von Gabriele Gün Tank
»Meine lieben Weißen Schwestern, wir haben viele Lieder von Euch gehört, jetzt möchten wir unsere eigenen Lieder singen«, schallt es durch den Saal. Auf dem Podium steht eine junge Frau of Color. Vor Ihr ein überfüllter Saal, es ist eine Konferenz von Frauen für Frauen. In den Gesichtern der Weißen Frauen zeichnen sich Fragezeichen ab, viele Frauen of Color lachen und klatschen. Eine der Weißen Frauen glaubt, die junge Frau trösten zu müssen, und sagt: »Aber Du darfst doch singen, es verbietet Dir niemand.« Das war vor fast 35 Jahren.
Ein paar Jahre später, ich war tief in der Pubertät, da erzählte mir genau diese junge Frau von eben dieser, einer ihrer ersten, Frauenkonferenzen in den 70er Jahren. Seitdem klingt es, wann immer ich Power brauche, in meinen Ohren: »Wir singen unsere eigenen Lieder.«
Der Begriff »Power« bedeutet übersetzt »Macht«, »Kraft«, »Fähigkeit« oder »Gewalt«. Das Präfix »Em-« deutet auf den Vorgang oder Prozess hin. Das Suffix »-ment« substantiviert. Empowerment kommt aus dem Englischen und heißt übersetzt soviel wie »Selbstermächtigung/Selbstbefähigung«.
Nach Herriger umfasst der Empowerment-Prozess drei Ebenen: die individuelle, die gruppenbezogene und die strukturelle Ebene. Empowerment-Prozesse laufen nicht auf einer Ebene isoliert ab, sie verstärken sich und gewinnen an Kraft durch die Interaktionen zwischen den unterschiedlichen Ebenen.
Der historische Ursprung von Empowerment kommt aus der Schwarzen Bürgerrechts-bewegung (Civil Rights Movement) in den USA. Die Forderung lautete »Empowerment of black communities« gegenüber der herrschenden rassistischen und segregierenden Politik in den USA. Malcolm X und Martin Luther King waren prägende Figuren im Schwarzen Freiheitskampf. Diese beiden überragenden Persönlichkeiten beeinflussten und bestimmten den Umfang und Ton der Bürgerrechtsbewegung und Black Power Bewegung. Durch ihre Philosophie und Führung legten sie den Grundstein für eine demokratischere Gesellschaft.
»Integration ist sinnlos ohne Teilhabe an der Macht. Wenn ich von Integration spreche, dann meine ich eine wirkliche Aufteilung von Macht und Verantwortung«, schrieb King in einem seiner letzten Bücher.
Die Wurzeln dieser Bewegungen gehen jedoch zeitlich weiter zurück, als in den besetzten Kolonien Widerstand geleistet und für die Unabhängigkeit gekämpft wurde.
Das Dossier »Empowerment« gibt einen vertieften Überblick zu Definitionen und Hintergründen von Empowerment in deutschen und internationalen Kontexten. Gleichzeitig werden eine Vielzahl von Empowerment-Strategien und Ansätze mit künstlerischem und vernetzendem Anspruch dargestellt. Die Autor_innen kommen aus wissenschaftlichen und praktischen Zusammenhängen und sind seit vielen Jahren im Bereich Empowerment Fachexpert_innen. Die Publikation bietet die Möglichkeit, an den unterschiedlichen Erfahrungen zu partizipieren und unterstreicht gleichzeitig den Gedanken von Solidarität und Empowerment.
Die Empowerment-Strategien können sehr vielseitig sein, wie ein junges Mädchen jüngst mit einem Brief an die »Zeit« zeigte. Er machte deutlich, dass die Definitions-macht darüber, was rassistisch und ausgrenzend ist, ausschließlich die davon Betroffenen besitzen sollten.
»Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sich das für mich anfühlt, wenn ich das Wort N* lesen oder hören muss«, heißt es in ihrem Brief. »Es ist einfach nur sehr, sehr schrecklich. Mein Vater ist kein N* und ich auch nicht. Dasselbe gilt für alle anderen Afrikaner.«
Ja, wir singen unsere eigenen Lieder und wir singen sie laut...
Gabriele Gün Tank
Integrationsbeauftragte Tempelhof/Schöneberg Berlin
Gabriele Gün Tank ist Integrationsbeauftragte des BezirksTempelhof/Schöneberg in Berlin.