Die immens glückseligen deutschen Flüsse
Mo und ich wollen zu den christlichen Menschenrechtsaktivisten stoßen, die auf einem Rheinfloß in einer Rheinstadt ein Rheinfest feiern. Wir ziehen Schuhe und Socken aus und krempeln die Hosenbeine hoch. Wir waten durch den schönen tragischen blöden Fluss. Mo hat panische Angst vor Fischen. Einmal haben wir die Evolution als Zeichentrickfilm gesehen, und als die Fische aus dem Wasser liefen und zu etwas anderem wurden, sprang Mo auf das Sofa, wie es afroamerikanische Haushälterinnen in nordamerikanischen Cartoons der fünfziger Jahre beim Anblick einer Maus tun. Ich versprach Mo, die Evolution, insbesondere den Fisch, in seiner Gegenwart niemals wieder zu erwähnen.
Auf dem Floß covern zwei Alleinunterhalter ein Lied gegen die Sklaverei. Man begrüßt uns mit Handschlag, aber auch mit zur Vorsicht zusammengekniffenen Augen. 'Vielleicht seid ihr zusätzliche christliche Menschenrechtsaktivisten', denken die Augen, ›vielleicht seid ihr aber auch mythologische germanische Wesen aus dem Flusse Rhein.‹ Misstrauen findet in den anwesenden sozialen Urteilssystemen statt. »Vielleicht hätten wir doch lieber den Steg nehmen sollen«, flüstert mir Mo zu. Wir wollten das aber nicht, weil uns Stege daran erinnern, dass wir nicht übers Wasser laufen können.
"Um nicht weiter aufzufallen, müssen wir ernste Augen machen", so Mo weiter, "und dazu einen mehrheitlich fröhlichen Mund." Das sei das Basisgesicht von christlichen Menschenrechtsaktivisten. Es gibt aber keinen Häppchenkäse mehr. Die leeren Häppchenkäseteller machen mich augenblicklich traurig. Ich denke: 'Der Häppchenkäse ist schon nach Hause gegangen.' So was ist wirklich einfach sehr traurig, Zahnstocher auf leeren Papptellern. Weil ich traurig bin, kann ich mit meinem Gesicht keinen überzeugenden feiernden christlichen Menschenrechtsaktivisten mimen. 'Ich fühle mich beobachtet', fühle ich.
Die Vorsicht der anderen Gäste wird zu konkretem Misstrauen; bei einer harmlosen Konversation lässt man mich mit einem halben Satz außerhalb von meinem Mund und seiner anderen Hälfte noch im Mund dastehen. Hier ist der Satz, der jetzt draußen über dem Rhein schwebt: "Manchmal verliere ich angesichts völlig banaler Dinge die Kontrolle über meinen Traurigkeitshaushalt, und dann werde ich so unendlich traurig, dass …"
Als Kind habe ich geglaubt, dass es einen Ort gibt, zu dem all unsere Sätze fliegen, nachdem sie ausgesprochen wurden. Wenn jemand diesen Ort findet, wird er allen Gesprächen, die jemals seit Beginn des Sprechens geführt wurden, auf einmal zuhören, auch Selbstgesprächen einsamer Menschen oder Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten oder strategischen Beratungen von Entführern eines Öltankers oder Schreien von Leuten, die auf einen Berg klettern und dann runterfallen.
Auf dem Floß unterhalten sich Prominente aus Medien und Wirtschaft mit den Menschenrechtsaktivisten über Moscheen, Großstadtwandel und Polynesien. Im Vergleich zu Sätzen von Leuten, die von einem Berg runterfallen, beginnen die Sätze auf dem Floß statistisch häufiger mit "In der Diskussion hat sich aber vor allem gezeigt, dass …" und mit "Die Türkei allerdings …".
Ich verliere Mo aus den Augen. Kurz die Angst: 'Mo ist in den Fluss gesprungen, ohne mich, mit Anlauf.' Ich denke immer 'mit Anlauf', wenn ich von jemandem denke, der springt. Das soll mir meinen Elan und Enthusiasmus vorspiegeln. Aber Mo ist noch da, er bringt uns Wein. Er sagt: "Der Wein ist vom Rhein." Das lasse ich mir mehrmals lautlos innen von meinem Kopf zurücksagen, Reime entspannen doch so. Erst, als ich mich von einem christlichen Menschenrechtsaktivisten mit unauffälliger Krawatte bei der Entspannung ertappt fühle, höre ich auf, mir von meinem Kopf sagen zu lassen, woher der Wein kommt. Mo unterhält sich mit mehreren Leuten, die nicht ich sind, auf einmal. Ich gehe ein bisschen beleidigt weg.
An der Theke lassen drei Männer einander in einer mit vielen Gurr-Lauten versetzten Sprache ausreden. Ihre Themen sind Verkaufszahlen und Gefahren neuer technischer Entwicklungen im Bereich der Lesegeräte für elektronische Bücher. Ich denke: 'Dieses Wetter heute, auf dem Fluss, das würde man gemeinhin als mildes Wetter beschreiben.' Wenn ich jetzt eine Konversation mit diesen drei Männern beginne, möchte ich es genauso selbstbewusst machen, wie ich über das Wetter nachdenke. Weder das Wetter noch die drei wissen das Geringste über meine Vergangenheit. Das macht mich Henry-Maske-selbstbewusst und sehr einsam.
Ich versuche dreistimmig gleichzeitig "Hallo" und "Guten Tag" und "Grüß Gott" zu den drei Männern zu sagen, weil ich nicht weiß, welche Grußformel die Etikette vorschreibt. Die drei Männer interessieren sich sofort für jemanden mit einem Sprachfehler. Hinter ihnen hat sich eine Brücke so perspektivisch schön eingerichtet, dass sie mit ihren drei Bögen millimetergenau deren ergrautem Haar anliegt. Eine unheimliche Symmetrie, die mich sofort enthusiastisch glauben lässt, hier sei christliche Symbolik möglich.
Ohne dass ich das wissen wollte, verraten mir die drei Männer, dass sie Schriftsteller sind. Ihr Deutsch quält sich mühsam ins Sprechen hinaus. Ich kann kaum verstehen, was sie meinen, wenn sie sagen: "Gehören Sie hier dazu?" Wozu? Zum Rhein? Zum Floß? Zu den Aktivisten? Zur Theke? Zu Schriftstellern? Zu einer geheimen Sekte? Ich wünschte, dass auch mir eine Brücke auf dem Kopf läge.
Ob sie denn dazugehörten, gegenfrage ich die Schriftsteller höflich. Sie lachen, als wäre meine Überforderung ein Scherz. Man habe ihnen etwas gezahlt, damit sie kommen, erfahre ich, also sind sie gekommen. 'Bei mildem Wetter', denke ich. Sie werden einen 'Auftritt' haben und für 'Fragen aus dem Publikum' 'zur Verfügung stehen'. Ich nicke begeistert, weil ich gerne einer von ihnen wäre. Ein Leben, in dem ich bezahlt werde, um irgendwo hinzugehen, stelle ich mir schöner vor als mein Leben, in dem ich nicht bezahlt werde, um irgendwo hinzugehen.
Die Schriftsteller sind betrunkener als die christlichen Menschenrechtsaktivisten. Einer fällt in den Rhein und ertrinkt ein bisschen herum. Die beiden anderen wiegen seine Bedeutung für die Weltliteratur ab. Der Rhein hier ist aber unerheblich, und ich stelle mir die Szene eh nur vor, weil ich nicht weiß, worüber man sich mit Leuten unterhält, die bezahlt werden, um irgendwo zu sein. Ich weiß auch nicht, worüber sie sich mit mir unterhalten sollten. Ich gehe weg. Ich ertrage den Anblick der Brücke auf ihren Köpfen nicht mehr. Bei Mo ist es immer am sichersten, da stelle ich mich hin.
Mo erzählt gerade, er sei Polynesier mütterlicherseits. Niemand, außer mir, glaubt ihm das. Mo möchte, wie wir alle, einfach nur in Sicherheit und Normalität immer weitermachen. Mo ist verliebt in eine christliche Menschenrechtsaktivistin aus Köln namens Anna. Mo und ich sind nur wegen Mos Verliebtheit hier. Mos Verliebtheit trägt ein grünes Kleid und hat viel mehr Haare als Mo und ich zusammen. Ich bin verliebt in finnische Seen. Ein Leben, in dem man mir eine Reise zu den finnischen Seen zahlen würde, wäre angenehmer als dieses Leben, in dem mir niemand so eine Reise zahlt.
"Ich habe vor Annas Schönheit Angst", flüstert Mo mit seiner polynesischen Stimme. Ich wünschte, ich hätte ein Hemd an. Ich habe ein T-Shirt an mit Sylvester Stallone drauf. Die Form eines T-Shirts erscheint mir auf einmal grotesk. Ich denke: 'Wie konnte sich das je durchsetzen!' Die Sonne steht hoch am Himmel, der Heiligenschein des Mittags. Mo sammelt Mut. Mo ist kein schöner Mann. Mo muss da jetzt durch. Mo sagt "Jetzt oder nie", und geht auf Anna zu. Jetzt, Mo, jetzt.
Die beiden Alleinunterhalter stellen einander namentlich vor. Ich bin gerührt, wie freundlich sie das machen. Es ist einfacher jemanden zu mögen als jemanden nicht zu mögen, und trotzdem das alles! Ich wünschte, ich wäre nicht der einzige hier mit einem T-Shirt, auf dem ein italo-amerikanischer Softporno-Akteur guckt. Die Sonneneinstrahlung macht mir zu schaffen. Die Alleinunterhalter behaupten, es folge nun ihr letztes Stück. Es ist ein kulturelles Stück ethnischer Weltmusik mit gleich drei Instrumenten, die aussehen wie Apparaturen beim Orthopäden.
Das Sympathischste an den Fischen ist ihre konstante Niedergeschlagenheit. Es gibt den fröhlichen Fisch nicht. Der Fisch schaut immer so, als denke er gerade an den einen Moment, wo quasi seinesgleichen aus dem Wasser ans Land liefen. Für Amphibien heute ist das ein unvergesslicher Glücksmoment, für die Fische ein großes Trauma. So was ist völlig unverarbeitbar. Mich ergreift ein Geo-Mitgefühl mit den Fischen. Mo zeigt Anna etwas in der Ferne. Ich hoffe, es ist etwas geographisch Intellektuelles.
Ich weiß immer weniger, was ich mit mir auf dieser Feier anfangen soll. Mein Körper fühlt sich an wie eine Kinderzeichnung eines Körpers. Ich gerate in eine moderate Angst, da ich auf einmal nicht mehr weiß, was das Floß auf der Stelle hält. Warum nimmt uns der wilde Rhein nicht mit? Will er mit christlichen Menschenrechtsaktivisten nichts zu tun haben? Ein gütigeres Floß kriegt man doch kaum hin heutzutage! Ist der Rhein vielleicht vergrämt, weil die Aktivisten den ganzen Käse gefressen haben? Ich stelle mir vor: 'Das Floß treibt aufs Meer', und irgendwann trachten wir nach dem selbstvergessenen Leben der traumatisierten Fische, um selbst zu überleben. Oder wir essen die beiden Alleinunterhalter. Oder die Menschenrechtsaktivisten essen Mo und mich, weil wir gesellschaftlich hier die am wenigsten Wertvollen sind.
Ein Menschenrechtsaktivist sagt, er heiße Paul. Ich frage ihn, ob er wisse, warum wir nicht davonfliegen. Das ist ein Versprecher. Ich will 'fließen' sagen. Paul lacht. Ich denke: 'Paul lächelt mich an.' Ich könnte mir vorstellen, mit Pauls Lächeln ein Hemd kaufen zu gehen, in einem anderen Leben. Wir unterhalten uns über 'dieses und jenes'. Es fällt mir schwer, gebildeten und unironisch guten Menschen wie Paul zu folgen, weil ich mir fortwährend meiner eigenen Unzulänglichkeiten und Unbrauchbarkeiten klar werde.
Paul hat kaum Hautverunreinigungen. Ich versuche, Paul mit einem Gesichtsausdruck zwischen 'aufmerksam' und 'zum Weiterreden einladend' zuzuhören. Ich öffne meinen Mund ein wenig. Weil ich so beschäftigt bin mit meinem Gesichtsausdruck, verliere ich Pauls Faden. Ich denke: 'Pauls Faden war rot'. Ich werde niemals so viel gute Dinge für andere getan haben wie Paul. Das denke ich ohne Schuldgefühl.
Mo und Anna sitzen am Rand des Floßes, 'ihre Beine baumeln im Fluss'. Es ist rührend, Anna macht Mo die Fische vergessen. 'So geht Liebe', denke ich, 'wenn dich jemand nicht panisch werden lässt'. "Apropos Panik, ich könnte niemals zum Psychiater gehen", sage ich zu Paul, nachdem er einen Satz beendet hat, in dem die Abkürzung 'NGO' vorkam, "weil ich immer denken würde: 'Jetzt sitze ich einem Psychiater gegenüber', oder: 'Das ist jetzt mein Psychiater, der mir einen Ratschlag gibt.'" Paul sagt, er gehe jetzt noch ein wenig mit anderen sprechen.
Die Aufregung und die soziale Inkompatibilität machen es mir unmöglich, eine Unterhaltung ›wie ein normaler Mensch‹ zu führen. Mo und Anna lachen über einen Witz, den entweder Mo oder Anna gemacht hat. Ich empfinde einen Hoffnungsschimmer, als das passiert. Seit Paul weg ist, will niemand mehr etwas von mir wissen. Ich erwische mich dabei, wie ich über Dinge wie Inflation und Rezession und Stromsparen nachdenke. Auch wiege ich Pros und Kontras ab, ›auf den Rhein hinauszuschwimmen‹. ›Mit Anlauf‹ vom Floß einen Köpfer und männlich konzentriert Brustschwimmen mit barem Oberkörper. ›Barer Oberkörper‹. Die Verunsicherung, ob man hier ›bar‹ sagen kann, bringt mich von meinem Plan ab.
Einer der Schriftsteller stellt sich vorne hin und liest laut vor. Da Dichter wichtig sind, hören die meisten zu. Ich denke: 'Alle Gespräche verstummen', und das ist bedauerlich, weil Mo und Anna sich doch gerade so ein bisschen fast verliebt zu unterhalten schienen aus der Entfernung. Ich würde am liebsten nach vorne gehen und den Schriftsteller höflich fragen, ob er nicht doch etwas später vorlesen möchte. Aber ich bin noch nie in meinem Leben nach vorne gegangen, um etwas zu fragen. Ich drehe mich 'aus Protest demonstrativ' um.
Die Brücke, die den Schriftstellern auf dem Kopf lag, schwebt jetzt frei über dem Rhein. Ich habe das Bedürfnis, das Wort 'Distanz' laut auszusprechen. Ich bin zu anderen Menschen meistens 'distanziert'. Mo stellt sich zu mir. Sofort weiß ich, dass er weiß, dass Anna weiß, dass er niemals genug sein wird für sie. Am Morgen hat sich Mo wegen Anna kein Sylvester-Stallone-T-Shirt angezogen. Am Morgen hat er mir eine statistische Erhebung vorgelesen, in der sich Akademikerinnen mehrheitlich nach einem Partner auf finanzieller und intellektueller Augenhöhe sehnen. Mos polynesische Augenhöhe ist jetzt die eines niedergeschlagenen Fisches.
Eine aggressive Mittelmäßigkeit befällt mich. Wir müssen weg hier. Ich kann fühlen: 'Der Fluss unter uns gibt nicht sein Bestes'. Ökologie, du Opium des Volkes. Auch ich gebe meistens nicht 'mein Bestes'. Ich mache das, was ansteht, damit es irgendwie weitergeht, und das reichte bisher immer, weil es immer irgendwie weiterging. Ich glaube, Mo hat bei Anna in der Kürze der Zeit 'sein Bestes' versucht. Vielleicht bin ich ja deswegen nur 'mittelmäßig zufrieden insgesamt', weil ich nie 'mein Bestes' gebe.
Ich müsste einen Profisportler oder einen dieser Motivationstrainer finden, die mir beibringen, wie man 'sein Bestes gibt'. Dann werde ich es Mo beibringen. Je mehr von uns wissen, wie sie 'ihr Bestes' geben können, desto mehr anderen können sie es wiederum beibringen, und am Ende wissen wir es vielleicht alle oder die meisten wissen es, und die Welt wird 'ein besserer Ort' mit weniger militärischen Auseinandersetzungen.
Ich fasse Mo an der Schulter. Das machen wir gelegentlich so. Und ich sage noch, ich könne es ihm gar nicht richtig klar machen, wie froh ich sei, dass es Menschenrechtsaktivisten gibt, und überhaupt Leute, die wissen, was sie tun sollen, was wir alle tun sollten, die wiederum nichts tun und wenig wissen. Mo sagt, ich sei 'full of bullshit'. Ich gluckse, weil Mos Englisch nicht das beste Englisch des Planeten ist, und einige Köpfe drehen sich nach uns um, weil wir in einer Situation, in der sozialerweise zugehört wird, genau das Gegenteil machen und das dann auch noch nicht in ihrer Muttersprache.
Mo flüstert, er sei froh, dass es 'Statistische Erhebungen' gibt und 'Digitale Photographie' und 'Vereinsaktivitäten'. Ich füge 'Mildes Wetter', 'Mit Füßen Baumeln' und 'Unser Bestes Geben' hinzu. Gemeinsam kommen wir noch auf 'Freundliche Zurückhaltung Wenn Uns Etwas Stört Das Nicht So Arg Schlimm Ist', und auf 'Küken' als Vokabel und als Lebensgefühl. Die Liste beschließen wir mit 'Kleine Kekse Die Man In Vielen Cafés Überall Auf Der Welt Zum Kaffee Kriegt' sowie mit den Städten 'Hamburg' und 'Reykjavik'.
Ob er mit mir das Partyfloß verlassen möchte, um in der rheinischen Innenstadt ein Hemd zu kaufen, frage ich Mo. Mo hört dem Schriftsteller einen Absatz lang zu. Mos schöne Zuhöraugen. Meine Angst, dass ich nichts Nützliches kann, das jemand anderem etwas nutzen könnte, ist heute nicht kleiner geworden. Stattdessen hat sich die Distanz zwischen meinem und einem möglichen anderen Leben und zwischen mir und dem Kampf für die Erhaltung der Menschenrechte und zwischen mir und den finnischen Seen um viele Kilometer erhöht.
Die Distanz ist jetzt, da Mo und ich die schöne blöde Feier leise verlassen, fast so groß, dass es mich für all die Menschen auf dem Floß, außer vielleicht für Paul, gar nicht mehr gibt. In dieser schwierigen Situation sind die einzigen Distanzen, die heute kleiner wurden, die zu den Fischen und die zwischen Mo und mir. "Ich", sagt Mo, "glaube, uns wird niemals etwas gelingen, auf das eine wohltätige Organisation stolz sein könnte." Hinter uns gibt es den Applaus für den Schriftsteller.
"Manchmal", sage ich, und ich spreche ganz langsam, weil ich weiß, dass mich Mo auch dann anhören würde, wenn sich der glückselige Fluss hinter uns erheben und der Stadt Köln eine schallende Ohrfeige geben würde, "manchmal verliere ich angesichts völlig banaler Dinge die Kontrolle über meinen Traurigkeitshaushalt. Und dann werde ich so unendlich traurig, dass sich das anfühlt, als ob ich keinen Brustkorb hätte, sondern ein bares Herz, das raus will, raus drängt, um mein unsinniges Mich und meine unsinnige Trauer nicht länger", sage ich, "nicht länger", wiederhole ich, "ertragen zu müssen."
Saša Stanišić (Foto: Juliane Henrich)
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"Ich schreibe auf Deutsch - das ist so selbstverständlich, daß es fast banal wirkt."
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