Leseprobe von Alice Hasters

Leseprobe aus "Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten" von Alice Hasters.

Lesedauer: 6 Minuten
Cover_Alice Hasters

Aus "Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten", hanserblau Verlag, 2019, Berlin.

Vorwort

An der Journalistenschule besuchte ich ein Seminar, in dem wir

lernten, Zeitungskommentare zu verfassen. Wir durften uns das

Thema frei aussuchen. Wichtig war es, eine klare Haltung zu formulieren.

Ich schrieb meinen Kommentar über einen Karnevalsverein,

der nicht einsah, warum seine Mitglieder aufhören sollten, ihre Gesichter

schwarz anzumalen, Afro-Perücken aufzusetzen und sich als

»lustige Afrikaner*innen« zu verkleiden. »Darf man jetzt etwa keinen

Spaß mehr haben?«, fragten sie sich.

     Meine These lautete: Wir sprechen falsch über Rassismus. Der

Fokus liegt nur darauf, was man heutzutage noch dürfe und was

nicht. Aber Gleichberechtigung kann man nicht durch ein Einhalten

von Verboten erreichen. Rassismus zu bekämpfen, ist keine Sache

der Höflichkeit. Menschen müssen verstehen, was hinter ihrem

rassistischen Handeln steckt. Mein Dozent verstand diesen Ansatz

nicht. »Was soll das sein, ein Gesinnungstext?«, schrieb er darunter.

Außerdem wurde meine Themenwahl kritisiert. Rassismus hätte

zu wenig mit der aktuellen Politik zu tun.

     Das ist jetzt schon ein paar Jahre her. Mittlerweile erkennen

viele Menschen die politische Aktualität von Rassismus – oder haben

zumindest mitbekommen, dass sich Leute damit beschäftigen.

Manche finden, das Thema sei hochgekocht und es würde zu viel

darüber gesprochen. Ich finde hingegen, der Diskurs steckt noch in

den Kinderschuhen. Das Problem ist der Sprung in der Schallplatte.

Wir hüpfen immer wieder an den Anfang. Wir verhandeln darüber,

ob Rassismus überhaupt existiert und wenn ja, ob und wie schlimm

er ist. Das werde ich in diesem Buch nicht tun.

     Dass wir bei diesem Thema nur schleppend vorankommen, erkenne

ich unter anderem daran, dass viele immer noch nicht verstehen,

wie man rassistisch sein kann. Oder dass sie überrascht reagieren,

wenn Menschen von Diskriminierungserfahrungen erzählen.

Für sie war Rassismus nie ein Thema. Es sind oft gerade diese

Menschen, die momentan nicht mehr mitkommen. Es reicht nicht

aus, sich über Rassismus zu wundern, und es ist wichtig, dass wir

verstehen, wie man rassistisch sein kann. Gerade jetzt. Politik und

Gesellschaft rücken immer weiter nach rechts, und auf einmal sind

es eben nicht mehr nur Nazis, sondern auch die eigene Tante auf

dem Familienfest, die ein Problem damit hat, »dass man ja keine

Deutschen mehr auf der Straße sieht«.

     Eine geläufige Reaktion auf so eine Aussage: Kopfschütteln, Augen

verdrehen, schweigen. Muss man nicht dramatisieren, die eigene

Tante ist schließlich kein Nazi. Doch hier liegt ein Missverständnis

vor: Nicht nur Nazis sind rassistisch, und man muss Rassismus

nicht erst bekämpfen, wenn er in radikaler Form auftritt. Rassismus

beginnt schon viel früher.

     Das scheinen viele Menschen nicht zu wissen oder zu akzeptieren.

Ich früher auch nicht. Lange dachte ich, Menschen, die ungefragt

in meine Haare fassen, mich automatisch auf Englisch ansprechen,

die mich, noch bevor sie meinen Namen wissen, fragen,

wo ich herkomme, oder meine Hautfarbe mit allem auf der Welt vergleichen,

was braun oder schwarz ist – das sei einfach normal und

zu akzeptieren. Freundliche Neugier. Ich sah es als meine Aufgabe

an, diese Dinge hinzunehmen, darüber zu schweigen oder höchstens

mit anderen Betroffenen darüber zu sprechen.

     Doch der Rassismus im Kleinen, im Alltag, hängt mit dem Rassismus

im Großen zusammen – und wie, das versuche ich in diesem

Buch an einem konkreten Beispiel zu erklären: mir selbst. Meine Expertise

rührt in erster Linie aus meiner Existenz als Schwarze Frau.

Ich erzähle von Rassismus, der mir in meinem Leben begegnet ist.

Der auf den ersten Blick vielleicht harmlos wirken mag und eben

doch große Auswirkungen hat. Im Alltag, in der Schule, auf meinen

Körper, in der Liebe und in der Familie. So ist das Buch deswegen

auch aufgeteilt.

     Ich will transparent machen, dass meine Welt oft anders aussieht

als die von weißen Menschen. Das geht natürlich mit einer

bestimmten Perspektive einher. Ich bin eine Schwarze Frau, mit einem

weißen Elternteil, ich bin heterosexuell, und ich habe die deutsche

Staatsbürgerschaft. Genau genommen müsste das Buch also

heißen: »Was weiße Menschen nicht über bestimmte Aspekte von

Anti-Schwarzem-Rassismus hören wollen, aber wissen sollten«. Das

Buch hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wie gesagt, wir sind

beim Thema Rassismus noch längst nicht am Ende. Es braucht noch

viel mehr Stimmen, die gehört werden müssen.

     Viele Menschen, vor allem Schwarze Frauen, haben bereits kluge

Bücher geschrieben, die umfassend und anschaulich erklären, wie

Rassismus, insbesondere in Deutschland, aussieht. Einige von ihnen

werden Erwähnung in diesem Buch finden, denn ohne ihre Arbeit

hätte dieses Buch nicht entstehen können. Während ich ihre

Texte las, habe ich mich oft gefragt, warum ich das Ganze noch einmal

aufschreibe. Aber dann gehe ich ins Internet, lese Kommentare

in sozialen Netzwerken, schaue mir Talkshows an – und dann fällt

es mir wieder ein. Die Arbeit dieser Menschen wurde noch nicht

ausreichend gelesen, gehört oder ernst genommen. Wie gesagt, es

braucht noch mehr.

     »Your silence will not protect you« – euer Schweigen schützt euch

nicht. Das schrieb die Schwarze Dichterin und Aktivistin Audre

Lorde. Schweigen zu brechen, mache Angst, gerade weil das Risiko

bestehe, dass man missverstanden oder verletzt werde. Dinge müssen

ausgesprochen werden, auch wenn dieses Risiko besteht, so Lorde.

Gut, dann fange ich mal damit an.

Bevor es losgeht, noch eine kleine Einführung zu dem Gebrauch von

Schrift und Sprache in diesem Buch.

     Dieses Buch enthält rassistische Begriffe. Im Fließtext habe ich

die Begriffe, die leider nicht so altertümlich sind wie angebracht,

zensiert. Gerade um deutlich zu machen, dass sie nicht mehr genutzt

werden sollten. Bei historischen Zitaten habe ich mich dazu

entschieden, sie unzensiert auszuschreiben.

     Die meisten Namen der im Buch vorkommenden Personen wurden

geändert.

     Dass Schwarz groß geschrieben wird und weiß kursiv, ist Absicht.

Warum, wird in diesem Buch auch noch erklärt. Außerdem verwende

ich genderneutrale Sprache. Es mag für manche zunächst ein wenig

ungewohnt sein, aber darum geht es ja auch – um das Ändern

von Gewohnheiten.