"Eine rassismuskritische Pädagogik ist essenziell"

Interview

Florence Brokowski-Shekete ist die erste Schwarze Schulamtsdirektorin in Deutschland. Im Zwischenraum-Interview spricht sie über das Gefühl der Entwurzelung während ihrer Kindheit, über die Notwendigkeit einer diskriminierungs- und rassismuskritischen Pädagogik und über ihre 2020 erschienene Autobiographie "Mist, die versteht mich ja!".

Portrait von Florence Brokowski-Shekete

Safiye Can und Hakan Akçit: Liebe Florence, in deiner Autobiografie Mist, die versteht mich ja! schilderst du dein Leben als Schwarze Frau in Deutschland, die als Kind in einer weißen Pflegefamilie aufwächst und später von ihrer deutschen Mama adoptiert wird. Wann reifte in dir die Idee dieses Buch zu schreiben und wie kam es zu dem Titel?

Florence Brokowski-Shekete: Die Idee schlummerte schon lange latent in mir, jedoch hatte ich noch keinen wirklichen Zeitpunkt, wann es tatsächlich dazu kommen könnte. Ich glaube, es war mir auch gar nicht wirklich bewusst, dass es einmal real werden könnte. 2018 hatte ich dann einen inneren Impuls zu beginnen und ich fing dann an zu schreiben. Es fühlte sich wie der richtige Zeitpunkt an. Bis zur Veröffentlichung war es dann ein innerer und äußerer Entwicklungsprozess, der mir viel Freude bereitet hat. Der Titel entstand 2018, als ein weißer deutscher Mann, der mitbekam, dass ich der deutschen Sprache mächtig war, sein Erstaunen mit genau diesem Satz lauthals coram publico kundtat. In dem Moment musste ich innerlich sehr schmunzeln, mein Buchtitel war gefunden.

Als du neun Jahre alt warst, beschlossen deine Eltern nach Nigeria zurückzukehren, um fortan dort zu leben. Wie empfandst du das Leben in Nigeria, einem Land, das für dich fremd war?

Das Land empfand ich genau als das, FREMD. Alles war ungewohnt und vor allem fehlte mir mit meiner Mama meine Bezugsperson, meine häusliche Heimat, mein kindlicher Kokon. Ich wurde regelrecht entwurzelt und fühlte mich sehr einsam.

Glücklicherweise gab es für dich eine Art Raum der Zuflucht in Form einer deutschen Auslandsschule in Lagos, die du besucht hast und eine engagierte deutsche Klassenlehrerin, die eine Wende in deinem Leben einleitete. Was genau ist da passiert? 

Altes Schwarz-Weiß Foto von Florence Brokowski-Shekete als junges Mädchen gemeinsam mit ihrer 'Mama', 1979
Florence als junges Mädchen mit ihrer Mama, 1979

Diese Lehrerin war meine neue Deutschlehrerin. Sie spürte schnell, dass mir eine gewisse kindliche Gelöstheit fehlte. Dann ließ sie einen Aufsatz schreiben, mit dem Titel „Mein schönster Traum“. Ich schrieb auf, dass mein schönster Traum wäre, zurück nach Deutschland zu meiner Mama gehen zu dürfen. Die Lehrerin hat dann zunächst mit mir gesprochen, dann mit meinen Eltern, was unglaublich mutig war. Schließlich wusste sie nicht, wie meine Eltern reagieren würden, wenn sich eine fremde Frau in ihre Erziehung einmischte. Nach einer langen Zeit der Ungewissheit durfte ich dann tatsächlich wieder nach Deutschland zurückkehren.

Du schreibst in deinem Buch, dass du als Kind eher darauf bedacht warst, freundlich zu sein und dich unauffällig zu verhalten. Gab es in deiner Kindheit Erlebnisse, die für dich unangenehm und verletzend waren, die du aber aufgrund deines jungen Alters nicht einordnen und erst im Erwachsenenalter als Rassismus identifizieren konntest?

In der Zeit vor meiner Reise nach Nigeria gab es keine Situationen, an die ich mich erinnere. Ja, es gab einen Jungen in der ersten Klasse, der mich auf meine Hautfarbe ansprach, indem er fragte, ob ich überall so schwarz sei. Das hat mich sehr erschüttert. Ich glaube aber nicht, dass er das rassistisch gemeint haben konnte, er war ein kleiner Junge, er war einfach neugierig. Ich mochte einfach nicht auf meine Hautfarbe angesprochen werden, weil es mich durcheinandergebracht hat.

Nach meiner Rückkehr mit 12 Jahren erlebte ich in der 6. Klasse jedoch Dinge, die ich damals schon nicht als angenehm empfand und auch heute als diskriminierend und übergriffig ansehe, vor allem durch die Lehrerin.

Kannst du uns von dem Vorfall mit der Lehrerin berichten?

Nun, ich war ein unglaublich dünnes und hungriges Kind damals. Als Pausenfrühstück hatte ich drei bis vier meiner Lieblingsbrötchen dabei, bestrichen mit guter Butter und einer bekannten Nussnugatcreme. Im Unterricht, ich weiß gar nicht mehr, um welches Thema es genau ging, sagte dann ein Mitschüler, dass die Kinder in Afrika mehr zu essen hätten, wenn ich nicht so viele Brötchen äße. Die Lehrerin pflichtete ihm bei. Das fand ich unfair. Ich hätte mir gewünscht, dass sie mich verteidigt. Denn ich aß die Brötchen ja auf und schmiss sie nicht weg, wie andere Kinder es mit ihrem Essen oftmals taten. Sonderlich pädagogisch war das Verhalten der Lehrerin nicht.

Nach einem Praktikum in einem Freizeitheim für Jugendliche entschiedst du dich für ein Lehramtsstudium. Im Jahr 2007 erfolgte deine Bestellung als Schulleiterin einer weiterführenden Schule in Schwetzingen. Wie wurdest du als Schwarze Schulleiterin von dem Kollegium, den Eltern und Schüler*innen aufgenommen?

Altes Schwarz-Weiß Foto von Florence Brokowski-Shekete als junges Mädchen, 1976
Florence als junges Mädchen kurz vor ihrer Ausreise, 1976

Die Aufnahme im Kollegium war maximal gemischt, was aber normal ist, wenn eine neue Chefin, ein neuer Chef kommt. Es kristallisierte sich dann aber sehr schnell heraus, mit wem eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit möglich war. Manche Kontakte bestehen noch heute. Das gleiche Phänomen galt für das städtische Personal. Die Schüler*innen waren alle super. Dass man die Schulleitung und Lehrerin, ich habe ja auch noch unterrichtet, auch mal nicht nett findet, ist doch normal. Und die Erziehungsberechtigten waren unglaublich wertschätzend.

Ist die kulturelle Diversität der deutschen Gesellschaft auch im Bildungsbereich bzw. in den Lehrerzimmern sichtbar? Wo besteht Handlungsbedarf?

Ja, in den Klassenzimmern ist die Diversität sehr sichtbar. In den Lehrer*innenzimmern ist dieses, so scheint es mir aufgrund von Rückmeldungen, regional sehr unterschiedlich, aber Diversität wird auch dort immer sichtbarer. Eine diskriminierungs- und rassismuskritische Pädagogik ist essenziell. Diese muss in der Ausbildung, Fort- und Weiterbildung der pädagogischen Fachkräfte implementiert werden. Ich erhalte sehr viel Rückmeldung, dass hier ein ganz großer Bedarf ist.

Welchen Beitrag kann man als Einzelne*r leisten, um Diskriminierungen jeglicher Art in unserer Gesellschaft erfolgreich zu bekämpfen?

Diskriminierungs- und rassismuskritisches Denken, Handeln und Sprechen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, denn niemand, und ich sage ganz bewusst niemand, ist frei davon. Es ist wichtig zu versuchen, die Perspektive des Gegenübers einzunehmen, Wertschätzung, Achtung und Respekt als gemeinsames Wertegerüst zu definieren und den gemeinsamen Umgang daran zu messen. Das Wort gemeinsam kann ich an dieser Stelle nicht oft genug betonen. Mit meiner Arbeit möchte ich Brücken bauen und zu einem multiperspektivischen gegenseitigen Verständnis beitragen, zu dem aber auch das Aufzeigen von Grenzen durchaus dazu gehört. Ich wünsche mir Verständnis auf allen Seiten.

Wie sehen deine nächsten Projekte aus?

Nun, ich schreibe gerade an meinem zweiten Buch und freue mich in diesem Zusammenhang auf die weitere Zusammenarbeit mit dem Orlanda Verlag Berlin. Außerdem bin ich gerade in der Entwicklung eines Markenaufbaus sowie Personal Brandings, was ebenfalls einen spannenden, wie hoffnungsvollen Prozess darstellt.

Portrait Florence Brokowski-Shekete

Florence Brokowski-Shekete ist Schulamtsdirektorin in Baden-Württemberg, als erste Schwarze Frau in Deutschland. Sie ist Gründerin der Agentur FBS intercultural communication, bei der sie seit 1997 als freie Beraterin, Coach und Trainerin tätig ist. Sie arbeitete als Lehrerin, Schulleiterin und Schulrätin. Und sie mischt sich ein und setzt Grenzen, wenn sie auf Alltagsrassismus stößt.

Ihre Autobiografie "Mist, die versteht mich ja! Aus dem Leben einer Schwarzen Deutschen" ist 2020 im Orlanda Verlag erschienen.

Hier geht es zu einer Leseprobe aus ihrem Buch.