Von einem, der auszog, um in Deutschland zu arbeiten: Tagesspiegel-Volontär Mohamed Amjahid hat Praktika gemacht, sechs Sprachen gelernt, ein Studium abgeschlossen und bei der "Zeit" hospitiert. Der Ausländerbehörde reicht das aber trotzdem nicht. Hier erzählt er von seinem Kampf mit der Behörde.
In Raum 171 sitzt eine Frau, die über mein Leben richtet. Ich sehe sie noch nicht, vorerst nehme ich im Wartesaal zwischen 20 Menschen Platz. Eine junge Chinesin hockt in einer Ecke auf dem Boden und heult. Ein Libanese telefoniert mit seiner Mutter, alles sei schwierig, seine Lage sehr kompliziert. Ich schaue aus dem Fenster. Auf dem Hof wird ein schwarzer Mann in Handschellen von Zivilpolizisten abgeführt.
Im Innern der Berliner Ausländerbehörde starren die, die hier „Kunden“ genannt werden, derweil gebannt auf einen Flachbildschirm. Das Amt stellt sich vor: „Wir sind dafür da Ihren Aufenthaltsstatus zu klären, ihn aber auch zu beendigen, wenn nötig.“
Ein Schritt zurück. Schwer liegt die für Berlin zentrale Ausländerbehörde in der betonierten Landschaft am Friedrich-Krause-Ufer des Berlin-Spandauer Schifffahrtskanals. Von der U-Bahnstation Amrumer Straße im Stadtteil Wedding wandern Afrikaner, Araber, Südamerikaner hierher. Diejenigen, die keinen Termin bekommen, stehen schon ab fünf Uhr morgens in der Schlange vor der Ausgabe der Wartemarken.
In Deutschland fallen immer und immer wieder dieselben Stichwörter: Demographischer Wandel, Einwanderungsgesellschaft, Fachkräftemangel. Nun kommt der Doppelpass – nicht für die ehemaligen Gastarbeiter, nur für ihre Enkel – aber er kommt. Und man könnte sich getrost zurücklehnen und denken, dass Deutschland auf einem guten Weg ist. Was passiert aber dort, wo die ebenso häufig erwähnte Willkommenskultur umgesetzt werden soll? Wie wirkt sich die Einwanderungspolitik von oben auf die Einwanderer konkret aus?
Neben meiner Vorgangsnummer leuchtet auf einer Tafel „Raum 171“ auf. Ich gehe vorbei an der weinenden Chinesin, um eine Arbeitsgenehmigung zu beantragen. Bisher trug der Sticker in meinem marokkanischen Pass die Aufschrift „Aufenthalt zum Studium“. In Abteilung Z2 der Berliner Ausländerbehörde werden Studierende und Wissenschaftler bedient. Hier warten die viel umworbenen Hochqualifizierten, dass ihre Vorgangsnummer einem Raum zugeordnet wird. Einige von ihnen wollen bleiben und arbeiten.
So wie ich auch. Eine Studie des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) besagt, dass ein Drittel der ausländischen Studierenden für mindestens fünf Jahre in Deutschland arbeiten und Steuern zahlen müssen, damit sich die Kosten von 13.000 Euro pro Jahr und Student aus Steuermitteln rentieren. Nach meinem Abschluss im Fach Politikwissenschaften habe ich mich für ein Volontariat beim Tagesspiegel beworben und es auch bekommen. Das ist, so hoffe ich zumindest, die Basis für eine langfristige Beschäftigung im Journalismus, in Deutschland.
Raum 171. Ich nehme Platz. Es ist eine Amtsstube wie im Bilderbuch: Schreibtisch, Aktenordner, Rechner, alles wirkt gräulich. Die Sachbearbeiterin ringt sich ein Lächeln ab und spricht meinen Namen falsch aus. Ich schiele auf ihr Namensschild und schildere dabei mein Anliegen. Frau H. ist an das Gesetz zur „Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland“ gebunden. Doch trotz des ausführlichen Aufenthaltsgesetzes von 90 Seiten hat Frau H. einen durchaus großen Interpretationsspielraum. Was eine vollwertige Beschäftigung, was eine angemessene Bezahlung ist, damit ich in Deutschland arbeiten darf, entscheidet sie, es liegt im Ermessen ihrer Behörde. Sie nimmt meine Papiere entgegen. Sie blättert. Sie lacht. Sie schüttelt den Kopf: „Wir brauchen Ingenieure in Deutschland.“ Das, das alte Mantra der einstigen Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, ist ihr erster Satz. Während einer vor ihr sitzt, der offensichtlich kein Ingenieur ist.
"Sie sind ein Flop, würde ich mal sagen"
Ich bleibe wortkarg und höre mir Frau H.’s Kommentare an. „Mit diesem Gehalt kommen Sie nicht weiter, im Gesetz steht die Empfehlung, dass Sie 64.000 Euro verdienen müssen“, erklärt sie. Obwohl es mittlerweile „nur“ noch 47.000 Euro sind. Der Arbeitsmarkt für Sozial- und Geisteswissenschaftler gebe das so oder so selten her, versuche ich zu intervenieren. Ihr Lächeln von vorhin ist da längst verschwunden, ihr Lachen nicht. „Sie sind ein Flop, würde ich mal sagen“, begegnet mir Frau H. und legt meine Akte auf den Tisch – sie fordert mich auf zu gehen. Ich solle in drei Monaten wiederkommen, aber auch nur, wenn ich dann sämtliche ihrer Kriterien erfülle. Soll ich nun ein Ingenieurstudium im Schnelldurchgang absolvieren, frage ich mich.
Auf dem Weg zur U-Bahn springt die rote Ampel eine Ewigkeit nicht auf Grün um. Ein Zeichen, dass das doch alles umsonst war: die Arbeit, die Praktika, die Stipendien? Im U-Bahnhof schaut mich die Backshopverkäuferin an, als würde sie mir sagen wollen: „Schon wieder einer aus der Ausländerbehörde.“ Der nächste Zug kommt in drei Minuten. Zeit, in meinem Kopf eine Szene abzuspulen, die ich vor drei Jahren auf der anderen Seite des Atlantiks erlebt habe. Für eine Recherche war ich damals im New Yorker Pendant zur Berliner Ausländerbehörde. Die Dame am Empfang des Immigration Service, im Bürgeramt von Brooklyn begrüßte mich mit den Worten: „Welcome to New York, do you want to apply for a citizenship?“ (Willkommen in New York, möchten Sie eine Staatsbürgerschaft beantragen?). Von dieser – wenn auch symbolischen – Willkommenskultur sind wir in Deutschland weit entfernt.
Schlechte Arbeitsbedingungen in Behörden zum Nachteil des Antragstellers
Ich schaue hoch: nächster Zug in drei Minuten, immer noch. Zeit um gedanklich nach Köln zu reisen. Dort – erzählte mir neulich eine Freundin aus Weißrussland – sei die Ausländerbehörde kein Horrortermin im Kalender. Sie habe nie Probleme gehabt und alle anderen Kunden und Sachbearbeiter, die sie beobachtete, hätten einen freundlichen, produktiven Eindruck gemacht. Es geht anscheinend auch anders in Deutschland. Als ich am selben Abend auf meinem Blog meine Erlebnisse schildere, schreiben mir hunderte Freunde und Fremde. Viele Mails sind solidarisch, aber auch viele Beschäftige von deutschen Ausländerbehörden schreiben mir. Anonym. Einige beschweren sich pauschal über „respektlose Kulturkreise“, alle über ihre Arbeitsbedingungen. Die Beamten in diesen Behörden, so der Eindruck, stehen unter besonderem Zeitdruck. Sie arbeiten viel, sind schlecht gelaunt und wollen schnell wieder in eine andere Behörde versetzt werden. Dass diese Arbeitsbedingungen zum Nachteil eines Antragsstellers werden, ist nicht im Sinne der Einwanderungsgesellschaft. Ein Status, mit dem Deutschland ja noch ringt.
Drei Monate später: Der zweite Anlauf. Neben meiner Vorgangsnummer blinkt Raum 156 auf. Diesmal ist der Wartesaal leer. Ich bin an diesem Tag einer der letzten Kunden. Meine neue Sachbearbeiterin ist respektvoll, etwas kühl, aber professionell. Frau E. schaut auf meine Papiere, zu denen inzwischen auch ein Brief der Tagesspiegel-Chefredaktion an die Ausländerbehörde zählt – mit der Bitte, mir die für mein Volontariat nötige Arbeitsgenehmigung auszustellen. Frau E. schüttelt den Kopf. Auch sie kann und möchte mir keine Genehmigung ausstellen und führt ähnliche Argumente wie ihre Kollegin Frau H. an. Aber wie gesagt, respektvoll. Als ich Einspruch einlege, holt sie die Meinung ihres Abteilungsleiters im Nebenzimmer ein. Die Wände sind dünn. „Nein, gib ihm 18 Monate, das war’s!“, sagt eine Männerstimme. Nun klebt in meinem Pass ein Sticker mit fluoreszierendem Bundesadler und glitzernden Europasternen. Ein Stier wandert über das Motiv mit traurig geneigtem Kopf, oder will er doch angreifen? Ich habe vorerst 18 Monate Zeit, um der Behörde einen neuen Arbeitsplatz zu präsentieren, steht daneben. Am besten als Ingenieur, mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag und einem Jahreseinkommen von 64.000 Euro. Immerhin darf ich nebenbei mein Volontariat absolvieren. Das allerdings dauert 24 Monate.
Dieser Beitrag erschien am 22.5.2014 in der Samstagsbeilage "Mehr Berlin" des Tagesspiegels.