EU-Osterweiterung und Arbeitsmobilität: Neue Herausforderungen für Gewerkschaften

Installationsansicht der Ausstellung "Crossing Munich. Orte, Bilder und Debatten der Migration", 10.07.-15.09.2009, Rathausgalerie München.
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Installationsansicht der Ausstellung "Crossing Munich. Orte, Bilder und Debatten der Migration", 10.07.-15.09.2009, Rathausgalerie München.

von Dr. Torben Krings

Die EU-Osterweiterung hat zu einer neuen Welle der Arbeitsmobilität in Europa geführt. Seit den beiden Erweiterungsrunden 2004 und 2007 sind über drei Millionen Menschen aus den neuen Mitgliedsstaaten (NMS) in die „alten“ EU-Mitgliedsstaaten gewandert (EU Kommission 2011: 279). Diese Migration hat eine Nachfrage nach Arbeitskräften für sowohl qualifizierte als auch geringer qualifizierte Tätigkeiten in den EU-15-Ländern bedient. Gleichzeitig war sie aber auch von Sorgen über Lohn- und Sozialdumping begleitet. Dieser Beitrag untersucht, wie Gewerkschaften in Deutschland, Österreich, Großbritannien und Irland auf diese Arbeitsmobilität reagiert haben. Es wird gezeigt, dass Gewerkschaften trotz ähnlicher Herausforderungen unterschiedliche Haltungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit einnahmen. Während Gewerkschaften in den ersten beiden Ländern Übergangsfristen für mobile Arbeitnehmer_innen unterstützten, argumentierten insbesondere britische Gewerkschaften, dass Arbeitsstandards besser durch die Implementierung von Arbeitnehmerrechten und die Organisierung von Migrant_innen geschützt werden. Bevor näher auf diese Unterschiede eingegangen wird, wird zuerst ein kurzer Überblick über das Ausmaß und die Arbeitsmarkteffekte der jüngsten Ost-West-Wanderungsbewegungen gegeben.   

Arbeitsmobilität seit der EU-Osterweiterung

Mit der Osterweiterung 2004 wurde die bisher größte Erweiterungsrunde in der Geschichte der EU unternommen. Zehn Beitrittsländer, darunter acht ehemalige staatssozialistische Länder aus Mittel- und Osteuropa (MOE) traten der EU bei. Auf diese Erweiterung folgte 2007 der Beitritt von Bulgarien und Rumänien. Durch diese beiden Erweiterungsrunden erhöhte sich die soziale und ökonomische Ungleichheit innerhalb der EU beträchtlich: Das Pro-Kopf-Einkommen in den acht 2004-Beitrittsländern entsprach zu Beginn des 21. Jahrhunderts nur 45 Prozent des damali-gen EU-15-Durchschnitts in Kaufkraftparitäten, im Fall von Bulgarien und Rumänien gar nur einem Drittel (Europäische Kommission 2008: 124; Krings 2009: 52).    

Da angesichts dieser Unterschiede Sorge vor Verwerfungen im Arbeitsmarkt bestand, schränkten die meisten EU-15-Länder den Arbeitsmarktzugang für die neuen EU-Bürger_innen aus MOE für bis zu sieben Jahre ein. Solche „Übergangsregelungen“ wurden auch schon bei der „Süd“-Erweiterung in den 1980er Jahren erlassen, als Griechenland, Portugal und Spanien der damaligen Europäischen Gemeinschaft beitraten (Kvist 2004).

Die einzigen Länder, die 2004 ihren Arbeitsmarkt öffneten, waren Großbritannien, Irland und Schweden. Die Migrationserfahrungen dieser Länder waren allerdings sehr unterschiedlich. Während die Zuwanderung nach Schweden ein überschaubares Ausmaß annahm, erlebten Großbritannien und Irland eine Massenzuwanderung. Seit 2004 wanderte eine Millionen Bürger_innen aus den NMS, vor allem aus Polen, nach Großbritannien. Im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße erlebte Irland eine noch größere Zuwanderung: Seit der EU-Osterweiterung zogen annähernd eine halbe Million Bürger_innen aus den NMS auf die Grüne Insel (Krings et al. 2013).1 Die hauptsächliche Dynamik für diese Massenzuwanderung war ein boomender und offener Arbeitsmarkt in beiden Ländern in Kombination mit der englischen Sprache, die insbesondere für jüngere und besser qualifizierte NMS-Migrant_innen einen pull-Faktor darstellte (Tamas/Münz 2006).  

Trotz der Übergangsregelungen erlebten Deutschland und Österreich einen Anstieg der Zuwanderung aus den NMS. In Deutschland stieg die Anzahl der Bürger_Innen aus den NMS von 553.000 im Jahr 2004 auf 811.000 im Jahr 2010, während sie sich in Österreich im selben Zeitraum von 96.000 auf 151.000 erhöhte (EU Kommission 2011: 250). Während die Zahl der Saisonarbeitskräfte aus den NMS in diesem Zeitraum relativ konstant blieb, stieg die Zahl der Arbeitserlaubnisse für qualifizierte Tätigkeiten. Auch nahm die Anzahl der gewerblichen Anmeldungen aus den NMS in beiden Ländern stark zu, was vermuten lässt, dass es sich hier häufig um eine Scheinselbstständigkeit handelt, um die Übergangsfristen zu umgehen (Tamas/Münz 2006; Völpel 2011).  

Die Arbeitsmarkteffekte innereuropäische Migration

Was waren die Arbeitsmarkteffekte dieser innereuropäischen Mobilität? Haben sich Befürchtungen von Lohn- und Sozialdumping bestätigt? Grundsätzlich kommen die  meisten makroökonomisch orientierten Studien zu dem Ergebnis, dass gesamtwirtschaftlich betrachtet Arbeitsmobilität aus den NMS zu keinen größeren Verwerfungen auf den europäischen Arbeitsmärkten geführt hat (zum Beispiel Europäische Kommission 2011; Holland et al. 2011). Auch wenn bei solchen Studien berücksichtigt werden muss, dass die Situation einzelner Berufsgruppen, Branchen oder lokaler Arbeitsmärkte nur begrenzt erfasst wird, gibt es keine eindeutigen Belege dafür, dass sich diese Migration negativ auf die Arbeitslosigkeit oder das Lohnniveau der inländischen Arbeitnehmer_innen ausgewirkt hat.

Allerdings hat es im Bereich der transnationalen Entsendearbeit einige Kontroversen und Arbeitskonflikte gegeben, die sich um die Frage der Entlohnung entsandter Arbeitnehmer_innen aus den NMS drehten. Dabei hat es insbesondere in der Bauwirtschaft und in der fleischverarbeitenden Industrie Vorfälle von Lohndumping gegeben (Bosch/Weinkopf 2013). Speziell Gewerkschaften aus den „alten“ EU-15- Mitgliedsstaaten haben in diesem Zusammenhang immer die Einhaltung lokaler Tarifverträge gefordert. Wie aber sahen deren Reaktionen allgemein auf Arbeitsmobilität aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten aus?

Deutsche und österreichische Gewerkschaften: Die Forderung nach Übergangsfristen 

Grundsätzlich haben Gewerkschaften ein ambivalentes Verhältnis zu Arbeitsmigration, welches auf einem „Kontinuum von Exklusion zu Inklusion“ (Kahmann 2006: 186) angeordnet werden kann. Dies zeigte sich auch bei der Frage der Arbeitnehmerfreizügigkeit im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung. Während die meisten Gewerkschaftsbewegungen die Erweiterung unterstützten, schieden sich an der Frage, ob ein freier Arbeitsmarktzugang vom ersten Tag an gewährt werden sollte, die Geister. Während der Europäische Gewerkschaftsbund die Arbeitnehmerfreizügigkeit „auf Grundlage des Prinzips gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ (EGB 2005) unterstützte, forderten insbesondere Gewerkschaften in Deutschland und Österreich die Einführung von Übergangsfristen. Dies wurde unter anderem mit der geografischen Nähe und erheblichen Lohn- und Sozialunterschieden zwischen den alten und den neuen Mitgliedsländern begründet (DGB 2001; ÖGB 2005). Dabei betonten Gewerkschaftsvertreter_innen insbesondere in Deutschland, wo durchaus eine gewerkschaftliche Tradition der Inklusion in Bezug auf Arbeitsmigration existiert (Penninx/Roosblad 2000), dass ihre Unterstützung für Übergangsregelungen nicht als „Anti-Zuwanderungs“-Haltung zu interpretieren sei:

"Die IG Metall hat sich ja nicht gegen Zuwanderung an sich (gewandt)…Die IG Metall hat sich schlicht und einfach dagegen gewandt, dass (durch) Billiglohnkonkurrenz  unsere Tarifverträge hier in Deutschland unter Druck geraten, wenn Menschen aus anderen Ländern hier zu Minimallöhnen eingesetzt werden." (Interview IG Metall, 2006)2

Auch wurde argumentiert, dass es sich bei der Debatte um Verdrängung und Lohndumping nicht unbedingt um einen Gegensatz zwischen einheimischen und ausländischen Arbeitnehmer_innen handelt: „Wo es um einfache Arbeiten und Dienstleistungen geht, sind insbesondere hier langjährig ansässige Migranten betroffen…es werden nämlich weniger in Anführungsstriche „Deutsche“ verdrängt, sondern in ganz hohem Maße langjährig hier arbeitende Migranten“ (Interview Verdi, 2006). Solche Aussagen sind nicht immer leicht zu verifizieren, und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Verweis auf die Situation langjährig ansässiger Migrant_innen auch den Vorwurf entkräften soll, man sei „ausländerfeindlich“. Allerdings gibt es tatsächlich einige Evidenzen, die darauf hindeuten, dass alteingesessene Migrant_innen von Neuzuwanderung mehr betroffen sind als einheimische Arbeitnehmer_innen, da sie häufig um die gleichen Stellen im Niedriglohnsektor konkurrieren (Baas et al. 2010).

Übergangsfristen und prekäre Dienstleistungsmobilität

Eine besondere Sorge bestand bei deutschen und österreichischen Gewerkschaften vor den Folgen der transnationalen Entsendearbeit. Im Rahmen dieser Dienstleistungsmobilität kam es in den 1990er Jahren zu Verdrängungseffekten in der deutschen Bauindustrie, als Baufirmen aus Kostengründen zusehends auf ausländische Entsendefirmen zurückgriffen (Hunger 2000). Auf Grund dieser Erfahrung waren die IG BAU ebenso wie ihr österreichisches Pendant, die Gewerkschaft Bau-Holz, entschiedene Verfechter von Übergangsregelungen, um die Dienstleistungsmobilität auf dem Bau einzuschränken: „Gewerkschaften (sollten) prekäre Entsendearbeit als Form bekämpfen…Wir sollten einen klaren Trennstrich ziehen zwischen individueller Migration und unerwünschter Entsendearbeit zu Auslandsbedingungen“ (Interview IG BAU, 2006).3
 
Allerdings erscheint es fraglich, ob prekäre Formen der Arbeitsmobilität effektiv durch Übergangsregelungen verhindert werden konnten. Wie schon erwähnt, stieg seit der EU-Osterweiterung die Anzahl der Ein-Personen-Unternehmen aus den NMS stark an, was vermutlich eine alternative Strategie von mobilen Arbeitnehmer_innen darstellt, um Zugang zum deutschen und österreichischen Arbeitsmarkt zu erlangen. Letztendlich ist Ost-West-Migration nachfrage- und netzwerkgesteuert, so dass möglicherweise ein unbeabsichtigter Effekt der Übergangsfristen war, dass ein Teil der Migrant_innen in die Irregularität gedrängt wurde:

"Es gibt eine große Zahl von illegal tätigen Leuten, d.h. besonders im Pflegebereich…auch im Baubereich eine große Dunkelziffer von illegalen Arbeitnehmern. Das heißt, dass mit der Strategie, denen einfach mit Restriktionen zu begegnen in dieser Übergangsphase, dass die nicht ganz aufgeht, weil sich einfach im Untergrund ein Schwarzmarkt entwickelt." (Interview, Österreichischer Gewerkschaftsbund, 2006)

Dennoch überwiegt bei den Gewerkschaften in beiden Ländern die Einschätzung, dass die Übergangsfristen notwendig waren, um den Arbeitsmarkt zu schützen. Dementsprechend wurden auch entsprechende Regelungen für den EU-Beitritt von Bulgarien und Rumänien 2007 als auch im Hinblick auf die EU-Mitgliedschaft von Kroatien 2013 gefordert (DGB 2012).

Transnationale Ansätze und Kooperation

Gleichzeitig intensivierten Gewerkschaften ihre Kooperation mit Gewerkschaften aus den NMS, um Vorbereitungen für einen gemeinsamen europäischen Arbeitsmarkt zu treffen und den transnationalen Dialog zu stärken. Dies geschah in Projekten wie dem Interregionalen Gewerkschaftsrat Elbe-Neiße oder dem Interregionalen Gewerkschaftsrat Burgenland – Westungarn, welche auch bessere Bedingungen für grenznahe Arbeitsmobilität schaffen sollten. Zudem initiierte der Deutsche Gewerkschaftsbund das Projekt „Faire Mobilität“, um die Beratungsangebote für mobile Arbeitnehmer_innen aus den NMS in Deutschland zu verbessern.

Es bleibt aber ein „Dilemma“ (Penninx/Roosblad 2000) für Gewerkschaften, dass diese auf Inklusion ausgerichteten Initiativen in einem Spannungsverhältnis zu ihrer bisherigen Unterstützung für Übergangsfristen stehen. Zwar haben insbesondere die Bemühungen von deutschen Gewerkschaften zugenommen, NMS-Migrant_innen zu unterstützen und auch gewerkschaftlich zu organisieren. Es dürfte aber nach einer jahrelangen Politik, die eher auf Abschottung ausgerichtet war, nicht leicht sein, diese mobilen Arbeitnehmer_innen davon zu überzeugen, dass Gewerkschaften auch ihre Interessensvertretungen sind. 

Britische und irische Gewerkschaften: Unterstützung für einen offenen Arbeitsmarkt

Anders als deutsche und österreichische Gewerkschaften unterstützten britische und irische Gewerkschaften einen offenen Arbeitsmarkt bei der EU-Osterweiterung 2004. Es bestand weitgehend Einigkeit mit Arbeitgeberverbänden, dass es einen zusätzlichen Bedarf nach Arbeitskräften gab angesichts eines Wirtschaftsbooms und historisch niedriger Arbeitslosigkeit. Auch haben insbesondere britische Gewerkschaften über die Jahre hinweg eine zunehmend inklusivere Haltung gegenüber Migrant_innen eingenommen und restriktive Einwanderungspolitiken kritisiert (Avci/McDonald 2000). In Bezug auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit argumentierte der Dachverband der britischen Gewerkschaften, der Trades Union Congress (TUC), mit einem prinzipiellen Recht auf Bewegungsfreiheit: „Wir wollten keine Übergangsregelungen…Im Allgemeinen sind wir dafür, dass Arbeitnehmer Wahlmöglichkeiten haben, wo sie arbeiten wollen“ (Interview, TUC, 2006).4

Diese stärkere Betonung der Rechte von mobilen Arbeitnehmer_innen ist nicht nur in einem normativen Wandel zu sehen, der bei vielen Gewerkschaften zu beobachten ist, sondern auch in dem britischen System der industriellen Beziehungen. Während Gewerkschaften in Deutschland und Österreich immer noch über institutionelle Ressourcen wie Betriebsräte und Flächentarifverträge verfügen, ist die institutionelle Position von Gewerkschaften in Großbritannien zunehmend erodiert. Vor diesem Hintergrund orientieren sich Gewerkschaften zunehmend an einem „organizing unionism“ (Heery et al. 2000), der darauf abzielt, neue Gruppen von Arbeitnehmer_innen zu organisieren, um wieder eine größere Verhandlungsmacht gegenüber der Arbeitgeberseite zu haben. Für solch eine „Organizing“-Strategie wird ein offener Arbeitsmarkt gegenüber Restriktionen bevorzugt. Dementsprechend kritisierte der TUC die Übergangsfristen für Bulgarien und Rumänien 2007:

"Wir glauben, dass die Tür für rumänische und bulgarische Arbeitnehmer sowohl aus prinzipiellen als auch aus pragmatischen Gründen sofort hätte geöffnet werden sollen. Denn wir wissen was passieren wird, viele Arbeitnehmer_innen werden kommen, allerdings nicht als unselbstständig Beschäftigte, was uns immerhin die Chance gegeben hätte, sie zu organisieren, sondern als Selbstständige." (Interview, TUC 2006)    

In Irland ist Zuwanderung eine relativ neue Erfahrung für Gewerkschaften. Bis zu Beginn der 1990er Jahre war die „Grüne Insel“ hauptsächlich ein Auswanderungsland. Als Irland dann im Rahmen eines außergewöhnlichen Wirtschaftsbooms eine verstärkte Zuwanderung erfuhr, nahmen irische Gewerkschaften eine relativ offene Haltung gegenüber den Neuankömmlingen ein. Dabei spielte auch  die Erinnerung an die eigene Migrationsgeschichte eine Rolle: „Jeder in Irland hat Familienmitglieder, die zur Arbeitssuche ins Ausland gingen, sei es nun nach Großbritannien, Amerika, oder in der jüngeren Vergangenheit nach Europa“ (Interview, Irish Congress of Trade Unions 2006).

In Irland spitzte sich die Debatte über Arbeitsstandards anlässlich eines Arbeitskonfliktes bei „Irish Ferries“ zu, als die einheimische, größtenteils gewerkschaftlich organisierte Belegschaft durch Zeitarbeiter_innen aus den NMS ersetzt wurde. Dies führte zu heftigen politischen Reaktionen und teilweise Ressentiments gegenüber Migrant_innen. Letztendlich konnte die irische Gewerkschaftsbewegung mit dem Slogan „equal rights for all workers“ verhindern, dass die Proteste gegen die Praktiken von Irish Ferries eine „Anti-Zuwanderungs“-Richtung annahmen. Zudem konnte die irische Gewerkschaftsbewegung im Rahmen des neuen sozialpartnerschaftlichen Abkom-mens Towards 2016 die Implementierung neuer legislativer Maßnahmen erreichen, um Arbeitnehmerrechte nicht zuletzt von Migrant_innen besser zu schützen. Dieser Maßnahmenkatalog beinhaltete unter anderem die Schaffung einer neuen Agentur für Arbeitnehmer_innenrechte, die relativ einzigartig in Europa ist.5

Britischen Gewerkschaften, denen ähnliche institutionelle Einflusskanäle nicht offen standen, legten ein größeres Gewicht auf die Organisierung von Zuwander_innen, eine Strategie, die auch von einzelnen irischen Gewerkschaften wie der Services, Industrial, Professional and Technical Union (SIPTU) verfolgt wurde. Dies umfasste die Rekrutierung von Migrant_innen als „Organizers“ und die verstärkte Kooperation mit Migrantenorganisationen, die teilweise auch Aktivitäten einschlossen, die über den Arbeitsplatz hinausgingen (Fitzgerald 2006). Solche „Organizing“-Strategien sind sicherlich noch nicht flächendeckend bei britischen (und irischen) Gewerkschaften implementiert, aber sie sind Ausdruck davon, dass Migrant_innen mit herkömmlichen gewerkschaftlichen Organisierungsstrategien nur schwer zu erreichen sind. Letztendlich verfolgen Gewerkschaften in Großbritannien und Irland Strategien der Inklusion, die auf eine Betonung von Arbeitnehmer_innenrechten und Initiativen zur Organisierung von Migrant_innen als „eine alternative Strategie zu Zuwanderungsbeschränkungen“ (Haus 2002: 7) setzen.

Schlussfolgerungen: Gewerkschaften und die Transnationalisierung von Arbeitsmärkten

Im Rahmen der EU-Osterweiterung ist eine neue Dynamik der Arbeitsmobilität in Europa entstanden, die nicht zuletzt für Gewerkschaften neue Herausforderungen darstellt. In diesem Beitrag wurde gezeigt, dass Gewerkschaften in Westeuropa mit unterschiedlichen Strategien der Exklusion und der Inklusion auf diese Migration reagiert haben. Es erscheint aber nicht unwahrscheinlich, dass Strategien der Inklusion in Zukunft an Bedeutung gewinnen werden, nicht zuletzt auch, weil die Übergangsfristen für die 2004-Beitrittsländer 2011 ausliefen, und für Bulgarien und Rumänien im Januar 2014 auslaufen werden. Insbesondere jüngere Initiativen vom DGB wie das schon erwähnte Projekt „Faire Mobilität“ oder auch Initiativen wie der Europäische Verein für Wanderarbeiterfragen, die von der IG BAU ausgingen, deuten in diese Richtung. Eine weitere Transnationalisierung gewerkschaftlicher Initiativen und Organisierungsversuchen wird die Voraussetzung sein, um zunehmend mobile Arbeitnehmer_innen im vereinten europäischen Arbeitsmarkt zu erreichen.
 

Fußnoten
1. Die tatsächliche Anzahl von NMS-Migrant_innen, die in Großbritannien und Irland leben, ist aber geringer. Dies liegt daran, dass Ost-West-Migration häufig einen temporären Charakter hat und von kurzfristigen Aufenthalten und Grenzübertritten geprägt ist (Favell 2008).
2. Dieser Artikel basiert auf 30 qualitativen Interviews, die mit Gewerkschaftsvertreter_innen aus Deutschland, Großbritannien, Irland und Österreich 2006 und 2007 geführt wurden.
3. Grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung für den Bau (als auch für die Gebäudereinigung und die Innendekoration) konnten nur eingeschränkt werden, wenn auch allgemein die Arbeitnehmerfreizügigkeit eingeschränkt ist.   
4. Interviewzitate britischer und irischer Gewerkschaftsvertreter_innen wurden ins Deutsche übersetzt.  
5. Im Rahmen der Wirtschaftskrise 2008/2009, von der Irland besonders schwer getroffen wurde, ist die irische Sozialpartnerschaft angesichts von Sparmaßnahmen im öffentlichen Sektor, gegen die Gewerkschaften opponierten, faktisch an ihr Ende gekommen. Die vorher beschlossenen Maßnahmen im Bereich von Arbeitnehmerrechten blieben davon aber weitgehend unberührt.   

Literatur

  • Avci, G. und McDonald, C. (2000) „Chipping away at the fortress: unions, immigration and the transnational labour market”, International Migration 38 (2): 191-213.
  • Baas, T., Brücker, H. und Hauptmann, A. (2010) „Labour mobility in the enlarged EU: Who wins, who loses?”, in M. Kahanec und K.F. Zimmermann (Hrsg.) EU La-bor Markets After Post-Enlargement Migration. Berlin: Springer.
  • Bosch, G. und Weinkopf, C. (2013) „Transnational labour markets and national wage setting systems in the EU“, Industrial Relations Journal 44 (1): 2–19.
  • DGB (2001a) Die Zukunft der Europäischen Union: Osterweiterung, Institutionelle Reformen, Soziale Grundrechte. 
  • DGB (2012) Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur Anwendung von Übergangsfristen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Dienstleistungsfreiheit für Kroatien. 
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  • Hunger, U. (2000) „Temporary transnational labour migration in an integrating Europe and the challenge to the German Welfare State”, in Bommes, M. und Geddes, A. (Hrsg.) Immigration and Welfare: Challenging the Boundaries of the Welfare State. London: Routledge.
  • Kahmann, M. (2006) „The posting of workers in the German construction industry: responses and problems of trade union action”, Transfer: European Review of Labour and Research, 12 (2): 183-196. 
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  • Krings, T., Moriarty, E., Wickham, J., Bobek, A. und Salamońska, J. (2013) New Mobilities in Europe: Polish Migration to Ireland Post-2004. Manchester: Manches-ter University Press.
  • Kvist, J. (2004) „Does EU enlargement start a race to the bottom? Strategic interaction among EU member states in social policy”, Journal of European Social Pol-icy, 14(3): 301-316.
  • ÖGB (2005) EU-Erweiterung – Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt: Position des ÖGB zur Überprüfung der Übergangsregelungen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit sowie für einige geschützte Sektoren im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit. Wien: ÖGB.
  • Penninx, R. and Roosblad, J. (Hrsg.) (2000) Trade Unions, Immigration, and Immigrants in Europe, 1960-1993: A Comparative Study of the Attitudes and Actions of the Trade Unions in Seven West European Countries. Oxford: Berghahn Books.
  • Tamas, K. und Münz, R. (2006) Labour Migrants Unbound? EU Enlargement, Transitional Measures and Labour Market Effects. Stockholm: Institute for Future Studies.
  • Völpel, E. (2011) „Osteuropäische Arbeiter in Deutschland: Ausgebeutet, dann betrogen“, Die Tageszeitung, 14.10.2011.

 

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Dr. Torben Krings arbeitet als Assistenzprofessor am Institut für Soziologie der Johannes Kepler Universität Linz. Seine Forschungsschwerpunkte sind Migration, Mobilität, Wandel der Arbeit, Industrielle Beziehungen und Europäische Gesellschaften.