Viel Wut und Unverständnis haben sich angesammelt: Wenn es um „Ausländer“ geht, kochen die Emotionen hoch, wie neulich anlässlich des Schweizer Minarettverbots oder Thilo Sarrazins Auslassungen. In den immer währenden Diskussionen um Inklusion oder Integration der MigrantInnen in Deutschland haben sich über die Jahre Gräben aufgetan, die es zu schließen gilt, bevor sie unüberwindbar werden.
MigrantInnen gelten weithin als Menschen, die ungebildet und kriminell sind, den Staat schröpfen, nur Probleme machen, viele Kinder in die Welt setzen und natürlich in Berlin-Neukölln wohnen. Sie sind es, die der „Bild“ und dem Privatfernsehen genügend Storys für die Unterhaltung, Belehrung und Abgrenzung breiter Bevölkerungsschichten liefern.
Besonders junge MigrantInnen in der zweiten und dritten Generation werden als Problem wahrgenommen: entweder sind sie vorbildlich assimiliert und unsichtbar oder sie gelten als Störfälle. Doch wie realitätsnah sind Befunde, die einem Großteil von ihnen Integrationsunwilligkeit, ja Verweigerung unterstellen? Wie weit werden ihre Lebenswirklichkeit zur Kenntnis genommen und ihre Hoffnungen und Anstrengungen gewürdigt? Warum bedeutet die Herkunft, der "Migrationshintergrund", in Deutschland eine so schwer zu überwindende Barriere, die nur zu oft den Traum der jungen MigrantInnen nach sozialem Aufstieg zur Illusion werden lässt?
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In diesem Dossier setzen sich junge Menschen – mit und ohne Migrationshintergrund – mit den Konstruktionen, verallgemeinernden und exotisierenden Vorurteilen gegen MigrantInnen auseinander, die den gesellschaftlichen Diskurs bestimmen. Die AutorInnen, alle derzeit StipendiatInnen der Heinrich-Böll-Stiftung, bringen - mal empört und provokativ, mal beschreibend und empathisch – ihre Haltung zum polarisierenden Diskurs über „In- und Ausländer“ zum Ausdruck und zeigen, dass und wie es auch anders geht. Ihre Geschichten sind geprägt von ihren eigenen Erfahrungen aus ihrem Leben in Deutschland oder ihren Einblicken in das Leben der „Anderen“.
Ihre Analysen, Interviews, Portraits oder Erzählungen in den drei Rubriken zeigen mit dem Finger auf manche Wunde unserer Gesellschaft – auf die Hürden und Blockaden, die MigrantInnen von der gleichberechtigten Teilhabe abhalten und ihren sozialen Aufstieg behindern.
- Die Aussagen des ehemaligen Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin zu MigrantInnen in Berlin dienten für die AutorInnen in der Rubrik „Vielfalt als Barriere“ als Steilvorlage für eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit Begriffen und Zuständen: Ist schon allein die Terminologie „Migrant“ diskriminierend? Und wie wirkt sich die ganze Debatte auf die Lebenswirklichkeiten der Betroffenen aus?
- Die Beiträge im zweiten Teil „Bildung als Hürdenlauf“ beschäftigen sich mit der Schlüsselrolle von Bildung für den sozialen Aufstieg von jungen Menschen: Inwieweit finden junge MigrantInnen Unterstützung in den Bildungsinstitutionen auf ihrem Lebensweg und wo werden sie eher behindert? Haben alle die gleichen Bildungschancen?
- Der Abschnitt Hürden über Hürden enthält Lebensläufe und Geschichten von Hürdenläufern, die es nicht leicht hatten, ihre Ziele zu erreichen. Diese Beispiele verdeutlichen, dass es nicht selbstverständlich ist als Mensch mit Migrationshintergrund in Deutschland erfolgreich zu sein.
Dieses Dossier will als Aufruf zum Umdenken in der Sache dienen: Sehen wir die MigrantInnen, wie sie sind: Menschen, die ihre Chancen ergreifen wollen und die Chancen verdienen.
Dossier Redaktion: Filiz Keküllüoglu und Mohamed Amjahid
Verantwortlich: Olga Drossou, MID-Redaktion, Heinrich-Böll-Stiftung
Dezember 2009