"Ich selbst bin so viel mehr als das" - Interview mit Chantal-Fleur Sandjon

Chantal-Fleur Sandjon
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Chantal-Fleur Sandjon

Bild entfernt. Wann hast du angefangen zu schreiben?

Schwer zu sagen. Wie viele andere habe ich mir als Kind oft und viel Geschichten ausgedacht. Einerseits weil es mir einfach Spaß machte. Andererseits auch weil es mir ermöglichte, eine Alternative zu meiner Realität zu kreieren, mit der ich mitunter besser leben konnte als mit der Wirklichkeit selbst. Für mich ist das die Grundlage meiner Liebe fürs Schreiben, und die reicht weit zurück.

Bild entfernt. Deine ersten Schritte hast du mit Gedichten und Spoken Words Performances gemacht. Was waren Themen, mit denen du dich da beschäftigt hast?

Vor allem als junge Erwachsene war das ein unglaublich wichtiges Medium und ein Wegbegleiter bei meiner eigenen Identitätsbildung und -findung. Poesie ermöglicht es uns einfach, Emotionen und Energien zu bündeln und geballt auf andere loszulassen. Das hat etwas sehr, sehr befreiendes. Dementsprechend habe ich da als Jugendliche und mit Anfang 20 viel Wut mit verarbeiten können. Wut über die Marginalisierung von Schwarzen Menschen in Deutschland, Wut über die fehlende Aufarbeitung kolonialer Verbrechen, Wut über einen fremdgehenden Liebhaber.

Später hat sich viel Schönheit zur Wut gesellt, ein stärkerer Fokus auf Selflove und darauf, wie schön, stark und inspirierend die Menschen in meinem Leben sind. Auch das ist eine Form des Widerstands und Empowerments, vielleicht sogar eine noch kraftvollere.

Bild entfernt. Was ermöglicht dir das Schreiben gegenüber anderen Ausdrucksformen?

Wörter sind lauter geschrieben – so oder so ähnlich hat es Herta Müller mal ausgedrückt. Und das Gefühl teile ich. Schreiben ist Festhalten und Raum Nehmen, da liegt eine ganz besondere Kraft drin verborgen. Plus, es fordert mich auch immer zum Innehalten auf, zum Nachspüren. Und dazu, mir selbst wirklich nahe zu kommen und zu schauen, ob ich ein Wort oder einen Gedanken oder auch eine Figur nicht doch noch einmal umdichten möchte.

Bild entfernt. In deiner Biografie steht „afrikanisch-deutsch“. Würdest du dich auch selbst so beschreiben?

Nein. Mit dem Bindestrich werden ja zwei Adjektive gleich gesetzt, die überhaupt nicht gleich sind. Wenn, dann wäre „afrikanisch-europäisch“ als schwammige oder „kamerunisch-deutsch“ als genauere Bezeichnung richtig – wenn man unbedingt in diesen Kategorien denken will.

Bild entfernt. Was bedeutet es dir als „afrikanisch-deutsche“ Autorin beschrieben zu werden? Findest du diese Labels eher einschränkend oder vielleicht auch etwas empowernd?

Ich bezeichne mich gerne und bewusst als afrodeutsche Autorin, um mein Schwarzsein und meine Zugehörigkeit zur afrikanischen Diaspora sichtbar zu machen. Das scheint bei Ernährungsratgebern ja zum Beispiel auf den ersten Blick unnötig zu sein, aber ich finde es wichtig zu zeigen, dass wir als Menschen of Color in Deutschland überall anzutreffen sind und nicht auf eine bestimmte Kategorie oder Schublade reduziert werden können.

Auf der anderen Seite ist es mir selbst gar nicht mehr so wichtig, sprich ich brauche und gebrauche das Label selbst nicht mehr tagtäglich. Eine Zeitlang habe ich meine eigene Identität so stark auf meinem Schwarzsein aufgebaut, das war sehr limitierend und eindimensional, hat Rassismus und meine Markierung als The Other zu stark in den Vordergrund gerückt. Ich selbst bin so viel mehr als das.

Bild entfernt. Kannst du uns kurz erzählen, worum es in deinem ersten Roman "Serienunikat", der im März 2014 erschienen ist, geht?

Es geht um Selbstfindung und darum, welche Umwege man oft in Kauf nehmen muss, um sich selbst näher zu kommen. Im Mittelpunkt steht Ann-Sophie, Anfang 20 und in der Provinz groß geworden, die nach Berlin zieht, um der grauen Reihenhauszukunft zu entfliehen. Dabei läuft sie jedoch Gefahr, sich selbst zu verlieren anstatt zu finden.

Bild entfernt. Was war deine Inspiration dein Buch zur sog. „Generation Y“ zu schreiben?

Mir war es wichtig, mehr von dem festzuhalten, was ich um mich herum wahrgenommen habe, als es bisher in den Medien zu finden ist. Mehr Vielfalt, mehr Ausprobieren, mehr Abstürzen, mehr Taumeln, mehr Weiterrennen.

Bild entfernt. Wie wichtig ist dir, dass deine Leser_innen sich mit den Figuren in deinem Roman identifzieren können?

Mir ist es wichtiger, ein Gefühl oder Lebensgefühl festzuhalten, das Leser_innen vertraut ist. Dann kann man auch mit Figuren mitfiebern, die völlig anders sind als man selbst.

Bild entfernt. Findest du nicht auch, dieses Generationenkonstrukt ist etwas zu allgemein um wirklich die Lebensrealitäten einer ganzen Gruppe von Menschen zu beschreiben? Ich meine jenseits von „Generation“ gibt es ja auch noch Gender, Klasse, Race, sexuelle Orientierung etc.

Klar, es ist und bleibt ein Konstrukt, das die Komplexität unserer Lebenswirklichkeiten stark vereinfacht. Uns als Individuen kann es nicht gerecht werden.

Bild entfernt. Wo verortest du dich da selbst? Bist du Generation Y?

Die Verortung in einer bestimmten Generation nehmen meist wohl eher andere für uns vor. Ich liebe Bioläden, Jutebeutel, Tumblr und Vintage-Klamotten. Falls mich das zur Generation Y macht, dann sei dem so.

Bild entfernt. Du schreibst Gedichte, Romane, Sachbücher für Jugendliche und Kochbücher – was machst du sonst noch?

Schreiben ist für mich sehr, sehr wichtig, ohne fühle ich mich nicht ganz. Ähnlich wichtig ist mir gute Ernährung, ich probiere immer gerne neues in der Küche aus - derzeit bin ich begeistert von selbstgemachtem Kombucha. Und ansonsten ist mein Alltag gerade geprägt davon, dass ich seit fünf Monaten Mama bin. Andere Dinge wie Laufen gehen, Workshops geben oder mich in der Community engagieren sind dadurch erstmal in den Hintergrund gerückt.

Bild entfernt. Wie wichtig ist dir Identität in deiner Arbeit?

Ist und bleibt als Thema in vielem, was ich geschrieben habe und schreiben werde, sehr zentral.

Bild entfernt. Hast du Vorbilder –wenn ja kannst du etwas über deren Arbeit erzählen und was dir darin wichtig ist?

Ich habe Unmengen an Inspirationsquellen. Und einige Autor_innen und Poet_innen, deren Werk mich dazu anregt, stetig an mir und meinem Schreiben zu arbeiten, und daran, meine ganz eigene Stimme zu finden. Darunter fallen Toni Morrison, Ntozake Shange, Gottfried Benn, Keorapetse Kgositsile, Nnedi Okorafor, Zakes Mda, Octavia Butler, Haruki Murakami und zig andere.

Bild entfernt. Vielen Dank für das Interview!

 

Das Interview wurde geführt von Julia Brilling.