Fairplay im Stadion - Rassimus auf den Rängen

Fußballmannschaft mit "Fußball gegen Rassismus" Banner

von Maggie Riepl

Zu Gast bei Freunden titelt die WM. Ein Motto, das vielen nicht behagt. Denn freundschaftlich oder gar weltoffen geht es in deutschen Stadien schon lange nicht mehr zu. Aggressionen, Diskriminierungen und Übergriffe sind vor allem in den unteren Ligen keine Einzelfälle - und werden bislang von den Vereinen wenig geahndet. Grund genug für die Heinrich Böll-Stiftung sich diesem Thema neben verschiedenen Dossiers auch mit einer Diskussionsveranstaltung zu widmen. „Fairplay im Stadion - Rassismus auf den Rängen“ hieß es am 6. Juli am Hackeschen Markt.  Auf dem Podium: Bernd Schultz  (Präsident des Berliner Fußballverbandes), Sabine Behn  (Mitautorin der Studie „Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball“), Martin Endemann (Sprecher aktive Fußballfans) sowie die Spieler Navina Omilade ( Turbine Potsdam) und Adebowale Ogungbure (FC Sachsen). Moderator war Andreas Rüttenauer (TAZ), der eingangs bemerkte: Es geht nicht nur um Rassismus, der sich in Gewalt äußert, sondern auch das tägliche Miteinander. Blicke können zwar nicht töten, aber verletzen!

In der ersten und zweiten Liga hat es in der jüngsten Vergangenheit einen Rückgang an sichtbarem und hörbarem Rassismus gegeben, das ist das Ergebnis einer bislang noch nicht veröffentlichten Studie der Camino Werkstatt Berlin. Hierzu waren die Ultraszene, das Verhältnis Fan und Polizei untersucht, zehn Vereine der ersten und zweiten Liga  befragt  sowie Fans und Fanbeauftragte interviewt worden. Möglicherweise, so Sabine Behn von Camino, ist der Rechtsextremismus und Rassismus subtiler geworden, vor allem aber hat er sich  – als Folge der verstärkten Sicherheitskräfte in den großen Stadien, die deutlich machten, hier drohen Konsequenzen  -  in die Regional- und Oberliga  verlagert. In diesen unteren Ligen, speziell in den neuen Bundesländern, sind beleidigende Sprechchöre, diffamierende Urwaldgeräusche sowie neuerdings ein offener Rassismus auf Transparenten üblich geworden. Als Antwort auf die Solidarisierungskampagne mit Adebowale Ogungbure „Wir sind Ade“,  für die sich seine Fans schwarz geschminkt fotografieren ließen, gab es beispielsweise als Gegenreaktion von Kottbus-Anhängern „Wir sind weiß“- Plakate.

Erschreckend fand  Martin Endemann vom Bündnis Aktive Fußballfans vor allem die Selbstverständlichkeit, mit der Rechtsradikale auftreten: „Die Fans merken, wenn  ihnen kein Einhalt geboten wird und agieren entsprechend. Vor allem darf es nicht angehen,, dass Offizielle auf der Tribune rassistische Sprechchöre für normale „Stadionsfolklore“ halten!“

Die Verlagerung in die unteren Ligen wird von den Verbänden mit großer Sorge beobachtet, erklärte Bernd Schultz, Präsident des Berliner Fußballverbandes. Die Fifa hat dem deutschen Fußballbund zwar strenge Strafvorschriften vorgegeben, diese werden auch in den DFB-Regeln verbindlich geschrieben, doch erst im kommenden Jahr umgesetzt werden können. „Oberligaverbände sind zudem organisatorisch nicht in der Lage, bundesweite Stadionverbote durchzusetzen“, sagte Schultz.  Das Problem sei auch, dass das, was nicht im Spielbericht erfasst wurde, offiziell auch nicht stattgefunden hat.  Nicht hören, nichts sehen ist offensichtlich das Motto. Wie im Fall Ogungbure, wo ausländerfeindliche Handlungen ignoriert wurden. Schultz würde es daher begrüßen, wenn Beobachter im Stadion Vorkommnisse bei Spielen sofort  melden würden. Der Verband, so Schultz, darf sich nicht mehr auf Formalien  verlassen.  Im Wiederholungsfall müssten Vereine aus der Liga verwiesen werden. Inwieweit allerdings solche Sanktionen durchzusetzen sind, darüber wollte Schultz nicht spekulieren. Wichtig erschien ihm, Fans zu sensibilisieren und Vereinsmitglieder durch Psychologen z.B. in Antigewaltkursen  zu schulen. Vereine reagieren nur auf Druck, war die Meinung von Martin Endemann, daher sei auch die Berichterstattung in den Medien wichtig. Oft genug seien Vereine und Verbände nur aufgrund von Fernseh- und Zeitungsberichten aktiv geworden,  betonte Endemann und unterstrich die Wichtigkeit  von Strafen da  „wo es richtig weh tut“ wie beispielsweise Punkteabzug.

Das Bündnis Aktive Fußballfans hatte 72 Vereine angeschrieben und nach Problemen mit Rassismus gefragt. Zurück kamen 15 Antworten, deren überwiegender Tenor war: Bei uns gibt es keine Probleme. Endemann: „Häufig wird das Probleme auch mit der Äußerung „ woanders, in Italien und Spanien, ist es doch viel schlimmer“ als Randerscheinung verharmlost und verdrängt.“ Rassismus im Stadion wird oft als Spiegel der Gesellschaft gedeutet, sagte Sabine Behn, und das bedeutet dann immer, dass das Problem auch dort gelöst werden soll. Andererseits sind rassistische Äußerungen teilweise typisches Fanverhalten geworden: „Asylant und Arschloch werden heute vielfach synonym gebraucht.“ Im Stadion scheint es erlaubt zu sein, rassistisch, sexistisch und obszön zu werden. Ein noch größeres Tabuthema ist Homophobie. „Es kann nicht sein, dass Fußball von weißen heterosexuellen Männern dominiert wird“, meldete  sich ein Mitglied des schwul-lesbisches Hertha-Fanclubs zu Wort. Es sei unerträglich, dass mißliebige Schiedsrichter z.B. als Schwuchtel tituliert würden. Der Fan-Club ist seit fünf Jahren mit Regenbogenfahne im Stadion, „um zu zeigen, dass es uns gibt!“. Von Hertha BSC erhält der Fanclub jegliche Unterstützung.

Bernd Schultz versucht seit seinem Amtsantritt 2004 direkt Einfluss auf andere Vereine zu nehmen. Vereinspräsidenten werden zu Gesprächen geladen, man fordert sie auf,  Ausschlussverfahren gegen Einzeltäter einzuleiten.  Es geht nur mit Härte, so Schultz. Schließlich entstehe für die Vereine wie Städte ein immenser Imageschaden, auch im Hinblick auf Sponsoren. Es sei sinnvoll, dass in anderen Städten -  wie in Berlin bereits Praxis - Verbände und Politik kooperieren, um gesellschaftlich gegen rassistische und rechtsextreme Auswüchse anzusteuern. 

Im Gegensatz zu Adebowale Ogungbure hat Navina Omilade von Turbine Potsdam bislang keine negativen Erfahrungen bei ihren Spielen gemacht. „Daran möchte ich gar nicht denken. Ich wüsste nicht, wie ich reagieren würde“, sagte die aus Mönchengladbach kommende Nationalspielerin (ihr Vater stammt aus Nigeria). Frauenfußball bietet offensichtlich aggressionsfreiere Spielräume und noch eine „heile Welt“.  „Wir sprechen wohl eine andere Zielgruppe an, außerdem gibt es keine Massenveranstaltungen, denn wir haben maximal 300 bis 400 Zuschauern“, erklärte Omilade.

Für Adewobale Ogungbure, der seit acht Jahren in verschiedenen deutschen Vereinen spielt, war es bislang „alles super, alles Spaß“. Dann kam Ende März das Auswärtsspiel gegen den Halleschen FC. Die gesamte Spieldauer war der nigerianische Oberligaspieler des FC Sachsen Leipzig  rassistischen Beleidigungen wie „Bimbo“ und „dreckiger Nigger“ ausgesetzt, die der Schiedsrichter einfach überhörte. Urwaldgeräusche kommentierten  Ogungbures Einsätze. Schließlich  reagierte er darauf mit dem Hitlergruß  in Richtung HFC- Anhänger.  Es kam zu gewalttätigen Ausschreitungen  Ogungbure wurde  getreten und gewürgt und konnte nur von einem Mannschaftskollegen  in Sicherheit gebracht werden.  „In der Bundesliga und der 2. Liga ist nie etwas vorgekommen, bei der Oberliga ist es extrem“, sagte Ogungbure. In die deutsche Polizei hat er seither kein Vertrauen mehr. Verletzt hat ihn vor allem, dass es keine Reaktionen des Vereins, keine Entschuldigungen gegeben hat: „Ich war Opfer und wurde zum Täter, ich habe sehr gelitten und bin sehr enttäuscht.“  Trotzdem will Ogungbure in Deutschland bleiben, will weiterhin Kampagnen wie die Pro Ade-Aktion seiner Fans unterstützen. Angst vor weiteren Übergriffen? „Angst kenne ich nicht!“.

Bernd Schultz wertete die Reaktion in diesem skandalösen Fall als weiteres Mosaiksteinchen „wie sich Verbände nicht verhalten dürfen und dafür, dass die Gremien weiter sensibilisiert werden müssen.“  In Berlin beispielsweise stellt der Fußballverband anwaltliche Hilfe für Opfer.  „Das ist das mindeste, was Verbände tun können“, erklärte Schultz.  Darüber hinaus müssten Fair-Play-Initiativen und -Aktionen gebündelt  und gemeinsam mit der Bundesregierung durchgeführt werden. Große Hoffnungen setzten alle Beteiligten in das neue DFB-Präsidium. 
Die Frage, ob Stadien auch genutzt würden, um Jugendliche z.B. für rechtsextremistische Gruppen zu rekrutieren, beantwortete Sabine Behn, dahingehend, dass ihre Studie dies für manche Standorte  bestätigte. Behn: „Hier sind die Vereine in der Verantwortung,  wer sich passiv verhält, muss damit rechnen, dass sich die Anhängerschaft verändert.“ Es gibt eine bestimmte Atmosphäre in der Kurve, bestätigte auch Martin Endemann. Probleme mit Rechten gäbe es nicht, wenn die antirassistischen Fans gut vernetzt seien und echter Mainstream entstehe: „Die Selbstregulierung kann nur erfolgen, wenn sich genügend Fans finden, die beispielsweise rechte Songs niedersingen.“ Endemanns Fazit: Man darf Räume auf keinen Fall freigeben!“ 

Das Resümee der rund eineinhalbstündigen Veranstaltung: Zur Gewaltlosigkeit in den Stadien ist es noch ein  weiter Weg. Gerade darum ist es wichtig, dass das Thema durch vielfältige Aktionen im Bewusstsein der Öffentlichkeit bleibt.

Juli 2006