Apathie

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"Mahnmal"

In diesem Herbst hielt ich mich im Osten Deutschlands, unweit der polnischen Grenze in Eisenhüttenstadt, in einem Asylantenheim auf. Während ich noch immer die Frische und den Willen hatte, „mein Schicksal zu ändern“, schrieb ich in mein Tagebuch:

Ich betrachte die Gestalt eines dunkelhäutigen Mannes, der seit dem frühen Morgen am Rand eines riesigen und beunruhigenden, hässlichen Betonwürfels sitzt. Den Kopf zwischen den Schultern eingezogen, mit seinem ganzen Rumpf nach unten hängend und mit den Handflächen seiner ausgestreckten Arme gegen die Knie drückend, starrt er irgendwo in den Boden zwischen seinen Füßen. Ich verglich ihn aufgrund seiner suggestiven Kraft mit Rodins Skulptur Der Denker. Es ist durchaus möglich, ein Modell für eine neue Skulptur des Menschen am Vorabend des Jahrtausends zu erahnen; nennen wir sie - Apathie.

Dieser Gefangene, genauso wie ich einer war, blieb stundenlang fast unbeweglich bis zum Mittagessen in unveränderter Haltung auf einer leeren Blumenschale unter meinem Fenster sitzen. Dann jeden Tag von neuem.

Wie ein Denkmal, gewidmet dem Verhängnis Millionen namenloser „nicht dokumentierter“ Menschen, Asylanten, Emigranten und Apatriden, die entlang der Längen- und Breitengrade umherirrten, auf der Flucht vor Kriegen, Diktaturen, Hunger, eine Hand voll Gnade von den Verwaltungen jener Länder beschwörend, in die sie sich für kurze Zeit einzuschiffen vermochten. Ohne zu begreifen, dass sie nur den Käfig gewechselt haben.

Als Denkmal für alle, die durch hohe dreifache Stacheldrahtrollen von der zivilisierten, demokratischen Welt abgesondert sind und die zwischen den aus dunklem Ziegel erbauten Gebäuden in ehemaligen Kasernen nazistischer Soldaten, auf dem Trampelpfad am Boden im Vorhof des Asylantenheims ihre von der Last der unsichtbaren Ketten schwer gewordenen Beine schleppten.

Für alle Völkerhorden, für Vertriebene, Schiffbrüchige der Existenz, die brüllen und hilflos einem freien und würdigen Leben hinterherwinken, das an ihnen vorbeiziehen und vor ihren Augen am Horizont versinken wird, um sie der ersten riesigen Welle zu überlassen, die sie zusammen mit ihren Hoffnungen und Träumen wieder hinab spült in die unbegreifliche Tiefe anonymer Schicksale, nicht erzählter Geschichten, in die Nicht-Existenz.

(Oktober 1999. Asylheim , Eisenhüttenstadt)

Aus dem Serbischen von Dagmar Vohburger und Dragoslav Dedović