Chinesische MigrantInnen in Deutschland: Die „unauffällige“ Minderheit

China

von Dagmar Yu-Dembski

„Wieso sprichst du eigentlich so gut Deutsch?“ – „Na, weil ich Deutsche bin!“
Für viele junge MigrantInnen, die in Deutschland aufgewachsen sind, ist das ein typischer Wortwechsel. Zitiert wird er in einem Artikel, in dem die Autorin Ming-Bao Yue sich mit der Wahrnehmung von ChinesInnen in Deutschland auseinandersetzt. Ihre Überlegungen kreisen dabei um die Frage des „Andersseins“ und den Wunsch, selbstverständlich akzeptierter Teil der Gemeinschaft zu sein. Ming-Bao Yue, Tochter chinesischer MigrantInnen in Hamburg, schildert ihre eigenen Erfahrungen und ihre Suche nach einer chinesisch-deutschen Identität.

Während in vielen Großstädten der „Chinese an der Ecke“ das Bild der chinesischen Community prägt, findet sich deren Lebenssituation im öffentlichen Diskurs kaum wieder. Erst im Kontext politisch-ideologischer Debatten um Konfliktthemen, wie sie während der diesjährigen Frankfurter Buchmesse geführt wurden, scheint die Öffentlichkeit chinesische MigrantInnen auch jenseits von chinesischen Restaurants und Imbissbuden wahrzunehmen.  Die eingeschränkte Perzeption chinesisch-deutscher Lebenswirklichkeit hat historische und soziopolitische Gründe.

Die „unauffällige“ Minderheit

Im Vergleich zu anderen AusländerInnen ist die Zahl chinesischer MigrantInnen und in Deutschland geborener ChinesInnen relativ unbedeutend. Von den Ende 2008 statistisch festgehaltenen 6,7 Mio. AusländerInnen beträgt der Anteil der ChinesInnen mit etwa 80.000 Personen lediglich 1,2 Prozent. Da die statistischen Angaben sich auf die nationale Zugehörigkeit und den Aufenthaltsstatus beziehen, werden weder in Deutschland aufgewachsene ChinesInnen mit deutscher Staatsangehörigkeit noch illegal Eingereiste erfasst. Auch geben die Daten keine Auskunft über die Zusammensetzung dieser Community, die aus unterschiedlichen Herkunftsregionen (Taiwan, Hongkong, Macao, Vietnam und anderen südostasiatischen Ländern) stammt und sich daher in ihren soziopolitischen Erfahrungen unterscheidet. Lediglich die gemeinsame Sprache, auch die nur bedingt, und die Kulturtraditionen bilden die Klammer für eine gemeinsame kulturelle Identität, die unter dem Begriff „Chineseness“ gefasst wird.

Wie in den Vereinigten Staaten, wo American Chinese eine Zeit lang sogar als model minority angesehen wurde, sind chinesische ImmigrantInnen in Deutschland eine eher unauffällige Minderheit. Ein Grund dafür ist, dass es nur wenig kulturelle und religiöse Konfliktfelder gibt, da Daoismus und Buddhismus keinerlei Alleinanspruch vertreten oder Missionierungsfunktion besitzen. Auch konfuzianische Wertvorstellungen werden, wenn sie unter der jungen Generation überhaupt noch eine Rolle spielen, - wie beispielsweise der Bildungsanspruch - durchaus als positiv angesehen. Auch der traditionelle Zusammenhalt der Familien und die sozialen Netzwerke innerhalb chinesischer Communities tragen dazu bei, dass chinesische ImmigrantInnen selten auf staatliche Unterstützung setzen.

Selbst das Thema Schleuserbanden und illegale Einwanderung aus China hat seit den 1990er Jahren an Bedeutung verloren, da Deutschland im Vergleich zu den osteuropäischen Ländern weniger interessant ist. Für die gut gebildeten AkademikerInnen, die nach einem Auslandsstudium nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren, sind wiederum englischsprachige Regionen wie Australien, die Vereinigten Staaten oder Kanada attraktiver.

Die Situation der chinesischen MigrantInnen ist somit durch eine pragmatische Wahl für eine neue Heimat, durch die politischen Bedingungen in der Herkunftsregion und durch eine unbestimmte Aufenthaltsdauer geprägt. Diese Situation spiegelt sich auch in den statistischen Daten wider. Von den in Deutschland lebenden ChinesInnen (ohne deutsche Staatsangehörigkeit) haben lediglich 10 Prozent einen dauerhaften Aufenthaltsstatus und die Anerkennungsrate für politisches Asyl liegt unter 5 Prozent. Geringe Anzahl, geringer soziopolitischer Einfluss und die heterogene Zusammensetzung dieser Gruppierung machen die chinesischen ImmigrantInnen zu einer eher unauffälligen, fast unsichtbaren Minderheit in Deutschland. Dennoch lässt sich ihre Geschichte nachvollziehen.

Historische Spurensuche

Die Geschichte der chinesischen Einwanderung ist eher kurz. Eigentlich beginnt sie erst im 20. Jahrhundert, da den unteren sozialen Schichten zuvor die Ausreise nicht gestattet war. In Westeuropa lassen sich jedoch bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts Spuren chinesischer ImmigrantInnen entdecken. Die ersten beiden Chinesen, vermutlich Onkel und Neffe mit dem Familiennamen Feng, fanden ihren Weg über Holland und England nach Berlin. Beide traten in den Dienst des Königs Friedrich Wilhelm III. ein, wo sie als Übersetzer wirkten und zur Entwicklung des Fachs Sinologie beitrugen. Die Fengs, die sich später in Potsdam niederließen, gründeten auch die ersten deutsch-chinesischen Familien.

Die ersten chinesischen Communities in Deutschland beruhen zum Teil auf ehemaligem Schiffspersonal, das bei Reedereien wie der East Indian Company als billige Arbeitskräfte eingestellt wurde, weil ChinesInnen als ausdauernd und wenig anspruchsvoll galten. Als mit der Einstellung der Dampfschifffahrt und dem Beginn des I. Weltkriegs das Personal entlassen wurde, entstanden in den europäischen Hafenstädten, u. a. auch in Hamburg und Bremerhaven, kleine chinesische Niederlassungen. Eine zweite Gruppe bildeten die ChinesInnen, die zum Studium eingereist waren. Um 1880 lebten insgesamt 63 Personen aus China im Deutschen Reich, darunter waren immerhin 19 Frauen.

Händler und Kaufleute

Anfang des 20. Jahrhunderts ließen sich in Westeuropa MigrantInnen aus der Küstenprovinz Zhejiang nieder, die sich auf den Handel mit dem Ausland spezialisiert hatten. Da ihre an Ressourcen arme Region keinerlei Existenzmöglichkeit bot, suchten sie ihr Glück in der Emigration. In Berlin ebenso wie in Hamburg entstanden kleine Chinesenviertel, in denen hauptsächlich unverheiratete Männer als Straßenhändler und Kaufleute chinesische Waren wie geschnitzte Figuren, Porzellan und einfachen Schmuck anboten.

Zeitgenössische Presseberichte geben einen anschaulichen Eindruck vom Leben dieser Communities, die in den Kellerwohnungen und heruntergekommenen Läden der Arme-Leute-Viertel Garküchen, Gemüseläden und Wäschereien betrieben. Während der wirtschaftlichen Depression in den 1920er Jahren beschlossen die deutschen Innenbehörden, die Einreise nach Deutschland zu untersagen: „Bei Chinesen, die aus der Provinz Zhejiang stammen, ist der Verdacht, dass es sich um unerwünschte Hausierer handelt, besonders dann gegeben, wenn sie aus dem Kreis (…) stammen, der Wenzhou benachbart ist.“

Studierende und KünstlerInnen

Neben chinesischen Kaufleuten und ehemaligem Schiffspersonal kamen seit Ende des I. Weltkriegs ChinesInnen zum Studium nach Europa, die nach ihrer Ausbildung eigentlich in die Heimat zurückkehren wollten. Besonders während der Inflationszeit war Deutschland ein beliebter Studienort für eine Ausbildung an den technischen Hochschulen und Kunstakademien. Der Einmarsch der japanischen Armee in Nordchina 1931, der Ausbruch des japanisch-chinesischen Kriegs 1937 und der Beginn des II. Weltkriegs 1939 führten dazu, dass die Rückkehr der Studierenden nach China schwierig wurde.

Trotz der rassischen Diskriminierungen - Ehen zwischen ChinesInnen und Deutschen in der NS-Zeit faktisch verboten -, waren die gemeinsamen Erfahrungen während des Krieges die Basis für die persönlichen deutsch-chinesischen Liebesbeziehungen. Erst nach Kriegsende konnten die Ehen geschlossen werden.

Der Neuanfang

Nach 1945 verließen die meisten ChinesInnen Deutschland. Es blieben hauptsächlich die deutsch-chinesischen Familien als erste Generation der chinesischen Community, die in den fünfziger und sechziger Jahren durch Pflegepersonal aus Taiwan und Köchen aus Hongkong erweitert wurde. In dieser Zeit waren vor allem Familien der ersten Generation in der Gastronomie tätig. Auch die AkademikerInnen, die keine adäquaten Arbeitsmöglichkeiten erhielten, eröffneten Spezialitätenrestaurants.

Erst mit der Reform-und Öffnungspolitik in den 1980er Jahren kamen wieder Studierende und Geschäftsleute aus der Volksrepublik China für kurzzeitige Aufenthalte nach Deutschland. Als 1989 die Demokratiebewegung niedergeschlagen wurde, kehrten viele Studierende nicht zurück und beantragten politisches Asyl. Diese Gruppe gebildeter Intellektueller ist gut integriert und arbeitet erfolgreich im Bildungsbereich, an Hochschulen, in der Medizin oder im Ingenieurwesen.

Daher werden die chinesischen Communities von unterschiedlichen Gruppierungen getragen. Während die klassischen Chinarestaurants von traditionellen Familien aus Zhejiang betrieben werden, ist die junge Generation deutsch-chinesischer ImmigrantInnen transkulturell orientiert  und an keine politisch-ideologische Gruppierung gebunden. Die ethnische Identität äußert sich in der gemeinsamen Sprache und zeigt sich in der Gründung verschiedener Kulturvereine, die chinesische Kulturtraditionen vermitteln und fördern.

Waren in den 80er Jahren Vereinigungen wie die „Gesellschaft für Deutsch-Chinesische Freundschaft“ noch wichtige Anlaufpunkte für die MigrantInnen, so werden heute moderne Kommunikationstechnologien als globales Netzwerk genutzt. Deutsch-chinesische Ehen, die Gründung chinesischer Wochenendschulen und deutsch-chinesische Kitas sind Teil einer Generation, die sich als interkulturelle Mittler versteht und kosmopolitisch orientiert ist.


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Dagmar Yu-Dembski arbeitet im Bereich deutsch-chinesischer Kulturbeziehungen, gibt die Vierteljahreszeitschrift „das neue China“ heraus und hat Aufsätze und Publikationen zum Thema der chinesischen Communities in Deutschland veröffentlicht.