Eine Berlinerin, die sich nicht in eine Schublade stecken lässt

Interview

Welche Rolle spielten Religion, Tradition und Sexualität in der bosnisch-islamischen Gemeinschaft und der Community jugoslawischer Gastarbeiter*innen? Im Interview berichtet Merima von ihren Erfahrungen als Heranwachsende, die sich mit den konservativen Werten innerhalb ihrer Familie nicht identifizieren konnte.

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Merima ist eine bemerkenswerte junge Frau, die in Berlin geboren und aufgewachsen ist und während ihrer Jugend mit der bosnisch-islamischen Gemeinschaft in Berührung kam, als der Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien ausbrach. Durch den Bürger- bzw. Glaubenskrieg kam es auch zum gesellschaftlichen Umbruch innerhalb der Community jugoslawischer Gastarbeiter*innen, die, ebenso wie die Gesellschaft im Heimatland, auf religiöse und traditionell-konservative Werte zurückfiel.

Letztere Werte und Normen haben für Merima als gebürtige und stolze Berlinerin keinen Platz in ihrer Weltanschauung. Ihre Mutter war Mitgründerin der bosnisch-islamischen Gemeinschaft in Berlin und so wurde Merima im Laufe der Zeit klar, dass sie den Vorstellungen ihrer Mutter nicht gerecht werden kann und das auch gar nicht mehr will. 

Lea Noa und Tatjana Cuk: Sind deine Eltern religiös?

Merima: Jein. Meine Eltern sind geschieden. Die haben sich Anfang der 1990er scheiden lassen. Ich bin seither mit meiner Mutter aufgewachsen. Meine Eltern sind zwar Muslime, allerdings war das im ehemaligen Jugoslawien, also vor dem Krieg, der 1991 ausbrach, gar kein Thema. Ich war mir überhaupt nicht bewusst als Kind, dass wir eine andere Religion haben als andere Menschen. Unsere Feiertage waren Weihnachten, Ostern und der Ramadan. Dass es sich um unterschiedliche Religionen handelt, war mir nicht bewusst bis der Bürgerkrieg in Jugoslawien ausbrach.

Mit dem Kriegsausbruch hat sich meine Mutter traditionellen Werten und der Religion zugewandt. Damals hat mich meine Mutter aufgeklärt, welcher Religion wir angehören und war in der bosnisch-islamischen Gemeinschaft sehr aktiv. Sie war Gründungsmitglied des ersten bosnischen Vereins hier in Berlin und hat mich auch zum Religionsunterricht, dem sogenannten Mekteb, geschickt. Ich konnte damit nicht viel anfangen. Ich habe zwar gelernt wie man im Islam betet, aber konnte mich in der Gesellschaft, insbesondere mit den konservativen Werten, nicht identifizieren. 

Wie stehst du zum Thema Religion?

Ich glaube, dass Religion sehr oft genutzt wird, um andere Interessen zu verfolgen, insbesondere Kriegsinteressen und es meistens nur um Geld geht. Heutzutage habe ich mit Religion nicht viel am Hut und lass mich davon auch nicht beeinflussen.

Wie steht deine Mutter zum Thema Homosexualität?

An sich hat sie kein Problem damit. Sie hat ein schwules Pärchen in der Nachbarschaft und ist total begeistert von denen. Trinkt mit denen regelmäßig Kaffee und zählt sie zu ihrem Freundeskreis. Wenn es aber um mich geht, dann sieht es anders aus. Irgendwann habe ich begriffen, dass ihre liberale Haltung nur für Menschen außerhalb ihrer Familie gilt. 

Wie hat sich das konkret bemerkbar gemacht?

Ich hatte mal eine Freundin, mit der ich über 4 Jahre zusammen war. Während dieser Zeit hat meine Mutter sehr oft degradierende Aussagen gemacht. Ich habe mich nie als lesbisch deklariert oder vor meiner Mutter geoutet. Das musste ich auch nicht, weil sie gemerkt hat, dass zwischen mir und meiner damaligen Freundin mehr als ein freundschaftliches Verhältnis bestand.

Für sie war das unvorstellbar, dass ich mit einer Frau zusammen bin, geschweige denn zusammenbleibe. Immer wieder machte sie sich darüber lustig und meiner damaligen Freundin mit abwertenden Äußerungen klar verständlich, was sie von unserer Beziehung hielt. 

Warum kam es zur Trennung?

Natürlich hat der Druck oder die Nichtakzeptanz meiner Mutter ihren Beitrag geleistet, aber sie war letztendlich nicht der Trennungsgrund, sondern Probleme, die wir in der Beziehung hatten. Unsere Vorstellungen von einer Beziehung drifteten immer weiter auseinander. Ich habe erkannt, dass ich die Beziehung mit meiner damaligen Freundin nicht mehr aufrechterhalten möchte, abgesehen von dem Druck oder der Nichtakzeptanz meiner Mutter. 

Hatte die Religion jemals Einfluss auf deine sexuelle Orientierung?

Nein, nicht die Religion. Im Nachhinein hat meine Mutter zwar meine damalige Beziehung in keinster Weise unterstützt, aber das liegt mehr an ihren Normen und Werten, die durchaus konservativ und traditionell ausgerichtet sind. Direkt hat die Religion mich nicht beeinflusst. Meine Mutter vielleicht schon indirekt.  

Welche sexuelle Orientierung hast du heutzutage?

Ich hasse diese Frage. Ich habe jetzt einen Freund. Ich kann und will mich aber nicht deklarieren und festlegen. Ich bin wahrscheinlich bisexuell. Ich kann nur sagen, dass ich nicht mehr in der Gay-Szene unterwegs bin. Dennoch kommt es manchmal vor, dass ich mich erwische, wie ich mit Frauen flirte und weiß, dass ich Frauen auch anziehend finde. Es ist natürlich so, dass wenn man in der Gay-Szene unterwegs ist, eher in Versuchung kommt und es um mehr als Anziehung geht, wenn man auf einer Party eine lesbische Frau trifft. Nicht selten ist es vorgekommen, dass Frauen mehr wollten, aber ich nicht bereit war eine Beziehung einzugehen. 

Weiß dein jetziger Freund, dass du eine Freundin hattest?

Nein. Das geht ihn auch nichts an.

Welchen Einfluss hatte deine Mutter auf deine sexuelle Orientierung?

Ich lass mir von meiner Mutter in der Hinsicht nichts sagen. 

Hättest du heute vielleicht eine Freundin, wenn deine Mutter so liberal mit dir umgegangen wäre wie mit ihrem Freundeskreis?

Vielleicht. Ich weiß es nicht. Das sind jetzt Spekulationen. Natürlich wäre es anders, wenn meine Mutter das unterstützen würde, aber ich hab nur die Mutter, die ich habe und sie unterstützt das überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil. Ich kann mir das auch schwer vorstellen, wie es wäre, aber vielleicht wäre ich jetzt mit einer Frau zusammen. Vielleicht aber auch nicht.

Ist es nicht wichtig für das Vertrauen in deiner jetzigen Beziehung ehrlich zu sein auch im Hinblick auf deine sexuelle Orientierung?

Warum? Das ist doch meine Sache, mit wem ich was habe oder hatte. Es hat meinen Freund genauso wenig zu interessieren, wie mich mit wie vielen Frauen er zusammen war oder welche sexuellen Praktiken er mit ihnen nachgegangen ist. 

Könntest du dir vorstellen irgendwann wieder mit einer Frau zusammen zu sein?

Naja, zusammen sein eher nicht. Dass sexuell etwas passiert, schließ ich nicht aus. Ich fühl mich zwar zu Frauen hingezogen, aber ich bin in einem Alter, in dem ich überlegen muss, wie und wann ich eine Familie gründe. Das geht halt leichter mit einem Mann. 

Heutzutage gibt es Regenbogenfamilien. Kam dir das je in den Sinn mit einer Frau an einer Familie zu arbeiten?

Jedem das seine. Für mich persönlich kommt das nicht in Frage, denn ich bin zur Schlussfolgerung gekommen, dass es eben mit einem Mann einfacher ist. Warum sollte ich mir das Leben schwerer machen als es ist. Ich hab auch so schon genug Probleme. 

Nach deinen Erfahrungen mit beiden Geschlechtern, welchen Unterschied erkennst du in Bezug auf den religiösen Einfluss in einer Beziehung?

Ich würde sagen, dass in einer homosexuellen Beziehung weniger Raum für Religion besteht aufgrund der Natur der Sache, die im Widerspruch zu den religiösen Lehren und den Vertretern steht. In einer heterosexuellen Beziehung ist es natürlich anders. Wobei ich muss ganz ehrlich sagen, dass mich das weder während der einen noch der anderen Beziehung beeinflusst hat. Für mich persönlich spielt Religion keine Rolle.  

Aufgrund deiner Erfahrung, würdest du sagen, dass es einen Unterschied zwischen Islam und Christentum beim Thema Homosexualität gibt?

Nein. Soweit ich weiß, ist jede Religion Anti-Homosexualität. Muslime sind genauso wie Christen, was das Thema angeht. Meiner Meinung nach gibt es da keine Unterschiede. Muslime haben vielleicht ein krasseres Image, aber das hat meiner Meinung nach nichts mit Religion zu tun, sondern mit Menschen, die konservativ sind und teilweise nicht zeitgemäß erzogen werden. Das gibt es aber auch unter den Christen. Der Unterschied ist, dass Muslime mehr mediale Aufmerksamkeit bekommen.  

Wenn man über den Islam spricht, kommen schnell Vorurteile auf, dass Frauenrechte nicht großgeschrieben werden. Welche Erfahrung hast du gemacht?

Absoluter Quatsch. Bei uns war das so, dass meine Mutter und mein Vater gleichberechtigt eine Beziehung auf Augenhöhe hatten. Schließlich haben sie sich getrennt, weil mein Vater eine Affäre hatte. Das hat nichts mit Islam zu tun, sondern mit der männlichen Untreue. Ich würde sogar sagen, dass meine Mutter eher das Sagen hatte und sich nicht viel von meinem Vater sagen lassen hat. Aus ihrer Erfahrung heraus hat sie mir und meiner Schwester beigebracht, unabhängig zu sein und sich nicht von einem Mann einschränken zu lassen oder auf einen Mann angewiesen zu sein. Dass mir ein Mann meine Rechte einschränkt, kommt überhaupt nicht in Frage.