Leseprobe aus "Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten" von Alice Hasters.
Aus "Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten", hanserblau Verlag, 2019, Berlin.
Vorwort
An der Journalistenschule besuchte ich ein Seminar, in dem wir
lernten, Zeitungskommentare zu verfassen. Wir durften uns das
Thema frei aussuchen. Wichtig war es, eine klare Haltung zu formulieren.
Ich schrieb meinen Kommentar über einen Karnevalsverein,
der nicht einsah, warum seine Mitglieder aufhören sollten, ihre Gesichter
schwarz anzumalen, Afro-Perücken aufzusetzen und sich als
»lustige Afrikaner*innen« zu verkleiden. »Darf man jetzt etwa keinen
Spaß mehr haben?«, fragten sie sich.
Meine These lautete: Wir sprechen falsch über Rassismus. Der
Fokus liegt nur darauf, was man heutzutage noch dürfe und was
nicht. Aber Gleichberechtigung kann man nicht durch ein Einhalten
von Verboten erreichen. Rassismus zu bekämpfen, ist keine Sache
der Höflichkeit. Menschen müssen verstehen, was hinter ihrem
rassistischen Handeln steckt. Mein Dozent verstand diesen Ansatz
nicht. »Was soll das sein, ein Gesinnungstext?«, schrieb er darunter.
Außerdem wurde meine Themenwahl kritisiert. Rassismus hätte
zu wenig mit der aktuellen Politik zu tun.
Das ist jetzt schon ein paar Jahre her. Mittlerweile erkennen
viele Menschen die politische Aktualität von Rassismus – oder haben
zumindest mitbekommen, dass sich Leute damit beschäftigen.
Manche finden, das Thema sei hochgekocht und es würde zu viel
darüber gesprochen. Ich finde hingegen, der Diskurs steckt noch in
den Kinderschuhen. Das Problem ist der Sprung in der Schallplatte.
Wir hüpfen immer wieder an den Anfang. Wir verhandeln darüber,
ob Rassismus überhaupt existiert und wenn ja, ob und wie schlimm
er ist. Das werde ich in diesem Buch nicht tun.
Dass wir bei diesem Thema nur schleppend vorankommen, erkenne
ich unter anderem daran, dass viele immer noch nicht verstehen,
wie man rassistisch sein kann. Oder dass sie überrascht reagieren,
wenn Menschen von Diskriminierungserfahrungen erzählen.
Für sie war Rassismus nie ein Thema. Es sind oft gerade diese
Menschen, die momentan nicht mehr mitkommen. Es reicht nicht
aus, sich über Rassismus zu wundern, und es ist wichtig, dass wir
verstehen, wie man rassistisch sein kann. Gerade jetzt. Politik und
Gesellschaft rücken immer weiter nach rechts, und auf einmal sind
es eben nicht mehr nur Nazis, sondern auch die eigene Tante auf
dem Familienfest, die ein Problem damit hat, »dass man ja keine
Deutschen mehr auf der Straße sieht«.
Eine geläufige Reaktion auf so eine Aussage: Kopfschütteln, Augen
verdrehen, schweigen. Muss man nicht dramatisieren, die eigene
Tante ist schließlich kein Nazi. Doch hier liegt ein Missverständnis
vor: Nicht nur Nazis sind rassistisch, und man muss Rassismus
nicht erst bekämpfen, wenn er in radikaler Form auftritt. Rassismus
beginnt schon viel früher.
Das scheinen viele Menschen nicht zu wissen oder zu akzeptieren.
Ich früher auch nicht. Lange dachte ich, Menschen, die ungefragt
in meine Haare fassen, mich automatisch auf Englisch ansprechen,
die mich, noch bevor sie meinen Namen wissen, fragen,
wo ich herkomme, oder meine Hautfarbe mit allem auf der Welt vergleichen,
was braun oder schwarz ist – das sei einfach normal und
zu akzeptieren. Freundliche Neugier. Ich sah es als meine Aufgabe
an, diese Dinge hinzunehmen, darüber zu schweigen oder höchstens
mit anderen Betroffenen darüber zu sprechen.
Doch der Rassismus im Kleinen, im Alltag, hängt mit dem Rassismus
im Großen zusammen – und wie, das versuche ich in diesem
Buch an einem konkreten Beispiel zu erklären: mir selbst. Meine Expertise
rührt in erster Linie aus meiner Existenz als Schwarze Frau.
Ich erzähle von Rassismus, der mir in meinem Leben begegnet ist.
Der auf den ersten Blick vielleicht harmlos wirken mag und eben
doch große Auswirkungen hat. Im Alltag, in der Schule, auf meinen
Körper, in der Liebe und in der Familie. So ist das Buch deswegen
auch aufgeteilt.
Ich will transparent machen, dass meine Welt oft anders aussieht
als die von weißen Menschen. Das geht natürlich mit einer
bestimmten Perspektive einher. Ich bin eine Schwarze Frau, mit einem
weißen Elternteil, ich bin heterosexuell, und ich habe die deutsche
Staatsbürgerschaft. Genau genommen müsste das Buch also
heißen: »Was weiße Menschen nicht über bestimmte Aspekte von
Anti-Schwarzem-Rassismus hören wollen, aber wissen sollten«. Das
Buch hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wie gesagt, wir sind
beim Thema Rassismus noch längst nicht am Ende. Es braucht noch
viel mehr Stimmen, die gehört werden müssen.
Viele Menschen, vor allem Schwarze Frauen, haben bereits kluge
Bücher geschrieben, die umfassend und anschaulich erklären, wie
Rassismus, insbesondere in Deutschland, aussieht. Einige von ihnen
werden Erwähnung in diesem Buch finden, denn ohne ihre Arbeit
hätte dieses Buch nicht entstehen können. Während ich ihre
Texte las, habe ich mich oft gefragt, warum ich das Ganze noch einmal
aufschreibe. Aber dann gehe ich ins Internet, lese Kommentare
in sozialen Netzwerken, schaue mir Talkshows an – und dann fällt
es mir wieder ein. Die Arbeit dieser Menschen wurde noch nicht
ausreichend gelesen, gehört oder ernst genommen. Wie gesagt, es
braucht noch mehr.
»Your silence will not protect you« – euer Schweigen schützt euch
nicht. Das schrieb die Schwarze Dichterin und Aktivistin Audre
Lorde. Schweigen zu brechen, mache Angst, gerade weil das Risiko
bestehe, dass man missverstanden oder verletzt werde. Dinge müssen
ausgesprochen werden, auch wenn dieses Risiko besteht, so Lorde.
Gut, dann fange ich mal damit an.
Bevor es losgeht, noch eine kleine Einführung zu dem Gebrauch von
Schrift und Sprache in diesem Buch.
Dieses Buch enthält rassistische Begriffe. Im Fließtext habe ich
die Begriffe, die leider nicht so altertümlich sind wie angebracht,
zensiert. Gerade um deutlich zu machen, dass sie nicht mehr genutzt
werden sollten. Bei historischen Zitaten habe ich mich dazu
entschieden, sie unzensiert auszuschreiben.
Die meisten Namen der im Buch vorkommenden Personen wurden
geändert.
Dass Schwarz groß geschrieben wird und weiß kursiv, ist Absicht.
Warum, wird in diesem Buch auch noch erklärt. Außerdem verwende
ich genderneutrale Sprache. Es mag für manche zunächst ein wenig
ungewohnt sein, aber darum geht es ja auch – um das Ändern
von Gewohnheiten.