Leseprobe Florence Brokowski-Shekete

Leseprobe aus "Mist, die versteht mich ja! Aus dem Leben einer Schwarzen Deutschen" von Florence Brokowski-Shekete, erschienen 2020 im Orlanda Verlag.

Lesedauer: 8 Minuten
Cover des Buchs "Mist, die versteht mich ja!" von Florence Brokowski-Shekete

Auszug aus "Mist, die versteht mich ja! Aus dem Leben einer Schwarzen Deutschen" von Florence Brokowski-Shekete, erschienen 2020 im Orlanda Verlag. Hier können Sie das Buch bestellen.

Keine ganz normale Jugend

Da war sie wieder, diese Angst mein Zuhause zu verlieren. EineAngst, die sich nicht verändert hatte, die ich nur zu gut kannte und die mich begleitete.

Und noch etwas begleitete mich seit einiger Zeit. Doch war es keine Angst, es war eine Empfindung, die langsam zur Gewohnheit wurde, erst schleichend, subtil, dann stärker und bewusster. Ich begann meine Umgebung neu wahrzunehmen, wieder einmal. Je öfter ich innehielt, desto mehr stellte ich fest, dass die Umgebung nicht mehr so war, wie ich sie bislang wahrgenommen hatte. Sie hatte sich verändert oder ich hatte mich verändert. So ganz konnte ich das noch nicht einschätzen. Ich bemerkte, dass diese Umgebung nicht für mich gemacht schien. Zumindest nicht für einen Menschen, der so aussah wie ich.

Es verwirrte mich, ich versuchte, mir darüber klar zu werden. Was konnte ein Mensch für eine Äußerlichkeit, die für jeden sichtbar war und die er nicht ändern konnte, eine Äußerlichkeit, die gottgegeben war? Wenngleich mich diese Wahrnehmung nicht täglich beschäftigte, so war sie doch immer da. Mit der Zeit fing sie an, sich in den Vordergrund zu drängen, sie veränderte sich, wurde unangenehm. Ich gewann den Eindruck, dass mein Äußeres, mein sichtbares Anderssein, für meine Umgebung mühevoll wurde. Mühevoll, weil sie durch mich dazu gezwungen wurden, sich damit auseinanderzusetzen, dass es Menschen gab, die anders aussahen, sich anders benahmen, die aber dennoch selbstverständlich an ihrem Leben teilhaben wollten. Mühevoll, weil sich dadurch ihr Weltbild und auch ihr Alltag zwangläufig veränderten. Mühevoll, weil diese anders aussehenden Menschen in ihrer Mitte etwas zu beanspruchen schienen, das eigentlich ihnen gehörte, nämlich ihr selbstverständliches weißes Leben. Ihr weißes Leben, dass durch diese anders aussehenden Menschen jedoch nicht weiß bleiben konnte, sondern farbig wurde, bunter eben.

Ich wollte jedoch keine Person sein, die mühevoll war. Ich wollte keine Person sein, die anderen Mühe machte. Es wurde mir peinlich, für meine Umgebung mühevoll und vielleicht sogar anstrengend zu sein. Es wäre mir lieber gewesen, gar nicht aufzufallen. Und so begann ich eine Art zu entwickeln, unauffällig zu werden, um dadurch so wenig mühevoll wie nur irgend möglich zu sein, am besten gar nicht. Ich begann mir einen inneren Gaststatus aufzuerlegen und fing an, mich so zu verhalten, wie es sich meiner Meinung nach für einen Gast gehörte: zurückhaltend, abwartend, dankbar, niemals fordernd oder aufdringlich. Es entstand in mir ein Gefühl, das mir sagte, dass das, was für meine weißen Mitmenschen normal war, mir nicht zustünde. Hätte ich benennen sollen, was genau es war, das mir nicht zustand, es wäre mir kaum möglich gewesen. Es war ein Gefühl, wenig greifbar und dennoch sehr präsent. Forderungen zu stellen empfand ich generell als nicht richtig, in meinem Fall sogar als ungehörig. Es gehörte sich meinem Empfinden nach für mich nicht, Ansprüche zu haben, egal welcher Art. Und so war ich stets bescheiden, hielt mich im Hintergrund.

Benahm sich mir gegenüber jemand auf eine Weise, die mir nicht gefiel, verbot ich es mir, auf dieses Verhalten hinzuweisen oder es gar abstellen zu wollen. Ich übte mich darin, nichts zu erwarten und dankbar zu sein für das Wenige, das ich bekam. Ich dachte, dankbar sein zu müssen dafür, dass mein Gegenüber überhaupt mit mir umging. Selbst wenn mir dieser Umgang nicht gefiel, wäre es doch besser, als jemand zu sein, mit dem man gar nicht umgehen wollte. So etwa waren meine Gedanken damals. Ich setzte mich so gut wie gar nicht zur Wehr, sondern versuchte, mit noch besserem Benehmen, mit noch besseren Leistungen mein Gegenüber davon zu überzeugen, dass ich es wert wäre, auch gut, nämlich weiß behandelt zu werden. Dabei glaubte ich, dass mir jeglicher Anspruch aufgrund meines Äußeren ohnehin verwehrt wäre. Dass ich es aufgrund meines Äußeren gar nicht schaffen könne, weiß und damit normal behandelt zu werden. Es fühlte sich kompliziert an.

Ich spürte, dass das Leben tatsächlich komplizierter wurde, wie die Dinge um mich herum immer weniger zu mir passten. Ich spürte, dass Dinge, die für meine Altersgenossen selbstverständlich waren, es für mich nicht waren. Diese Dinge entfernten sich immer weiter von mir. Es verfestigte sich der Eindruck, innerlich wie äußerlich keinen Anspruch auf für mich passende Dinge zu haben. Keinen Anspruch zu haben und mit dem zufrieden sein zu müssen, was da war. Ich gab daran jedoch nicht meiner weißen Umgebung die Schuld. Die Umgebung konnte nichts dafür, dass es nur wenige Dinge gab, die für mich passten. Es war nicht ihre Schuld, dass es mich in ihrer Mitte gab, nicht sie mussten sich anpassen, ihr Leben verändern, sodass ich hineinpasste. Mein Anderssein war nicht ihr Problem, es war mein Problem.

In der Schule wurde ein Spiel gespielt, die Schüler wurden in zwei Gruppen aufgeteilt, von der einen Gruppe stellten sich welche hinter einen Vorhang aus Stoff, um durch die dafür vorgesehenen Löcher einen Arm oder die Nase zu strecken, während die andere Gruppe vor dem Vorhang stand und den Mitschüler oder die Mitschülerin anhand des gezeigten Körperteils erkennen sollte. Ich sollte mitspielen, man wollte mich einbeziehen, nicht ausgrenzen. Aber das funktionierte nicht, auch nicht mit der Kreide, die man mir letztlich über die Nase strich.

Die Lehrkräfte waren nett, sie bemühten sich, damit ich Teil der Gruppe sein konnte. Dennoch, so sehr sie sich auch bemühten, dieses Spiel passte nicht für mich, nicht mit diesem Umfeld. Aber ich machte ihnen keinen Vorwurf. Es tat mir leid, ihnen Mühe bereitet zu haben. Es war mir peinlich, dass dieses Spiel mein Anderssein erst in den Fokus rückte. Es war nicht ihre Schuld, dass ich an diesem Spiel eigentlich nicht hätte teilnehmen dürfen. Ich merkte, dass es auch ihnen peinlich war. Ich denke, dass nicht ich ihnen unangenehm war. Es war die Tatsache, dass sie sich bemühen wollten, offen und integrativ zu sein, es ihnen aber nicht gelungen war. Zumindest nicht bei diesem Spiel.

Ich begann mit meiner Kleidung zu experimentieren. Es gefiel mir, wenn Frauen zu ihren Kleidern und Röcken Seidenstrumpfhosen trugen. Diese Strumpfhosen waren nahezu unsichtbar und dennoch zauberten sie einen Hauch von Eleganz auf die Beine. Solche Strumpfhosen wollte ich mir kaufen und sie an besonderen Tagen und zu besonderen Anlässen tragen. Auch ich wollte diesen Hauch von Eleganz. Also ging ich in ein großes Bekleidungsgeschäft in der festen Überzeugung, dort in der Damenabteilung entsprechende Strumpfhosen für mich zu finden. Die Verkäuferin war sehr nett, sie bot mir hautfarbene Strumpfhosen an. Ja, das waren diese Strumpfhosen, aber passend zu ihrer Hautfarbe, nicht zu meiner. Sie war weiß, ich war braun. Sie sprach es jedoch nicht an. Dass es ihr unangenehm war, sah ich an ihrem Blick. Ein Blick, der auch verriet, dass sie mich bemitleidete, dafür, in einer Umgebung zu leben, die nicht für mich gemacht war, die nichts für mich bereithielt.

Die Mädchen in meinem Alter waren sehr nett, genauso wie ihre Eltern, nett, gläubig, tolerant, weltoffen. Sie luden mich zu sich nach Hause ein, wir waren ganz normal befreundet.

Die Jungs in meinem Alter waren sehr nett, ihre Eltern schienen auch nett zu sein, nett, gläubig, tolerant, weltoffen. Jedoch luden sie mich nicht zu sich nach Hause ein, wir waren nicht normal befreundet. Sie waren nett, gläubig, tolerant und weltoffen, bis zu jenem Zeitpunkt, an dem sich mit meinem Namen ein Gesicht verband. Dann verschwand die Nettigkeit, die Toleranz, der Glaube pausierte, ebenso die Weltoffenheit. Nicht, dass mich dieses Verhalten überrascht hätte. Selbstverständlich waren sie nett, gläubig, tolerant und weltoffen, nur an der eigenen Haustür sollte der Anlass für diese Haltung nicht klopfen, dann schienen sie überfordert, diese Menschen.

Es war mir unangenehm, ihnen Mühe zu machen. Ich merkte, wie sich etwas zu wiederholen begann. Ich spürte diese Situationen, noch bevor sie eintraten, ich erkannte sie an ihren Blicken. Blicke, die sich blitzartig verschlossen, wie sich ihre Haustüren verschlossen, aus Angst, etwas Ungebetenes könne Einlass begehren. Blicke, die sich verfinsterten wie Wolken, die sich vor die strahlende Sonne schoben. Natürlich verursachten diese Situationen Stiche, aber ich bewahrte Haltung, ließ mir nichts anmerken. Was hätte ich auch sagen sollen? Mit wem hätte ich darüber reden sollen? Wer hätte es verstanden? Für wen wären diese Gedanken nicht mühevoll gewesen? Und wieder war sie da, die innere Sprachlosigkeit. Das Gefühl, in meiner Situation gefangen zu sein, sie nicht ändern zu können und auch kein Recht auf Änderung zu haben. Meine Gefühle behielt ich für mich, teilte sie mit niemanden. Ich hörte auf zu sprechen, wieder einmal.