Schwarz und migrantisch in Ostdeutschland: Stark bleiben als Überlebensstrategie

Bericht

Ostdeutsch, migrantisch, Schwarz: Simone Cristina Tristao Adao lebt seit über 10 Jahren in Ostdeutschland. Perspektiven wie ihre sind selten Teil der Diskurse über „den Osten“. In ihrem Beitrag schildert sie die Herausforderungen, die ihr als Schwarze Migrantin im Studium und Alltag begegnen und zeigt auf, wie eine inklusive und gerechte Gesellschaft aussehen kann.

Schwarz-weiß Foto einer Schwarzen Person mit kurzen Haaren von hinten

Es kostet Kraft. Der Spaziergang, die Kinder in die Schule zu bringen, der Weg zur Bibliothek. Es ist für mich eine Herausforderung, alltägliche Dinge zu erledigen, denn jedes Mal, wenn ich die Wohnung verlasse, fühle ich mich unsicher. Ich erinnere mich an die schrecklichen Dinge, die ich schon erleben musste. Die Angst, die daraus entstanden ist, trage ich seitdem konstant in mir. Die Angst, die mir die innerliche Ruhe nimmt. Dabei ist es egal, ob ich allein unterwegs bin oder nicht – immer, wenn ich das Haus verlasse, habe ich Angst, erneut rassistisch angegriffen zu werden. Das Leben für eine Schwarze Frau in einer von Weißen dominierten Gesellschaft ist eine Herausforderung. Ich spüre das, weil ich auf verschiedenen Ebenen, ob sozial, psychisch oder seelisch, benachteiligt bin. Rauszugehen ist seit Langem ein Problem.

Rassistischer Alltag: Das Wegschauen schützt den Aggressor

Juli 2011: Mein Mann, ein weißer Deutscher, und ich gingen mit unserer Tochter, die damals fast ein Jahr alt war, in einen Supermarkt in Bleicherode, einer kleinen Stadt in der Nähe von Nordhausen in Thüringen. Als wir am Parkplatz ankamen und aus dem Auto stiegen, standen drei Männer am Eingang des Supermarktes und starrten uns an. Ich sah in ihren Augen pure Ablehnung. Wir gingen in den Supermarkt und die Männer folgten uns. Sie verfolgten mich, während ich einkaufte, und gaben dabei rassistische Bemerkungen von sich. Als wir an der Kasse standen, sagte einer laut „Rassenschande“. Mein Mann fragte den Mann, ob er da gerade richtig gehört hätte, ob er es nochmal sagen könnte und ob er es gegebenenfalls auch vor einem Gericht wiederholen würde. Es gab eine kleine Auseinandersetzung zwischen meinem Mann und dem Rassisten. Vor uns war noch eine andere Kundin an der Kasse, die das mitgehört hatte. Mein Mann fragte sie, ob sie gehört hätte, was die Rassisten gesagt hatten. Ihre Antwort war ein Verneinen mit dem Kopf. Sie schwieg. Lediglich die Kassiererin senkte als Antwort auf dieselbe Frage den Kopf und murmelte, sie hätte es auch gehört. Beim Wegfahren fragte mein Mann die Männer noch, ob wir nun vor ihnen Angst haben müssten. Die Antwort war: „Wenn es wieder losgeht, dann auf jeden Fall“. Wir fuhren nach Hause und riefen die Polizei. Zwei Polizisten kamen zu uns, hörten sich die Geschichte an und stellten mehrere Fragen. Anschließend sagte der eine Polizist: „Ja, es ist uns bekannt, dass es in dieser Gegend viele Nazis gibt.“ Punkt!

Ich hätte mehr von der Polizei erwartet und ich hätte mehr von dieser schweigenden Kundin erwartet. Dieses Beispiel zeigt sehr deutlich, dass es den hemmungslosen, den aggressiven Teil unter den Nazis gibt. Den Teil, der nicht davor zurückschreckte, uns offensiv in aller Öffentlichkeit zu beschimpfen. Fast ebenso verletzend war aber die Passivität dieser schweigenden Kundin, die die Nazis in ihrem Tun bestärkte.

Weiße Menschen haben das Privileg, dass sie nicht von rassistischer Diskriminierung betroffen sind. Sie müssen sich nicht zwangsläufig mit dem Thema Rassismus auseinandersetzen. Ihr Weißsein gibt ihnen die Wahl, sich mit dem Thema zu beschäftigen oder nicht. Die Struktur unseres gesellschaftlichen Systems ist in seinem Kern rassistisch. Denn rassistische Diskriminierung wird bagatellisiert, nicht ernst genommen, es wird weggeschaut. Wenn wir als Gesellschaft aber Rassismus bekämpfen oder gar überwinden wollen, müssen wir mit einer konstruktiven Reflexion über alltägliche Rassismusformen beginnen.

Zuhause nicht sicher

Am 9. Oktober 2019 konnte ich von meiner Wohnung aus Schüsse hören, die Schüsse des Attentäters von Halle (Saale), der versucht hatte in die Synagoge einzudringen. Wenige Zeit später war die Straße voll von Polizist*innen und Anwohnenden. Ich erfuhr, dass 80 Meter von meinem Haus entfernt ein Mensch aus rassistischen Gründen ermordet worden war. Der schreckliche Gedanke, den ich seitdem immer wieder habe: wenn ich an diesem Tag aus dem Haus gegangen wäre, in dem Moment, wo dieser Terrorist in vollem Hass seine Morde verübt hat, wäre ich mit Sicherheit sein Opfer geworden. Nach dem Terroranschlag blieb ich für eine lange Zeit nur zu Hause und habe mich nicht getraut, etwas draußen zu unternehmen.

Ein Jahr später zogen wir um und ich hatte die Hoffnung, dass ich im neuen Zuhause die schlechten Erinnerungen würde loslassen können. Wir wohnten erst vier Monate in der neuen Wohnung. Als ich eines Tages am Vormittag aus der Tür ging, um einkaufen zu gehen, stand ein Mann auf der anderen Straßenseite und schaute mich intensiv an. Ich schaute zurück und in diesem Moment zeigte er mir den Hitlergruß. In seinen Augen war die Intensität des Hasses zu sehen. Ein paar Wochen später stellte ich fest, dass dieser Mann direkt gegenüber wohnte und mich von seinem Fenster aus jederzeit beobachten konnte.

Die Hoffnung in eine neue Wohnung einzuziehen und von den schrecklichen Erinnerungen befreit zu werden, war erloschen: direkt vor dem Fenster meines Schlafzimmers lebte ein Nazi. Nach dem ersten Hitlergruß sind wir uns noch mehrere Male begegnet und jedes Mal fühlte ich mich hilflos und wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Selbstverständlich fühle ich mich in meiner Wohnung nicht sicher, da ich weiß, dass gegenüber ein Rassist wohnt, der mich aufgrund meiner Hautfarbe hasst. Wenn ich mein Leben als Schwarze Migrantin in Deutschland also beschreiben müsste, wäre es ein ständiger Kampf ums Überleben.

Der Rassismus, den wir alltäglich als Schwarze Menschen erleben müssen, verhindert, dass wir unser Leben so gestalten, wie wir es tatsächlich wollen. Unser Alltag wird vom Rassismus bestimmt.

Wenn ich einkaufen gehe, vermeide ich es, im Laden meine Tasche aufzumachen, denn das könnte in meinem Fall als Diebstahlversuch interpretiert werden.

Die Angst ist mein ständiger Begleiter.

Als dark-skinned Migrantin im Uni-Kontext

Während meines Studiums der Politikwissenschaft und Hispanistik war ich fast immer die einzige Schwarze Person in allen Seminaren, die ich besuchte. Weder in den Seminaren im Politikbereich noch in denen, in denen es um spanische und lateinamerikanische Themen ging, waren andere Schwarze Student*innen anwesend. Als Schwarze Migrantin in einer „Uniweißität“ in Ostdeutschland zu studieren war für mich ein ständiger Kampf, denn es ging nicht „nur“ darum in einer Nicht-Muttersprache zu studieren. Es ging vor allem auch darum in einer weiß dominierten Institution – nämlich der Universität – zurechtzukommen. Die Blicke der Menschen verrieten, wie erstaunt sie darüber waren, eine Schwarze Brasilianerin an einer Universität in Ostdeutschland zu sehen.

Ich besuchte 2014 ein Seminar im Fach Politikwissenschaft zu dem Thema Solidarität und Sozialstaat. Wir waren ca. 25 Student*innen. Ein Student beleidigte mich mehrfach und wollte mir klar machen, dass in diesem Seminar kein Platz für mich wäre. Eines Tages fragte er mich ganz direkt: „Wie lange willst Du noch hierbleiben?“ Seine Frage überforderte mich, obwohl ich als Schwarze Migrantin ständig mit Rassismuserfahrungen konfrontiert bin und ich nie genau weiß, wann die nächste Aggression, Beleidigung oder Ablehnung kommt. Er schaute mich an und verlangte mit seinem Blick eine Antwort. In dem Moment blieb ich still. Wollte er wissen, wie lang ich noch an dem Seminar teilnehmen würde, wie lang ich noch mein Studium aushalten würde oder wie lang ich noch in Deutschland bleiben wollte?

Dieses Ereignis zeigte mir, dass ich als Schwarze Migrantin selbst im akademischen Raum nicht sicher vor rassistischen Angriffen war. Zudem verstärkte diese Erfahrung mein fehlendes Zugehörigkeitsgefühl, das Gefühl, dass ich in bestimmten gesellschaftlichen Räumen nicht willkommen war. Eine weiß gelesene Person hätte diese Frage nicht gestellt bekommen. Die verschiedenen Diskriminierungen, die ich während meines Studiums erlebte, führten dazu, dass ich mich an der Universität nicht wohl fühlte. Während der Seminare war ich oft sehr angespannt. Dass ich mich unwohl fühlte und angespannt war, war nicht grundlos. Denn wenn man verschiedene Formen von Diskriminierungen erlebt, ist es verständlich, dass man nicht mit vollem Selbstbewusstsein und Vertrauen an einem solchen Ort ist. 

Was sich verändern muss

Schwarze Migrant*innen haben häufig nicht den Raum, um sich über ihre Erfahrungen von Marginalisierung und Ausgrenzung auszutauschen. Sie werden nicht selten als Forschungsgegenstand wahrgenommen und studiert. Dieser Umstand ist besonders problematisch, denn bei dem Zusammenspiel von Macht und Wissen gilt weiterhin: Wer sprechen darf, erzeugt Wissen. Gerade deshalb ist es wichtig, dass Schwarze Frauen in allen Bereichen, insbesondere in der Wissenschaft und Forschung vertreten sind – als Studierende, Lehrende und Forschende.

Damit alle Menschen, unabhängig von Herkunft oder Geschlecht, sich wohl fühlen, müssen die Universitäten diverser werden, sowohl was ihre Belegschaft betrifft als auch in Hinblick auf die Studierendenschaft. Hierfür wäre es aber notwendig, dass die Universitäten inklusive Strukturen schaffen. Dazu gehören auch professionelle Anlauf- und Beratungsstellen, insbesondere für Schwarze Studierende und „Studierende of Color". Uns gibt es: Schwarze migrantische Student*innen, die einen Platz in der Forschung und Lehre wollen und verdient haben. Was jedoch fehlt, sind inklusive Strukturen, die Hürden abbauen und so unterrepräsentierten Gruppen den Zugang an die Universitäten ermöglichen, ob als Studierende oder Lehrende.

Die Einrichtung von universitären Antidiskriminierungsberatungsstellen und verpflichtenden Antidiskriminierungstrainings für die gesamte Belegschaft wären wichtige Schritte in die richtige Richtung. Die wenigen Stellen, die es bereits gibt, sind aber nicht selten mit Menschen besetzt, die selbst keine Rassismus- oder Diskriminierungserfahrungen machen. Die Unterrepräsentation marginalisierter Gruppen zieht sich durch alle Bereiche der Universität. Dabei ist Repräsentation ein zentrales Element im Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung.

Solidarität statt Ignoranz

Nachdem ich innerhalb kürzester Zeit zwei rassistische Erlebnisse in Halle machen musste, wurde mir klar, dass ich Hilfe brauchte. Denn ich wollte nicht mehr aus dem Haus, vermied alle sozialen Kontakte und verspürte weder Lust noch Freude. Ich brauchte Hilfe, um aus dieser Situation herauszukommen. Also suchte ich nach Hilfsangeboten für Betroffene rassistischer Gewalt. Die erste Beratungsstelle, mit der ich Kontakt aufnahm, war die Mobile Opferberatung. Von der Beraterin wurde ich einige Wochen lang begleitet und durch ihre Hilfe fasste ich wieder den Mut, das Haus zu verlassen. Die Unterstützung, die ich damals durch die Mobile Beratung erfuhr, war sehr wichtig – ohne sie hätte ich nicht gewusst, wie ich diese Zeit hätte überstehen sollen. Es war auch die Mitarbeiterin der Beratung, die mir von der „(un)Sichtbar – BIPoC Initiative“ erzählte.

Die Initiative bietet Schwarzen und migrantischen Frauen* in Ostdeutschland einen geschützten Raum zur Vernetzung und zum Austausch. Die Treffen im Rahmen der Initiative weckten in mir ein starkes Zugehörigkeitsgefühl, denn hier fühlte ich mich gesehen und gehört. Es sind solche Safe Spaces, die es marginalisierten Gruppen wie Schwarzen und migrantischen Frauen erlauben, sich sicher zu fühlen und über die eigenen Gefühle, Ängste und Sorgen zu sprechen. Es sind die Kontakte zu Schwarzen Netzwerken und der Austausch mit anderen PoC, die ähnliche Erfahrungen machen wie ich, die mir Kraft geben. Ihre Geschichten zu hören und mich mit ihnen über unsere Perspektiven und Umgangsstrategien mit Rassismus auszutauschen, ermutigt mich dazu, nicht aufzugeben. Und gleichzeitig ist es der Austausch mit all diesen anderen Frauen, der mir bewusst werden lässt, dass wir uns aktiv für eine antirassistische und diskriminierungssensible Gesellschaft einsetzen müssen.

Denn das Leben in einer weiß dominierten Gesellschaft als Frau – ob Schwarz oder migrantisch – darf nicht länger ein Überlebenskampf sein.

 


Literatur:

KILOMBA, Grada. Memórias da plantação: episódios de racismo cotidiano. Lisboa. Orfeo Negro 2019.