von Elisabeth Gregull
Wer vom Berliner Ostbahnhof aus über die Schillingbrücke Richtung Köpenicker Straße geht, kann den massiven Klinker-Bau mit dem großen gläsernen Atrium nicht übersehen. Auf der Glasfront der Bundeszentrale von ver.di prangt in großen Lettern „Würde hat ihren Wert. Arbeit hat ihren Preis. Gesetzlicher Mindestlohn“. Am linken Gebäudeteil oben hängt noch ein weiteres Banner, beige, mit einer angedeuteten Europa-Karte – hier ist das Motto: „Solidarität kennt keine Grenzen. Schafft endlich Perspektiven für die Jugend“. Gemeint ist wohl die Jugend Europas.
Wer als einzelner Mensch vor dem riesigen Gebäudekomplex steht, mag sich schnell unbedeutend fühlen, verloren. Die glatten geschlossenen Fronten wirken abweisend, wie ein Bollwerk. Und so soll es vielleicht auch wirken, als Signal für Politik und Wirtschaft: Auch in Zeiten von Globalisierung und neoliberalen Marktdynamiken - wir sind ein Bollwerk für die Rechte von Arbeitnehmer_innen in diesem Land.
Arbeitnehmer_innen ohne Grenzen
Seit einigen Jahren zählt ver.di dazu auch Arbeitnehmer_innen, die lange als Konkurrenz der deutschen Stammbelegschaften galten: Papierlose. Erst in Hamburg, dann in Berlin und inzwischen auch in anderen Städten haben Gewerkschaften Beratungsstellen für sie eingerichtet. Die Berliner Beratungsstelle befindet sich am anderen Ende des Gebäudes, in der Köpenicker Straße 30, wo der ver.di Landesbezirk Berlin-Brandenburg seinen Sitz hat. Durch eine gläserne Drehtür, vorbei an der Rezeption und durch einen Gang im Erdgeschoss kommt man in einen kleinen Büroraum. Gerade groß genug, dass ein Schreibtisch Platz hat und ein kleiner Tisch mit ein paar Stühlen.
Am Tisch sitzen Anna Basten und Conny Roth vom Arbeitskreis (AK) Undokumentierte Arbeit. Conny Roth, die schon länger dabei ist, erzählt, dass der Arbeitskreis sich 2008 als ein Bündnis verschiedener Gruppen gegründet hat, darunter das Netzwerk Respect und Initiativen aus der Flüchtlingshilfe: „Jetzt ist es eher eine Gruppe von Einzelpersonen geworden. Fünf bis zehn Leute, die alle ehrenamtlich arbeiten. Das ist ganz wichtig, das ist vielen nicht bewusst. Die meisten sind ver.di-Mitglieder.“
Seit der Gründung der Beratungsstelle vor vier Jahren hat das ehrenamtliche Team um die 80 Menschen beraten. „Es sind nicht wahnsinnig viele, das hat mehrere Gründe“, erklärt Conny Roth. „Zum einen: die Beratungszeit zweimal im Monat zwei Stunden, das ist nichts. Wenn Papierlose ein Problem haben, dann ist das vielleicht jetzt dringend und eine Woche später ist ein anderes Problem wichtiger: Wohnung, medizinische Versorgung. Und wir bieten zwar verschiedene Sprachen an, aber die wissen nicht, wenn sie kommen, wer welche Sprachen spricht. Dann, was wir auch schon gehört haben, dieses ver.di-Haus … – die Hemmschwelle, hier einzutreten, ist groß.“
Vom Mut, eine Schwelle zu übertreten
Eine, die diese Schwelle und noch andere Ängste überwunden hat, ist Antonia Martinez (Name von der Redaktion geändert). Sie betritt den Raum, begleitet von Mirjana Mitrovic, einer weiteren Ehrenamtlichen des AK, die Spanisch-Deutsch dolmetscht und Antonia Martinez schon länger kennt. Antonia Martinez ist weder jung noch kommt sie aus Europa. Die Chilenin hat sich mehrfach beraten lassen hier und ist inzwischen ver.di-Mitglied. Sie ist heute extra zum Interview gekommen, um ihre Geschichte zu erzählen.
„Ich habe in einem Touristenstädtchen in der Küche gearbeitet. Als ich nach 15 Tagen wieder nach Berlin zurückgebracht wurde, haben sie mir nur 250 Euro von dem ausgemachten Geld gezahlt.“
Sie kannte jemanden von ver.di und hatte von der Beratungsstelle gehört. Aber dann wirklich konkrete Schritte gegen den Arbeitgeber einzuleiten, hat sie einige Überwindung gekostet. Sie hatte Angst, weil sie keine Papiere hat:
„Darum war es für mich auch ein komisches Gefühl, mich zu beschweren und zusätzlich über etwas Illegales zu beschweren. Aber es gibt ein chilenisches Sprichwort: Wer sich nichts traut, der kommt auch nicht weiter. Und genau das möchte ich machen. Illegale haben Rechte.“
Unabhängig vom Aufenthaltsstatus stehen allen Menschen in Deutschland in einem Arbeitsverhältnis grundlegende Rechte zu: Unfallschutz, angemessener Lohn, Mindesturlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. In einem Film informiert der AK Undokumentierte Arbeit über diese Grundrechte und gibt Hinweise, welche Maßnahmen Betroffene ergreifen sollten, um im Zweifelsfall Ansprüche geltend machen zu können. Dazu gehört, Buch zu führen über Art und Dauer der Arbeit, Fotos zu machen, SMS und andere Nachrichten zu speichern, mündliche Vereinbarungen zu notieren. Außerdem sollte man die Namen von Kolleg_innen kennen und Informationen über das Unternehmen einholen.
„Ich möchte vor Gericht gehen, damit er es lernt und es keiner anderen Person passiert“
Auf dieser Basis kann dann die Gewerkschaft handeln. Im Fall von Antonia Martinez hat ver.di einen Brief an den Arbeitgeber geschrieben und den ausstehenden Lohn eingefordert. Als erste Reaktion kam, dass er das Geld nur zahlt, wenn er die vollständige Adresse der Arbeitnehmerin erhält. Die Berater_innen des AK kennen diese Art von Druckmittel nur zu gut. Antonia Martinez will für den Fall, dass der Arbeitgeber nicht einlenkt, vor Gericht gehen: „Er meint, weil jemand keine Papiere hat, macht er auch nichts und traut sich nichts. Ich möchte vor Gericht gehen, damit er es lernt und es keiner anderen Person passiert.“
Die Abhängigkeit von den Arbeitgeber_innen ist eines der größten Probleme, meint Anna Basten: „Auf Grund der Abhängigkeit fehlt das Selbstbewusstsein, die eigenen Rechte einzufordern. Die Wut kommt nicht so einfach.“ Und Mirjana Mitrovic ergänzt, dass über das eigene Schicksal hinauszudenken dann oft eine wichtige Motivation sei, als Papierlose_r doch Schritte gegen Arbeitgeber_innen zu unternehmen: „Der solidarische Gedanke muss da sein, sonst funktioniert das nicht.“
Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus geraten auch in anderen Lebensbereichen leicht in Abhängigkeit, zum Beispiel auf dem Wohnungsmarkt. Antonia Martinez hat Mietwucher erlebt und kennt viele, deren schwierige Situation auf diese Weise ausgenutzt wird. „Das Problem ist, dass Papierlose immer Angst haben müssen, dass jemand die Polizei ruft“, meint sie. „Deswegen sind sie denen noch weiter ausgeliefert. Es ist sehr schwierig, hier überhaupt ein Dach über dem Kopf zu finden. Es ist schwierig, weil sie die Sprache nicht sprechen. Es ist unglaublich, was mir hier alles passiert ist. Das ist nicht gerecht. Das ist für niemanden gerecht. Und deswegen gebe ich dieses Interview.“
Leben ohne Papiere in Deutschland – „wie ein Universitätsbesuch“
Tränen der Wut treten Antonia Martinez in die Augen, als sie das sagt. Sie musste in all dieser Zeit viel mit sich selbst ausmachen: „Meine Familie hat keine Ahnung, was hier alles passiert. Und ich will es auch nicht erzählen. Damit sie nicht leiden.“ Anna Basten findet angesichts der Geschichten, die sie aus der Beratungsarbeit kennt, dass „man ganz gut sieht, wie fließend die Übergänge sind zwischen ‚nur ausbeuterischen Arbeitsbedingungen' in Anführungszeichen und einer Menschenhandelssystematik. Wo Leute nach Strich und Faden ausgenutzt werden und dann überhaupt nicht mehr über sich selbst bestimmen können. Wenn Du gezwungen bist, eine Wohnung zu mieten, weil Du sonst keine anmieten kannst, dann passiert es ja ganz leicht, dass man in solche Strukturen reinrutscht.“
Bevor Antonia Martinez wieder in die Dunkelheit des Abends verschwindet, fasst sie ihre Erfahrungen in der ihr eigenen Ironie zusammen: „Es war ein bisschen wie ein Universitätsbesuch hier, weil ich sehr viel gelernt habe. Ich musste lernen zu überleben.“
Dass heute Papierlose in diese und andere Beratungsstellen bundesweit kommen können, führt Conny Roth auf die Initiative von Papierlosen selbst zurück: „Das hat eine längere Vorgeschichte. 2003, auf dem ver.di-Bundekongress, hat sich eine Papierlose Rederecht erkämpft und gesagt, Menschen ohne Papiere gehören ebenso zur Gesellschaft wie alle anderen und haben die gleichen Arbeitnehmerrechte. Sie hat großen Eindruck hinterlassen.“
Bis zur Gründung des Arbeitskreises 2008 und der Eröffnung der Beratungsstelle 2009 war es dann noch ein weiter Weg, geprägt auch von langen Verhandlungen zwischen den Vertreter_innen von Respect und anderen Gruppen auf der einen und ver.di auf der anderen Seite, erzählt Conny Roth.
Ein Anstoß von außen
Drei Stockwerke höher sitzt Jürgen Stahl an seinem Schreibtisch in einem lichtdurchfluteten Büro, an einem ganz normalen Arbeitstag. Der Leiter des Fachbereichs 13 ist derzeit schwer zu erreichen, weil er wegen diverser Tarifverhandlungen viel unterwegs ist. Zu seinem Fachbereich gehören Branchen und Betriebe im privaten Wirtschaftsbereich wie Wach- und Sicherheitsdienste, Wohnungswirtschaft und Besondere Dienst-leistungen. Prekäre Arbeitsbedingungen sind keine Seltenheit, auch Hausarbeiter_innen sind in seinem Bereich organisiert.
Jürgen Stahl räumt ein, dass der Anstoß für die Öffnung für Papierlose von außen, durch engagierte und in dem Netzwerk Respect organisierte Hausarbeiter_innen kam, die in der Fachgruppe seines Vorgängers waren: „Manchmal muss man mit der Nase auf etwas gestoßen werden, um zu sehen: Hallo, da ist ja was.“ Stahl selbst ist erst seit 2006 in den Prozess involviert, nachdem sein Vorgänger ganz plötzlich verstorben war. Er hat die Eröffnung der Beratungsstelle und den großen Anklang, den dies seinerzeit in der Presse fand, noch genau vor Augen:
„Das ist auch nichts, was alltäglich ist, dass wir Menschen ohne Papiere beraten. Was ja auch in den Gewerkschaften nicht ganz unumstritten ist, muss man ja auch sagen. Ich kann mich erinnern, dass ein großer Artikel im Berliner Kurier war, eine ganze Seite. Ein großes Bild und auf dem Bild stand ‚ver.di unterstützt Illegale’. Da hat dann gleich ein Mitglied aus dem Fachbereich 2, der mit uns nichts zu tun hat, Ver- und Entsorgung, der hat mir geschrieben, er tritt aus. Er kann das nicht gutheißen, dass ver.di ‚Schwarzarbeit’ unterstützt.“
Besonders aktiv war damals Barbara Miranda, die selbst lange Zeit als Papierlose in Berlin gelebt hatte und eine der Berater_innen der ersten Stunde war. Über sie und ihren Lebensweg gab es einen längeren Fernsehbeitrag, und überhaupt war die Resonanz in den Medien groß. „Das ist natürlich schön, die Deutschen wissen es oder die, die Deutsch können“, kommentiert Jürgen Stahl den Erfolg der Medienarbeit damals. „Aber unser Klientel, das wir ansprechen, kann oft gar kein Deutsch. Deswegen haben wir mit Unterstützung von Ehrenamtlichen Flyer entwickelt, die in vielen Sprachen kurz und knapp erklären, welche Möglichkeiten Papierlose haben, Ansprüche geltend zu machen. Und dass wir dafür zuständig sind.“
Zuständigkeit im Ehrenamt
Dass diese „Zuständigkeit“ momentan komplett auf ehrenamtlicher Arbeit beruht, findet Jürgen Stahl nicht ungewöhnlich. Das sei schließlich auch für andere Bereiche normal: „Wir leben ja als Gewerkschaft grundsätzlich von Ehrenamtlichkeit. Wir unterstützen die Ehrenamtlichen, zum Beispiel bei den Tarifkommissionen. Um die Gewerkschaft leben zu lassen, braucht es Ehrenamtliche. Und analog ist es da auch. Und wenn da Interesse ist, in dieser Richtung was zu machen, sollte man es ja nicht behindern, sondern unterstützen.“
Er findet, man müsse die Frage der Bedeutung nicht allein am Geld festmachen. Auch in den sechs Berliner Ortsvereinen von ver.di seien nur ehrenamtliche Kolleg_innen tätig, die Rechtsfragen beantworten oder zur Partizipation informieren. Ebenso funktionieren die Erwerbslosenberatungsstellen, die nach der Einführung von Hartz IV und einem massiven Beratungsbedarf eingerichtet wurden, auf ehrenamtlicher Basis.
Dennoch ist das Engagement des AK Undokumentierte Arbeit für ihn etwas, was besondere Anerkennung verdient: „Die Kolleginnen und Kollegen aus dem AK versuchen über die Jahre in Gremien und in Zusammenarbeit mit anderen nicht nur die Geschichte der Illegalität, so wie sie hier gelebt werden muss, anzuprangern. Sondern auch Öffentlichkeitsarbeit zu machen, um an den Verhältnissen langfristig etwas zu verändern. Das ist, wie wir alle wissen, nicht einfach. Aber wer nichts tut, hat schon verloren. Deswegen: Hochachtung, was da für eine Arbeit geleistet wird. Es ist natürlich eine Arbeit, die nicht sofort Früchte bringt.“
Zwischen Angebot und Nachfrage
In der Beratungsstelle berät das Team auch Menschen, die von der Branche her gar nicht zu ver.di gehören. Derzeit sind viele der Betroffenen in der Gastronomie oder auf dem Bau tätig. Für die Gastronomie wäre eigentlich die NGG, für den Bau die IG BAU zuständig. Jürgen Stahl findet aber durchaus die Frage berechtigt, ob alle alles machen müssen? Ohnehin sei die Nachfrage ja derzeit nicht so groß – die Menschen stünden nicht Schlange.
„Andererseits kommt mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit ab 2014 eine neue Phase und im Grunde ein großer Unterstützungsbedarf in Gang, die den DGB im Ganzen berühren. Da wird auf EU-Ebene ein neuer Bedarf entstehen“, meint Jürgen Stahl. Europa scheint dann doch greifbarer zu sein als die große unbekannte Zahl der Papierlosen. Wie viele von ihnen genau in Deutschland leben, ist nicht bekannt. Die Schätzungen gehen weit auseinander, offiziell geht das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge von bis zu 400.000 Menschen aus. Mangelnde Bekanntheit sei wohl ein Grund, warum die Nachfrage nach Beratung für Papierlose nicht so hoch sei: „Dass es da viel mehr Problematiken gibt, als hier bei uns auftauchen, da bin ich mir sicher. Das ist nur die Spitze des Eisberges, wie man so schön sagt. Und das hat sicher schon auch etwas damit zu tun, dass viele Menschen immer noch gar nicht wissen, dass es hier die Beratungsstelle gibt.“
Theoretisch konnten schon immer Menschen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus Mitglied in den DGB-Gewerkschaften werden. Praktisch aber wurden Papierlose lange unter „Schwarzarbeit“ rubriziert und diese von den Gewerkschaften angeprangert. Die IG Bau hatte vor rund zehn Jahren eigens „Meldestellen gegen Lohndumping und Schwarzarbeit“ eingerichtet, an die sich Arbeiternehmer_innen wenden konnten, um solche Fälle zu melden.
„Es gibt zu dem Thema heute noch unterschiedliche Einstellungen in den Gewerkschaften“, meint Jürgen Stahl. „Solche Telefone gab es bei ver.di nicht. Papierlose können hier ab 2,50 Euro im Monat Mitglied werden und sich dann auch rechtlich vertreten lassen. Zwar zahlen inzwischen rund 95 Prozent der Mitglieder ihre Beiträge bargeldlos. Das ist natürlich in dem Fall nicht machbar. Aber das ist egal.“
Zwiespältige Bilanz
Drei Etagen tiefer, immer noch Mittwoch Abend, blicken Conny Roth und Anna Basten mit gemischten Gefühlen auf die letzten Jahre zurück. „Es ist nicht gelungen, auf Dauer Papierlose in die Arbeit des AK und der Beratungsstelle einzubinden“, meint Conny Roth. Zur Eröffnung hieß es in der Pressemitteilung: „Arbeitnehmer_innen ohne Aufenthalts- und Arbeitspapiere sind besonders schutzlos, darum will die Anlaufstelle über die Rechte aufklären und diesen Arbeitnehmer_innen die Möglichkeit geben, sich in ver.di zu organisieren, um ihre Rechte besser wahrnehmen zu können.“
Das dies nicht gelang, ist einer der Gründe, warum das Netzwerk Respect, einst Mithauptinitiator des AK, inzwischen seinen Austritt aus demselben erklärt hat und zwar im letzten November. Der AK sei nicht „genug in die ver.di-Strukturen integriert, um breitere Wirkung zu entfalten“ steht in einer Erklärung auf der Website des Netzwerkes. Weiter heißt es unter anderem, Papierlose seien nicht wirklich interessant für die Gewerkschaften, da sie häufig nur geringe Beiträge zahlen könnten und nicht in Betrieben arbeiten, wo es Betriebsräte gibt. Ein hoher Beratungsbedarf stehe also recht geringen Einnahmen bei den Mitgliederbeiträgen gegenüber. Mit anderen Worten: es rechnet sich nicht.
Anna Basten zieht eine zwiespältige Bilanz: „Ist es denn ein Erfolg, dass ver.di diese Beratungsstelle eingerichtet hat? Dass sie sich undokumentierten Arbeiter_innen geöffnet haben? Ich bin da auch ein bisschen hin- und hergerissen. Auf jeden Fall ist das ein Erfolg, weil Gewerkschaften müssen diese Beratung anbieten, meiner Ansicht nach. Andererseits kämpfen wir aber auch, was die Stellung innerhalb von ver.di betrifft. Wir haben zum Beispiel keine personellen Ressourcen. Und es ist natürlich schwer, eine konsequente Betreuung der Betroffenen zu gewährleisten, wenn man alles ehrenamtlich machen muss.“
„Jeder einzelne Fall, wo die Leute etwas bekommen haben, ist ein Erfolg“
Dennoch konnte die Beratungsstelle Menschen helfen, die sonst ohne jeden Beistand gewesen wären. Die eigenen Rechte zu kennen und aus der Opferrolle zu kommen, ist dabei ein wesentlicher erster Schritt. Ähnlich wie bei Antonia Martinez ging und geht es häufig um ausstehende Lohnzahlungen. Meist besteht das Arbeitsverhältnis nicht mehr. Manchmal behalten die Arbeitergeber_innen auch den Pass ein oder bedrohen die Papierlosen. Das Ziel ist zunächst immer eine außergerichtliche Einigung, denn sonst besteht die Gefahr der Abschiebung.
Anna Basten erzählt, dass sich die Arbeitgeber_innen sehr unterschiedlich unter Druck setzen lassen: „Manche brauchen nur einen Brief und reagieren dann und zahlen oder lassen sich auf Verhandlungen ein. Und andere ignorieren das halt und sagen, ich mach jetzt mal gar nichts. Und dann ist die Frage, wie weit die Betroffenen bereit sind zu gehen.“
Die Hemmschwelle, vor Gericht zu gehen, ist sehr groß. Dazu kommt es eigentlich nur, wenn die Betroffenen sich entschieden haben, Deutschland ohnehin zu verlassen. So war es im Fall eines Mexikaners, der in einem Café in Prenzlauer Berg gearbeitet hatte. Ihm wurde immer nur ein Teil des Geldes gegeben. Er hatte Fotos von sich bei der Arbeit, konnte Skizzen vom Arbeitsort machen und hatte Kolleg_innen, die als Zeug_innen hätten auftreten können. Eine Lohnforderung, die Jürgen Stahl schrieb, wurde vom Rechtsanwalt des Arbeitgebers mit der Behauptung beantwortet, es hätte kein Arbeitsverhältnis bestanden. Schließlich kam es zur Klage und zu einem Vergleich.
Wie in diesem Fall kann die Beratungsstelle trotz ihrer begrenzten Möglichkeiten eben doch dazu beitragen, Papierlosen punktuell zu ihrem Recht zu verhelfen, findet Anna Basten: „Jeder einzelne Fall, wo die Leute etwas bekommen haben, ist ein Erfolg.“
Elisabeth Gregull ist freie Fachjournalistin mit den Schwerpunktthemen Migration, Diversity und Folgen der NS-Zeit.