Der Autor und Theatermacher Gerasimos Bekas spricht im Interview mit Safiye Can und Hakan Akçit über seinen Debütroman „Alle Guten waren tot“, darüber welche zentrale Rolle die Dekonstruktion von Identitätsfragen darin einnimmt und über sein Leben zwischen Berlin und Athen.
Safiye Can und Hakan Akçit: Ja Su, lieber Gerasimos! Du bist Dramatiker und Autor und hast 2019 für deinen Debütroman Alle Guten waren tot den Förderpreis des August Graf von Platen Literaturpreises erhalten. Lange bevor dein Romandebüt erschienen ist, hast du bereits Theaterstücke geschrieben. Wann reifte in dir die Idee, diesen Roman zu verfassen? Gab es einen Schlüsselmoment?
Gerasimos Bekas: Seitdem ich denken kann, will ich Bücher schreiben und Theater machen. Ich dachte lange Zeit, dass das ein unerfüllbarer Traum wäre. So wie andere davon träumen, Astronaut zu werden. 2014, als ich den Publikumspreis beim Literaturwettbewerb open mike in Berlin bekam und viele Verlage und Agenturen auf mich zukamen, wurde mein Traum erstmals greifbar. Bei Alle Guten waren tot gab es dann diesen Schlüsselmoment im März 2016. Da wurde mir klar, dass sich die Zeit, in der ich ausschließlich in Athen gelebt habe, dem Ende neigt und ich vieles aus der Zeit festhalten will.
Aris, der Protagonist deines Romans, lebt und arbeitet in Deutschland, aber die Frage nach seiner Identität quält ihn. Obwohl er Teil von zwei Welten ist, sind ihm doch beide fremd. Würdest du diesen Zustand, den Aris aktuell mit vielen Menschen ähnlicher Vita teilt, als Makel oder Bereicherung ansehen? Warum?
Ich denke dieser Zustand ist beides zugleich. Das ist nichts exklusiv migrantisches. Aber die Auseinandersetzung damit drängt sich in der Regel nur denjenigen auf, die immer gefragt werden, wo sie herkommen. Wir alle, die wir uns in unseren Zugehörigkeitsgefühlen nicht festlegen lassen müssen auf einen konkreten Ort, haben die Möglichkeit, uns unsere konkreten Sehnsuchtsorte zu schaffen. Bei mir hat das dazu geführt, dass ich meinen griechischen Heimatort romantisch verkläre, weil ich ihn als Kind verlassen musste. Ich habe Freunde, die nie am Ort waren, aus dem ihre Großeltern ausgewandert sind, und trotzdem sind solche Orte für viele identitätsstiftend, eben weil sie so geografisch konkret sind. Mir liegt viel daran diese Identitätsfragen zu dekonstruieren, denn ich glaube sie führen uns in die Irre.
Im zweiten Erzählstrang deines Romans beschreibst du rückblickend die Zeit der Besetzung Griechenlands durch die Nazis und thematisierst die Gräueltaten, wie z.B. das Massaker an der griechischen Zivilbevölkerung 1943 in Kommeno. Die deutsche Wehrmacht zerstörte während ihrer Besatzungszeit insgesamt rund 1700 griechische Dörfer. (Unter dem früheren Ministerpräsidenten Tsipras wurde die Forderung nach Reparationen für die Kriegsverbrechen der Nazis auf die politische Agenda gesetzt, wenn auch ohne Aussicht auf Erfolg.) Bis heute wurde die Reperationsfrage nicht geklärt. Wie wurde dieses Thema von deinen Lesern aufgenommen? Gab es positive Rückmeldungen oder sogar Kritik?
Die Menschen, die auf mich zugekommen sind, waren alle sehr positiv. Viele von ihnen haben ihre eigenen Geschichten rund um die Besatzungszeit mit mir geteilt. Einige haben sich auch in einzelnen Figuren wiedererkannt und das hat mich schon sehr berührt.
Ist eine Übersetzung deines Debüts ins Griechische geplant?
Ja, erst gestern hat der Übersetzer die Arbeit abgeschlossen, was mich sehr glücklich macht! Erscheinen wird das Buch im März 2020 im Verlag «Kritiki». Besonders erfreulich war für mich die Zusammenarbeit mit dem Übersetzer Apostolos Stragalinos, der Hesse, Schlink und Herrndorf ins Griechische übersetzt hat und mit großem Engagement bei der Sache ist. So habe ich das Gefühl, das Buch ist nochmal entstanden. Nur diesmal, ohne dass ich mich anstrengen musste.
Aktuell leben mehr als 30.000 Flüchtlinge verteilt auf den fünf griechischen Inseln unter größtenteils menschenunwürdigen Bedingungen. Bei einem Brand im überfüllten Lager auf Lesbos starben kürzlich mehrere Menschen. Die Regierung wirkt überfordert und der Unmut innerhalb der Bevölkerung wird größer. Besteht deiner Meinung nach bei dieser Gemengelage die Gefahr, dass rechtsradikale Parteien Zuwachs bekommen und der Rassismus in Griechenland zunimmt?
Seit Jahren ist die Situation der Geflüchteten in Griechenland erschütternd. Die Entwicklungen der letzten Monate sehe ich mit großer Sorge. Die Hetze gegen Geflüchtete nimmt zu. Menschen blockieren Straßen, um Busse mit Geflüchteten nicht in ihre Orte zu lassen. Unter dem Vorwand des Patriotismus wird gegen Menschen gehetzt, die sich nicht wehren können. Der Frust über die eigene wirtschaftliche Situation überträgt sich in Hass und Gewalt. Zum Glück konnten offen rechtsextreme Parteien aus dieser Situation bislang noch keinen Profit schlagen, aber das ist eine Frage der Zeit. Die Gesellschaft ist sehr polarisiert zwischen tatkräftiger Solidarität und blankem Hass.
Welche Erfahrungen hast du selbst mit Rassismus gemacht?
Rassismus hat mich von kleinauf beschäftigt, weil ich gemerkt habe, dass viele Menschen denken, etwas über mich zu wissen, nur weil sie mich als «Ausländer», «Südländer» oder «Griechen» gelesen haben. Ich habe als Jugendlicher auffällig viele verdachtsunabhängige Personenkontrollen erlebt. Ich habe aber auch gelernt, dass wir dem etwas entgegensetzen können und dass es Menschen gibt, die nicht bereit sind, Rassismus hinzunehmen. Als Schüler habe ich angefangen, mich bei Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage zu engagieren. Gerade jetzt, wo Rassismus zunehmend enttabuisiert wird und als Wahlkampfargument eingesetzt wird, finde ich das wichtig.
Du lebst in Athen und Berlin. Deine Theaterstücke wie z.B. Glitsch-Gott (Maxim Gorki Theater, 2015) oder G for Gademis (Griechisches Nationaltheater, 2015) wurden jeweils in beiden Städten aufgeführt. Kommt es vor, dass du als Pendler unbewusst auch einen Vergleich durchführst, was die Arbeit und das Leben in beiden Städten betrifft?
Bis 2014 war für mich Berlin die tollste Stadt, die ich kannte. Dann stieg Athen von 0 auf 1 ein und ich zog dorthin. Mittlerweile gefällt mir die Kombination sehr gut. Leider sind in beiden Städten die Zeiten vorbei, in denen es möglich war, mit wenig Geld ein angenehmes Leben zu führen. Beide Städte werden voller und rauer.
Mit welcher bekannten Persönlichkeit würdest du gerne einen Kaffee trinken?
Unter den Menschen, die noch leben, fällt mir spontan Zadie Smith ein. Bei den Toten wüsste ich gar nicht, wo ich anfangen sollte. Wenn der Kaffee gut ist, trinke ich ihn aber auch gern mit Unbekannten.
Wir danken für dieses Interview!
Dieses Interview wurde von Safiye Can und Hakan Akçit geführt im Dezember 2019.