Was verbinden Personen mit eigener Migrationsgeschichte mit ihrem politischen Engagement? Drei MigrantInnen mit unterschiedlichen Interessengebieten beantworten Fragen über ihre Erfahrungen, Ziele und Wünsche. Ihre Antworten lassen insbesondere erkennen, dass sie sich einmischen, um gesellschaftliche Klüfte zu überwinden, Verantwortung zu übernehmen und damit die Gesellschaft mitzugestalten. Ihre Vorschläge zielen darauf, die Lage der Menschen unabhängig von deren Herkunft zu verbessern. Zugleich verknüpfen sie mit ihrem Engagement das Gefühl nicht länger Objekt sondern Subjekt der Politik zu sein und durch Anerkennung auch ihren Platz in dieser Gesellschaft gefunden zu haben.
Bülent Bengi
ist seit 1985 Mitglied der IG Metall in Baden Württemberg und Sprecher des bezirklichen Migrationsausschusses. Er arbeitet bei Bosch in Reutlingen und ist dort im Betriebsrat und stellvertretender Vertrauenkörper-Leiter.
Tatjana Forner
ist Mitbegründerin und Geschäftsführerin des Migrantenvereins ‚Club Dialog‘, der 1988 gegründet wurde. Im Jahre 1992 gründete sie den „Verband der Initiativgruppen in der Ausländerarbeit Berlin und Brandenburg“ (heute Verband der interkulturellen Arbeit) mit. Seit 2003 ist sie Mitglied des Berliner Landesbeirats für Integration und Migrationsfragen. Für ihr Engagement erhielt sie das Bundesverdienstkreuz.
Robert Katianda
ist Vorsitzender des Vereins AfroDeutsche e.V. Der studierte Betriebswirt ist Berater der Kommission für Integration der Stadt Nürnberg sowie Mitglied des Bayerischen Integrationsrates.
Warum ist es Ihnen wichtig, politisch aktiv zu sein?
Bülent Bengi: Mein politisches Engagement ist mir wichtig, da wir nur mit einer aktiven Beteiligung vieler Menschen eine bessere Zukunft schaffen können. Darüber hinaus will und kann ich nicht länger mit ansehen, wie die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland immer größer wird. Als Gewerkschaftler versuche ich deshalb, die Rechte der Beschäftigten zu stärken.
Tatjana Forner: Politisches Engagement ist aus meiner Sicht wichtig, da man damit Verantwortung für die gesellschaftliche Entwicklung übernimmt und vom Objekt zum Subjekt der Politik wird.
Robert Katianda: Für mich ist es wichtig, politisch aktiv zu sein, da wir als afrikanische Migrantinnen und Migranten selbst mit einem akademischen Abschluss und einem deutschen Pass oft ausgegrenzt bleiben. Darüber hinaus ist es mir wichtig, die Interessen der Menschen aus Afrika bei wichtigen Debatten in unserer Kommune zu vertreten. Gehör und einen Platz in der Kommune zu finden, ist meiner Ansicht nach entscheidende Voraussetzung für eine Eingliederung der afrikanischen Migrantinnen und Migranten vor Ort.
Welche Erinnerungen verbinden Sie mit dem Beginn Ihres politischen Engagements?
Bülent Bengi: Ich bin seit 1985 Mitglied der IG Metall und seit 1992 aktiv in der Migrationsarbeit engagiert. Es ist immer ein gutes Gefühl, gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen bei einer Tarifrunde auf der Straße zu stehen und die Stärke der Solidarität zu spüren.
Tatjana Forner: Ich kann mich an gespaltene Gefühle in Bezug auf meine Beteiligung im Integrationsbeirat erinnern. Einerseits hatte ich eine gewisse Skepsis hinsichtlich der zu erwartenden Ergebnisse, andererseits war ich an der Zusammenarbeit mit Kolleginnen aus anderen Communities neugierig.
Robert Katianda: Mit meinem politischen Engagement verbinde ich das positive Gefühl, einen Platz in dieser Gesellschaft gefunden zu haben, dass auch hier die Afrikanerinnen und Afrikaner präsent sind und wahrgenommen werden. Zudem fühlte ich mich mit der offiziellen Begrüßung durch die Präsidentin des Bayerischen Landtages und den Integrationsbeauftragten der Bayerischen Landesregierung respektiert und akzeptiert. Auch erinnere ich mich an unseren Versuch, Leitlinien des Zusammenlebens zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund zu entwickeln. Das war damals eine Premiere in Bayern.
Was bedeutet Ihnen Ihr politisches Engagement heute im Alltag?
Bülent Bengi: Heute ist das ehrenamtliche Engagement wichtiger denn je. Es freut mich einfach, wenn ich Menschen helfen kann. Ich bin kein Mitglied einer Partei. Die IG Metall ist meine politische Heimat. Ich versuche immer wieder, neue Mitstreiterinnen und Mitstreiter für unsere Sache zu gewinnen.
Tatjana Forner: Ich betrachte die alltägliche Arbeit in Migrantenorganisationen, zu denen ich auch unsere Organisation zähle, an sich als politische Arbeit. Denn es geht um die soziale und berufliche Integration von MigrantInnen, um entwicklungspolitische Fragen sowie um antirassistische bzw. Antidiskriminierungsarbeit geht.
Robert Katianda: Im politischen Alltag sehe ich mich als Brückenbauer zwischen den hier lebenden Afrikanerinnen und Afrikanern und den Deutschen. Dadurch trage ich eine besondere Verantwortung. Darüber hinaus will ich Vorbild sein und anderen Menschen Mut machen, sich auch für die Gesellschaft aktiv zu engagieren.
Welche politischen Themen liegen Ihnen besonders am Herzen?
Bülent Bengi: Besonders am Herzen liegt mir die Gleichstellung von Migrantinnen und Migranten im Betrieb wie auch in der Gesellschaft. Sie sollten in allen sozialen Schichten der Gesellschaft vertreten sein.
Tatjana Forner: Es gibt eine Reihe wichtiger Themen, die nicht unbedingt mit meinem Herzen zu tun haben, sondern vielmehr mit realen Problemen, die es noch zu lösen gilt. Vor allem das Forcieren einer gleichberechtigten Teilhabe der Migrantinnen und Migranten in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, d.h. im Bereich der Arbeit, Bildung sowie Politik. Daraus müssen konkrete Schritte resultieren, wie zum Beispiel die Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse, die Überwindung struktureller Diskriminierung in der Verwaltung, auf dem Arbeitsmarkt und in allen anderen Lebensbereichen.
Robert Katianda: Besonders wichtig ist mir die Entwicklung von Strategien, die eine Parallelgesellschaft verhindern bzw. eine echte Integration fördern. So müssen wir Antworten darauf finden, wie wir alle Bevölkerungsgruppen ins Boot holen können, so dass sie als Bereicherung für Deutschland gesehen werden. Außerdem müssen Lösungsstrategien gefunden werden, um Konflikte zwischen Mehrheit und Minderheiten in diesem Land zu entschärfen.
Was wäre Ihre erste konkrete Amtshandlung, wenn Sie Bundeskanzlerin bzw. Bundeskanzler wären?
Bülent Bengi: Unter vielen denkbaren Maßnahmen würde ich die Leiharbeit verbieten, da diese menschenunwürdig und respektlos ist. Ferner würde ich das Renteneintrittsalter herabsetzen, eine Reichensteuer einführen sowie die Banken an den Kosten der Finanzkrise beteiligen.
Tatjana Forner: Diese Gefahr droht mir zum Glück nicht.
Robert Katianda: Ich würde einen Ausschuss einrichten, bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern der deutschen Bevölkerung und Migrantenvertreterinnen und -vertretern. Dieser Ausschuss hätte die "Zweite Deutsche Einheit" strategisch und praktisch vorzubereiten.
Die Interviews führte Daniel Volkert im September 2011.
Bülent Bengi, Tatjana Forner und Robert Katianda