Leseprobe von Ronya Othmann

Leseprobe aus dem Gedichtband "die verbrechen" von Ronya Othmann, erschienen 2021 im Carl Hanser Verlag.

Lesedauer: 7 Minuten
Buch-Cover von "die verbrechen" von Ronya Othmann

Aus: Ronya Othmann, die verbrechen. Gedichte © 2021 Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München

die straße, die dein dorf nicht mehr findet

du stehst unter der sonne, das ziegelrot hält nicht, was

es verspricht. einmal hast du geraten und glut fiel ab,

regnete nieder wie laub im oktober, legte feuer – so viel wirst du

weinen. nimm die schindeln vom dach, reiß den first weg, nimm

die balken heraus, die ziegel bis zum stein, dem grund deines

hauses. jemand hat einen kreis um dich gezogen. du darfst nicht

hinaustreten. dein dir zu eigen gemachtes land bleibt nicht, denn

staub kannst du nicht tragen. es gibt keinen schatten unter

diesem himmel und keinen schutz vor einbrechendem wind.

abgesang

wirf die löwenmäulchen hinter dich.

du darfst dich nicht umdrehen, lass

alles zurück, was dich an sie erinnert.

den kehricht vor dem tor, den buchstabierst

du im winter wie ein sperling den märz.

schon weißt du nicht mehr, was es war.

schnee, als wäre er nie hier gewesen.

leere hofeinfahrten, eine fälschliche

behauptung, die schwarzäugige susanne

hinter deinem rücken. kein name für dein

mädchen. das dorf hat kein haus für dich.

nicht einmal im wald lässt es sich wohnen.

du fragst dich, während du gehst, ob es

das pflaster ist, das deine schuhe nicht

trägt, oder deine schuhe nicht das pflaster.

sollen wir mit den formalitäten beginnen

die frau, die dir gegenübersitzt, notiert.

ihr graues kostüm ist eine anweisung.

du rechnest ihre arme und beine nicht mit und

kommst auf ein quadrat. die schulterpolster,

der rumpf, die hüften. einen rücken braucht es

nicht, es sind die seiten, die alles halten und

dich. zähle die vögel zusammen. der bauch der

taube ist ein frachtraum. du hast davon gelesen.

deine trauerränder verraten dich. nachts hörst du

die hunde unter deinem fenster atmen.

was in wasserzeichen steht

gib mir land, dann rufe ich die wölfe

zurück in den wald. auf meinem mantel

ihre haare, silbern als wären sie ein alter.

an den jahresringen im holz kann man erzählen.

ich warte schon lange auf papiere.

es gibt keine lichtungen mehr, es ist ein wald

wie ein gebirge. ich kratze moos von den bäumen,

fülle meine kissen. alles was ich sage, ist gelogen.

die wölfe hören nicht auf mich.

ich schlafe in bächen, esse vogelbeeren,

schamlos, als wäre ich hier zuhause.

das mottenweiß

mit schweren gardinen hast du die fenster

verhängt. es ist immer eine möwe, die das

ende des wassers ankündigt. du aber bist

eingesponnen in andere netze. in die konturen

dieser tage, in das an- und abschwellende licht. im

kalender ein strich. etwas leuchtet auf, jemand hat

dir geschrieben. wer hier spricht, trägt die

hörnerkrone nicht lange, wie nerz und auch

wie eine waffe, die seidenstrümpfe dazu

sind nur dekoration. den übergang zu den vororten

da streifst du nur zufällig. du suchst nichts und alles

zieht sich entlang der bahnlinie, der weg zur arbeit, was

hast du zurückgelegt. und bist trotzdem hier,

in diesem raum, im weiten kleid, das deine müdigkeit beschreibt

und das einsickern des wassers in den sand. es regnet und die

nachbarn haben gar nichts gesehen und du das eine mal

zu viel, und du siehst es immer noch an diesen geweißelten

wänden, an den innenwänden deines blicks, an den

innersten innenwänden deiner augäpfel siehst du es noch.

streu den grünspan aus, an den grenzen dieses landes

und an denen deines körpers. es regnet doch nur.

in siebentausend zungen

ab und an zuckt es und du zuckst zurück,

jemand gibt dir einen namen,

dem du nicht hörig bist, passgenau

dem zungenschlag nach, dieser behörde. und

nicht, wie dein vater dich nannte. genannt haben

dich viele. und viel mehr ist nicht übrig davon, als

eine haarlocke. dreimal hat man dich gerufen, auf die

verformung hin, wie dieser lösstoff im tee, der den zucker

knapp verfehlt. dein süßer name, im park dann

tauwetter, eine begrünung finden für all das ausgestreute salz.

das war dir neu, begrünungen sucht man doch immer.

zum tee warst du zu spät, aber ganz eingedeutscht

schon. in diesem andauernden regen rief man dich, zuhause.

randnotiz

ein in schnee gehetztes reh, zum fluchtpunkt hin. als wäre alles nur

eine zeichnung. die fichten haben sich gelichtet. wohin man sieht

feldarbeit. eine andere habe ich nicht, nur dieses abgepflüge,

herumgeackere, umgefurche. bevor es fluchtet ins weiß.

ich folge niemandem, nur dem tauwetter, diesem rinnsal,

hinfall. sinnfällig ist vieles.

wer hat diese karten gezeichnet und striche gezogen.

man versucht sich ein wenig, nimmt sich als beispiel

die hochgeschlossenen mäntel, das blondierte haar. wie ein tier,

das sich seine wunden leckt, und ich an einem meer. aber hier

ist nur wellblech, schotter, glas. die schnellstraße hallt von fern,

spült manches strandgut und mich, mit geschlossenen augen.

bringt mich in das land meiner vorväter und einen spazierstock,

damit ich mich bei bedarf im grab noch verteidigen kann.

wovon du sprichst, wenn du geröll meinst

womit soll man beginnen, wenn man die monde

abgelaufen hat wie ein alphabet. mit diesem weiler, dieser

hofleere zwischen scheune und wald, nicht mal wind, und

was der nebel hervorwürgt, hängt am morgen in den gräsern.

eine feuchte, eine schwere, dein in der mitte geteiltes haar. es sickert

und ich streiche aus, fades licht. ich schlucke nicht. worauf ich warte,

tritt nicht ein. mit welchem pronomen soll ich dich versehen und

zu welchem ende soll ich atmen. ein zucken in den halmen,

von welchem tier oder war da eins.

in der ferne ein gewitter, das sich in sich zusammenzieht

und wohin. du zählst, ein abgebranntes haus und darin

war nichts außer ein bett, ein stuhl, ein tisch und mein bett, mein stuhl,

mein tisch. mein schlaf ist in eine schieflage geraten. von hier an

lässt sich nicht bleiben, nur fragen. wohin trägt man diese gegend.

und womit füttert man den nebel.

ich bin so traurig heute, meine liebste, meine

granatapfelblüte

mit deinen fingernägeln hast du den trauerrand

nach oben geschoben, das blau in den blutenden flieder.

du hast zu viel geredet, schürfst nur noch. ein laken

steht dir nicht zu, flechten unterm baum und früchte,

die weich fallen. bald klingt alles ab, hat eine frau gesagt.

sie weiß nicht von der narbe untem gras, dem rotz im stroh.

man muss seine augen kühlen, und blind sammelst du

maulbeeren ein, zurechtgewiesene wurzeln.

hier schlägst du aus. unter diesen umständen

darfst du nicht weiter weinen, erst nach dem fünften grab,

und es war nicht dein bruder.

sie hat nie wieder getanzt und nie wieder gesungen.

in dem video, das wir sehen, tatsächlich übte sie sich in nelken,

pflanzte jedes jahr, man muss doch essen, riss ihr hemd. die trauer,

eine handgreiflichkeit. sie strich die wochen vierzig tage lang

und kochte, und klagte, weh oh, klagte.

er ging nach mossul und kam nie wieder.

an wie vielen sonnen lässt sich die glut messen, wer hat

diese stelen in den himmel gebaut, damit das blau nicht

fällt. wer hat wolken gesät, wer schwüre geschmiedet.

hier hält man die herden beisammen, schert schafe.

hier bepflanzt man seine toten mit steinen,

damit sie den weg ins dorf nicht finden.

 

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