierungsfrage
Bei Frauen wie Männern in Unternehmen in Deutschland werden Quotenregeln vehement abgelehnt. Frauen wollen nicht als Quotenfrauen in Positionen gelangen (obwohl sie ahnen, dass es sonst kaum gelänge), Männer fühlen sich plötzlich benachteiligt. Ihnen fällt es schwer zu akzeptieren, dass sie seit langem Teil eines wohl unfairen Auswahlprozesses waren.

Führungsqualität
Die einzelnen Führungskräfte fühlen sich beim Thema Diversity Management häufig stark, und mit Recht, in ihrer Führungskompetenz hinterfragt. Sie stellen fest, dass Diversity Management viel damit zu tun hat, dass MitarbeiterInnen in offener Weise miteinander kommunizieren, Probleme offen ansprechen und miteinander lösen sowie selbstorganisiert sein können. Jede und jeder soll sich einbringen (inclusion). Gerade in eher hierarchischen Unternehmen ist das selten der Fall, dass Führung bisher das Rollenverständnis hat, Teams dazu zu ermutigen. Führungskräfte fühlen sich auch in ihrem professionellen Umgang mit Andersartigkeit hinterfragt, sei es in den Geschlechterrollen, Nationalitäten oder bei der sexuellen Ausrichtung ihrer MitarbeiterInnen. Die zu 95% männlichen Führungskräfte scheinen sich hier doppelt hinterfragt zu fühlen und zwar in vielen existenziellen Identitätsfeldern gleichzeitig: als Mann, als Deutscher und in der Berufsrolle.

Einzelmaßnahmen
Bisher wurde schon viel in das Thema investiert, und doch bleibt bei den MitarbeiterInnen und Führungskräften der Eindruck des Stückwerks und der Umgehbarkeit. Viele Unternehmen setzen auf halb- oder ganztägige Informationsveranstaltungen oder Trainings für die Führungskräfte. So reiht sich Diversity Management ein in die Vielzahl anderer, vielleicht als viel relevanter angesehenen Themen, die man konsumiert. Oft folgt darauf für lange Zeit gar nichts mehr. Das Thema bekommt so keine echte Bedeutung für die Führungskräfte. Sie lassen das Training über sich ergehen, einige machen aktiv mit, doch damit lässt sich weder ein Haltungswechsel, noch eine Verhaltensänderung erreichen.

Eigene Relevanz finden
Etliche Führungskräfte und MitarbeiterInnen lassen sich auf Diversity Management ein, wenn sie es inhaltlich mitgestalten könnten. Sobald sie merken, sie sollen lediglich Zielvorgaben umsetzen (z.B. 5% mehr Frauen einstellen, einen workshop zum Thema durchführen lassen), ist ihr Engagement verflogen. Sie hätten aber vielleicht mit Feuer und Flamme in ihrer Abteilung daran mitgearbeitet, innovative Lösungen für eine demographieangepasste Personalentwicklung zu entwickeln.

Human Ressources (HR)
Diversity Management wird manchmal strukturell bei HR angesiedelt, manchmal als Stabsstelle direkt bei der Geschäftsführung. HR ist immer irgendwann mit im Boot, denn weder lassen sich neue Einstellungskriterien- und verfahren, noch Karriereentwicklungen oder Mentoringmaßnahmen ohne HR durchführen. Und doch sind die HR Abteilungen bisher nicht als strategische Speerspitzen des Diversity Management zu betrachten. Häufig hängt es mit dem noch nicht ausgeprägten Rollenverständnis von HR als strategischem Business Partner zusammen.

Insgesamt, so kann man resümieren, zögern Führungskräfte, MitarbeiterInnen und Human Ressources Abteilungen noch, sich auf ein ihnen in seiner Bedeutung für das Unternehmen und für sie selbst unklares Thema einzulassen – zumal, wenn sie es nicht mitgestalten können.

Das Pferd andersherum aufzäumen
Dabei gibt es sie, die positiven Beispiele gelebten, nutzwerterzeugenden Diversity Managements. So bietet zum Beispiel die Allianz Versicherung zunehmend in Indien, Indonesien und Afrika sogenannte Micro- Insurances an, Mini-Versicherungen für Menschen niedriger Einkommensgruppen in Schwellenländern.  Das ist ein exzellentes Beispiel von gelebtem Diversity Management. Offenbar wurde hier zunächst analysiert, wo Zukunftsmärkte liegen, dann relevante Unterschiede (hier: vielfältige Einkommensgruppen) herausgearbeitet, das Marktsegment der unteren Einkommensschicht in die Strategie aufgenommen, entsprechende Produkte maßgeschneidert und die Produkte dann diesen Gruppen angeboten (Anthony, 2008).

C.K. Prahalad hat in seinem bahnbrechenden Buch „Die Revolution der Innovation Wertschöpfung durch neue Formen der globalen Zusammenarbeit“ (Redline Verlag 2009)  zahlreiche Beispiele aufgezeigt, wie bisher regelrecht vernachlässigte Konsumentengruppen angesprochen wurden. Hier handelt es sich um eine klar markt- und konsumentenbezogene Unternehmens- und öffentliche Verwaltungsentwicklung, die angesichts der Vielfalt der KonsumentInnen weltweit längst angesagt ist. Die Vielfalt der institutionellen Kooperationen, die z.B. von der Allianz dazu eingegangen wurden, stellt schon für sich genommen, ein gelungenes Beispiel für Diversity Management dar. Ein weiteres Erfolgsbeispiel ist die Grameen Bank, dessen Gründer Professor Yusuf 2006 den Nobelpreis empfing. 2,4 Millionen KreditnehmerInnen, davon 95% Frauen, nahmen seit der Bankgründung 1976 2,75 Milliarden Euro Kredit auf. Arme Frauen als Kreditnehmerinnen, das war eine echte Innovation. Die Bank finanziert sich schon lange selbst.
Es verblüfft, dass die genannten Geschäftsbeispiele nicht etwa unter dem Label Diversity Management segeln. Würde Diversity Management einen ganz anderen Bedeutungsschub bekommen, wenn es noch klarer von der Markt- und Strategieseite angestoßen wird? Das könnte bedeuten, dass die Diversity Management Verantwortlichen ganz eng mit der Unternehmensentwicklung, sowie mit Marketing und Vertrieb vernetzt sein müsste und selbst eine hohe Strategiekompetenz aufweisen sollte. Es könnte auch bedeuten, dass in den Unternehmen der Kreativitätsindex vielleciht noch steigen müsste, um überhaupt auf solche Ideen zu kommen.

Viele andere Initiativen könnten so ebenfalls an Schwung gewinnen. Wenn beispielsweise die Bundesregierung nach der Charta der Vielfalt auch viel Energie in das Thema "Menschen mit Migrationshintergrund in die Unternehmen“ investiert hat, bleibt der Geschmack der Sozialarbeit haften – wir tun hier etwas Gutes für die MigrantInnen. Doch Unternehmen operieren nach dem Code „Gewinn“. Und der lässt sich steigern, wenn Belegschaften weltweit konsequent marktorientiert international aufgestellt sind. Diese Zusammenhänge allerdings auch quantifizierbar zu machen, bleibt noch ein Feld der Wirtschafts-wissenschaften, das es zu beackern gilt.

Umsetzungsstärke durch Change Management Kompetenzen
Die Einführung des Diversity Management ist ein profunder Veränderungsprozess. Bei keiner Veränderung geht nur darum, Menschen zu einem neuen Thema zu informieren und zu schulen. Schon gar nicht, wenn es auch um unternehmensstrategischen und kulturellen Wandel sowie persönliche Haltungsveränderungen geht. Die reichhaltige Literatur und Kompetenz rund um den systemischen Beratungsansatz (R.Königswieser et al Simsalabim Stuttgart 2001) lassen es umso erstaunlicher erscheinen, dass es hier bisher kaum eine Verbindung gab. Im Diversity Management werden häufig relativ isolierte Interventionen nebeneinander gefahren. In kaum einem Unternehmen ist die Rede von sogenannten Change Architekturen, die, basierend auf einer transparenten Systemdiagnose, Interventionen bündeln, mit einer Steuergruppe begleiten und reflektieren lassen. Übertragen auf das Diversity Management erscheint es dringend geboten, systematisch „systemisch“ vorzugehen, um dem Thema die gebührende Durchschlagkraft zu geben. Besonders vordringlich ist es, Diversity Management strategisch, kulturell und strukturell parallel anzugehen. Da Zukunftsthemen hier eine besondere Rolle einnehmen, ist eine Vorgehensweise empfehlenswert, die dem Rechnung trägt. Schrittweise dargestellt sieht ein klar strategisch orientierter Diversity Management Prozess dann so aus:
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Schritt 1 Steuergruppe Diversity
In der Strategieentwicklung besteht die immer grösste Gefahr, dass die Zukunftsanalyse aufgrund zu grosser Homogenität des Analyseteams zu eingeschränkt durchgeführt wird. Um diese Einschränkungen auszuschließen und die Perspektive zu erweitern, wird vom Top-Management ein Projektteam (eine sogenannte Steuergruppe Diversity) aus Personen mit unterschiedlichem Hintergrund eingesetzt (Abteilungen, Niederlassungen, Hierarchie, Alter, Geschlecht, Zugehörigkeit zum Unternehmen, Nationalitäten usw). Die Steuergruppe Diversity erhält einen klaren Auftrag vom Top-Management und steht in engem, regelmäßigen Kontakt. Klare Projektstrukturen sind ebenfalls zentral.

Schritt 2 Zukunftsszenario
Die Steuergruppe Diversity, das Top-Management und weitere VertreterInnen bestimmter Schlüsselgruppen des Unternehmens (Unternehmensentwicklung, Marketing/Vertrieb, Forschung und Entwicklung, Produktion, Betriebsrat...) führen gemeinsam ein “Scenario Building Workshop” durch. Als Daumenregel sollten drei unterschiedliche Szenarios davon entwickelt werden, wie die Umwelt des Unternehmens  in  10-20 Jahren aussehen könnte – mit klarem Fokus auf Auswirkungen und Einfluss von Diversity Faktoren. Ziel ist es, das Unternehmen für unterschiedliche Alternativen vorzubereiten. Am Ende wird ein Szenario ausgewählt, auf das sich das Unternehmen konzentriert will, weil sie es für das wahrscheinlichste hält (siehe Aries de Geus Jenseits der Ökonomie Stuttgart 1998).

Schritt 3 Vision und Strategie
Im nächsten Schritt werden aus dem zuvor gewählten Szenario eine Vision und eine Mission für das Unternehmen formuliert. In diese Aufgabe sind das Top-Management und die Schlüsselpersonen intensiv eingebunden. Es wird sich auf die Stärken, Schwächen, Möglichkeiten und Risiken für das Unternehmen konzentriert, die sich aus dem Szenario ergeben. Am Ende werden Vision und Leitbild formuliert. Nun wird die Unternehmensstrategie mit der Betonung auf Diversity Management formuliert. Wo Vision/Mission und die Strategie bereits bestehen, werden sie aufgrund des Szenarios angepasst. Diese Vision und Mission wird in Großgruppenveranstaltungen einer breiten Unternehmensöffentlichkeit vorgestellt und so der Sinnzusammenhang für das Unternehmen dargestellt und intensiv diskutiert: aufgrund welcher Annahmen über die Zukunft entscheiden wir uns für Diversity Management? Außerdem wird hier die erste Phase einer Change Architektur vorgestellt, damit die MitarbeiterInnen voll im Bilde über den weiteren Verlauf sind:

Schritt 4 Diversity Audit
Der erste große Schritt im Rahmen der ersten Phase der Change Architektur ist der Diversity Audit als eine Systemdiagnose. Er ist ein nützliches und zentral notwendiges Instrument, um die aktuelle Situation des Unternehmens zu analysieren. Fragen, die gestellt werden sollten, beinhalten: Welche Einstellung haben Top-Management und MitarbeiterInnen gegenüber Diversity? Wie sieht die aktuelle Unternehmenskultur aus? Wie einbeziehend (offen) sind die Strukturen und Prozesse usw.? Das Diversity Audit wird mit Hilfe von semistrukturierten, persönlichen Interviews mit allen unternehmensrelevanten Gruppen durchgeführt und kann von einer standardisierten Fragebogenerhebung, um die Einstellungen gegenüber Vielfalt zu erheben, begleitet werden. Die Ergebnisse des Diversity Audit werden von der Steuergruppe in Hypothesenform verwendet, um die Schlüsselerkenntnisse über den Status quo für eine breitere Zielgruppe zu präsentieren und um den Ausgangsspunkt für die Entwicklung geeigneter “Interventionen” im Rahmen der zweiten Phase der Change Architektur eingesetzt. Ganz besonders aber dient der Diversity Audit im systemischen Vorgehen der Schaffung eines gemeinsamen Bildes im Unternehmen über die Ist Situation und die Notwendigkeit der Soll Situation. (siehe Europäische Kommission Generaldirektion für Beschäftigungspolitik, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit M.Keil et al Trainings Handbuch Diversity Management September 2007 S.28-31).

Schritt 5 Unternehmensziele
Als nächsten Schritt erstellt das Management gemeinsam mit der Diversity Steuergruppe unternehmensumfassende Ziele für die Implementierung eines Diversity Management. Diese Ziele müssen klar in Beziehung zur zuvor formulierten Strategie stehen und stellen die Mitwirkung aller relevanten Abteilungen und Bereiche sicher. Hier ist zu warnen vor zu eingeschränkten Zieldefinitionen nur im Hinblick auf personalorientierte Ziele. Es braucht einen guten Mix auch von markt- und umsatzbezogenen Zielen. Im Sinne der Führungsverantwortung werden die Ziele dann für jeden Bereich und jede Abteilung an ihren eigenen Kontext angepasst und klare, messbare Kriterien für die Erreichung definiert.

Schritt 6 Implementierung von Diversity Management
Während der Umsetzung der Change Architektur spielt die Steuergruppe eine entscheidende Rolle: Sie steuert, begleitet und reflektiert die unterschiedlichen Aktivitäten. Sie dient als zentrale Schnittstelle für Kommunikation. Die Mitglieder agieren als Change Agents. Die Steuergruppe sorgt dafür, dass z. B.:

  • Führungsentwicklungsprogramme für das Top Management und das mittlere Management mit einem klaren Fokus auf Diversity Management redesignt werden
  • Großgruppen-Events für die Belegschaft zur regelmäßigen Kommunikation des Diversity Managements Change Prozesses stattfinden
  • Innovationen an den Zukunftsmärkten orientiert einen starken Push erhalten
  • In allen Bereichen des Unternehmens regelmäßig Veranstaltungen stattfinden, in denen die Tagesbelange der Mitarbeiter und Führungskräfte mit dem Thema Diversity Management verbunden werden
  • Schnittstellenworkshops stattfinden, in denen Abteilungen und Bereiche, deren Vielfalt bisher noch nicht synergiestiftend war, miteinander neue Wege finden 
  • Veränderung der Leistungsbewertungen stattfinden, um Diversity Management zu unterstützen und messbar zu machen
  • Personal-Management-Tools für Einstellung und Bindung einer vielfältigen Belegschaft verändert werden 
  • Diversity Teamentwicklungsveranstaltungen in jeder Unternehmenseinheit stattfinden, in denen die realen Teams die Relevanz des Thema für ihr Team überprüfen (siehe E.Lüthi, H. Oberpriller Teamentwicklung mit Diversity Management Bern Stuttgart Wien 2009)

Dieser kleine Ausschnitt an möglichen Interventionen, die permanent in ihrer Wirkung von der Steuergruppe und dem Top Management reflektiert werden, mag gezeigt haben, um wie viel breiter der Ansatz des Diversity Management gefahren werden muss, um echte Breitenwirksamkeit zu erlangen. Jeder, der Veränderungsprozesse begleitet hat, weiß um den langen Atem und das Rückgrat, was es braucht, um solche Veränderungsprozesse zu steuern.

Diversity Management – Wirtschaft und Politik können an einem Strang ziehen
Um wie viel komplexer wird es, wenn verschiedene gesellschaftliche Systeme an einem Strang ziehen sollen. Sie bilden bereits eine Vielfalt ab, die es nötig macht, überhaupt erst einmal eine gemeinsame Sprache zu finden. Doch es kann sehr spannende Übereinstimmungen geben. Hier wäre es hilfreich, kurz die jeweils eigenen systemimmanten Codes (Wirtschaft: tickt nach Profit, Politik tickt nach dem  Gewinnen von Wahlen siehe H. Willke Systemtheorie 1 Grundlagen: eine Einführung in die Theorie sozialer Systeme Stuttgart 2006) auszusetzen, damit sie langfristig umso besser wirken. Was könnte für die erfolgreiche Umsetzung von Diversity Management in Deutschland erfolgversprechend sein?

1. Die Refokussierung der Charta der Vielfalt
Sie ist eine Erfolgsgeschichte der Imagebildung geworden, etwa 500 Unternehmen und öffentliche Einrichtungen haben sie unterzeichnet. Anstatt nun bei feierlichen Unterzeichnungen zu bleiben, könnten nächste Schritte erfolgen, zum Beispiel alle Unternehmen zur Teilnahme an einer wissenschaftlichen Untersuchung zu bewegen, die erhebt, welche Maßnahmen mit welchen messbaren Ergebnissen in diesen Unternehmen stattgefunden haben. Es könnten für die Unterzeichnerfirmen Workshops stattfinden, in denen es um gemeinsames Lernen und Neuentwicklungen von möglichen Interventionen geht. Denn, Hand aufs Herz, es werden oft die gleichen PräsentatorInnen mit Hochglanzpräsentationen eingeladen.

2. Refokussierung der Zuwanderungsgesetzgebung
Es gibt wohl kein Feld der Gesetzgebung, welches so sehr der wirtschaftlichen Entwicklung und den betriebswirtschaftlichen Bedürfnissen widerspricht wie die Zuwanderungsregelungen. Alleine MitarbeiterInnen aus außereuropäischen Ländern nur zeitlich befristet  für sechs Monate oder ein Jahr nach Deutschland zu holen, ist immens schwer und hält Unternehmen davon ab,  Durchlässigkeit mit lokalen Niederlassungen zu erzeugen. Die Zuwanderungspolitik zeigt in aller Schärfe, wie wenig souverän Deutschland im Umgang mit der Globalisierung ist.

3. Vielfalt in den Parteien und in den öffentlich-rechtlichen Medien
Nach dem Obama-Hype ist es weiterhin bedrückend zu sehen, wie wenig Vielfalt sich in den deutschen Parteien findet. Auf einen Cem Özdemir wartete die Öffentlichkeit lange und wenig andere sind in Sicht. Doch die Sichtbarkeit und Selbstverständlichkeit mit multikulturellen Hintergründen bringt erst eine Breitenwirksamkeit. Wie schwer tun sich auch die ModeratorInnen der öffentlich rechtlichen Medien, wenn sie FilmemacherInnen, AutorInnen oder SchauspielerInnen interviewen, die einen Migrationshintergrund haben und darauf beharren, ausschließlich in ihrer professionellen Qualität wahrgenommen zu werden.

4. Beauftragung von Forschung
Angesichts der quantitativ schwach belegten wirtschaftlichen Auswirkung von Diversity Management auf Einzelunternehmensebene wie auch auf gesellschaftlicher Ebene könnte die Bundesregierung, könnten aber auch die Unternehmen selbst, mehr angewandte Forschung in Auftrag geben, Diversity Management messbar zu machen. Was Euro und Cent ergibt, erfreut sich größeren Zuspruchs.

5. Innovative Interventionen
Es gibt so viele innovative Werkzeuge aus dem Veränderungsmanagement wie Zukunftskonferenzen oder World Cafés – Wirtschaft, Politik und Gesellschaftsakteure könnten gemeinsam neue Maßnahmen zur Umsetzung von Diversity Management erfinden und weiterverfolgen sowie gemachte Erfahrungen integrieren. Zum Thema Bankenkrise werden hier keine Kosten und Mühen gescheut.

6. Bündelung von Projekten
Sicher sind auf Bundes-, Landes- und EU Ebene schon tausend Projekte rund um das Thema Diversity Management gemacht worden. Sie könnten gebündelt und zur Verfügung gestellt werden.

Diversity Management ist machbar, es ist jedoch voraussetzungsvoll. Auf Unternehmensebene braucht es Maßnahmenbündel, die viel Mitgestaltungsmöglichkeiten für MitarbeiterInen und Führungskräfte bieten. Das Maßnahmenbündel sollte sehr markt/kundenorientiert geschnürt werden, damit die Bedeutung für das Unternehmen und die MitarbeiterInnen deutlich wird. Diversity Management als Veränderungsprozess braucht entsprechendes Handwerkszeug. Die Sinnfrage sollte nicht nur breit und oberflächlich kommuniziert, sondern auch belegt und für die eigene Arbeitseinheit nachvollziehbar gemacht werden. Ökonomische und soziale Wirkungsevidenz des Diversity Management gilt es noch zu erforschen. Die Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Politik/Gesellschaft ist sehr groß – sie braucht mehr Beachtung und kreative Gestaltung.

Literatur

  • Anthony, Michael: Micro insurance Commitment of Allianz Powerpoint Presentation World Micro Finance Forum Geneva 2008
  • Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration: Vielfalt als Chance-Charta der Vielfalt Berlin 2008
  • Europäische Kommission Generaldirektion für Beschäftigungspolitik, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit: M. Keil et al Trainings Handbuch Diversity Management September 2007, S.28-31
  • Florida, Richard: The rise of the creative class: And How It's Transforming Work, Leisure, Community and Everyday Life Paperback 2003
  • Königswieser, R. et al: Simsalabim, Stuttgart 2001
  • Lüthi, Erika, Oberpriller Hans: Teamentwicklung mit Diversity Management, Bern-Stuttgart- Wien 2009
  • Prahalad C.K.: Die Revolution der Innovation Wertschöpfung durch neue Formen der globalen Zusammenarbeit, Redline Verlag 2009
  • Willke H.: Systemtheorie 1 Grundlagen: eine Einführung in die Theorie sozialer Systeme, Stuttgart 2006

 

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Dr. Marion Keil, Dipl.Soziologin, Geschäftsführende Gesellschafterin von synetz Systemische Beraterin und Expertin für Veränderungs- prozesse in Unternehmen, Diversity Management Beraterin, Mitbegründerin und bis 2008 langjährige Vizepräsidentin von idm.