Die Autorin und Journalistin Alice Hasters spricht im Interview für unseren Zwischenraum für Kunst über institutionellen Rassismus, die Kontinuität von Kolonialismus und darüber, warum sie den „Kampf gegen Rechtsextremismus“ in Deutschland nicht ernstnehmen kann.
Safiye Can und Hakan Akçit: Liebe Alice, du hast vor kurzem dein Buch Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten veröffentlicht, in dem du auch persönliche Erfahrungen mit Rassismus verarbeitest. Dort definierst du Rassismus als ein „System, das mit der Absicht entstanden ist, eine bestimmte Weltordnung herzustellen.“ Wir haben es mit einem sehr alten und mächtigen System, der White Supremacy, zu tun. Wie kann man diesen institutionellen Rassismus abschaffen?
Alice Hasters: Das ist eine große Frage und darauf gibt es keine eine Antwort. Sonst wären wir Rassismus wahrscheinlich schon los. Man sollte sich bewusst werden, dass die Abschaffung von Rassismus nicht eben mal schnell geht und die Welt eine ganz andere wäre, wenn sie rassismusfrei wäre. So anders, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, wie sie aussieht. Eine rassismusfreie Welt, so hart das klingt, ist in nächster Zeit erstmal utopisch. Ein System, was über hunderte Jahre aufgebaut wurde und vergleichsweise dazu erst kurz in Frage gestellt wird, kann man nur über Generationen hinweg abschaffen und dann auch nur, wenn man sich richtig reinhängt.
Wir, die Lebenden, werden also keine rassismusfreie Gesellschaft mehr erleben, aber wir können dazu beitragen, dass White Supremacy an Macht und Bedeutung verliert. Es beginnt mit der bewussten Auseinandersetzung mit Rassismus: Seiner Entstehung, seiner Funktion bis heute und damit, zu verstehen, dass er Bestandteil unseres Gesellschaftssystems ist. Und dass man sich dem nicht entziehen kann.
Wie tief institutioneller Rassismus in der Gesellschaft verwurzelt ist, sieht man auch an den Lehrplänen der Schulen. Im Geschichtsunterricht z.B. werden die Verbrechen des Deutschen Kaiserreichs zur Kolonialzeit, insb. der Völkermord an den Herero und Nama komplett ausgeblendet. Warum tun sich europäische Länder so schwer, die verübten Verbrechen und Völkermorde in Afrika aufzuarbeiten?
Da kann ich nur mutmaßen. Zum einen sind die Verbrechen, die während der Kolonialzeit begangen wurden nicht die einzigen, die europäische Länder aufzuarbeiten haben. Insbesondere Deutschland. Die Verbrechen des zweiten Weltkrieges brauchen ja auch Zeit, Platz und Energie, da scheint die Kolonialzeit hinten über zu fallen. Zum anderen fehlt in Bezug auf die Kolonialzeit das nötige Unrechtsbewusstsein.
In Schulen wird sie eher als Zeit der großen Entdeckung, anstatt der Zeit des Mordens und Vereinnahmung vermittelt. Die unrechten Verhältnisse zwischen globalem Norden und Süden bestehen weiterhin. Die Kolonialzeit mag zwar vorbei sein, doch Europa profitiert bis heute von ihrer Kontinuität. Eine echte, kritische Aufarbeitung der Kolonialzeit würde auch eine Infragestellung unseres Systems bedeuten.
Den öffentlich-rechtlichen Medien wird vorgeworfen, dass sie rechtsradikalen Persönlichkeiten und Thesen in Talkshows eine Plattform bieten und indirekt zur Popularität und Salonfähigkeit von rassistischem Gedankengut beitragen. Wie siehst du das als Journalistin?
Dadurch, dass man Rechtspopulist*innen in Talkshow sprechen lässt, wird suggeriert, dass ihre Haltungen legitim sind. Nur sind diese Haltungen mit dem Grundgesetz oft nicht vereinbar und von daher auch nicht der Diskussion würdig. Das hält unglaublich auf und wirft unseren gesellschaftlichen Diskurs total zurück. Ich glaube, das würde seltener passieren, wenn mehr Menschen in den Redaktionen sitzen würden, die direkt von der AFD angegriffen und bedroht sind. BIPoC, queere Menschen oder Menschen mit Behinderung.
Wozu Rassismus und Menschenhass führen kann, haben wir erneut, und zwar am Terroranschlag in Hanau gesehen. Kannst du uns deine Gedanken und deine Gefühlswelt schildern, als du das erste Mal von dem Anschlag gehört hast?
Ich merke, dass es mir nicht so gut tut, meine Gefühlslage zu rassistischen Ereignissen zu schildern, um Leute für Rassismus zu sensibilisieren. Deshalb fasse ich mich kurz: Die Tat von Hanau hat mir das Herz gebrochen. Aber überrascht hat sie mich nicht. Rechte terroristische Anschläge sind nicht neu. Nicht in Deutschland, nicht in Europa oder sonst wo auf der Welt. Sie passieren immer wieder, weil eine echte Aufarbeitung immer wieder blockiert wird.
Wie gehst du persönlich mit deiner Angst um? Tut die Regierung und die Mehrheitsgesellschaft deiner Meinung nach genug im Kampf gegen Rechtsextremismus?
Solange die NSU-Akten nicht freigegeben werden, solange rechtsradikale Menschen in unseren Institutionen sitzen – sei es bei der Polizei, der Bundeswehr oder in deutschen Landtagen - so lange der Mord an Oury Jalloh nicht weiterverfolgt wird und der Täter von Hanau nicht als rechtsradikal eingestuft wird, kann ich den „Kampf gegen Rechtsextremismus“ in Deutschland nicht ernst nehmen. Damit will ich niemanden verhöhnen, die großartiges leisten, um sich gegen Rechtsextremismus zu stellen. Ohne sie wäre hier sicher einiges noch viel schlimmer. Doch es gibt zu viele die entweder wegschauen oder diesen Kampf aktiv verhindern.
Du betreibst gemeinsam mit deiner Freundin Maxi Häcke einen monatlichen Podcast mit dem Titel Feuer & Brot über Feminismus und Popkultur. Stellst du unseren Lesern das Projekt kurz vor?
Feuer & Brot hat 2016 unbedarft angefangen. Maxi und ich kennen uns seit mehr als 20 Jahren und als wir in verschiedenen Städten waren, fingen wir an mit einem Ferngespräch-Podcast. Mittlerweile haben wir viel gelernt, uns professionalisiert und behandeln Themen zwischen Politik, Feminismus und Popkultur. Dadurch, dass unseren Gesprächen diese lange enge Freundschaft zu Grunde liegt, schaffen wir es tabuisierte und komplizierte Themen zu besprechen, ohne sie zu schwer werden zu lassen. Wir haben eine klare, feministische, antirassistische Haltung, aber auch keine Angst vor Ambivalenz.
Wir erleben gerade turbulente Zeiten mit der Corona-Pandemie. Wie gehst du mit dieser Situation um? Wie sieht dein Alltag aus?
Ich bin viel Zuhause. Ich vermisse meine Freund*innen und Familie und einen vielfältigen Alltag. Aber ich merke auch, wie privilegiert ich bin. Ich bin gesund, meine Wohnung ist groß, ich bin mit einer Person, die ich liebe und ich habe zwar viel Einkommen verloren, aber immer noch genug Geld auf dem Konto, um mir Essen zu holen, Steuern und Miete zu zahlen. Als Journalistin habe ich auch noch genug zu tun. Ich mache mir am ehesten Sorgen um meine Verwandten in den USA und skype wieder öfter mit ihnen. Ich glaube, ich komme verhältnismäßig gut mit Ungewissheit klar. Ich versuche mich daran zu erinnern, dass diese Zeit vorübergehen wird und am Ende wird es nur ein kleiner Abschnitt in meinem Leben sein.
Vielen Dank für dieses Interview!