Arbeitsmarktdiskriminierung von MigrantInnen – Zwischen strukturellen Barrieren und interpersoneller Ausgrenzung

Farm-Arbeiter

 

von Mario Peucker

Es ist heute auch außerhalb politischer und sozialwissenschaftlicher Expertenkreise bekannt, dass MigrantInnen am Arbeitsmarkt – wie auch in vielen anderen Lebensbereichen – eine benachteiligte Position im Vergleich zu Deutschen ohne Migrationshintergrund einnehmen: So sind sie etwa häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen und dementsprechend unter den Hartz IV-Empfängern überrepräsentiert, sie arbeiten öfter in prekären Beschäftigungsverhältnissen, sind in Jobs der öffentlichen Verwaltung unterrepräsentiert und überdurchschnittlich häufig im produzierenden Gewerbe und in solchen Segmenten des Dienstleistungssektors tätig, die von schlechter Bezahlung und ungünstigen Arbeitsbedingungen geprägt sind.

Verkürzte Ursachenanalyse: geringeres Qualifikations- und Sprachniveau

Diese Arbeitsmarktdisparitäten haben vielfältigste Ursachen, werden aber in der deutschen Integrationsdebatte meist – stark verkürzt – mit nur zwei Faktoren erklärt: das niedrigere Qualifikationsniveau und die geringeren Deutschkenntnisse von MigrantInnen. Während letzterem ein überwiegend (wenngleich nicht ausschließlich) migrationsspezifisches Erklärungsmuster zugrunde liegt, sind die Ursachen der durchschnittlich geringeren Qualifikationen primär in einer Verflechtung von sozialen und strukturellen Faktoren zu sehen, die oft mehrere Generationen in die Zeit der Gastarbeiteranwerbung zurückreichen, als überwiegend weniger gut (aus)gebildete Arbeiter angeworben wurden. Die Folgen des durchschnittlich niedrigeren sozioökonomischen Status dieser frühen Migrantengenerationen, deren schwächer ausgeprägten Aufstiegsmobilität und geringerem (wie es die Ökonomen nennen) „Humankapital“ spiegeln sich bis heute in den Arbeitsmarktstatistiken wieder – und werden vom deutschen Bildungssystem über die Generation hinweg stärker perpetuiert als in den meisten anderen OECD-Ländern, wie wir spätestens seit PISA wissen.

Mit diesen zwei ineinander greifenden und sich wechselseitig verstärkenden Faktoren des niedrigeren Qualifikationsniveaus und der schwächeren Deutschkenntnisse scheint für die meisten Akteure der deutschen Integrationspolitik der Teufelskreis der sozialen Ausgrenzung und so auch die schlechtere Stellung von MigrantInnen am Arbeitsmarkt hinreichend erklärt.

Diskriminierung: Leerstelle in der deutschen Integrationsdebatte

In der deutschen Integrationsdebatte fällt das Wort Diskriminierung äußerst selten. So taucht das Thema im Nationalen Integrationsplan bei den Selbstverpflichtungen der Bundesregierung, der Länder oder Kommunen kein einziges Mal auf. Das nahezu vollständige Nicht-Thematisieren von ethnischer Diskriminierung als eine zusätzliche Erklärung der Arbeitsmarktdisparitäten überrascht angesichts der inzwischen dazu vorliegenden empirischen Hinweise. Außerdem ignoriert diese integrationspolitische Leerstelle das besorgniserregende Ausmaß subjektiver Diskriminierungserfahrungen von MigrantInnen im Arbeitsleben, wie es in Befragungen von MigrantInnen regelmäßig belegt wird (z.B. Mehrthemenbefragung des Zentrums für Türkeistudien: Sauer 2009: 167; EU-MIDIS: FRA 2009: 43; Bertelsmann 2009:69-71).

Im Folgenden werden einige Ergebnisse der deutschen Diskriminierungsforschung exemplarisch skizziert. Dabei wird eines deutlich: Wenngleich unsere Einblicke in diese menschenrechtswidrige und allen ökonomischen Leistungsprinzipen moderner Gesellschaften widersprechenden Phänomene nach wie vor begrenzt sind, so liegen doch hinreichende Erkenntnisse vor, die die Problematik der Diskriminierung von MigrantInnen am Arbeitsmarkt unzweifelhaft belegen und Einblicke in konkrete Formen und Mechanismen aufzeigen.

Arbeitsmarktdisparitäten – alles eine Frage des Humankapitals?

Ein auch in Deutschland oft beschrittener Weg der Diskriminierungsforschung basiert auf der statistischen Analyse von umfassenden Bevölkerungsdaten (z.B. Mikrozensus oder SOEP). Dabei wird versucht, die benachteiligte Stellung von MigrantInnen auf dem deutschen Arbeitsmarkt mit Hilfe komplexer Verfahren zu erklären, indem bestimmte Faktoren, denen man im diskriminierungsfreien Kontext einen Einfluss auf die benachteiligte Stellung unterstellt (wie etwa Alter, Geschlecht, Qualifikation), statistisch kontrolliert werden. Verschwinden bei diesem Verfahren die Gruppenunterschiede zwischen MigrantInnen und Nicht-MigrantInnen, kann man annehmen, dass die konstant gehaltenen Faktoren die Disparitäten maßgeblich erklären. Bleibt jedoch ein „unerklärlicher Rest“ bestehen, deutet dies auf das Wirken von Diskriminierung (oder anderer versteckter Faktoren) hin. Vielfach haben solche statistischen Analysen gezeigt, dass die unterschiedliche Ausstattung mit Humankapital (z.B. geringeres Qualifikations- und Bildungsniveau, Deutschkenntnisse) zwar ein wichtiger Erklärungsfaktor für die Arbeitsmarktungleichheiten ist, diese aber insbesondere bei bestimmten MigrantInnengruppen nicht vollständig erklärt – ein Indiz (aber kein Beweis!) für das Wirken von diskriminierenden Mechanismen und Verhaltensweisen am Arbeitsmarkt.

Kalter und Granato (2001) analysierten mit einem solchen Untersuchungsdesign Mikrozensusdaten zur Arbeitsmarktbeteiligung von ausländischen Beschäftigten aus verschiedenen Herkunftsländern. Auch unter statistischer Kontrolle von Faktoren wie Bildungsqualifikationen, Alter und Geschlecht lösten sich die Unterschiede zwischen Deutschen und Ausländern hinsichtlich ihrer Arbeitsmarktsituation nicht vollständig auf: Insbesondere in der Gruppe der Türken ließ sich die schlechtere Arbeitsmarktbeteiligung nicht allein durch solche humankapitalbezogenen Faktoren erklären. Diskriminierung scheint demnach eine zusätzliche Hürde für türkische MigrantInnen beim Zugang zum und der Platzierung am Arbeitsmarkt darzustellen.

Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch Seibert und Solga (2005) in ihrer Untersuchung der Übergange zwischen Berufsausbildung und Arbeitsmarkt: Auch unter statistischer Kontrolle verschiedener Einflussfaktoren finden insbesondere junge TürkInnen (aber auch andere Ausländergruppen) nach einer erfolgreich abgeschlossenen Ausbildung signifikant schlechter Zugang zu einer qualifizierten Beschäftigung als deutsche AusbildungsabsolventInnen; dies gilt nicht nur, aber in besonderem Maße für junge türkische Männer. Einerseits können Frauen ihren Ausbildungsabschluss insgesamt schlechter verwerten als Männer, anderseits haben bestimmte Gruppen von Migrantinnen (z.B. im Ausland eingeschulte Türkinnen und junge Frauen aus anderen Anwerbeländern) unabhängig von ihrem Ausbildungsniveau geringere Chancen, eine qualifiziere Beschäftigung zu finden, als deutsche Frauen. Seibert und Solga schlussfolgern, dass die Signalwirkung, die eine absolvierte Berufsausbildung auf Arbeitgeber hat, bei türkischen MigrantInnen schwächer ausfällt als bei jungen Deutschen; sie sprechen von einem „ethnisch modifizierten Signalwert des Ausbildungsabschlusses“: Trotz gleicher Qualifikationen sehen sich insbesondere türkische MigrantInnen mit benachteiligenden Barrieren beim Zugang zu einer qualifizierten Beschäftigung konfrontiert.

Um diese Barrieren genauer zu untersuchen – und die Schlussfolgerung von Solga und Seibert zu überprüfen –, griff Kalter (2006) auf SOEP-Daten zurück. Er fand bei seiner Analyse heraus, dass sich die unterschiedlichen Arbeitsmarktchancen von jungen Deutschen und türkischen MigrantInnen weitgehend durch zwei zusätzliche Faktoren erklären lassen, „sehr gute Deutschkenntnisse“ und vorhandene Netzwerkressourcen (kritisch dazu siehe Seibert/Solga 2006). Kalters Hinweis auf den Einfluss von Netzwerken bei der Suche nach einem Arbeitsplatz ist von zentraler Bedeutung. Leider bezieht er diesen Befund einseitig auf die Suchprozesse der MigrantInnen, deren Netzwerkressourcen offenbar weniger erfolgreich einsetzbar sind, und weniger auf die Rekrutierungsverfahren der Arbeitgeber. Damit verpasst er die Gelegenheit, auf die strukturellen Barrieren beim Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt durch Rekrutierungsstrategien über soziale Netzwerke hinzuweisen – eine Form von struktureller Diskriminierung, die in anderen Ländern längst als zentraler Mechanismus der Arbeitsmarktdiskriminierung gilt (z.B. Pager/Shepard 2008: 196), aber in Deutschland bisher kaum untersucht worden ist.

Auch der 2009 veröffentlichte OECD-Bericht zur Arbeitsmarktintegration von jungen MigrantInnen (20 bis 29 Jahre) der zweiten Generation zeigte nicht nur, dass der Anteil der Geringqualifizierten ohne Abitur oder Ausbildung unter den jungen Menschen mit Migrationshintergrund doppelt so hoch ist wie bei denen ohne Migrationshintergrund – der Bericht unterstrich auch aufs Neue, dass die Beschäftigungschancen von MigrantInnen auch bei gleichem Bildungsniveau deutlich geringer sind als von jungen Deutschen ohne Migrationshintergrund (Liebig/Widmaier 2009). Ein besonders beachtenswertes Ergebnis der Studie ist, dass sich in Deutschland, anders als in den meisten anderen untersuchten OECD-Ländern, die Beschäftigungschancen zwischen jungen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund gerade in der Gruppe der Hochqualifizierten besonders deutlich unterscheiden, während diese Unterschiede in der Gruppe der gering Qualifizierten wesentlich geringer ausfallen – ein empirischer Befund, der der gängigen Erklärung der Arbeitsmarktdisparitäten mit Faktoren von Geringqualifizierung und Sprachdefiziten deutlich entgegenläuft und auf das Wirken diskriminierender Mechanismen hinweist. Offenbar, so schlussfolgert der OECD-Migrationsexperte Liebig, werden die Bildungserfolge von MigrantInnen und deren Nachkommen „noch nicht ausreichend honoriert“ (Pressemitteilung OECD 15.10.2009).

Testing-Verfahren: Diskriminierung beim Arbeitsmarktzugang lässt sich beweisen

Dieser statistische Ansatz der Diskriminierungsforschung liefert Hinweise auf das Wirken von Diskriminierung und Erkenntnisse über Einflussfaktoren der benachteiligten Stellung von MigrantInnen am Arbeitsmarkt. Solche Untersuchungsdesigns sind jedoch methodisch nicht geeignet, eine zuverlässige Aussage über das tatsächliche Vorliegen von Ungleichbehandlung zu treffen. Dafür ist ein anderer Forschungsansatz besser geeignet, der in Deutschland aber bislang erst selten systematisch angewandt worden ist: Discrimination Testing oder (matched-pair) Situation Testing.

Bei diesem Verfahren wird das Einstellungsverhalten von Arbeitgebern (Gatekeeper) getestet, indem sich zwei Personen („Tester“) in einem quasi-experimentellen Setting auf real ausgeschriebene Stellen bewerben. Beide Tester unterscheiden sich nicht hinsichtlich der für die jeweilige Stelle relevanten Qualifikationen und Eignungen (z.B. Bildungsabschlüsse, Berufserfahrung, Deutschkenntnisse, Alter), lediglich die Name der Testbewerber deuten darauf hin, dass der eine Tester einen Minderheitenhintergrund hat und der andere als „Mehrheits-Deutscher“ wahrgenommen wird. In einem diskriminierungsfreien Auswahlprozess müssten beide Bewerber die gleichen Chancen haben, in die nächste Phase des Auswahlprozesses (z.B. Einladung zu einem Bewerbungsgespräch) eingeladen zu werden.

Mit einem solchen Forschungsansatz wurden Mitte der 1990er Jahre in der von der International Labour Organisation (ILO) in Auftrag gegebene Untersuchung von Goldberg und Mourinho (2000) diskriminierende Einstellungspraktiken von Arbeitgebern eindeutig belegt. Es wurden dafür 175 Stellenausschreibungen in Nordrhein-Westfalen von einem „deutschen“ und einem „türkischen“ Bewerber getestet, beide Anfang 20, beide mit einwandfreiem Deutsch und gleichen Qualifikationen und Schullaufbahn in Deutschland. In 19 Prozent der Fälle stellten die Forscher eine diskriminierende Ungleichbehandlung des „türkischen“ Bewerbers fest, auffällig häufig bei Bewerbungen um Stellen im Dienstleistungsbereich (Goldberg/Mourinho 2000) – ein Befund, der übrigens auch bei Testing-Untersuchung in anderen Ländern offenkundig wurde (vgl. Taran 2007).

Im Februar 2010 legten die beiden Ökonomen Kaas und Manger (2010) die Ergebnisse einer methodisch ähnlich angelegten Testing-Studie vor, bei der 528 Ausschreibungen um Praktikumsstellen mit zwei deutschen und zwei türkischen (männlichen) Bewerberidentitäten getestet wurden. Insgesamt erhielten die deutschen Bewerber 14 Prozent mehr Rückrufe; bei den kleineren Unternehmen lag die Diskriminierungsquote mit 24 Prozent deutlich höher. Die ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von türkischen und deutschen Bewerbern konnte also auch hier eindeutig belegt werden. Kaas und Manger fanden noch etwas anderes heraus: Legten die Tester ihren Bewerbungsunterlagen auch Empfehlungsschreiben von früheren Arbeitgebern mit Anmerkungen zu ihrer gewissenhaften und angenehmen Arbeitsweise bei, waren kaum noch Unterschiede bei der Reaktion der Gatekeeper festzustellen. Die beiden Wissenschaftler werten dies als einen vorsichtigen Hinweis auf „statistische Diskriminierung“ – doch was bedeutet das?

Gründe und Motive für interpersonelle Diskriminierung sind vielfältig

In der deutschen Politik und Öffentlichkeit wird ethnische Diskriminierung nicht nur selten, sondern üblicherweise auch sehr eindimensional als Fehlverhalten einzelner Personen, angetrieben von rassistischen Ressentiments, interpretiert. Eine genauere Analyse verschiedener qualitativer Datenquellen macht jedoch deutlich, dass die Gründe für interpersonelle Diskriminierung sehr viel komplexer sind (Peucker 2009: 6f).

Was in der theoretischen Literatur als „statistische Diskriminierung“ (Arrow 1973) bekannt ist, beschreibt eine konkrete Form der Ungleichbehandlung, die auch in Deutschland empirisch nachgewiesen worden ist. Ausgangspunkt solcher interpersonellen Diskriminierungsprozesse sind weniger Ressentiments gegenüber MigrantInnen, sondern ein „Mangel an Informationen“ über den/die sich bewerbende(n) Migranten/-in. Der Gatekeeper beurteilt die Person dabei nicht auf der Grundlage der individuellen Eignung, sondern lässt sich – bewusst oder unbewusst – von einer „statistischen“ Annahme über die durchschnittliche Eignung der Gruppe, der die/der Bewerber/in anzugehören scheint, leiten (England/Lewin 1989: 240). Solche diskriminierenden Auswahlprozesse sind üblicherweise ökonomisch motiviert: der Personalchef spart sich die Zeit, jede Bewerbung genau zu lesen, und neigt stattdessen dazu, BewerberInnen mit z.B. türkischen Namen auszusortieren unter der Annahme, dass einheimische Deutsche aufgrund des durchschnittlich höheren Qualifikationsniveaus oder anderer zugeschriebener Gruppeneigenschaften im Allgemeinen besser geeignet sind. Durch solche auf Kollektivannahmen basierenden Entscheidungen kann die einzelne Person diskriminiert werden, da er oder sie nicht auf der Grundlage der individuellen Eignung beurteilt wird – unabhängig davon, ob die Annahmen statistisch korrekt sind oder nicht.

Diskriminierung auf der Basis von wahren oder falschen Kollektivannahmen

Statistische Diskriminierung kann auf statistisch belegbaren oder falschen Gruppenannahmen basieren. Sind diese Annahmen empirisch falsch und zugleich negativ konnotiert, bewegt man sich an der Grenze zur Diskriminierung aufgrund negativer Stereotypen, teilweise auch rassistischer Vorurteile und Ressentiments: Wo geht schlichtes Nichtwissen in Ignoranz über und wo beginnen rassistische Ressentiments, handlungsleitend zu werden?

Für diese fließenden Grenzen liegen empirische Belege der deutschen Diskriminierungsforschung vor. Eine Oldenburger Forschergruppe untersucht vor wenigen Jahren Integrations- und Ausgrenzungsprozesse türkischstämmiger MigrantInnen und führte dafür u.a. qualitative Interviews mit Personalchefs. Dabei fanden die Wissenschaftler heraus, dass nahezu alle Befragten „ihre Handlungsspielräume [im Rekrutierungsverfahren] zu Ungunsten der türkischen Migranten“ nutzten (Gestring et al 2006: 162). Als Rechtfertigung führten einige der befragten Gatekeeper Kollektivaussagen zu türkischstämmigen Beschäftigten an: Diese hätten oft kein Interesse an Weiterbildung und eine geringe Arbeitsmoral und seien unzuverlässig. Türkischstämmigen Männern wurde „machohaftes Auftreten“ und „fehlende Teamfähigkeit“ unterstellt; insbesondere als Verkäufer würde ihnen die „professionelle Demut“ fehlen. Ob diese Meinung auf schlechten persönlichen Erfahrungen oder schlicht auf negativen Stereotypen beruht, spielt dabei für den oder die einzelne(n) Bewerber/in keine Rolle, da er oder sie keine Chance bekommt, den Arbeitgeber vom Gegenteil zu überzeugen. Türkischstämmige Bewerberinnen, die ein Kopftuch tragen, würde die Mehrzahl der befragten Personalverantwortlichen grundsätzlich nicht einstellen oder steht einer solchen Einstellung zumindest mit großer Skepsis gegenüber.

Befürchtete negative Reaktion Dritter als Grund für direkte Diskriminierung

Die Oldenburger Forschergruppe entdeckte auch eindeutige empirische Hinweise auf ein weiteres Diskriminierungsmotiv, wonach MigrantInnen deshalb beim Zugang zum Arbeitsmarkt benachteiligt werden, weil Arbeitgeber negative Reaktionen Dritter vorhersehen. Sie befürchten etwa Konflikte zwischen der bestehenden Belegschaft und neuen Beschäftigten mit nichtdeutschem Hintergrund oder negative Kundenreaktionen auf Kopftuch tragende Verkäuferinnen oder „machohaften“ auftretende Verkäufer türkischer Herkunft, die ökonomische Einbußen zur Folge haben könnten (ebd.). Für dieses Argumentationsmuster zur Rechtfertigung von Ungleichbehandlung – in der wissenschaftlichen Literatur „societal discrimination“ genannt (Wrench 2007: 118) – finden sich nicht nur in der Forschung, sondern auch bei der Analyse von einschlägigen Gerichtsurteilen empirische Belege. Auch in dem berühmten Bundesarbeitsgerichtsverfahren im Jahr 2002 (Az.: 2 AZR 472/01) zur Kündigung einer türkischstämmigen Verkäuferin wegen ihres muslimischen Kopftuchs im hessischen Schlüchtern hatte der Arbeitgeber mit den befürchteten ökonomischen Einbußen argumentiert, sollte die klagende Verkäuferin ihr Kopftuch nicht abnehmen. Das Gericht folgte dieser Argumentation bekanntlich nicht und erklärte die Kündigung wegen des unverhältnismäßigen Eingriffs in die Glaubensfreiheit für rechtswidrig.

Negative Meinungsbilder – Kontextfaktor für Diskriminierung

Formen ethnischer Diskriminierung, die sich auf eine vermutete negative Reaktion auf sichtbare Ethnizität im Arbeitsleben berufen, sind eingebettet in ein gesellschaftliches Klima gegenüber ethnischen und religiösen Minderheiten. Es ist anzunehmen, dass das Auftreten von societal discrimination wahrscheinlicher ist, je weiter und tiefer negative Einstellungen gegenüber MigrantInnen und anderen Gruppen in einer Gesellschaft verwurzelt sind. Vor diesem Hintergrund kommt den Ergebnissen verschiedener Umfragen zu Meinungen und Einstellungen der Mehrheitsgesellschaft gegenüber ethnischen und religiösen Minderheiten (z.B. Heitmeyers Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit) eine besondere Bedeutung zu – nicht als direkter Hinweis auf diskriminierendes Verhalten, sondern als Kontextfaktoren: In einer Gesellschaft, in der knapp die Hälfte der Menschen der Meinung sind, es gäbe „zu viele Ausländer in Deutschland“, und sich rund ein Drittel durch „die vielen Muslime (…) manchmal wie Fremde im eigene Land fühlen“ (GMF-Pressemitteilung 2009), werden Arbeitgeber eher negative Kunden- oder Mitarbeiterreaktionen befürchten, als in einem gesellschaftlichen Klima, das von Offenheit gegenüber Migrantinnen geprägt ist. 

Strukturelle Diskriminierung – Ungleichbehandlung ohne Täter

Neben diesen interpersonellen Formen von Diskriminierung am Arbeitsmarkt, treffen MigrantInnen auch auf strukturelle Barrieren indirekter Ungleichbehandlung – eine in Deutschland kaum erforschte Erscheinungsform von ethnischer Diskriminierung, die weder in der Politik noch im der Rechtsprechung bislang die notwenige Beachtung gefunden hat. Strukturelle Diskriminierung kann sich in vielfältigster Weise manifestieren und basiert weniger auf dem Fehlverhalten einzelner „Täter“, sondern auf der Anwendung bestimmter impliziter oder expliziter Praktiken und Regelungen, die – beabsichtigt oder nicht – einen diskriminierenden Effekt auf MigrantInnen oder bestimmte Migrantengruppen haben.

Ungleichbehandlung per Gesetz

Auch gesetzliche Regelungen können diskriminieren („rechtliche Diskriminierung“; vgl. Waldrauch 2001), wie etwa die novellierten Schulgesetze einzelner Bundesländer, die die Beschäftigung von muslimischen Lehrerinnen mit Kopftuch (mehr oder weniger) ausdrücklich untersagen (vgl. Human Rights Watch 2009), oder das zeitwillige Arbeitsverbot von Asylbewerbern und weitere ausländerrechtliche Regelungen zum nachrangigen Arbeitsmarktzugang bestimmter Drittstaatenangehöriger. Auch die sog. Kirchenklausel im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (§ 9 AGG) ist ein typisches Beispiel für gesetzlich verankerte strukturelle Diskriminierung aufgrund der Religion. Demnach können die Kirchen und deren zugeordnete Einrichtungen wie Caritas und Diakonie – die größten Arbeitgeber in Deutschland – bei der Besetzung von Stellen auf die entsprechende christliche Religionszughörigkeit nicht nur unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeit, sondern auch allgemein „im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht“ als Teil der beruflichen Anforderung bestehen – eine Regelung mit indirekt diskriminierender Wirkung auf MigrantInnen.

Solche gesetzlichen Vorgaben mögen – zumindest teilweise – sachlich begründet und aus juristischer Sicht gerechtfertigt sein, doch im Effekt führen sie zu systematischer Benachteiligung bestimmter Migrantengruppen.

Praktiken und Mechanismen mit diskriminierender Wirkung

Strukturelle Diskriminierungsmechanismen gehen weit über solche rechtlich verankerten Formen der Ungleichbehandlung hinaus. Die bereits erwähnten, in Deutschland noch wenig erforschten Rekrutierungsverfahren von Arbeitgebern über bestehende soziale Netzwerke sind ein weiteres Beispiel für die Wirkungsweisen von indirekter Diskriminierung, einer Unterkategorie von struktureller Diskriminierung. Solche Rekrutierungspraktiken zielen nicht intentional auf Diskriminierung ab, doch werden dadurch MigrantInnen, die in solchen sozialen Netzwerken oft weniger eingebunden sind, systematisch benachteiligt und deren Zugang zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt erschwert (Pager/Sheperd 2008: 196; Seibert/Solga 2006). Auch die starke Fokussierung auf formale Bildungs- und Berufsabschlüsse beim Zugang zu qualifizierter Beschäftigung in Deutschland trägt zur Errichtung struktureller Hürden für MigrantInnen bei, die ihre Diplome und Abschlüsse oft im Ausland erworben haben oder wichtige Arbeitserfahrungen ohne entsprechende formalisierte Diplome oder Zertifizierungen gesammelt haben, die in Deutschland nicht anerkannt werden.

In der US-amerikanischen und neuerdings auch in der europäischen Diskriminierungsforschung (z.B. Wrench 2007) werden weitere Facetten von struktureller Diskriminierung wie etwa side-effect discrimination oder past-in-presence discrimination (Feagin/Eckberg 1980: 12-13) intensiv thematisiert. Während side-effect discrimination beschreibt, wie Benachteiligung von MigrantInnen in einem sozialen Bereich (z.B. am Wohnungsmarkt) benachteiligende Effekte in anderen Bereichen (z.B. Bildungserfolge, Arbeitsmarkt) haben kann und sich diese Effekte wechselseitig verstärken können, bezieht sich past-in-presence discrimination auf die besonders in den USA gut untersuchten Langzeiteffekte früherer rassistischer Benachteiligungsmechanismen lange nach der formalen Überwindung dieser Mechanismen (Pager/Sheperd 2008: 197). Gerade die Anerkennung dieser Formen struktureller Diskriminierung hat in den klassischen Einwanderungsländern zu der Einsicht geführt, dass die Einführung von „colourblind“ Politiken allein – ohne positive (Förder-)Maßnahmen – zur Überwindung von ethnischen Ungleichheitsstrukturen nicht ausreicht. Im (Unrechts-)Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit sind solche subtilen Facetten der strukturellen Diskriminierung bislang ebenso wenig angekommen wie in der deutschen Diskriminierungsforschung, obwohl zumindest mit hoher Plausibilität anzunehmen ist, dass diese auch in Deutschland relevante Faktoren zur wissenschaftlichen Erklärung von ethnischer Ungleichheit darstellen.

Fazit

Die Erforschung von Diskriminierung am Arbeitsmarkt und in anderen sozialen Bereichen, wie dem Bildungssystem, dem Wohnungsmarkt oder dem Gesundheitswesen, hat in Deutschland noch ein weites Feld zu bearbeiten. Dies gilt nicht nur, aber besonders für die Untersuchung der vielschichtigen und komplexen Mechanismen struktureller Diskriminierung, die hierzulande noch weitgehend unerforscht sind. Hier hat die deutsche Forschung noch viel aufzuholen – nicht nur gegenüber den USA sondern auch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern – um tiefere Einsichten in die Wirkungen solcher subtiler Formen von Diskriminierung zu erlangen.

Doch trotz all dieser Wissenslücken liegen auch heute schon genügend empirische Belege und Indizien vor, um zu zeigen, dass Diskriminierung ein systematisches Problem am deutschen Arbeitsmarkt darstellt und den gleichberechtigten Zugang zum und die Teilhabe am Beschäftigungssystem für MigrantInnen behindert. Der nächste, längst überfällige Schritt wäre, diese Erkenntnisse in der deutschen Integrationsdebatte und der einheimischen Menschenrechtspolitik nicht länger zu ignorieren und die langjährige Passivität in der Bekämpfung von ethnischer Diskriminierung zu überwinden. Die Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes war dabei wichtig, doch längst nicht ausreichend. Vielfältige weitere Maßnahmen von politischen und zivilgesellschaftlichen Akteuren müssen folgen, um die bestehenden Lücken im gesetzlichen Diskriminierungsschutz zu schließen, potenziell Betroffene in der Wahrnehmung ihrer Rechte zu stärken, und um die gesamte Gesellschaft – Politiker, Arbeitgeber, Verwaltungen, Betriebsräte, Richter, Medien und jede(n) Einzelne(n) von uns – für die komplexe Existenz von Diskriminierung, deren ökonomische Unsinnigkeit und deren Menschenrechtswidrigkeit zu sensibilisieren. 

 

Literatur

 

Bild entfernt.

 

Mario Peucker ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Europäischen Forum für Migrationsstudien (efms), an der Universität Bamberg. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der Integrationsforschung und in der Analyse von Rassismus und ethnischer Diskriminierung.