Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes – offensiv für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft

Christine Lüders

 

von Christine Lüders

Bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) melden sich immer wieder Menschen, die das Gefühl haben, aufgrund ihres Namens oder Alters nicht zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden. In einem Fall hatte ein promovierter Naturwissenschaftler mit verschiedenen Zusatzqualifikationen und Berufserfahrung 230 Bewerbungen verschickt. Nur ein einziges Mal war er zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden. Ein Headhunter riet ihm schließlich, seinen Vornamen Ali in Alex ändern zu lassen und den Nachnamen seiner deutschen Ehefrau anzunehmen, um die Chancen für eine Einladung zu erhöhen.

Wer meint, dies sei ein Einzelfall, der täuscht sich. Betroffen sind nicht nur Menschen mit ausländisch klingendem Namen, sondern auch Frauen oder ältere Arbeitnehmer. So etwas kann sich unsere Gesellschaft nicht leisten. Wir schaden uns selbst, wenn wir Talente ausgrenzen. Außerdem verpflichten uns unsere Grundwerte - Gleichheit und Menschenwürde -  jedem in unserer Gesellschaft die gleichen Chancen zu geben.

Mehr Chancengerechtigkeit durch anonymisierte Bewerbungsverfahren

Ein überaus wichtiger Schwerpunkt in der laufenden Legislaturperiode ist deshalb für uns die Forderung nach Einführung anonymisierter Bewerbungsverfahren. Anonymisierte Lebensläufe können in der Privatwirtschaft die Gerechtigkeit bei der Bewerberauswahl erhöhen. Sie schaffen Chancengleichheit, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden und durch Qualifikation überzeugen zu können. Unter anonymisierten Lebensläufen verstehen wir Bewerbungen, die weder ein Foto, noch den Namen, die Adresse, das Geburtsdatum oder Angaben zum Familienstand der sich bewerbenden Person enthalten.

Dass es in Bewerbungsverfahren zu Diskriminierungen kommt, wird durch Untersuchungen hinreichend belegt. So legt eine Studie des Instituts zur Zukunft der Arbeit Nachteile für Bewerbungen von Menschen mit Migrationshintergrund offen: Bewerberinnen und Bewerber mit türkischen Namen erhielten 14 Prozent weniger positive Antworten als Mitbewerberinnen und Mitbewerber mit deutschen Namen.

Interesse an Modellversuch ist vorhanden

Anonymisierte Lebensläufe sollten deshalb zum Standard in Bewerbungsverfahren werden. Mit diesem Vorstoß zielen wir aber nicht auf gesetzliche Verpflichtungen. Vielmehr geht es darum, das Thema auf die Agenda zu bringen und Sensibilität sowohl in der gesamten Gesellschaft als auch speziell in der Wirtschaft dafür zu wecken.

Wie anonymisierte Bewerbungsverfahren in der Praxis konkret aussehen können, soll von Expertinnen und Experten ermittelt werden. Im Rahmen einer Expertise lassen wir die unterschiedlichen Möglichkeiten der Umsetzung untersuchen. Die Ergebnisse sollen in einem Modellversuch angewendet und im Anschluss umfassend ausgewertet werden.

Bei uns haben sich bereits Firmen gemeldet, die sich an einem solchen Probelauf beteiligen wollen. Ich bin daher zuversichtlich, dass wir mehrere Unternehmen für einen Modellversuch finden. Dass entgegen aller Skepsis das Verfahren anonymisierter Lebensläufe durchaus umsetzbar ist, zeigen nicht zuletzt die Erfahrungen anderer Länder. Es stünde Deutschland gut an, sich dieser Vorreitergruppe von Ländern zuschließen.

Offensive für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft

Außerdem wird die Antidiskriminierungsstelle des Bundes in der laufenden Legislaturperiode eine „Offensive für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft“ starten. Dazu gehört der Aufbau eines Bundesnetzwerkes gegen Diskriminierung. Die Offensive besteht aus drei Säulen: einer Koalition gegen Diskriminierung - Diversity in Ländern und Kommunen, dem Aufbau und der Förderung lokaler Beratungsnetzwerke gegen Diskriminierung sowie einer Informationskampagne „Gemeinsam für gleiche Rechte - Diskriminierung erkennen und handeln!“.
 
Ausbau der Beratung

Einer der Schwerpunkte wird dabei der Ausbau der Beratung und die Unterstützung betroffener Menschen sein. Beratung von Betroffenen steht an erster Stelle der gesetzlichen Aufgaben der ADS und gehört zum Kerngeschäft der Stelle. Aufgabe der ADS ist es, zentrale Anlaufstelle für alle Personen zu sein, die der Ansicht sind, rassistisch oder aufgrund der ethnischen Herkunft, des Alters, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung oder der sexuellen Identität benachteiligt worden zu sein. Diese Personen unterstützt die ADS bei der Durchsetzung ihrer Rechte durch zeit- und bürgernahe rechtliche Beratung, Vermittlung von Beratung durch andere Stellen, das Herbeiführen (soweit möglich und gewünscht) einer gütlichen Einigung zwischen den Beteiligten sowie Ersuchen um Stellungnahme.

Beratung muss nah am Menschen sein und ihn dort abholen, wo er sie braucht. Unser Schwerpunkt in der laufenden Legislaturperiode wird sein, ein Netzwerk der Beratung zu schaffen, das Menschen wohnortnahe Hilfe gibt. Auch muss die Vernetzung der Beratungsstellen für die unterschiedlichen Diskriminierungsmerkmale so gut sein, dass jemand bei Mehrfachdiskriminierung keine drei Anlaufstellen braucht.

Bessere Vernetzung erreichen

Um dies zu erreichen, setzen wir uns für eine stärkere Vernetzung und Förderung lokaler Beratung ein. Es gibt in Deutschland viele Stellen, an die sich Betroffene wenden. Beratung wird zum Beispiel durch betriebliche Beschwerdestellen, Betriebsräte, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände, Kirchen, Ausländerbeiräte, Gleichstellungsbeauftragte und spezielle Antidiskriminierungsberatungsstellen geleistet.

Viele Stellen sind nur für einzelne Zielgruppen, wie zum Beispiel für Frauen, Menschen mit Behinderung oder mit Migrationshintergrund zuständig. Woran es fehlt, ist eine flächendeckende Vernetzung dieser sehr heterogenen Beratungsinfrastruktur. Hier wollen wir ansetzen, um die Unterstützung von Betroffenen vor Ort passgenau und bedarfsgerecht anzubieten.

Koalition gegen Diskriminierung schaffen

Eine nachhaltige Unterstützung von Betroffenen und die Bekämpfung von Benachteiligungen erfordert zusätzlich ein starkes Engagement auf Landes- und kommunaler Ebene. Die ADS will die Zusammenarbeit mit den Ländern und Kommunen verstärken und möchte hierzu eine „Koalition gegen Diskriminierung“ ins Leben rufen.

Schließlich wird als dritte Säule unserer „Offensive für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft“ noch eine Informationskampagne hinzutreten: Gleiche Rechte können nur durchgesetzt werden, wenn es Wissen über das Recht auf Nicht-Diskriminierung, über Erscheinungsformen von Diskriminierung und über spezialisierte Beratungseinrichtungen und Personen, die in Diskriminierungsfällen unterstützen, gibt. Die ADS will daher in enger Kooperation mit spezialisierten Beratungseinrichtungen, Kommunen und Ländern gemeinsame Informations- und Sensibilisierungsaktionen durchführen. Durch die Verbreitung von entsprechendem Wissen wollen wir einen gesellschaftlichen Bewusstseinswandel hin zu einer Kultur der Nicht-Diskriminierung fördern.

Forschungslücken sollen geschlossen werden

Wichtig ist uns aber auch, den Wissensstand über Diskriminierungen und Gegenstrategien zu verbessern. Daher arbeiten wir im Bereich Forschung zurzeit an einer Reihe von Expertisen, die sich mit zahlreichen offenen Rechts- und Praxisfragen beschäftigen. Ziel ist, die rechtliche und sozialwissenschaftliche Diskussion zu offenen Fragen der Antidiskriminierungspolitik und -arbeit voranzutreiben. Die Ergebnisse dieser Forschungsvorhaben werden wir übrigens am 16. September auf einer Fachtagung diskutieren.

Themen dieser Forschungsreihe sind etwa die Benachteiligung von Menschen mit Behinderung bei Geschäften des täglichen Lebens, Diskriminierung von muslimischen Menschen im Arbeitsleben sowie Diskriminierungserfahrungen von lesbischen und transidenten Menschen.

Untersucht werden aber auch betriebsbezogene juristische Fragen, wie Beschwerdestellen und -verfahren nach dem AGG, Organisationspflichten von Arbeitgebenden sowie Testingverfahren. Hinzu kommen übergeordnete Themen wie mehrdimensionale und Mehrfachdiskriminierung, mittelbare Diskriminierung, ein Rechtsvergleich zur Umsetzung der europäischen Richtlinien sowie zu AGG und Versicherungsrecht.

Einen weiteren Schwerpunkt legen wir auf den Bildungssektor. Angefangen haben wir mit einem Modellprojekt „Diskriminierungsfreie Hochschule“, das Handlungsempfehlungen für Hochschulen entwickeln wird. Hintergrund ist der Gedanke, dass an Hochschulen ausgebildete Fachkräfte Multiplikatoren für einen fairen Umgang in der Arbeitswelt und darüber hinaus werden können. Ergänzend werden wir uns mit dem vorschulischen und schulischen Bildungssektor beschäftigen. Dabei sollen Maßnahmen und Handlungsempfehlungen gegen strukturelle und direkte Diskriminierung gemeinsam mit Bildungspolitikerinnen und Bildungspolitkern in Bund, Ländern und Kommunen entwickelt und diskutiert werden.

Standardisierte Datenerfassung

Ein anderer Forschungsschwerpunkt bezieht sich auf Möglichkeiten, für Deutschland valide Daten über Diskriminierungsfälle regelmäßig zusammenzustellen. Politikplanung braucht diese Daten. Die EU und die Beratungsstellen fordern sie. Zurzeit lassen wir erforschen, welche Möglichkeiten es gibt, die von unterschiedlichen Stellen dezentral und uneinheitlich erfassten Informationen über Diskriminierungsfälle regelmäßig zusammenzuführen.

Ausblick

Mit unserer Offensive einer diskriminierungsfreien Gesellschaft und den damit verbundenen Maßnahmen sowie Initiativen sind wir auf einem guten Weg, Diskriminierungen zu bekämpfen und das gesellschaftliche Bewusstsein für dieses Thema zu sensibilisieren. In den vergangenen Jahren hat sich in Deutschland schon sehr viel getan – aber offenkundig noch nicht genug. Wir müssen und wir werden deshalb die Themen Vielfalt und Antidiskriminierung noch stärker in die Gesellschaft hinein tragen. Länder, Kommunen und Nichtregierungsorganisationen sind dabei für uns wichtige Partner.

 

Weitere Informationen über die Arbeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes finden Sie im Internet.

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Christine Lüders ist Leiterin der ADS. Zuvor war sie Referatsleiterin im nordrhein-westfälischen Integrationsministerium sowie Referatsleiterin für Öffentlichkeitsarbeit und Beauftragte für Stiftungen im hessischen Kultusministerium tätig.