Muslime in Berlin

von Nina Mühe

Das Forschungsdesign
Im Jahr 2006 begann die Open Society Foundation ein mehrjähriges Forschungsprojekt zur Lebenssituation muslimischer Minderheiten in westeuropäischen Großstädten. Die Stiftung, die Monitoring und Förderung von Minderheitenrechten auf der ganzen Welt betreibt, hatte damit zum ersten Mal eine Minderheit in Westeuropa zum Zentrum ihrer Arbeit gemacht. Ein mehrjähriges intensives Forschungsprojekt sollte sich angesichts steigender Islamfeindlichkeit in vielen europäischen Ländern mit den Auswirkungen dieser Entwicklungen auf muslimische Communities sowie mit lokalpolitischen Maßnahmen befassen, die Integration und Teilhabe dieser Bevölkerungsgruppen zum Ziel haben.

Das Projekt wurde in drei Phasen unterteilt:
1. der Erstellung von Hintergrundberichten zur Situation von MuslimInnen in 7 westeuropäischen Ländern sowie Literaturübersichten zu Forschungsarbeiten rund um dieses Thema,
2. dem Hauptteil des Projekts, einer breitangelegten empirischen Forschung in 11 europäischen Städten mit relativ hohem muslimischem Bevölkerungsanteil sowie
3. einer anschließenden Phase der Unterstützung und Förderung ausgesuchter Initiativen in den einzelnen Städten, welche auf eine stärkere Partizipation und Inklusion von MuslimInnen hinarbeiten. 

Der Hauptteil des At Home in Europe Projekts, der qualitativen und quantitativen Forschung zu den Bedürfnisse und Anliegen der

muslimischen Gemeinschaften begann Ende 2007 und wird 2010 sukzessive mit der Veröffentlichung der einzelnen Städteberichte fertiggestellt. Neben dem Erfassen der Bedürfnisse und Anliegen von MuslimInnen in ausgesuchten Stadtteilen in Amsterdam, Rotterdam, Antwerpen, London, Leicester, Marseille, Paris, Berlin, Hamburg und Kopenhagen evaluiert die Forschung außerdem die integrationspolitischen Initiativen und Maßnahmen der jeweiligen Bezirke und Städte im Hinblick auf deren Auswirkungen, insbesondere auf diesen Teil der Bevölkerung.

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In allen 11 Städten wurden fragebogengestützte Interviews mit 100 MuslimInnen und einer Vergleichsgruppe von 100 nicht-MuslimInnen durchgeführt, welche qualitative ebenso wie quantitative Fragen zu 8 zentralen Gesellschaftsbereichen beinhalteten, die für die Studie von Interesse waren: Identität, Bildung, Arbeit, Gesundheit und soziale Sicherheit, Wohnen, Staatsbürgerschaft und Teilhabe, Polizei und Sicherheit und Medien. Zusätzlich wurden sechs Fokus-Gruppen-Interviews mit MuslimInnen durchgeführt sowie19 Leitfaden-Interviews mit Personen aus der Berliner Lokalpolitik, verschiedenen Nichtregierungsorganisationen, muslimischen Vereinen und Gemeinden und anderen ExpertInnen. Die Forschung wird außerdem durch das Feedback einer Vielzahl von TeilnehmerInnen an Runden Tischen ergänzt, die nach einer ersten Forschungsphase zusammenkamen, um die ersten Ergebnisse zu diskutieren.

In Berlin wurde der Kreuzberger Teil des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg für die Durchführung der Studie ausgewählt, da einerseits dort etwa ein Drittel der Bevölkerung muslimisch ist und andererseits dieser Bezirk eine lange Geschichte mit (sub-)kultureller Vielfalt hat und auch einen Teil seiner Identität positiv darüber definiert.

Die Interviewpartner für die 200 fragebogengestützten Interviews wurden mit Hilfe einer Quotenstichprobe ermittelt, welche die muslimische resp. nicht-muslimische Bevölkerung Kreuzbergs in Alter, Geschlecht und ethnischem Hintergrund so gut wie möglich repräsentieren sollte. Zusätzlich wurde darauf geachtet, auch Unterschiede bezüglich des sozialen Hintergrunds bzw. Einkommensniveaus, der räumlichen Verteilung innerhalb des Bezirks sowie der Repräsentation unterschiedlicher religiöser Identifikationen abzubilden. Die Kategorien ‚Muslim’ und ‚Nicht-Muslim’ bezogen sich dabei ausschließlich auf die Selbstdefinitionen der Befragten.

Die Studie stellt für Deutschland die erste breit angelegte Untersuchung zu Bedürfnissen und Anliegen eines Teils der städtischen, muslimischen Community dar und gibt Stimmen von Berliner MuslimInnen wieder, wie sie nur selten wahrzunehmen sind.

Studienergebnisse für Berlin-Kreuzberg
Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat eine Gesamtbevölkerung von über 147.000 mit einer geschätzten muslimischen Bevölkerung von 35.000, die hauptsächlich im Teil Kreuzberg zu finden ist. Menschen mit türkischer Herkunft bilden die größte Minderheitengruppe innerhalb des Bezirks, der auch viele andere Einwohner mit nicht-europäischem (1) Hintergrund beherbergt.

Identität und Zugehörigkeit
Zu den zentralen Ergebnissen der Studie gehört die starke positive Identifikation der befragten MuslimInnen, sowie der nicht-MuslimInnen mit ihrem Bezirk Kreuzberg. Vierundachtzig Prozent der MuslimInnen (und 76 Prozent der Vergleichsgruppe) gaben an, sich stark oder sehr stark zu ihrem Bezirk zugehörig zu fühlen. Die überwiegende Mehrheit der Befragten lebte gern in ihrem Bezirk und 80 Prozent der MuslimInnen glaubten, die Menschen in ihrer Nachbarschaft seien bereit, sich gegenseitig zu helfen.

Diese positive Identifikation mit dem Bezirk ist zum Teil dem Kiezdenken der Stadt geschuldet, wobei die Befragten sich in der Identifikation mit ihrer direkten Nachbarschaft nicht sehr von dem Rest der Bevölkerung unterscheiden. Jedoch werden spezifische Faktoren von den Interviewten genannt, die ihren Bezirk Kreuzberg vor anderen Bezirken hervorheben. Unter den wichtigen Gründen für ein Leben in diesem Viertel waren für viele Befragten die Vielfalt seiner Bewohner. Nur zum Teil resultierten die Vorzüge dieser Vielfalt aus dem Vorhandensein ethnisch-religiöser Infrastruktur, etwa in speziellen Lebensmittelläden oder religiösen Einrichtungen. Von großer Bedeutung war hingegen auch die Atmosphäre einer Akzeptanz von Diversität, welche durch diese Vielfalt entstand. Viele muslimische Befragte – und auch einige nicht-Muslime mit nicht-ethnisch deutschem Hintergrund – äußerten ein Gefühl des Angenommenseins sowie des Schutzes vor Beleidigungen oder Übergriffen in ihrem Stadtteil. Auch die Einstellung der ethnisch deutschen Kreuzberger wurde als eine wahrgenommen, die Vielfalt akzeptierte oder sogar begrüßte, und so äußerten viele MuslimInnen ihr Bedauern über einen wahrgenommenen Wegzug vieler ethnisch Deutscher aus dem Bezirk. Dieses und andere Ergebnisse der Studie widersprechen einem häufig wiederholten Argument im öffentlichen Diskurs, dass MuslimInnen ethnisch und religiös geprägte, sog. ‚Parallelgesellschaften’ bevorzugten, und einer Integration in die Gesellschaft ablehnend gegenüber stünden.

Auch das Zugehörigkeitsgefühl zu Berlin war unter allen Befragten noch sehr hoch – 72 Prozent fühlten sich stark oder sehr stark zu Berlin zugehörig – sank allerdings im Fall der MuslimInnen im Bezug auf die nationale Ebene auf 40 Prozent ab.
Die Frage, ob sich die Interviewten als Deutsche sahen, konnten gar nur 25 Prozent der MuslimInnen bejahen – obwohl ca. 50 Prozent die deutsche Staatsbürgerschaft hatten - und nur 11 Prozent glaubten, von Anderen als Deutsche gesehen zu werden. Letzteres stellt im internationalen Vergleich der elf Städte die niedrigste Zahl dar.

Die Ergebnisse aus den qualitativen Studienteilen legen nahe, dass diese vergleichsweise niedrige Zahl der Selbstwahrnehmung als Deutsche bei vielen MuslimInnen eine gewisse Internalisierung der Fremdwahrnehmung darstellt. So haben einige Interviewte erklärt, sich lange darum bemüht zu haben, sich selbst als Deutsche wahrzunehmen, nach wiederholter Ablehnung oder auch Diskriminierungserfahrungen sich aber für eine andere Selbst-Identifikation entschieden zu haben.

Neben persönlichen Erfahrungen mit Ablehnung oder Diskriminierung mag auch der generelle nationale Diskurs zu ‚Ausländern’ und ‚Migranten’, der sich in den letzten Jahren immer mehr zu einem Diskurs über ‚Muslime’ entwickelt hat, zu diesen Schwierigkeiten mit der nationalen Identifikation beitragen. Während beispielsweise auf Berliner Ebene – etwa im Rahmen des Integrationskonzeptes – verstärkte Bemühungen hin zu einem Verständnis von einer in sich vielfältigen Gesellschaft zu erkennen sind, lässt die nationale Politik solche Diskurse vermissen, und vielmehr weiterhin eine Sichtweise auf Integration einer (oder mehrerer) Minderheiten in eine gegebene Mehrheit erkennen, welches stark von Anpassung und den Forderungen nach Anpassung – auch an Menschen, die seit ihrer Geburt im Land leben und sozialisiert wurden – geprägt ist. Eine junge muslimische Studienteilnehmerin erklärte, dass sie sich Zeit ihres Lebens selbstverständlich als integriert betrachtet habe, ihr aber die Integrationsdebatte der letzten Jahre das Gefühl gebe, „gegen die Wand gedrückt“ zu werden.

Diskriminierung
Im Bezug auf individuelle Erfahrungen mit Diskriminierung zeichnen die Studienergebnisse in einigen Lebensbereichen – wie etwa Bildung und Arbeit – ein erschreckendes Bild. So gaben 79 Prozent der MuslimInnen an, im letzten Jahr vor dem Interview mindestens einmal Erfahrungen mit ethnischer und 74 Prozent mit religiöser Diskriminierung gemacht zu haben, Zudem nahm die überwiegende Mehrheit aller Befragten erhebliche rassistische und religiöse Vorurteile in der Gesellschaft wahr.

Schule und Bildung
Besonders nachteilig wirken sich diese Erlebnisse aus, wenn sie im Bereich Schule und Bildung gemacht werden, wo junge Menschen einerseits eine Sozialisierung in die Gesellschaft, in der sie leben, erfahren und andererseits oft noch in einem Alter sind, in dem sich Erlebnisse von Diskriminierung und Marginalisierung besonders negativ auf das eigene Selbstverständnis auswirken können.

Schätzungen ergeben einen ungefähren Anteil von einem Drittel aller Schüler in Kreuzberg mit muslimischer Religionszugehörigkeit. Einige Befragte der OSI Studie beklagten eine praktische Segregation dieser Kinder in Schulen, welche von den ethnisch deutschen Kindern nahezu vollständig verlassen worden seien, und daher oft als ‚Türkenschulen’ bezeichnet würden, und sogenannten ‚Integrationsschulen’, deren Schüler zu 90 Prozent ethnisch deutsch seien.

Auf die Frage, inwieweit andere religiöse Praktiken in der Schule respektiert würden, gab es unterschiedliche Erfahrungen und Meinungen. Im Unterschied zu vielen anderen Punkten wichen hier auch die Meinungen der MuslimInnen und der nicht-MuslimInnen relativ stark voneinander ab. Während 60 Prozent der muslimischen Gruppe der Ansicht waren, dass andere religiöse Praktiken in Schulen nicht genug respektiert würden, teilten nur 22 Prozent der Vergleichsgruppe diese Einschätzung.

Berücksichtigungen von muslimischen Feiertagen im Schulablauf etwa oder das Tragen von Kopftüchern durch weibliche Lehrkräfte wurden sehr unterschiedlich bewertet. Auch innerhalb der nicht-muslimischen Vergleichsgruppe gab es Befragte, die ein Verbot des Tragens von Kopftüchern für Lehrerinnen als Zeichen mangelnder Akzeptanz anderer religiöser Praktiken ansahen. Einige Interviewpartner waren der Ansicht, dass das Verbot für Lehrerinnen auch die Vorbehalte gegenüber Kopftuch tragenden Schülerinnen bestärkt hätte. Von muslimischen Schülerinnen wurden verschiedene Vorfälle benannt, die ihnen das Gefühl gaben, dass sie mit ihrer sichtbaren Religionszugehörigkeit von Lehrern nicht akzeptiert wurden. So erzählte eine junge Muslimin:

„In der Oberschule hatten wir einen Lehrer, der extrem ausländerfeindlich war. Da wurden die Kopftuchträgerinnen besonders schlecht behandelt, und ihnen wurde gesagt, dass sie sich wie Deutsche anziehen und sich anpassen sollten.”

In den Fragebogeninterviews sprachen 11 MuslimInnen über Erfahrungen mit religiöser Diskriminierung an öffentlichen Schulen, und 8 Befragte erzählten von diskriminierendem oder sogar rassistischem Verhalten von LehrerInnen gegenüber muslimischen Kindern. Einige der Diskriminierungserfahrungen an Schulen bezogen sich auch auf Eltern – besonders Mütter mit Kopftuch – die von einem Engagement an der Schule ausgeschlossen wurden.
Einige andere berichteten von Erfahrungen mit Vorurteilen gegenüber muslimischen Kindern, die von LehrerInnen für die schlechte Bildungsqualität der Schule verantwortlich gemacht worden seien.

Fast alle TeilnehmerInnen an einem Gruppeninterview mit MuslimInnen zu Bildung und Arbeit berichteten von einer Kultur der niedrigen Erwartungen bis hin zu Entmutigungen von Seiten der LehrerInnen gegenüber Kindern, welche sie auf den ethnischen Hintergrund und/oder ihre Religionszugehörigkeit zurückführten. In einigen Fällen wurden direkte Bezüge zu der Herkunft der SchülerInnen hergestellt, wie im Fall einer jungen Frau, die sich beim Lehrer ihrer Nichte erkundigen wollte, wie sie die Note drei in Deutsch verbessern könne und von ihm die Antwort erhalten hätte, dass dies doch eine gute Note für ein türkisches Mädchen sei, andere berichteten von einem Eindruck, dass Kinder mit bestimmtem ethnischen Hintergrund von manchen LehrerInnen nicht wie andere gefördert würden:

„Ich finde, da werden eigentlich intelligente Menschen überhaupt nicht motiviert. Da hat man eine Hauptschulempfehlung, wie bei meiner Schwester,
obwohl sie später Abi gemacht hat. Die wurde überhaupt nicht wahrgenommen in der Schule. Man ist dann gleich als Dummer abgestempelt. Die Lehrer helfen einem gar nicht und gehen auch nicht auf einen ein.”

Einige junge TeilnehmerInnen des Gruppeninterviews erklärten, dass sie das Gefühl hätten, sich besonders anstrengen zu müssen, um Stereotype zu widerlegen, andere erzählten, dass sie das Gefühl hätten, ihre religiöse Identität verstecken oder unterdrücken zu müssen und es lieber vermieden, beim Praktizieren religiöser Handlungen gesehen zu werden. Ein Teilnehmer erklärte, dass er es nicht wagen würde, in der Schule zu beten oder um eine Möglichkeit dafür zu bitten.

Als mögliche Gründe für ein – auch von anderen ExpertInnen bestätigtes – häufiges Vorkommen von Diskriminierungs- und Benachteiligungsfällen junger Menschen mit Migrationshintergrund und/oder MuslimInnen führten befragte Fachleute eine starke Überbelastung vieler LehreInnen an, die mit immer neuen Schulreformen und ungenügenden Mitteln für deren befriedigende Umsetzung konfrontiert seien und gleichzeitig nur sehr mangelhaft und nur auf freiwilliger Basis Ausbildung und Trainings zum Umgang mit interkultureller und interreligiöser Vielfalt in den Klassen erhalten würden. Eine Situation, in der einzelne LehrerInnen dann mit sozialen Problemen verschiedener unterschiedlicher SchülerInnen konfrontiert seien, würde daher schnell zu einer Kulturalisierung von Problemen führen. Auch ein verstärkt kulturalisierender Mistrauendiskurs gegenüber MuslimInnen in Teilen von Medien und Politik würde entsprechende Vorbehalte gegenüber den SchülerInnen verstärken.

Die politischen Empfehlungen des Open Society Institute im Bereich Bildung gehen daher zum großen Teil in die Richtung einer verstärkten Bekämpfung von Ungleichbehandlung und Vorurteilen. Denkbare Maßnahmen zur Verbesserung dieser Situation und der qualitativen Ausrichtung der Schulen auf eine kulturell und religiös vielfältige Gesellschaft wären dabei einerseits eine Aufnahme von Trainings und Modulen zur interkulturellen Bildung, sowie zum Umgang mit ethnischer und religiöser Vielfalt in die reguläre LehrerInnenausbildung an den Universitäten sowie eine Einbeziehung von Migranten- und besonders religiösen muslimischen VertreterInnen in die Entwicklung dieser Module, um die erneute Konsolidierung eines reinen ‚Außenblicks’ zu vermeiden.
Eine andere wichtige Maßnahme, die besonders von Antidiskriminierungsorganisationen gefordert wird, wäre das Einsetzen unabhängiger Ombudsfrauen und -männer an Schulen, die Fälle von Diskriminierung nachvollziehen und dokumentieren sowie entsprechende Hilfestellung bei deren Lösung geben können.

Die Studie hat auch festgestellt, dass der Berliner Senat sowie einzelne Bezirke und Schulen bereits große Anstrengungen unternehmen, um die Qualität der Schulen zu verbessern und die Situation von – besonders der strukturellen – Diskriminierung zu verändern. So ist etwa die derzeitige Schulreform ein wichtiger Schritt. Sie zielt darauf ab Hauptschulen ganz abzuschaffen und die – auch international kritisierte – frühe Selektion im dreigliedrigen Schulsystem, welche nachgewiesenermaßen besonders zur Benachteiligung von SchülerInnen mit Migrationshintergrund führt, zumindest abzuschwächen. Da auch die späte Einschulung ein Faktor für geringere Chancen von Migrantenkindern sein kann, ist auch der im Berliner Integrationskonzept angeführte Plan zur sukzessiven Einführung kostenloser Kindergartenplätze eine wichtige Maßnahme.

Arbeit und Beschäftigung
Auch im Bereich von Arbeit und Beschäftigung wirkt sich eine ohnehin schwierige wirtschaftliche Lage Kreuzberg, das zu den Berliner Bezirken mit den höchsten Arbeitslosenzahlen gehört, besonders nachteilig auf Menschen mit Migrationshintergrund aus und hier verstärkt für Menschen, die – durch Namen oder Kleidung - als MuslimInnen markiert oder erkennbar sind.

Obwohl sich das im Januar 2005 verabschiedete Neutralitätsgesetz im Verbot religiöser Symbole auf bestimmte Berufe des Öffentlichen Dienstes beschränkt, wird eine Wirkung dessen auch auf die Privatwirtschaft von den betroffenen Frauen bemerkt. Eine Befragte der OSI-Studie erklärte:

„In Deutschland wird die Situation für bedeckte Frauen schwieriger. Sie können nur im Dienstleistungsbereich Jobs finden (und das auch nur, wenn sie Glück haben).Sie können nicht in Bereichen arbeiten, die intellektuelle Fähigkeiten erfordern. Es ist sehr schwer für sie, gute Jobs zu finden.“

Der oben erwähnte ‚Zufluchtscharakter’ des Bezirks Kreuzberg als ein Ort, an dem Vielfalt geschätzt und akzeptiert wird, verdeutlicht sich  auch in folgendem Zitat einer Kopftuch tragenden Interviewpartnerin:

„In Kreuzberg können unsere bedeckten Mädchen Jobs finden, und das ist eine Ausnahme im Vergleich mit anderen Teilen Deutschlands.”

Die Berliner Antidiskriminierungsorganisation ADNB zeigt in ihrem
Bericht im Rahmen von verschiedenen Fällen zwischen 2006–2008 ebenfalls auf, dass Kopftuch tragende Frauen der Mehrfachdiskriminierung aufgrund verschiedener Faktoren (u.a. Geschlecht und Religion) ausgesetzt seien, was sie selbst bei hoher Qualifizierung auf dem Arbeitsmarkt stark benachteilige. (2)

Neben sichtbarer muslimischer Religionszugehörigkeit wurden auch nicht-deutsch klingende Namen und/oder ethnische Zugehörigkeit als Gründe für Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt genannt. Diskriminierungen aufgrund ethnischer und religiöser Zugehörigkeit vermischten sich in diesem Bereich stark und es ist anzunehmen, dass sie sich gegenseitig verstärkten.

In unserer Fragebogenumfrage gaben 38 der muslimischen Interviewpartner an, dass ihnen innerhalb der letzten Monate eine Arbeitsstelle verweigert worden sei. Mehr als
die Hälfte davon (20) nannten ethnische und/oder religiöse Diskriminierung als Grund dafür. Etwa die Hälfte davon (9) nannten mehrfache Diskriminierung (Religion,
Ethnizität, Wohnort, Hautfarbe) als Grund. Für vier war ausschließlich der ethnische Hintergrund ausschlaggebend, und sieben nannten die Religion als Grund, warum sie
bei der Arbeitsstelle abgelehnt worden seien. Einer der Befragten beschrieb seine Wahrnehmung einer Diskriminierung wie folgt:

„Ich hatte mich erst per Telefon beworben, und er hatte mir schon zugesagt und war ganz begeistert. Aber als er dann meinen Namen gehört hatte, kam eine Pause, er stockte und dann kam nichts mehr, nur Ausreden.”

Möglicherweise als Reaktion auf die benannten Schwierigkeiten auf dem ohnehin enger werdenden Arbeitsmarkt kann die positive Entwicklung der Zunahme an Selbständigen mit türkischem Hintergrund verstanden werden. Statistiken des Türkisch-Deutschen Unternehmerverbandes zeigen, dass ihre Zahl zwischen 1985 und 2005 von 22 000 auf 61 000 angestiegen war und dass eines von zehn Geschäften mit türkischem Besitzer in Berlin liegt. (3)

Unter den positiven Maßnahmen Berlins, die auf eine stärkere Partizipation von Jugendlichen mit Migrationshintergrund am Arbeitsleben abzielt, ist die Kampagne Berlin braucht Dich des Berliner Senats zu nennen. Sie stellt eine von zahlreichen Bemühungen dar, dem Mangel an Wissen und Informationen über Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten speziell unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu begegnen.

Verschiedene Anregungen der OSI-Studie an die Berliner Politik – wie Mentorenprogramme an Schulen, spezifische Berufsberatung sowie privat-öffentliche Partnerschaften zielen auf eine weitere Verbesserung dieser Situation ab. Darüber hinaus gehen auch in diesem Bereich der Studie die meisten Empfehlungen in die Richtung der Bekämpfung von Ungleichbehandlung und Diskriminierung. Neben der Empfehlung an muslimische Organisationen, sich in diesem Bereich stärker zu engagieren wird die Einrichtung einer Beratungsstelle für Opfer von religiöser Diskriminierung, insbesondere Islamfeindlichkeit, empfohlen, welche Fälle von Diskriminierung dokumentieren sowie den Opfern Hilfestellung und kostenlose rechtliche Beratung anbieten könnte. Da das Neutralitätsgesetz und seine negativen Auswirkungen auf die Teilhabe Kopftuch tragender Frauen am öffentlichen wie privaten Arbeitsmarkt in der Studie stark zum Tragen kamen, geht eine zentrale Empfehlung des OSI hin zu einer tiefergehenden Untersuchung und Bewertung der Auswirkungen dieses Gesetzes mit Blick auf seine mögliche Reform.

Wohnung
Auch im Bereich Wohnung wurden von den StudienteilnehmerInnen Diskriminierungs-erfahrungen genannt, welche von eindeutigen verbalen Kommentaren bis zur unbegründeten Ablehnung eines Mietgesuchs reichten.

Weitere Anliegen in diesem Bereich drehten sich bei MuslimInnen wie nicht-MuslimInnen um die Sauberkeit der Straßen, Verkehrsüberlastung, Lärm sowie unsoziales bis hin zu kriminellem Verhalten der Jugend. Kreuzberger Mütter – zum größten Teil mit türkischem Hintergrund – gründeten aus diesem Grund 2005 die Initiative Mütter ohne Grenzen, die mit nächtlichen Patrouillengängen der Mütter lokalem Verbrechen und Drogenhandel zu begegnen versuchten.

Gesundheit
Alle Befragten – sowohl MuslimInnen als auch nicht-MuslimInnen – drückten einen hohen Grad an Zufriedenheit mit den Gesundheitsdiensten aus. Viele MuslimInnen hatten das Gefühl, dass ihre kulturellen und religiösen Bedürfnisse respektiert und berücksichtigt würden. Jedoch schien auch dieser Bereich von vorurteilsbehafteten Einstellungen nicht völlig frei zu sein, da Muslime 13 mal Erfahrungen im vorherigen Jahr mit Vorurteilen auf Grund ihrer Religion in Arztpraxen und 14 mal in Krankenhäusern erwähnten.

Polizei und Sicherheit
Rund die Hälfte der muslimischen wie der nicht-muslimischen Befragten hatte kein Vertrauen in die Polizei. Während es unter der Vergleichsgruppe Stimmen gab, die sich weniger sichtbare Präsenz der Polizei wünschten, wurde innerhalb der muslimischen Gruppe teilweise der Wunsch nach mehr Präsenz und positiven Kontakten einzelner Polizisten mit den Anwohner der Nachbarschaft geäußert, was helfen sollte, mehr Vertrauen herzustellen und Kriminalität besser entgegen zu wirken.

Einige muslimische StudienteilnehmerInnen äußerten Erfahrungen mit diskriminierendem Verhalten der Polizei, was in der Regel aber nicht zur Anzeige gebracht werde. Viele hatten den Eindruck, dass junge Männer mit Migrationshintergrund mit höherer Wahrscheinlichkeit in den Fokus der Polizei gerieten. (4) Im Anwerben von Menschen nicht-deutscher ethnischer Herkunft für den Polizeidienst sahen einige die Möglichkeit, diesen Diskriminierungen zu begegnen und befürworteten dahingehende Bemühungen der Polizei.
 
Medien
Die muslimischen Befragten erhielten die meisten ihrer Informationen über ihren Bezirk oder ihre Stadt durch deutsche Zeitungen und Zeitschriften. Nicht-deutsche Medien – wie türkische Fernsehsender und Zeitungen – werden gerne als Informationsquelle für nationale und internationale Ereignisse genutzt. Einige Interviewpartner vermuteten, dass eine negative Darstellung von MuslimInnen in den Medien auch ein Grund dafür sein mag.

Von einigen ExpertInnen wurde erwähnt, dass es für eine ausgewogene Berichterstattung über Themen rund um MuslimInnen nötig sei, dass diese sich innerhalb der Medien stärker einbringen um einer häufig beobachteten Abwesenheit – besonders religiöser – muslimischer Stimmen zu zentralen Themen von öffentlichem Interesse, wie etwa dem Kopftuch, entgegen zu wirken.

Teilhabe und Staatsbürgerschaft
Muslimische Interviewpartner, die ein Wahlrecht innehatten (ca. 50 Prozent), wiesen – ebenso wie ihre nichtmuslimischen Nachbarn – eine hohe Wahlbeteiligung auf kommunaler und nationaler Ebene auf. Diejenigen ohne deutsche oder EU-Staatsbürgerschaft haben jedoch keine Möglichkeit an kommunalen Wahlen teilzunehmen, auch wenn sie schon viele Jahre im Bezirk leben. Da die befragten MuslimInnen dennoch zum großen Teil ihre größten Einflussmöglichkeiten auf der Bezirksebene sahen und viele sich – besonders in den Bereichen Bildung und Jugendliche –zivilgesellschaftlich engagierten, geht die OSI Studie davon aus, dass die Einführung eines kommunalen Wahlrechts auch für nicht EU-Angehörige ein wichtiger Schritt hin zu verbesserter zivilgesellschaftlicher Teilhabe vieler MuslimInnen wäre.

Ein anderer Aspekt der im Laufe der OSI Studie vor allem von befragten ExpertInnen angesprochen wurde, ist eine problematische Rolle des Verfassungsschutzes bei der de facto Einordnung von muslimischen Organisationen für den öffentlichen Diskurs und die daraus folgenden Behinderungen für Kooperationen und gesellschaftliche Partizipation dieser Vereine und ihrer Mitglieder. ExpertInnen mahnten eine kritische Untersuchung dieser Zusammenhänge an und empfahlen die Aufnahme einer Präambel in die Berichte des Verfassungsschutzes, dass das Zitieren bestimmter Organisationen darin diese nicht als Vereine mit terroristischen Verbindungen auszeichne und sie nicht von der öffentlichen Kooperation und jeglicher öffentlicher Förderung ausschließen sollte.

Positiv genannt wurde von einigen Beteiligten das 2005 gegründete Berliner Islamforum, das Vertreter muslimischer Organisationen viermal im Jahr mit Lokalpolitikern – einschließlich Vertretern des Senats und des Verfassungsschutzes – zusammen zu treffen und aktuelle gesellschaftliche Themen zu besprechen. Anders als bei der nationalen Islamkonferenz würden in diesem Rahmen KritikerInnen des Islam zwar eingeladen, aber nicht als muslimische Vertreter betrachtet, was nach Ansicht einiger TeilnehmerInnen die Sitzungen konstruktiver machten.

Generelle Politikempfehlungen
Die OSI Studie konstatiert ein Bemühen der befragten MuslimInnen um zivilgesellschaftliche Teilhabe und eine sehr starke Identifikation mit dem Bezirk und der Stadt in der sie leben, welche mit einem starken Bemühen der Lokalpolitik um Integration und Teilhabe einhergeht.

Die Selbstbezeichnung als Deutsche ist trotz einer relativ hohen nationalen Identifikation mit Deutschland (40 Prozent) jedoch nur 25 Prozent der Befragten möglich. Auf die Frage, was das Haupthindernis für eine solche Selbstbezeichnung sei, unterschieden sich die Antworten der beiden Gruppen. Während nicht-MuslimInnen im Mangel an deutschen Sprachkenntnissen den Hauptgrund für mangelnde Identifikation als Deutsche sahen, wurde dieser Grund zwar auch von der muslimischen Gruppe genannt, allerdings hinter der Tatsache, einer ethnischen Minderheit anzugehören/ nicht weiß zu sein. Letzteres wurde von dem muslimischen Befragten als Hauptgrund dafür gesehen, sich nicht als Deutsche/-r zu sehen, was auf eine immer noch starke ethnische Komponente der nationalen Identifikation in Deutschland hinweist.

Zudem tauchte in der OSI Studie immer wieder die Wahrnehmung auf, dass es eine wachsende Polarisierung zwischen den Identitätsfaktoren ‚deutsch’ und ‚muslimisch’ gebe, und MuslimInnen sich durch den öffentlichen Integrationsdiskurs unter Druck sähen, sich für eins zu entscheiden, anstatt beide Aspekte in eine vielfältige Identität integrieren zu können.

Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass es für eine positive Identifikation und gesellschaftliche Teilhabe wichtig ist, rechtliche und zivilgesellschaftliche Möglichkeiten zu schaffen – etwa durch Einführung doppelter Staatsbürgerschaft und Identitätskampagnen - dass Individuen sich frei und positiv mit verschiedenen kulturellen (ethnischen, religiösen, u.a.) Hintergründen gleichzeitig identifizieren können. Eine junge Studienteilnehmerin drückte ihr Lebensgefühl folgendermaßen aus:

„Ich fühle mich als Deutsche, weil ich die Sprache spreche und die Kultur annehme. Ich bin Russin und Kasachin und Ukrainerin und Deutsche und
Muslima und fühle mich gut damit.“

Endnoten

(1) Alle Bezeichnungen zur Beschreibung von Differenz‚ wie ‚ethnisch deutsch’, ‚Migrationshintergrund’ u.a. sind zwar zur Erfassung von Ungleichbehandlung aufgrund dieser – zugeschriebenen – Merkmale notwendig, befinden sich aber immer in dem Dilemma, gleichzeitig diese Zuschreibungen zu konsolidieren. Alle dahingehenden Labels in diesem Bericht sollten vor diesem Hintergrund verstanden und gleichzeitig hinterfragt werden.

(2) Vgl.: Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg (Hg.), Antidiskriminierungsreport Berlin 2006–2008, S. 10.

(3) Vgl.: Faruk Sen & Martina Sauer, Türkische Unternehmer in Berlin. Struktur – Wirtschaftskraft –Problemlagen, eine Analyse der Stiftung Zentrum für Türkeistudien im Auftrag des Beauftragten des Senats von Berlin für Integration und Migration, Berlin: Berliner Beiträge zur Integration und Migration, 2005, S. 6.

(4) Zu dieser Methode des ethnic profiling veröffentlichte das Open Society Institute im Mai 2009 den Bericht Ethnic Profiling in the European Union: Pervasive, Ineffective, and Discriminatory, der von einer weiten Verbreitung dieser diskriminierenden Maßnahme in Frankreich, Deutschland, Italien, den Niederlanden und anderen EU-Ländern spricht. Der Bericht ist in verschiedenen Sprachen erhältlich)

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Nina Mühe ist Ethnologin und wiss. Mitarbeiterin an der Europa Universität Viadrina. Sie forscht zu Themen der Migration und Integration und hat den Bericht ‚Muslime in Berlin’ innerhalb der europaweiten Studie ‚At Home in Europe’ des OSI verfasst.