Leseprobe aus dem Gedichtband "die verbrechen" von Ronya Othmann, erschienen 2021 im Carl Hanser Verlag.
Aus: Ronya Othmann, die verbrechen. Gedichte © 2021 Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München
die straße, die dein dorf nicht mehr findet
du stehst unter der sonne, das ziegelrot hält nicht, was
es verspricht. einmal hast du geraten und glut fiel ab,
regnete nieder wie laub im oktober, legte feuer – so viel wirst du
weinen. nimm die schindeln vom dach, reiß den first weg, nimm
die balken heraus, die ziegel bis zum stein, dem grund deines
hauses. jemand hat einen kreis um dich gezogen. du darfst nicht
hinaustreten. dein dir zu eigen gemachtes land bleibt nicht, denn
staub kannst du nicht tragen. es gibt keinen schatten unter
diesem himmel und keinen schutz vor einbrechendem wind.
abgesang
wirf die löwenmäulchen hinter dich.
du darfst dich nicht umdrehen, lass
alles zurück, was dich an sie erinnert.
den kehricht vor dem tor, den buchstabierst
du im winter wie ein sperling den märz.
schon weißt du nicht mehr, was es war.
schnee, als wäre er nie hier gewesen.
leere hofeinfahrten, eine fälschliche
behauptung, die schwarzäugige susanne
hinter deinem rücken. kein name für dein
mädchen. das dorf hat kein haus für dich.
nicht einmal im wald lässt es sich wohnen.
du fragst dich, während du gehst, ob es
das pflaster ist, das deine schuhe nicht
trägt, oder deine schuhe nicht das pflaster.
sollen wir mit den formalitäten beginnen
die frau, die dir gegenübersitzt, notiert.
ihr graues kostüm ist eine anweisung.
du rechnest ihre arme und beine nicht mit und
kommst auf ein quadrat. die schulterpolster,
der rumpf, die hüften. einen rücken braucht es
nicht, es sind die seiten, die alles halten und
dich. zähle die vögel zusammen. der bauch der
taube ist ein frachtraum. du hast davon gelesen.
deine trauerränder verraten dich. nachts hörst du
die hunde unter deinem fenster atmen.
was in wasserzeichen steht
gib mir land, dann rufe ich die wölfe
zurück in den wald. auf meinem mantel
ihre haare, silbern als wären sie ein alter.
an den jahresringen im holz kann man erzählen.
ich warte schon lange auf papiere.
es gibt keine lichtungen mehr, es ist ein wald
wie ein gebirge. ich kratze moos von den bäumen,
fülle meine kissen. alles was ich sage, ist gelogen.
die wölfe hören nicht auf mich.
ich schlafe in bächen, esse vogelbeeren,
schamlos, als wäre ich hier zuhause.
das mottenweiß
mit schweren gardinen hast du die fenster
verhängt. es ist immer eine möwe, die das
ende des wassers ankündigt. du aber bist
eingesponnen in andere netze. in die konturen
dieser tage, in das an- und abschwellende licht. im
kalender ein strich. etwas leuchtet auf, jemand hat
dir geschrieben. wer hier spricht, trägt die
hörnerkrone nicht lange, wie nerz und auch
wie eine waffe, die seidenstrümpfe dazu
sind nur dekoration. den übergang zu den vororten
da streifst du nur zufällig. du suchst nichts und alles
zieht sich entlang der bahnlinie, der weg zur arbeit, was
hast du zurückgelegt. und bist trotzdem hier,
in diesem raum, im weiten kleid, das deine müdigkeit beschreibt
und das einsickern des wassers in den sand. es regnet und die
nachbarn haben gar nichts gesehen und du das eine mal
zu viel, und du siehst es immer noch an diesen geweißelten
wänden, an den innenwänden deines blicks, an den
innersten innenwänden deiner augäpfel siehst du es noch.
streu den grünspan aus, an den grenzen dieses landes
und an denen deines körpers. es regnet doch nur.
in siebentausend zungen
ab und an zuckt es und du zuckst zurück,
jemand gibt dir einen namen,
dem du nicht hörig bist, passgenau
dem zungenschlag nach, dieser behörde. und
nicht, wie dein vater dich nannte. genannt haben
dich viele. und viel mehr ist nicht übrig davon, als
eine haarlocke. dreimal hat man dich gerufen, auf die
verformung hin, wie dieser lösstoff im tee, der den zucker
knapp verfehlt. dein süßer name, im park dann
tauwetter, eine begrünung finden für all das ausgestreute salz.
das war dir neu, begrünungen sucht man doch immer.
zum tee warst du zu spät, aber ganz eingedeutscht
schon. in diesem andauernden regen rief man dich, zuhause.
randnotiz
ein in schnee gehetztes reh, zum fluchtpunkt hin. als wäre alles nur
eine zeichnung. die fichten haben sich gelichtet. wohin man sieht
feldarbeit. eine andere habe ich nicht, nur dieses abgepflüge,
herumgeackere, umgefurche. bevor es fluchtet ins weiß.
ich folge niemandem, nur dem tauwetter, diesem rinnsal,
hinfall. sinnfällig ist vieles.
wer hat diese karten gezeichnet und striche gezogen.
man versucht sich ein wenig, nimmt sich als beispiel
die hochgeschlossenen mäntel, das blondierte haar. wie ein tier,
das sich seine wunden leckt, und ich an einem meer. aber hier
ist nur wellblech, schotter, glas. die schnellstraße hallt von fern,
spült manches strandgut und mich, mit geschlossenen augen.
bringt mich in das land meiner vorväter und einen spazierstock,
damit ich mich bei bedarf im grab noch verteidigen kann.
wovon du sprichst, wenn du geröll meinst
womit soll man beginnen, wenn man die monde
abgelaufen hat wie ein alphabet. mit diesem weiler, dieser
hofleere zwischen scheune und wald, nicht mal wind, und
was der nebel hervorwürgt, hängt am morgen in den gräsern.
eine feuchte, eine schwere, dein in der mitte geteiltes haar. es sickert
und ich streiche aus, fades licht. ich schlucke nicht. worauf ich warte,
tritt nicht ein. mit welchem pronomen soll ich dich versehen und
zu welchem ende soll ich atmen. ein zucken in den halmen,
von welchem tier oder war da eins.
in der ferne ein gewitter, das sich in sich zusammenzieht
und wohin. du zählst, ein abgebranntes haus und darin
war nichts außer ein bett, ein stuhl, ein tisch und mein bett, mein stuhl,
mein tisch. mein schlaf ist in eine schieflage geraten. von hier an
lässt sich nicht bleiben, nur fragen. wohin trägt man diese gegend.
und womit füttert man den nebel.
ich bin so traurig heute, meine liebste, meine
granatapfelblüte
mit deinen fingernägeln hast du den trauerrand
nach oben geschoben, das blau in den blutenden flieder.
du hast zu viel geredet, schürfst nur noch. ein laken
steht dir nicht zu, flechten unterm baum und früchte,
die weich fallen. bald klingt alles ab, hat eine frau gesagt.
sie weiß nicht von der narbe untem gras, dem rotz im stroh.
man muss seine augen kühlen, und blind sammelst du
maulbeeren ein, zurechtgewiesene wurzeln.
hier schlägst du aus. unter diesen umständen
darfst du nicht weiter weinen, erst nach dem fünften grab,
und es war nicht dein bruder.
sie hat nie wieder getanzt und nie wieder gesungen.
in dem video, das wir sehen, tatsächlich übte sie sich in nelken,
pflanzte jedes jahr, man muss doch essen, riss ihr hemd. die trauer,
eine handgreiflichkeit. sie strich die wochen vierzig tage lang
und kochte, und klagte, weh oh, klagte.
er ging nach mossul und kam nie wieder.
an wie vielen sonnen lässt sich die glut messen, wer hat
diese stelen in den himmel gebaut, damit das blau nicht
fällt. wer hat wolken gesät, wer schwüre geschmiedet.
hier hält man die herden beisammen, schert schafe.
hier bepflanzt man seine toten mit steinen,
damit sie den weg ins dorf nicht finden.
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