Die politische Partizipation von Personen mit Migrationshintergrund in Ausländer- und Integrations(bei)räten

von Christiane Bausch


Integrationsräte: Abhilfe für eine unzulängliche politische Inklusion von MigrantInnen?

Sich selbst mündig fühlen, anerkannt werden, die Interessen der eigenen Gruppe zur Geltung bringen, sich für politische Gleichheit einsetzen, eine Brücke zur Mehrheitsgesellschaft bauen – all dies sind Motive, mit denen MigrantenvertreterInnen ihr politisches Engagement in Ausländer- bzw. Integrations(bei)räten begründen. Doch welche Rolle spielen diese Gremien für die politische Partizipation von MigrantInnen?

Im Zuge der in Deutschland kontrovers geführten Integrationsdebatte ist die Frage der politischen Teilhabe von Personen mit Migrationshintergrund verstärkt in den Fokus öffentlicher und medialer Debatten gelangt und wird zunehmend auch in der Politikwissenschaft diskutiert (Schönwälder 2010). Immer wieder wird in diesem Zusammenhang die im Verhältnis zum Anteil an der bundesdeutschen Gesamtbevölkerung unterdurchschnittliche Präsenz von MigrantInnen in den Stadträten und den Parlamenten herausgestellt.

Mittlerweile haben auch die politischen Parteien auf die bestehenden Diskrepanzen reagiert: Die CDU in Niedersachsen überraschte 2010 mit der Ernennung von Aygül Özkan zur ersten türkeistämmigen Ministerin. Im neu gewählten baden-württembergischen Kabinett hat die ebenfalls türkeistämmige SPD-Politikerin Bilkay Öney die Leitung des dort erstmalig eingerichteten Integrationsministeriums übernommen und der SPD-Vorstand preschte nach dem abgewendeten Ausschluss des von Teilen der Partei ungeliebten Mitglieds Thilo Sarrazin gar mit dem ambitionierten Vorschlag vor, innerhalb der Partei eine Migrantenquote von 15% einführen zu wollen, womit sie allerdings auf ein geteiltes Echo stieß.

Wenngleich diese aus unterschiedlichen Gründen herausragenden Beispiele zeigen, dass sich im Bereich der politischen Inklusion von Menschen mit Migrationshintergrund durchaus etwas bewegt, ist die politische Teilhabe immer noch vergleichsweise gering. Fest steht auch, dass zahlreiche Nicht-EU-AusländerInnen, selbst wenn sie bereits seit Jahrzehnten in Deutschland leben und arbeiten, vom Wahlrecht gänzlich ausgeschlossen sind, womit ihre Partizipationsmöglichkeiten deutlich eingeschränkt sind. Mit demokratischen Grundsätzen ist dies nur schwer in Einklang zu bringen. 

Die auf der kommunalen Ebene institutionalisierten Ausländerbeiräte, die mittlerweile in einigen Bundesländern zu Integrationsräten reformiert wurden, sollen eine Möglichkeit bieten, die Perspektiven und Interessen von Personen mit Migrationshintergrund zur Geltung zu bringen und ihnen damit zumindest eine gewisse politische Teilhabe zu garantieren. In diesem Beitrag gebe ich Einblick in die Entstehung von Ausländerbeiräten und Integrationsräten und nehme ihre Wirkungsweise genauer in den Blick. Letztere verdeutliche ich vor allem am Beispiel der Integrations(bei)räte von Solingen und Essen anhand der Fragen, wer in den Gremien eigentlich wen vertritt und welche Themen verhandelt werden. Zunächst gehe ich jedoch auf einige theoretische Positionen ein, die das Für und Wider von Sondergremien wie den Ausländer- und Integrations(bei)räten diskutieren.

Potenziale und Risiken der Gruppenrepräsentation

Ausländer- und Integrations(bei)räte stellen Formen gruppenspezifischer Repräsentation dar. Diese bringt – je nach konkreter institutioneller Ausgestaltung mehr oder weniger außerhalb des allgemeinen kommunalpolitischen Geschehens – Vorteile, aber auch Risiken mit sich. Auf diese wird bereits in der Theorie sogenannter deskriptiver Repräsentation, also der politischen Vertretung von Frauen durch Frauen oder von MigrantInnen durch MigrantInnen, verwiesen.

BefürworterInnen deskriptiver Repräsentation argumentieren, strukturell benachteiligten Gruppen müssten u.a. im Hinblick auf die politische Repräsentation Sonderrechte eingeräumt werden. Die staatsbürgerliche Gleichheit garantiere keineswegs, dass alle gesellschaftlichen Gruppen eine Chance erhielten, ihre Perspektiven und Belange in den politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess einzubringen. Vorteile der deskriptiven Repräsentation sehen deren BefürworterInnen zum Beispiel in der thematischen Erweiterung der politischen Agenda. Sie gehen also davon aus, dass ein Zusammenhang zwischen der Präsenz und der inhaltlichen Repräsentation bestimmter Gruppen besteht. Auch von einer symbolischen Wirkung sichtbarer Repräsentation von MigrantInnen kann ausgegangen werden, da sie vermutlich die Akzeptanz der Demokratie unter den Mitgliedern der entsprechenden Gruppen vergrößert.

Kritiker der Gruppenrepräsentation hingegen bemängeln, diese sei mit einem anti-essentialistischen Verständnis von Gruppen nicht zu vereinbaren und führe zwangsläufig zum Ausschluss von Subgruppen oder Individuen, die in irgendeiner Form von den übergeordneten Gruppenmerkmalen abweichen. So kritisiert etwa Susanne Baer (2010) unter dem Stichwort des „Gruppismus“, grundsätzlich, dass gruppenbezogene positive Maßnahmen, die auf kategorialen Unterscheidungen basieren, der Mehrdimensionalität von Ungleichheiten nicht gerecht werden.

Der Kritik an der Gruppenrepräsentation hält Iris Marion Young (2000) ein starkes Argument entgegen; ihr zufolge geht es nicht darum, dass Gruppen dieselben Interessen oder Meinungen teilen, sondern gemeinsame Perspektiven, die sich aus ihrer sozialen Positionierung ergeben. Sie meint, dass strukturell benachteiligte Gruppen spezifische Herangehensweisen an und gemeinsame Perspektiven auf bestimmte Themen und Fragestellungen verbindet. Diese Perspektiven könnten von Nicht-Gruppenmitgliedern kaum eingenommen und somit auch nicht mit der gleichen Vehemenz vertreten werden. Damit diese Perspektiven also in den politischen Prozess einfließen, sei die Präsenz von entsprechenden Gruppenmitgliedern erforderlich.

Doch inwiefern kommen in den Ausländer- und Integrations(bei)räten Gruppenperspektiven zur Geltung und wie ist es um die Inklusion von Subgruppen bestellt? Welchen Einfluss haben diese Gremien?

Von den Ausländer- zu den Integrations(bei)räten

Die ersten Ausländerbeiräte wurden in Deutschland bereits zu Beginn der 1970er Jahre angesichts der zunehmenden Anzahl von ArbeitsmigrantInnen und ihrer Familien eingeführt. Problematisch erwies sich dabei bereits in der Anfangsphase der Ausländerbeiräte die politische Unerfahrenheit der migrantischen VertreterInnen. So herrschte Lutz Hoffmann zufolge in den frühen Ausländerbeiräten, denen neben den ausländischen Mitgliedern auch VerwaltungsmitarbeiterInnen, KommunalpolitikerInnen, VertreterInnen von Verbänden und der Kirchen angehörten, mitunter ein „klassischer Kolonialstil“: Die inhaltliche Arbeit dominierten Personen ohne Migrationshintergrund, die die größtenteils überforderten ausländischen Mitglieder bevormundeten und zurechtwiesen (Hoffmann 1989). In den ersten Jahren stand indes auch gar nicht die Interessenvertretung im Vordergrund, sondern die Information und Beratung der deutschen Behörden und Entscheidungsorgane hinsichtlich bestehender sozialer Probleme der ausländischen EinwohnerInnen.

Mit dem sogenannten „Kühn-Memorandum“, das im Jahr 1979 vom ersten Ausländerbeauftragten der Bundesregierung veröffentlicht wurde, erlangten die Ausländerbeiräte dann auch eine politische Funktion. Zu Beginn der 1990er Jahre wurde die Bildung von Ausländerbeiräten schließlich in einigen Gemeindeordnungen gesetzlich verankert. Während deren Einrichtung in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz von nun an zumindest in Kommunen mit einem größeren Ausländeranteil vorgeschrieben war, überließ man deren Gründung in anderen Kommunen dem Ermessen der Gemeinde. In Sachsen und Schleswig-Holstein wurde die Möglichkeit der Einrichtung von „Sonstigen Beiräten“ in den Gemeindeordnungen eingeräumt. Durch diese Sondergremien sollen auch heute noch in zahlreichen Bundesländern die Interessen von Personen mit Migrationshintergrund zur Geltung gelangen.

Die klassischen Ausländerbeiräte sind jedoch auf den Prüfstand geraten. Vor allem der drastische Rückgang der Wahlbeteiligung– in einigen Kommunen lag diese zuletzt bei unter 10 Prozent – hat die demokratische Legitimität dieser Beiräte in Frage gestellt. Manche KritikerInnen bezeichnen sie als reine Alibi-Gremien, die politisch nichts bewirken können. In einigen Bundesländern wurden die Beiräte zu Integrationsräten reformiert, die sich durch eine engere institutionelle und personelle Anbindung an den Stadtrat sowie erweiterte Kompetenzen auszeichnen, aber nichtsdestotrotz beratende Gremien ohne Entscheidungskompetenz bleiben. Durch die Reform sind nun auch Ratsmitglieder der im Stadtrat vertretenen Fraktionen in die Gremien eingebunden und dort auch stimmberechtigt.

Eine weitere entscheidende Veränderung besteht darin, dass nicht mehr ausschließlich EinwohnerInnen mit ausländischer Staatsangehörigkeit wahlberechtigt sind, sondern auch Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit sowie Eingebürgerte. Nicht die ausländische Staatsbürgerschaft, sondern der Migrationshintergrund wird damit zum entscheidenden Kriterium. Da nicht nur den Ländern, sondern auch den einzelnen Kommunen bei der konkreten Ausgestaltung der Gremien ein großer Spielraum zugestanden wird, unterscheiden sich die Integrationsräte hinsichtlich ihrer Kompetenzen, ihrer Zusammensetzung und ihrer Wahlordnungen von Gemeinde zu Gemeinde stark voneinander. So variiert zum Beispiel das Verhältnis von Ratsmitgliedern und MigrantenvertreterInnen.

Vor allem muss aber zwischen gewählten und berufenen Integrationsräten unterschieden werden. Die Stadt Stuttgart hat beispielsweise angesichts der geringen Wahlbeteiligung einen beratenden Internationalen Ausschuss eingerichtet und MigrantInnen, können sich um die Mitgliedschaft in ihm bewerben. Der Gemeinderat entscheidet schließlich über die Besetzung des Gremiums; die MigrantInnen sind somit nicht unmittelbar demokratisch legitimiert. Durch dieses Verfahren verspricht man sich u.a. eine höhere Fachkompetenz auf Seiten der MigrantenvertreterInnen. Auch der Hannoveraner Integrationsrat ist ein Beispiel für ein durch den Gemeinderat berufenes Gremium. In diesen Fällen hat sich also die Rolle des Integrationsrates vom demokratisch gewählten Interessenvertretungsorgan hin zum Vermittler von Expertise verschoben. Wenn man sich die langfristige Entwicklung der Gremien anschaut, kann in dieser Hinsicht eine gewisse Parallele zu den frühen Ausländerbeiräten festgestellt werden.

In Nordrhein-Westfalen wurden bundesweit mit die ersten reformierten Modelle eingeführt. Inzwischen hat man dort die Bildung von Integrationsräten in der Gemeindeordnung gesetzlich geregelt. Alternativ zu den Integrationsräten kann der Stadtrat aber auch beschließen, einen Integrationsausschuss einzuführen. In diesem müssen dann aber die Ratsmitglieder die Mehrheit bilden und den Vorsitzenden stellen. Die Integrationsräte wiederum setzen sich aus einem Drittel Stadtratsmitgliedern und zwei Dritteln MigrantenvertreterInnen, die von Personen mit Migrationshintergrund gewählt werden, zusammen. Diese Form der Integrationsräte werde ich im Folgenden genauer beleuchten.

Wer repräsentiert, wer wird repräsentiert?

Wie in den Ausländerbeiräten kandidieren auch in den Integrationsräten von MigrantInnen aufgestellte VertreterInnen in Listen um die Sitze in den Gremien. Grundsätzlich lassen sich hier ethnische, ethnisch-übergreifende und parteinahe Listen unterscheiden. Schaut man sich beispielsweise den Essener Integrationsrat an, so finden sich dort aktuell Listen von der ‚Allianz der Essener Türken‘ und dem ‚Libanesischen Zedernverein‘ über die ‚Demokratische Liste‘, in der VertreterInnen unterschiedlicher Herkunftsgruppen sitzen, bis hin zu den Listen von CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen – um nur einige zu nennen. In vielen Kommunen bilden die türkeistämmigen MigrantInnen die Mehrheit in den Gremien. Vor allem aufgrund ihrer ausgeprägten Organisation in Vereinen, gelingt es ihnen, ihre WählerInnen zu mobilisieren.

Generell gehen die in den Gremien vertretenen Listen häufig aus Migrantenselbstorganisationen hervor. Die türkischen Listen sind beispielsweise oft eng an die Moscheevereine angebunden. In vielen Fällen sind die gewählten Mitglieder überhaupt erst über ihr Engagement in Vereinen auf die Beteiligungsmöglichkeit in Ausländer- bzw. Integrations(bei)räten aufmerksam gemacht worden. Über Erfahrung in politischen Ämtern verfügen daher die wenigstens bei ihrem Eintritt in die Gremien. Viele befragte MigrantenvertreterInnen erklärten, sie hätten eher zufällig von dem Gremium erfahren und seien dann wider Erwarten hinein gewählt worden.

Die Dominanz der türkischen Listen wird oftmals von Mitgliedern anderer ethnischer Gruppen, aber auch von türkeistämmigen MigrantInnen selbst, bemängelt. Insgesamt bleiben zahlenmäßig kleine Herkunftsgruppen oftmals unterrepräsentiert. Der Münchener Ausländerbeirat etwa hat deshalb in seiner Satzung zum Schutz von Minderheiten festgelegt, dass je zwei Sitze für die Herkunftsregionen Afrika, Asien sowie Mittel- und Südamerika reserviert sind. Zudem müssen sich die stimmberechtigten gewählten Mitglieder je zur Hälfte aus Frauen und Männern zusammensetzen. Dies hängt zum einen sicher damit zusammen, dass es ethnisch-gemischten Listen schwerer fällt, das Interesse von potentiellen WählerInnen auf sich zu ziehen, und liegt zum anderen daran, dass gut integrierte, zahlenmäßig kleinere Gruppen gar keine Notwendigkeit sehen, sich in einem solchen beratenden Gremium zu engagieren, das überdies oftmals von einer einzigen Gruppe dominiert wird. Das Interesse der EU-AusländerInnen, die seit Anfang der 1990er Jahre über das kommunale Wahlrecht verfügen, sich in Ausländerbeiräten oder Integrationsräten zu engagieren, ist mitunter stark zurückgegangen.

Die Tendenz, dass die Parteien ebenfalls verstärkt Listen bilden, die um Sitze in den Migrantenvertretungen kandidieren, wird von MigrantenvertreterInnen teilweise kritisch gesehen. So befürchten einige, darüber würde sich der Einfluss der Parteien, denen es vor allem um die Vertretung der Parteiinteressen gehe, vergrößern, was sich ihrer Meinung nach zum Nachteil für die MigrantInnen auswirken würde.

Neben den Ratsmitgliedern und den gewählten MigrantInnen sind in der Regel auch VertreterInnen von Vereinen, Flüchtlingsorganisationen, Wohlfahrtsverbänden, vom Deutschen Gewerkschaftsbund oder in Essen auch von der Polizei als BeraterInnen in die Gremien eingebunden. Auch ihnen bieten diese eine Möglichkeit, sich politisch zu artikulieren. So hat sich beispielsweise die Vertreterin von Pro Asyl/Flüchtlingsrat im Essener Integrationsbeirat in der Wahlperiode 2005-2009 stark für die Interessen von Flüchtlingen eingesetzt und die Arbeit in diesem Bereich entscheidend geprägt.

Ferner ist im Hinblick auf die Zusammensetzung des Essener Integrationsrats bemerkenswert, dass Migrantinnen deutlich unterrepräsentiert sind: Unter 17 gewählten Mitgliedern ist gerade eine Frau. Auch im Solinger Integrationsrat ist das Missverhältnis derzeit mit zwei weiblichen gewählten Mitgliedern im Vergleich zu 14 männlichen ähnlich eklatant. In der Wahlperiode 2005-2009 waren im Essener Integrationsbeirat 4 von 27 gewählten Mitgliedern weiblich; im Solinger Zuwanderer- und Integrationsrat waren es 2 von 10.

In Anbetracht einer solchen Ungleichverteilung stellt sich die Frage, inwiefern die Perspektiven von Migrantinnen durch die Gremien überhaupt vertreten werden. Die von mir befragten weiblichen Mitglieder gaben an, sie sähen sich in erster Linie als Repräsentantinnen der Migrantinnen. Dies wurde aber weniger mit dem Anliegen begründet, spezifische Interessen von Frauen mit Migrationshintergrund auf die Tagesordnung setzen zu wollen, als mit der symbolischen Bedeutung einer Präsenz von Frauen in diesen Gremien. So erklärte eine Migrantenvertreterin aus Essen, die Gremien würden seitens der Öffentlichkeit meistens mit männlichen Mitgliedern assoziiert.

Dass die Themen Frauen und Gender letztlich auf den politischen Agenden der untersuchten Gremien eine geringe bis gar keine Rolle spielen, könnte einerseits mit dem beschriebenen Selbstverständnis der Frauen, andererseits aber auch mit ihrer quantitativen Unterrepräsentanz zusammenhängen. So spricht Anne Phillips, die einschlägig zur Bedeutung politischer Selbstvertretung gearbeitet hat, auch lediglich von der Wahrscheinlichkeit, dass eine höhere Präsenz von Frauen auch zu einer verbesserten inhaltlichen Repräsentation führt (Philipps 1995). Empirische Studien aus den USA haben dahingehend ergeben, dass sich weibliche Abgeordnete durchaus verstärkt für frauenpolitische Anliegen einsetzen und substanziell einen Unterschied machen (Swers 1998, Dodson 2001). Insofern wäre eine größere Anzahl von weiblichen Mitgliedern in Migrantenvertretungen sicher wünschenswert.

Vielfalt der Aufgaben und Themenfelder

Die Mitglieder der Ausländer- und Integrations(bei)räte selbst verstehen die Aufgaben und Ziele der Gremien mitunter sehr unterschiedlich. Während die einen die soziale Unterstützung von MigrantInnen im Alltag als ihre Hauptaufgabe erachten, andere die Organisation interkultureller Veranstaltungen in den Mittelpunkt stellen, geht es wiederum anderen vor allem um die Verbesserung der politischen Partizipation und Gleichberechtigung. Diese Vielfalt an Anliegen und Zielen spiegelt sich auch in der Arbeit der Gremien wider.

Rein rechtlich gesehen, können sich die klassischen Ausländerbeiräte ausschließlich mit Themen befassen, die die ausländische Bevölkerung direkt betreffen – wo immer diese auch beginnen beziehungsweise enden mögen. Die nordrhein-westfälischen Integrationsräte hingegen haben die Möglichkeit, sich mit allen Angelegenheiten, die in den Selbstverwaltungsbereich der Gemeinde fallen, zu beschäftigen. Die Tagesordnungen werden zum einen von der Verwaltung und zum anderen durch Anträge oder Anfragen der gewählten Mitglieder sowie der entsandten RatsvertreterInnen bestimmt. Auch Vereine haben die Möglichkeit, ihre Arbeit vorzustellen und können Förderanträge für Veranstaltungen oder Projekte stellen.

Den Integrationsräten obliegt es wiederum, Anträge an die Verwaltung oder direkt an den Stadtrat zu richten. Letzteres ist bei den Ausländerbeiräten nur über die/den Vorsitzende/n möglich, wodurch dieser/m eine tragende Rolle zukommt. Auch können VertreterInnen als sachkundige EinwohnerInnen in die Ratsausschüsse und Bezirksvertretungen entsandt werden, wo sie allerdings in der Regel nicht stimmberechtigt sind.

Einige Ausländer- bzw. Integrations(bei)räte haben Informations- und Beratungsstellen für Personen mit Migrationshintergrund eingerichtet. Bei Bedarf bieten beispielsweise einzelne Mitglieder an, MigrantInnen bei Behördengängen zu begleiten. Auch die Organisation sogenannter interkultureller Wochen oder Tage gehört zum Standardprogramm von Ausländer- und Integrations(bei)räten und bietet Gelegenheit, sich einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren.

Darüber hinaus ist das Spektrum der Themen, die in den Ausländer- und Integrations(bei)räten verhandelt werden, breit angelegt. Zumeist sind die Themen stark durch die spezifischen Verhältnisse in den einzelnen Kommunen geprägt. In Essen, wo eine der bundesweit größten Gruppen von LibanesInnen lebt, deren Aufenthaltsstatus zum großen Teil unsicher ist, bildet die Situation dieser EinwohnerInnen ein zentrales Thema.

In jüngerer Zeit stellte das Engagement für das Kommunale Wahlrecht für Nicht-EU-AusländerInnen einen wichtigen Schwerpunkt dar, bei dem auf Seiten der MigrantenvertreterInnen Konsens besteht. Dass sich seit langer Zeit in dieser Hinsicht wenig bewegt, hat bei vielen Mitgliedern zu Frustration und genereller Infragestellung der Gremien geführt. Die Einbindung der RatsvertreterInnen in den Integrationsräten hat indessen zur Folge, dass politische Konflikte, die die allgemeine Kommunalpolitik prägen, sichtbar werden. So haben sich beispielsweise die drei von der CDU entsandten Ratsmitglieder im Solinger Integrationsrat klar gegen das kommunale Wahlrecht für Nicht-EU-AusländerInnen positioniert. Dass sich die Gremien nun dergestalt näher an den Konfliktlinien der Kommunalpolitik bewegen, ist positiv zu bewerten, weil sie dadurch an Relevanz gewinnen.

Durch die engere Anbindung an den Stadtrat und den erweiterten Zuständigkeitsbereich werden zudem Querschnittsthemen verstärkt behandelt. So wird beispielsweise über Schulentwicklungspläne oder Stadtplanungskonzepte diskutiert. Themen, die nicht nur, aber eben auch Personen mit Migrationshintergrund betreffen. Die Einarbeitung in diese unterschiedlichen Fachgebiete erfordert von den ehrenamtlich tätigen MigrantenvertreterInnen ein erhebliches Engagement und ist sehr zeitaufwendig.

Einerseits sind viele damit schlicht überfordert. Dies führt dann dazu, dass die Diskussionen über Verwaltungsvorlagen mitunter von Ratsmitgliedern bestimmt werden, was auf Seiten der MigrantenvertreterInnen oftmals das Gefühl auslöst, übergangen zu werden. „Sobald einer von den Migranten was gesagt hat, da kriegt der schon einen drauf“, so beschreibt ein Mitglied des Solinger Integrationsrats die Interaktion. Andererseits bietet die Einbindung für diejenigen, denen es gelingt, sich in die unterschiedlichen Themenbereiche einzuarbeiten, auch die Chance, politische Fachkompetenzen weiterzuentwickeln und damit womöglich auch für Parteien interessant zu werden, deren VertreterInnen schließlich auch in die Gremien eingebunden sind.

Auch wenn zunehmend Themen behandelt werden, die alle EinwohnerInnen angehen, spielen auch weiterhin gruppenspezifische Interessen und Bedürfnisse in den Integrationsräten und Ausländerbeiräten eine Rolle. Dies sind beispielsweise in Bezug auf vorschulische Erziehung, Schule und Religionsausübung konkrete Anliegen wie muttersprachlicher Unterricht, Schulbefreiung an muslimischen Festtagen oder die Beachtung religiös bedingter Essgewohnheiten an Ganztagsschulen.

Die Verbesserung der Bildungschancen für Kinder aus Migrantenfamilien ist wiederum ein zentrales Anliegen, bei dem alle MigrantenvertreterInnen an einem Strang ziehen. Aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen und ihres unmittelbaren Einblicks in die Migrantengemeinschaften können diese VertreterInnen die Problemlagen mit einiger Wahrscheinlichkeit besser erfassen. Hier zeichnet sich m.E. eine Gruppenperspektive ab, die möglicherweise von Personen ohne Migrationserfahrung nicht gleichermaßen eingenommen werden kann.

Integrationsräte: Anfangspunkt einer gleichberechtigen politischen Teilhabe von MigrantInnen?

Betrachtet man die Kommunen als „Moderatoren sozialer Integration“ (Michael Bommes), so muss die Bedeutung der Partizipation von MigrantInnen auf dieser Ebene als besonders wichtig eingeschätzt werden. Über ihren unmittelbaren Zugang zur den einzelnen Communities, können MigrantInnen auf Potenziale und Problemlagen aufmerksam machen, die sonst vielleicht nicht aufgedeckt würden. Ihre Teilhabe gewährleistet die Aufrechterhaltung von Kommunikationsnetzen in die Bevölkerung mit Migrationshintergrund hinein und kann mitunter gerade auch diejenigen MigrantInnen erreichen, die weniger gut integriert sind.

Der von Susanne Baer nachdrücklich kritisierte „Gruppismus“ scheint sich allerdings empirisch für die untersuchten Fälle zu bestätigen. So hat die Auswertung der geführten Interviews ergeben, dass sich in den Gremien Ratsmitglieder wie MigrantenvertreterInnen ihrer spezifischen Rollen bewusst werden. Das findet dann beispielweise Ausdruck darin, dass sich ‚die Migranten‘ von ‚den Ratsmitgliedern‘ bevormundet fühlen. Teilweise führt dies dazu, dass die kollektive Gruppenidentität der MigrantInnen bestärkt und als der Mehrheitsgesellschaft gegenüberstehend wahrgenommen wird. Diese Tendenz scheint auch durch die stärke Anbindung an den Stadtrat nicht gebannt: Zwar sind in den Integrationsräten die tatsächlichen Einflusschancen größer, jedoch trägt hier ein empfundenes Ungleichgewicht zwischen Ratsmitgliedern und MigrantenvertreterInnen mitunter zur Festschreibung von Gruppenidentitäten bei.

Das Spannungsverhältnis zwischen eingeschränktem Gestaltungsspielraum auf der einen Seite und dem Anspruch, als demokratisch gewählte RepräsentantInnen Anerkennung zu finden auf der anderen, tritt hier umso deutlicher hervor und führt mitunter zu Statuskonflikten. Ob die oben genannten berufenen Gremien hier effektiver sind, bleibt abzuwarten. Letztendlich muss das Ziel darin gesehen werden, die Festschreibung einer Differenz zwischen MigrantInnen und Mehrheitsgesellschaft zu überwinden. Langfristig – da sind sich auch die Mitglieder der von mir untersuchten Gremien weitestgehend einig – muss die politische Partizipation deshalb vor allem über die Parteien gewährleistet werden. Die Tatsache, dass sich diese nun stärker in den Gremien engagieren, könnte in dieser Hinsicht ein wichtiger Schritt sein.

September 2011

Literatur

  • Baer, Susanne (2010): Chancen und Risiken Positiver Maßnahmen: Grundprobleme des Antidiskriminierungsrechts. In: Heinrich Böll Stiftung (Hrsg.):Positive Maßnahmen. Von Antidiskriminierung zu Diversity. Dossier, S. 11–20.
  • Dodson, Debra L. (2001): Acting for Women. Is What Legislators Say, What They Do? In: Carroll, Susan J. (Hrsg.): The Impact of Women in Public Office. Bloomington, S. 225-242.
  • Hoffmann, Lutz (1989): Partizipation auf kommunaler Ebene. Ausländerbeiräte auf dem Weg zu Volksgruppenvertretungen?, In: Sieveking, Klaus (Hrsg.): Das Kommunalwahlrecht für Ausländer, Baden-Baden, S. 43-68.
  • Phillips, Anne (1995): Politics of Presence, Oxford.
  • Schönwälder, Karen (2010): Einwanderer in Räten und Parlamenten, In: APuZ 46-47, S. 29-35.
  • Swers, Michele L. (1998): Are Women More Likely to Vote for Women´s Issue Bills than Their Male Colleagues? In: Legislative Studies Quarterly 23 (3), S. 435–448.
  • Young, Iris M. (2000): Inclusion and Democracy, Oxford.

 

 

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Christiane Bausch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Sonderforschungsbereich „Fremdheit und Armut“ an der Universität Trier. Ihre Forschungsschwerpunkte sind politische Repräsentation, Demokratietheorie, Migration und Gender.