Ansätze für eine kohärente deutsche und europäische Flüchtlingspolitik

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Das Tor von Lampedusa - ein Mahmal für die im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlinge

Europa ist der aktuellen Flüchtlingskrise nicht gewachsen. Die humanitäre Katastrophe an den Außengrenzen nimmt kein Ende. In Deutschland und anderen Ländern verschärft sich das innenpolitische Klima zusehends. Statt einer kurzsichtigen Abschottungspolitik sind jedoch konkrete Lösungsideen für eine verantwortungsvolle europäische Innen- und Außenpolitik sowie Entwicklungszusammenarbeit gefragt. Der Migrationsforscher Steffen Angenendt analysiert in diesem E-Paper für die Heinrich-Böll-Stiftung verschiedene Handlungsstrategien und zeichnet eine langfristige Perspektive.

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Zusammenfassung

Wie die Zahlen der Vereinten Nationen zeigen, hat sich die Situation von Flüchtlingen dramatisch verschärft. Etwa 60 Millionen Menschen suchen derzeit Schutz. Der größte Teil der Flüchtlinge flieht innerhalb des eigenen Landes oder in die Nachbarländer. Nur eine verhältnismäßig kleine Anzahl kommt in die Europäische Union. In vielen Mitgliedstaaten fehlt aber nicht nur die Infrastruktur zur Aufnahme von Schutzsuchenden, sondern auch der politische Wille zu einer wirksamen, kohärenten und gemeinsamen Flüchtlingspolitik.

Die europäische Flüchtlingspolitik weist vor allem drei Schwachstellen auf: Erstens fehlen Konzepte, wie mit der zunehmenden Vermischung von Fluchtbewegungen und Migration umgegangen werden soll; zweitens hoffen viele EU-Staaten immer noch, durch eine restriktive nationale Politik anderen Mitgliedstaaten die Aufnahme, Versorgung und Integration der Flüchtlinge aufbürden zu können; und drittens unterschätzen viele Regierungen die Risiken für diejenigen Länder, die derzeit die Hauptlast der Fluchtbewegungen tragen.

Bemühungen um eine kohärente Flüchtlingspolitik sind daher dringend nötig – und auch möglich. Die Handlungsspielräume sind noch nicht ausgeschöpft. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union müssen die Bedingungen für die Schutzgewährung, Aufnahme, Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen verbessern und angleichen. Vor allem müssen die immer wieder auftretenden humanitären Katastrophen an den Außengrenzen der EU auf europäischer Ebene verhindert werden. Zu all diesen Aufgaben kann auch die Entwicklungszusammenarbeit einen begrenzten, aber gleichwohl wichtigen Beitrag leisten.

Sieben Punkte für die Zukunft

Die Flüchtlingsproblematik stellt alle EU-Staaten vor große Herausforderungen. Die gegenwärtigen Flüchtlingszahlen und weitere Zunahmen sind zu bewältigen, wenn die EU-Staaten eine gemeinsame Flüchtlingspolitik verfolgen, sich auf eine faire Verantwortungsteilung verständigen, mehr für die Integration der Flüchtlinge tun und diese Politik und ihre Notwendigkeit den Bürgern auch vermitteln. Als Fazit der Analyse lassen sich sieben Punkte ausmachen:

  1. Bei den Zuwanderungen lassen sich oft die Wanderungsursachen nicht mehr klar voneinander unterscheiden. Gleichwohl muss zwischen Flüchtlingen und Migranten unterschieden werden, weil Flüchtlinge einen Anspruch auf Schutz vor Verfolgung haben.
  2. Bemühungen um eine „Reduzierung des Massensterbens an den EU-Außengrenzen“ müssen primär an den fehlenden legalen Zuwanderungswegen ansetzen, sekundär an den Ursachen der Wanderungsbewegungen.
  3. Während die EU-Staaten bei der Gestaltung der legalen Zuwanderungsmöglichkeiten durchaus Gestaltungsspielräume haben, sind die Handlungsmöglichkeiten bei den Wanderungsursachen begrenzt.
  4. Massenflucht aufgrund von Kriegen, Bürgerkriegen, Gewalt und Verfolgung läßt sich nur durch außen-, sicherheitspolitische und ggfs. militärische Mittel im Rahmen humanitärer Interventionen verhindern. Die Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft zu solchen Eingriffen ist allerdings selbst dann begrenzt, wenn Konflikte in Nachbarregionen zu Massenfluchtbewegungen führen.
  5. Begrenzt sind auch die Möglichkeiten, Migrationsursachen zu reduzieren. In der internationalen Debatte besteht weitgehenden Konsens, dass gut geregelte Migration eine wichtige Triebkraft für Entwicklung darstellt und gefördert werden sollte. Zum anderen zeigt die Forschung, dass wirtschaftliche Entwicklung Migration zunächst nicht verhindert, sondern erst ermöglicht.
  6. Weitere Tragödien an den EU-Außengrenzen werden sich nur durch kohärenteres gemeinsames europäisches Handeln verhindern lassen. Vordringlich wäre die Schaffung bzw. Ausweitung legaler Möglichkeiten zur Schutzsuche, zur Arbeitsmigration und zum Familiennachzug.
  7. Legale Einwanderungsmöglichkeiten würden zur dringend benötigten Stärkung der bestehenden (und weiteren) EU-Mobilitätspartnerschaften beitragen, die nach Ansicht der EU-Kommission das zentrale Element der gemeinsamen EU-Migrationspolitik darstellen.