Empowerment in der Antidiskriminierungsberatung

Nuran Yiğit

von Nuran Yiğit

Diskriminierung steht in vielen Fällen im Kontext einer gesamtgesellschaftlichen Entmächtigung und vollzieht sich so im Rahmen gesellschaftlicher Ungleichheitsverhältnisse, die hierdurch auch weiter aufrechterhalten werden. Es sind Fälle, in denen Diskriminierung mit einer Verhinderung bzw. Verweigerung des Zugangs zu sozialen, politischen und ökonomischen Ressourcen und damit weniger Chancen zur Teilhabe an der Gesellschaft einhergeht.

Angesichts der strukturellen Machtdifferenzen in der Gesellschaft gewinnt Antidiskriminierungsarbeit eine wichtige Funktion, um das Ziel, Gerechtigkeit in der Verteilung von Macht und Privilegien zu erreichen und um damit letztlich auch zu einer gerechteren Gesellschaft beizutragen, zu verwirklichen.

In diesem Sinne ist es unumgänglich, den Empowermentansatz in die Antidiskriminierungsarbeit einzubauen, beschreibt dieser doch eben jene »Prozesse der Selbstbemächtigung, in denen Menschen in Situationen (...) der Benachteiligung oder gesellschaftlichen Ausgrenzung beginnen, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen (...) und ihre individuellen und kollektiven Ressourcen zu einer selbstbestimmten Lebensführung nutzen lernen« (Herriger, 2006).

Um den Prozess der Selbstbemächtigung zu beginnen, bedarf es der Bewusstwerdung der eigenen Möglichkeiten zur Überwindung der machtarmen Position. Biografisch gesehen können kontinuierlich erlebte Diskriminierungen, insbesondere dann, wenn sie alltäglich und subtil ablaufen, dazu führen, dass Menschen ihre vermeintliche Unterlegenheit annehmen und verinnerlichen (internalisieren), die Schuld bei sich selbst suchen, resignieren, sich damit arrangieren, die Diskriminierung nicht in Frage stellen usw. In solchen Zusammenhängen können äußere Impulse, zum Beispiel aus selbstorganisierten Kontexten, aber auch aus dem professionellen psychosozialen Kontext, eine nachhaltig und biografisch sehr wichtige Rolle spielen, unter anderem um diese verinnerlichte Ohnmacht zu überwinden.

In Bezug auf die Antidiskriminierungsberatung hat das Einflechten des Empowermentansatzes weitreichende konzeptionelle und praktische Konsequenzen. Der ressourcenorientierte und machtkritische Ansatz des Empowerment-Konzepts bricht mit defizitorientierten, hierarchisierenden und entwertenden Ansätzen und Politiken. Er geht weg von der Täter_innenfokussierung und stellt die Betroffenen in den Mittelpunkt des Prozesses. Da Empowermentprozesse das einzelne Subjekt als die zentrale Kraft der Veränderung hervorheben, kann Antidiskriminierungsberatung diesen Prozess nur unterstützen bzw. fördern. Um Missverständnisse zu vermeiden, soll an dieser Stelle explizit hervorgehoben werden, dass professionelle Dritte die Hilfesuchenden nicht empowern, sondern diese in ihren jeweiligen, ganz individuellen Entwicklungsprozessen des Empowerments (also Selbstbemächtigung) begleiten, unterstützen und fördern.

Am Beispiel der Beratungsstelle des Antidiskriminierungsnetzwerks Berlin des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg (ADNB des TBB) werden im Folgenden die Chancen, aber auch Grenzen des Empowermentansatzes in der Beratung dargestellt.

Antidiskriminierungsberatung als multidimensionaler Beratungsansatz

Das ADNB des TBB berät und unterstützt People of Color (1), Menschen mit Migrationsgeschichte und Muslim_innen, die diskriminiert werden bzw. wurden. Die Diskriminierung kann dabei sowohl aufgrund verschiedener (zugeschriebener) „Merkmale“ und Konstruktionen stattfinden (Horizontaler Ansatz), aber auch mehrere (zugeschriebene) „Merkmale“ in ein und derselben Person verbinden, die zusammenwirken oder sich überkreuzen können (Intersektionalität).

Damit Antidiskriminierungsberatung erfolgreich und wirkungsvoll sein kann, braucht es eine multidimensionale Herangehensweise, die von den Erfahrungen, Interessen und Wünschen der Beratung suchenden Person ausgeht. Der Beratungstätigkeit des ADNB des TBB liegen folgende Prinzipien zugrunde:

Parteilichkeit: Eine Parteilichkeit im Sinne der Betroffenen ist vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Machtdifferenzen ein notwendiges Instrument zur Konfrontation und Überwindung bestehender Ungleichgewichte. Die Interessen und Bedürfnisse der Betroffenen werden bewusst in den Vordergrund gestellt und ihre individuellen Diskriminierungserlebnisse gemeinsam in einem strukturellen Kontext betrachtet. Das ADNB des TBB ist dabei keine neutrale oder unabhängige Mediationsstelle, die vermeintliche „Missverständnisse“ zwischen Diskriminierenden und Diskriminierten aufklärt, sondern klar parteilich an der Seite der Betroffenen steht.

Empowerment: Betroffene erfahren in der bzw. durch die Beratung eine Aktivierung und Stärkung ihres Selbsthilfe- und Handlungspotenzials, um die erlebte Diskriminierung zu verarbeiten und dagegen vorzugehen. Von Diskriminierung Betroffene verfügen in der Regel bereits über eine Biografie von erlebter Diskriminierung, die mit Gefühlen von Ohnmacht, Angst, Verletzlichkeit, Scham und Resignation einhergehen kann. Im Laufe der Beratung und Begleitung der Betroffenen gilt es, die Person zu stärken und Möglichkeiten aufzuzeigen, sich gegen die erlebte Ungleichbehandlung zur Wehr zu setzen, um sich auch als aktive Akteur_innen (wieder) zu erleben.

Transkulturalität: Das Team des ADNB des TBB ist transkulturell und fachlich interdisziplinär zusammengesetzt. Die Stellenbesetzung mit Mitarbeiter_innen of Color, die potentiell selbst rassistische Diskriminierung erleben, bedeutet eine verstärkte Sichtbarkeit und Hörbarkeit als Hauptamtliche nach innen und außen. Die Präsenz von Mitarbeiter_innen of Color kann für Beratungssuchende einen Vertrauensvorschuss im Sinne eines „geschützten Raumes“ bedeuten. Mit „geschützten Räumen“ sind nach Yiğit/Can (2009) Gruppenzusammenhänge gemeint, die für People of Color einen Raum schaffen, frei und offen von Zwängen und Abhängigkeiten über ihre Diskriminierungserfahrungen zu sprechen, sich auszutauschen, Strategien zu entwickeln und sich zu solidarisieren. Um dies zu gewährleisten, werden die individuell als auch strukturell verorteten Verursacher_innen der Diskriminierung ausgeschlossen. Dieser temporäre Ausschluss weißer Repräsentation in der Beratung kann für Betroffene unverzichtbar sein und sollte daher mindestens als Option für die Betroffenen auf Wunsch immer zugänglich sein. Auch sollte im Zuge dessen möglich sein, dass Betroffene in der Beratung auf Wunsch auch in ihrer Muttersprache kommunizieren können/dürfen. Sei es durch die Berater_innen selbst oder durch Sprachmittler_innen.

Unabhängigkeit: Die Unabhängigkeit von Institutionen, Ämtern oder politischen Zuordnungen ist notwendig und eine wesentliche Voraussetzung der Beratung. Diskriminierung gibt es auf allen gesellschaftlichen Ebenen und in allen Strukturen. Eine Abhängigkeit der Beratungsstelle würde die Beratungstätigkeit reglementieren und einschränken. Für die Betroffenen stellt die Unabhängigkeit ein wesentliches Kriterium für die Glaubwürdigkeit dar und ist die Basis der Vertrauensbildung. Für die Berater_innen ist die Unabhängigkeit Voraussetzung der eigenen Parteilichkeit im Sinne der Betroffenen und notwendig für die Entwicklung effektiver Interventions- und Lösungsansätze.

Der Beratungs- und Begleitungsprozess

Wie ein Beratungsgespräch modellhaft ablaufen kann, wird im Antidiskriminierungsreport 2006-2008 ausführlich dargestellt. Die wichtigsten Etappen seien an dieser Stelle kurz genannt: Erstgespräch, Fallanalyse, Klärung der Erwartungen und Ziele, Interventionsstrategien entwickeln und umsetzen, Dokumentation.

Um Empowermentprozesse zu unterstützen, sollten Berater_innen die unterschiedlichen Ebenen der Bewusstwerdung beachten, da sich je nach individuellem Entwicklungsstand unterschiedliche Interventionen im Beratungsprozess ergeben können.

Zunächst gibt es die Phase der Kontextualisierung der erlebten Situation. Die_der Betroffene versteht ihre_seine Situation und kann sie in einen größeren Zusammenhang stellen. Berater_innen können durch Wissen und Information diesen Prozess der Kontextualisierung unterstützen. Wichtig ist, wie sehr es den Berater_innen gelingt, eine geeignete Sprache zu finden, um komplexe Zusammenhänge einfach und verständlich zu erklären und damit Betroffenen den Zugang zu wichtigem Wissen zu eröffnen. Wissen und Verständnis über die eigene Situation ist der erste Schritt zur Ermächtigung. In der nächsten Phase geht es um die Handhabbarkeit. Die-der Betroffene spürt bzw. entdeckt ihre_seine Ressourcen und erlebt ihre_seine Situation als überwindbar. Um allerdings auch den Schritt des Handelns zu gehen, bedarf es der nächsten Phase der Sinnhaftigkeit, in der sie_er in ihrem_seinem Handeln bzw. ihrer_seiner Anstrengung einen Sinn und eine Bedeutung erkennen kann.

Je nach Art der Beschwerde und den individuellen Wünschen der Betroffenen stehen den Berater_innen des ADNB des TBB verschiedene Optionen von Interventionsmöglichkeiten zur Auswahl:

  • Informations- und Beratungsgespräche, auch rechtliche Beratung;
  • Kontaktaufnahme mit der Einrichtung, Institution, Behörde oder Person, gegen die sich der Diskriminierungsvorwurf richtet bzw. Unterstützung der_des Betroffenen bei der Kontaktaufnahme mit der_dem Beschuldigten;
  • Einholung einer Stellungnahme der_des Beschuldigten und/oder Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen nach AGG (auch zur vorsorglichen Wahrung von Fristen);
  • Begleitung zu Gesprächen als parteiliche Dritte;
  • Begleitung vor Gericht / Prozessbeobachtung;
  • Beistandschaft in Gerichtsverfahren nach § 23 AGG;
  • Einschalten von weiteren Stellen (zum Beispiel Ärztekammer, Gewerbeaufsicht oder Gewerkschaften) oder verantwortlichen Dritten (zum Beispiel Geschäftsführung, Betriebsrat);
  • Vermittlung an Rechtsanwält_innen, Psycholog_innen, Ärzt_innen, spezialisierte Beratungsstellen;
  • Einleitung von Maßnahmen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit;
  • Durchführung der Testing-Methode zur Überprüfung verdeckter Diskriminierung;
  • Beratung und Begleitung in Bezug auf strategische Prozessführung.

Erfahrungen aus der Beratungspraxis

Antidiskriminierungsarbeit ist ein noch wenig erforschtes Gebiet. Speziell zur Antidiskriminierungsberatung und dem Empowermentansatz hat es bisher keine Umfrage bei ehemaligen Ratsuchenden des ADNB des TBB gegeben. Daher leiten sich die in diesem Kapitel dargestellten Ergebnisse aus den eigenen Erfahrungen der Autorin, den Erfahrungen der Berater_innen des ADNB des TBB und weiteren kooperierenden Beratungsprojekten ab. Zudem wird auf Passagen aus zwei veröffentlichten Interviews, die mit Klientinnen des ADNB des TBB geführt wurden, zurückgegriffen. (2) (3)

Positive Erfahrungen des Empowerment-Ansatzes in Beratung:

(+) Klient_innen sind ohnehin belastet und angespannt, wenn sie zum ersten Mal in die Beratung kommen. Durch die herzliche und warme Atmosphäre wird ein Vertrauensraum aufgebaut. Der erste Eindruck ist wichtig. Mimik, Gestik, die persönliche Ansprache, das Anbieten eines Tees oder Wassers brechen das Eis und ermutigen Betroffene, sich zu öffnen und zu sprechen.

„S. B.: Wie war das für Sie, Frau Tasci, mit welchen Erwartungen sind Sie in die Beratung des ADNB gekommen? M. T.: Gleich beim ersten Beratungsgespräch ging es sehr vertrauensvoll zu. Frau Haschemi hat mich mit offenen Armen empfangen und mir dadurch ein gutes Gefühl gegeben. Die Belastung ist wirklich sehr hoch und auch die Angst, wie man wohl bei einer solchen Beratungsstelle behandelt wird. Die Art und Weise, wie man mir hier begegnet ist, hat mich enorm gefreut.“
(+) Klient_innen erhalten und nehmen sich den Raum zu sprechen. Damit treten sie aus der ihnen auferlegten Sprachlosigkeit, in die sie durch die Diskriminierung gebracht wurden, heraus. Sie ergreifen das Wort, um das Erlebte in Worte zu fassen. Der Akt des Sprechens und des Gehört-Werdens ist ein wichtiger Schritt im Empowerment-Prozess. Der Akt des Sprechens selbst, des sich Von-der-Seele-Redens wird von Klient_innen als positiv zurückgemeldet.

(+) Nicht nur das Sprechen, sondern auch das Gefühl, verstanden zu werden, sich nicht rechtfertigen zu müssen, Glauben geschenkt zu bekommen, ernst genommen zu werden, aufgefangen zu werden, zur Ruhe zu kommen, wird als positiv zurückgespiegelt.
A.L.: Ich bin hierhergekommen, und mir ist von Anfang an geglaubt worden, ich bin unterstützt worden und ich fühlte mich sofort ernst genommen. Das war starkes Empowerment für mich.
S. B.: Ich kann mir vorstellen, dass es das Schlimmste ist, sich vorzustellen, es würde einem nicht geglaubt werden, oder die Erfahrung würde heruntergespielt werden. Hatten Sie solche Ängste? M.T.: Ja. Wenn ich an alle Dinge zurückdenke, die ich erlebt habe ... Dass man diskriminiert wird, immer, tagtäglich hat schon dazu geführt, dass ich Angst hatte, ich könnte auch in einer Beratungsstelle diskriminiert werden. Aber zum Glück, war das hier nicht annähernd der Fall, ich bin hier sofort unterstützt worden.“

(+) Klient_innen bekommen das Gefühl, dass sie nicht allein sind mit der erlebten Diskriminierung. Es gibt nicht nur die Beratungsstelle als Ort der Unterstützung und Begleitung, sondern sie hören auch von anderen (ähnlichen) Fällen und können das, was sie selbst erlebt haben, in einen größeren gesellschaftlichen Kontext setzen. Das Beratungsgespräch hilft die eigene Situation besser zu verstehen.

(+) Klient_innen erfahren durch das Gespräch, dass nicht sie das Problem sind oder auch nur einzelne Täter_innen, sondern dass das System die Diskriminierung unterstützt bzw. (re-)produziert. Die erlebte Diskriminierung richtet sich nicht gegen die Person als Individuum, sondern die Person erlebt als Repräsentant_in einer „Gruppe“ die Ungleichbehandlung. Das bringt Entlastung bei Gefühlen von Scham und Selbstvorwürfen. Wissen über Diskriminierungsformen, -ursachen und gesellschaftliche Zusammenhänge (Kontextualisierung von Diskriminierungserlebnissen) nimmt den Frust der Betroffenen. Sie können durch das Wissen und durch Informationen/Aufklärung über Rechte und Möglichkeiten neue Perspektiven und Ideen entwickeln, um aus der Ohnmachtsposition wieder rauszukommen.

(+) Wenn sich Klient_innen entscheiden den Weg der Klage zu gehen, darf das ADNB des TBB als Beistand nach § 23 AGG mit zur Gerichtsverhandlung. Das ADNB des TBB ist neben der/dem Anwältin/Anwalt eine weitere Instanz, die vor Gericht Kläger_innen parteilich vertritt. Dies gibt den Betroffenen ein weiteres Gefühl der Stärke und des Nicht-Allein-Seins.

„S. B.: Das Ganze ging dann letztendlich auch vor das Arbeitsgericht. Welche Rolle hat der ADNB hierbei eingenommen? M. T.: Frau Haschemi ist mitgekommen, hierfür bin ich ihr sehr dankbar. Zwar war mir inzwischen auch die Anwältin vertraut, aber zusätzlich ein bekanntes Gesicht zu sehen, war sehr wichtig für mich.“

(+) Der Akt der Beschwerde/Klage und damit die Konfrontation der Täter_innen mit der Diskriminierung (sei es durch einen Beschwerdebrief, eine Anzeige, eine Klage bis hin zu einer Verhandlung vor Gericht) bedeutet für viele Betroffene, die Wiedererlangung ihrer Autonomie und ihres Selbstbewusstseins. Sie sind aktiv geworden und sind aktiv gegen Diskriminierung vorgegangen. Mit einem positiven Ergebnis/Urteil steigt natürlich das Gefühl der Wiedergutmachung/Entschädigung. Auch wenn es „nur“ eine Einigung vor Gericht mit einer finanziellen Entschädigung gab, also kein Urteil, wirkt sich das trotzdem stärkend auf die Betroffenen aus. Viel wichtiger als die finanzielle Entschädigung sind für die Betroffenen die Genugtuung, sich aktiv gegen die erlebte Diskriminierung gewehrt zu haben sowie das Auseinandersetzen-Müssen des Verursachers mit seinem diskriminierenden Handeln.

„A. L.: Dieses Urteil hat mich tief bewegt, als ich es las. Der Richter hat meine Sprachfähigkeiten sehr gewürdigt. Auch das hat mir mein Selbstvertrauen wiedergegeben. Befreundete Rechtsanwälte haben mir erzählt, dass mein Fall in ihren Kreisen sehr diskutiert wurde. Das ist ein sehr wichtiger Fall fürs Arbeitsrecht geworden.“
„M. T.: (...) Und zu wissen, dass die andere Seite sich damit beschäftigen muss, sich darüber Gedanken machen muss, was sie da für einen Mist gebaut haben, das tat mir gut.“

(+) Die in der Beratung erfahrene Unterstützung und Ermutigung, gepaart mit „Erfolgen“, lässt die Persönlichkeit des Betroffenen nicht unverändert. Der Prozess bewirkt, dass sie nach außen mutiger und selbstbewusster auftreten. Bei erneuten Diskriminierungserlebnissen können sie auf das wieder bzw. neu erlangte Selbstbewusstsein zurückgreifen und darauf aufbauen.

„S. B.: Was hat sich außerdem seitdem für Sie geändert? M. T.: Es ist auch im vergangenen Jahr wieder häufig passiert, dass ich diskriminiert wurde. Das passiert mir tagtäglich, sei es in der Uni, im öffentlichen Verkehr, man wird gemobbt, schief angeschaut und so weiter... Durch meine Erfahrungen beeinflusst mich so etwas nicht mehr so stark. Meinem Selbstbewusstsein hat das also sehr viel gebracht.“

(+) Empowermentprozesse reichen über den konkreten „Fall“ hinaus: Klient_innen, die sich in der Auseinandersetzung mit den Antidiskriminierungsberater_innen auf den Weg in ihrem spezifischen Empowermentprozess gemacht haben, werden auch in darüber hinausgehenden Lebensbereichen anders wahrnehmen und entsprechend auch dort möglicherweise Veränderungen anstoßen. Sie können zu Vorbildern und Multiplikator_innen in ihrem Umfeld werden und anderen Betroffenen Kraft und Mut geben. In gewisser Weise werden sie zu „Agents of Change“, die andere Personen in eigenen Empowermentprozessen unterstützen bzw. dominierende und Machtverhältnisse stabilisierende Personen hinterfragen und kritisieren. So wird auch deutlich, dass auf den ersten Blick „individuell“ erscheinende Empowermentprozesse auch kollektive Dimensionen haben (können).

„S. B.: Wie haben Ihre Freunde und Ihre Familie reagiert? M. T.: Ich denke, ich habe viele ermutigt, eventuell ähnliche Schritte zu unternehmen. Sie fragen mich um Rat. Und ich kann auf Grund meiner Erfahrungen Mut machen und sie darin unterstützen, zu einer Beratung gehen.“
 

Grenzen und Schwierigkeiten des Empowermentansatzes in der Beratung

(+/-) Empowermentprozesse müssen nicht an jedem Punkt, für jede Person und in jedem Fall die erste Wahl sein. Manchmal braucht es erst einmal eine Begleitung in anderen Prozessen, bevor der erste Schritt in Richtung Empowerment gemacht werden kann. Hier gilt es immer, sich in den individuellen Prozess der_des Klientin_en einzufühlen und gemeinsam mit ihr_ihm zu schauen, was sie_er gerade braucht.

(-) Beratungsprozesse können dazu führen, dass sich Menschen in ihren Aktivitäten auf ein bestimmtes Ziel einschießen. In seltenen Fällen kommt es vor, dass sich Klient_innen in ihrer Auseinandersetzung mit der erlebten Diskriminierung bspw. so in den Kampf gegen die Verursacher_innen „verbeißen“, dass sie ihre komplette Energie in damit verbundene Aktivitäten stecken. Hier ist die Grenze zwischen einem engagierten und selbstbewussten Kampf auf der einen und einem teilweise selbstschädigendem und letztlich aussichtslosem Ringen mit den Umständen auf der anderen Seite fließend. Für die Berater_innen heißt es hier vor allem, die Wahrnehmung, dass ihr Vorgehen gegen die erlebte Diskriminierung auch negative Folgen für sie haben kann und evtl. sogar andere Konflikte verdecken mag, mit den Klient_innen zu teilen. In manchen seltenen Fällen kam es auch vor, dass der Beratungsprozess von Seiten der Berater_innen beendet werden musste.

(-) Das Empowerment-Konzept ist bei Klient_innen mit extremen psychischen Problemen nicht anwendbar. Hier bedarf es erst einmal anderer Hilfs- und Unterstützungsmechanismen, die die Person auffangen und stabilisieren.


Perspektive und Dank

Die Ausführungen zu dieser speziellen Thematik sollen als ein Beginn eines Austauschs und einer Diskussion unter Berater_innen verstanden werden. Anregungen, Ideen und Kritik sind der Autorin willkommen und tragen der inhaltlichen Weiterentwicklung des Artikels bei. Befragungen von ehemaligen Klient_innen wären perspektivisch sinnvoll, um weitere Erkenntnisse zu dieser Thematik zu gewinnen.
Besonderer Dank geht an dieser Stelle an die Kolleg_innen des ADNB des TBB Moritz Schelkes, Maryam Haschemi und Eva Maria Andrades, an Sanchita Basu von ReachOut und Eben Louw von Opra, die mit ihren langjährigen Erfahrungen und Wissen diesen Artikel bereichert haben.

 

Fußnoten

(1) People of Color ist eine politische (Selbst-)Bezeichnung von und für Menschen, die rassistische Diskriminierung erfahren. People of Color bezeichnet dabei nicht die Hautfarbe, sondern die benachteiligte Position im gesamtgesellschaftlichen Kontext in Bezug zu weißen Menschen, die unhinterfragt als dazugehörig gelten.
(2) Interview mit Merve Tasci in der Broschüre „Netzwerk gegen Diskriminierung von Muslimen“, S. 16 – 19 „Ein Ort, an dem Menschen Unterstützung erfahren“ von Sabine Bretz. 
(3) Interview mit Alanna Lockward „Ein Ort, an dem Menschen zuhören“

Literatur

  • Norbert Herriger (2006): Empowerment in der Sozialen Arbeit. Eine Einführung. Kohlhammer.
  • Nuran Yiğit, Halil Can (2009): Die Überwindung der Ohn-Macht. Politische Bildungs- und Empowerment-Arbeit gegen Rassismus in People of Color-Räumen - das Beispiel der Projektinitiative HAKRA. In: Gabi Elverich, Annita Kalpaka, Karin Reindlmeier (Hg.): Spurensicherung. S 167 ff. Unrast.

 

 

 

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Nuran Yiğit, geb. 1974, Diplom-Pädagogin, Projektleiterin des Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin des TBB. Seit 2002 ist sie aktiv in der Konzeption und Durchführung von Empowerment-Ansätzen in der politischen Bildungsarbeit und Antidiskriminierungsarbeit