Was ist feministische Migrationspolitik? Warum ist sie wichtig? Welche Ideen gibt es zur Umsetzung? Darüber spricht Geraldine Mormin in der 3. Episode von "Es geht auch anders!" mit Helen Schwenken, Professorin für Migration und Gesellschaft an der Universität Osnabrück.

In der 3. Folge des "Es geht auch anders!"-Podcasts entwickeln wir eine progressive Vision: eine feministische Migrationspolitik als Antwort auf antifeministische Machtstrukturen. Wir klären: Was ist feministische Migrationspolitik? Warum ist sie wichtig? Welche Denkmuster machen es uns auf dem Weg dorthin schwer? Und welche konkreten Ideen gibt es dennoch zur Umsetzung! Und zwar: gerade jetzt!
Die Heinrich-Böll-Stiftung Niedersachsen hat für diese Fragen Prof. Dr. Helen Schwenken zum Gespräch eingeladen.
Ein Podcast mit:
Prof. Dr. Helen Schwenken: Professorin für Migration und Gesellschaft am Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften und am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück.
Moderation: Geraldine Mormin, unsere Kollegin aus Sachsen-Anhalt, hat die gesamte Reihe moderiert und mitkonzipiert, sie stellt immer genaue Fragen und bringt es auf den Punkt!
Die Reihe "Es geht auch anders!":
In der Reihe "Es geht auch anders! Visionen für eine Migrationspolitik der Zukunft" diskutieren wir gegenwärtige Krisen im Hinblick auf Alternativen. Unsere Gesprächspartner*innen zeigen, wie es gehen könnte und bereits an vielen Orten geht. Wir setzen restriktiven Migrationspolitiken und rechten Diskursen konkrete Visionen einer solidarischen Gesellschaft entgegen. Welche Zukunftsvisionen, welche Ideen, welche Praxisbeispiele für eine menschenrechtsorientierte Migrations- und Asylpolitik gibt es? Diese Veranstaltungsreihe aus dem Jahr 2024 wurde in einen Podcast umgewandelt und erscheint am 27. März 2025 in allen Podcast Apps.
Eine Veranstaltungs- und Podcastreihe des Heinrich-Böll-Stiftungsverbunds der Landesstiftungen Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und der Bundesstiftung.
Die wichtigsten Links aus dem Gespräch:
- Zur Vertiefung: Gender, Flucht, Aufnahmepolitiken. Die vergeschlechtlichte In- und Exklusion geflüchteter Frauen: https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-40688-2
- Zum Thema Feminismus für die postmigrantische Gesellschaft: https://www.gwi-boell.de/de/feminismus-fuer-die-postmigrantische-gesellschaft
- Zum Weiterhören: Podcast Böll.Griechenland: Gender and Migration Policy https://gr.boell.org/en/media/audio/retrieved-3-gender-and-migration-policy
- Zum Weiterhören: Podcast Böll.Europe: Intersectionality and Reugee Women https://gr.boell.org/en/media/audio/boll-europe-podcast-2-intersectionality-and-refugee-women
- Heinrich-Böll-Stiftung Niedersachsen: https://www.slu-boell.de/de
Empfohlene feministische Autor*innen:
- Nira Yural Davis zu "Geschlecht und Nation"
- Birgit Rommelsbacher „Immer noch und immer wieder“
- Birgit Sauer „die Asche des Souveräns“
- Prof. Dr. Encarnación Gutiérrez Rodríguez
Sachliche Hintergrundsquelle: Mediendienst Integration
Hier finden Sie eine Transkription der Podcast-Folge.
Prof. Dr. Helen Schwenken: Was das zur Folge hatte, auch an Stigmatisierung und an Kriminalisierung von migrantisierter Männlichkeit, dass das immer wiederkommt, sei es Neukölln, Freibäder, was auch immer das ist. Nicht, wo wir sagen können ja, das wollen wir heute nicht, sondern das ist ganz schwer abzustellen, weil es halt diese enge Kopplung von Nation, Geschlecht, von normativer Weiblichkeit, von überlegener weißer Männlichkeit [gibt]. Und auch diese Frage: “Wer rettet denn die Frauen?” Das können nämlich dann nur die weißen Männer sein. Es klingt jetzt sehr stereotyp, aber ich glaube, in der aktuellen Diskussion finden wir alle genau diese Stereotype. Und finden wir das alles wieder? Ja, leider.
Carmen Romano: Hallo und herzlich willkommen zu: “Es geht auch anders. Visionen für eine Migrationspolitik der Zukunft”. Das ist der Podcast zu unseren Online-Veranstaltungsreihe aus 2024, also vor der Bundestagswahl. Dass diese Themen und diese Visionen heute aktueller denn je sind, macht uns traurig. Aber gleichzeitig ermutigt es uns, weiter daran zu arbeiten. Ich bin Carmen Romano und ich darf hier sprechen für den Heinrich-Böll-Stiftung Verbund der Landesstiftungen in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein Westfalen, Sachsen Anhalt, Schleswig Holstein und der Bundesstiftung. Wir sind also viele. Grenzen töten, Menschen werden kriminalisiert, Kommunen sind überfordert. Das Thema Migration ist viel diskutiert und klar. Es gibt viele Herausforderungen. Das möchten wir nicht kleinreden. Häufig ist aber die Debatte sehr polarisiert und wird von rechts vereinnahmt. Viele Missstände wie die Folgen der Klimakatastrophe und des demografischen Wandels, prekäre Wohnsituation oder Fragen zur Arbeit und Mobilität betreffen eigentlich alle Menschen in unserer Gesellschaft, nicht nur Migrantinnen, und sind bestimmt nicht von Migrantinnen verursacht. Wir diskutieren mit unserer Reihe gegenwärtige Krisen im Hinblick auf Alternativen. Unser Blick zeigt, wie es gehen könnte und bereits an vielen Orten geht. Wir setzen restriktive Migrationspolitiken und rechten Diskursen, konkrete Visionen einer solidarischen Gesellschaft entgegen. Welche Zukunftsvisionen, welche Ideen, welche Praxisbeispiele für eine menschenrechtsorientierte Migrations und Asylpolitik gibt es? Wie schön, dass du dabei bist. Hoffentlich hörst du alle fünf Folgen, wo wir mit tollen Expertinnen diese Fragen anhand der Überschriften Grenzen, Solidarität, Genderarbeit und Aktivismus besprechen. Viel Spaß beim Zuhören und Mitdenken, denn es geht auch anders.
Geraldine Mormin: Ja, auch von mir. Guten Abend und noch mal herzlich Willkommen an alle! Herzlich willkommen! Helen, Wie schön, dass du heute hier bist und unser Gast für die nächste Stunde sein wirst. Helen Schwenken. Du bist Professorin für Migration und Gesellschaft am Fachbereich Sozial und Kulturwissenschaften und am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien an der Universität Osnabrück. Und du bist auch Sprecherin der Sektion Frauen und Geschlechterforschung in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Und du bist Mitautorin der Publikation “Gender, Flucht Aufnahmepolitiken - die vergeschlechtliche In- und Exklusion geflüchteter Frauen”. Aber für uns ist es ein großes Geschenk, dass du mit deinem Wissen, deine Ideen und Visionen heute Abend hier bist. Genau. Ich würde dich gerne zu Anfang mal fragen Was ist denn deine Vision, dein wirkliches Wunschbild von einer intersektionalen und feministischen Migrationspolitik?
Prof. Dr. Helen Schwenken: Ja, vielen herzlichen Dank und ein Hallo in die Runde. Ja, ich freue mich sehr, dass heute so viele ein Interesse haben, sich auch ausgehend von jenseits von wie auch immer der tagespolitischen Diskussion zum Thema auszutauschen. Weil zumindest mir ging es jetzt bei der Vorbereitung so Visionen, Utopien so weit weg. Gerade dann ist aber mir schon auch klar geworden Wir werden ja auch im Laufe des Gesprächs noch mal darüber sprechen.
Wieso sind wir jetzt aktuell bei der Diskussion angelangt, wie sie ist? Sind auch Möglichkeiten, sich da zu positionieren oder damit umzugehen, dass es einem nicht nur schlecht geht. Und da ist auf jeden Fall sehr sinnvoll, über Visionen zu sprechen, auch nicht nur über Visionen nach vorne gerichtet, sondern ich würde gerne einsteigen, auch mit zwei Diskussionskontexten, die sehr visionär sind oder waren. Und das eine, also die Frage von Vision, spannt sich jetzt auch für mich so auf zwischen Diskussionen, die es in den letzten Jahrzehnten auch in Frauenbewegungen, in feministischen Bewegungen gegeben hat zum Thema Migration, Antirassismus und weil die heutige der Stand der Diskussion, ohne die auch nicht zu denken ist, aber das ganz häufig vergessen wird und zum Zweiten auch Parallelen zu ziehen zum Thema feministische Außenpolitik. Wenn wir über feministische Migrationspolitik sprechen, ist das auch wichtig. Und auch da gibt es spannende Diskussionen. Es gibt gescheiterte feministische Außenpolitik oder vielleicht Außenpolitik, wo ein Label draufklebt, feministisch. Aber man sich fragt: Was ist denn daran jetzt noch feministisch? Genau dazwischen.
Vielleicht bewegt sich unsere heutige Diskussion ja da. Gerade in den 80er Jahren gab es sehr, sehr spannende, intensive Diskussionen in der sag ich jetzt mal auch deutschen Frauenbewegung. Wir fokussieren heute ein bisschen auch auf die Diskussionen in deutschsprachigen Räumen und das hatte ganz viel auch mit den Bedarfen, Bedürfnissen, Visionen, Utopien, Kritiken von zugewanderten Frauen zu tun, die nämlich mit den Dingen, wie es in der deutschen Frauenbewegung diskutiert wurden, gar nicht glücklich waren. Und es ging darum, dass anerkannt wurde: Welche Gründe gibt es zu kommen? Was sind die Bedingungen zu bleiben? Und auch Anerkennung von Positionen, Realitäten, von Lebensentwürfen, die sich aus diesen Situationen ergeben. Und auch eine Kritik an vielen Feministinnen, die halt die migrierten Frauen sozusagen als Arbeitsobjekte gesehen haben, der feministischen Projekte, die in den 80er und 90er entstanden sind, wohlmeinend sozusagen Angebote gemacht haben, aber halt eher über die Frauen gesprochen haben oder ihnen auch den Feminismus abgesprochen haben. Gesagt: “So, ihr seid hier. Wir sind die Feministinnen, wir leben ganz frei und können uns äußern. Aber wir müssen für die Migrantinnen die Stimme ergreifen, weil sie können das nicht selber, sind in patriarchalen Strukturen gefangen und haben da aber übersehen, dass es gerade auch bei den Arbeitsmigrant*innen auch viele gab, die aus sehr aktiven sozialen Bewegungen auch in ihren Herkunftsländern kamen, sei es Bewegungen aus der Türkei, kurdische Frauen oder auch die diversen Frauenbewegungen iranischen Frauenbewegungen, die sich auch im Ausland sehr, sehr gut organisiert haben und sehr wohl wissen, was patriarchale Gewalt ist und welche Strategien sie entwickelt haben und und. Daraus haben sich dann Konflikte entwickelt, die zum Teil nicht sehr produktiv ausgegangen sind, zum Teil aber wohl. Und auch, dass die migrantischen feministischen Organisationen, die es heute gibt, wie zum Beispiel der Migra e.V. als Dachverband ungefähr 70 migrantischen Frauenorganisationen, hat halt seine Wurzeln genau in diesen Diskussionen. Und da haben sich halt antirassistische Feminismen heraus entwickelt, die eine lange Geschichte haben. Das ist, glaube ich, ganz wichtig für sozusagen eine Position. Wenn wir über feministische Visionen sprechen, streitbare, antirassistische Feminismen, wo auch komplizierte Solidaritäten sozusagen sich entwickelt haben. Und das andere vielleicht als Referenzpunkt: Feministische Außenpolitik. Visionen, die ganz unterschiedlich ausbuchstabiert werden, die aber eigentlich alle ein, wie ich sagen würde, ja disruptives, irritierendes, gesellschaftliche und globale Machtverhältnisse in Frage stellendes Anliegen haben. Weil nämlich, wenn wir Frieden feministisch denken, dann kann es eigentlich auch nur sehr grundsätzliche und radikale Antworten geben, und das ist halt in der realpolitischen Übersetzung, kommt nicht immer rüber. Aber das gibt halt auch ganz schön nochmal Perspektiven auch auf andere Transformationsbewegungen: Klimabewegung, Umweltbewegung, Klimaflucht.
Das finde ich ganz wichtig, wenn wir über feministische Migrationspolitiken reden, dass wir das nicht nur an Deutschland festmachen, sondern immer im globalen Rahmen betrachten, das ist ein Punkt.
Der zweite ist, dass wir nicht immer nur auf Frauen gucken und nicht immer nur auf Geschlechterverhältnisse, sondern ganz viel von dem, was sozusagen emanzipatorisch, menschenrechtsorientiert auf Gerechtigkeit blickend ist, ist für alle Menschen gut. So, und da dürfen Frauen und als Frauen gelesene Personen oder auch andere Personen für die, die immer über Geschlecht definiert werden, über Begehren definiert werden, nicht runterfallen. Was zum Teil ja in anderen Bewegungen auch passiert. Aber dass es da erstmal ganz viele Gemeinsamkeiten mit anderen sozialen Bewegungen gibt, vielleicht erst mal so weiter.
Geraldine Mormin: Ja schön, danke dir. Da hast du ja wirklich schon ein großes Feld aufgespannt. Und auch wenn ich sehr, sehr klar und deutlich unterstrichen, gerade auch so die Kontinuität seit den 80er quasi so habe ich dich verstanden, diese Säule von antirassistischen Feminismen, auf der vielleicht auch alle weiteren Visionen fußt. Du hast gesagt, wir müssen feministische Migrationspolitik immer auch global denken. Menschenrechtsorientiert im Sinne von “Das ist dann für alle gut”. Wie können wir uns das ganz konkret vorstellen? Also wenn du es jetzt einfach bestimmen könntest, ab morgen also einfach vielleicht an ein paar Beispielen. Es ist klar, so ein bisschen jetzt ins Blaue hinein, aber wenn du es bestimmen könntest, was wäre für alle gut aus deiner Sicht? Was wäre global gedacht?
Prof. Dr. Helen Schwenken: Ja, das können wir schon von Ebene zu Ebene besprechen. Also. Und Themen beispielsweise wie Gewaltschutz, klingt auch erstmal so nach ganz klassischen gleichstellungspolitischen Anliegen. Und daran wird aber glaube ich ganz gut deutlich, was wo die globalen und die lokalen Dimensionen davon sind. Weil wenn wir kommunalpolitisch uns das anschauen, dann können wir zum Beispiel, wenn in einer Kommune eine Erstaufnahmeeinrichtung eingerichtet wird, können wir genau gucken, gibt es Gewalt, Schutz, Konzepte? Wenn nein, was ist ein gutes Gewaltskonzept? Da gibt es große, große Unterschiede. Gibt es die Ressourcen und gibt es vor allem auch die Bündnisse vor Ort, zum Beispiel. Gewaltschutzkonzepte allein reichen halt nicht, sondern wir haben in dem Bereich auch geforscht zu unterschiedlichen Konzepten von Gewaltschutz und auch von einem Verhältnis von Zivilgesellschaft und Kommunen. Und daran wird deutlich, dass das nur, wenn es eine enge Kooperation in diesem Bereich gibt, wenn es Städte gibt, wenn es vertraute Netzwerke vor Ort gibt, dann funktioniert so etwas wie Gewaltschutz auf lokaler Ebene. Aber da kommen wir dann halt zum Beispiel auch auf die nationale Ebene mit internationaler Bedeutung: Die Istanbulkonvention. Das ist vielleicht ein Begriff vom Europarat zu viel und dient halt dem Gewaltschutz und Schutz gegen häusliche Gewalt von Frauen. Das Problem ist, dass Deutschland halt bestimmte Vorbehalte für sich angemeldet hat, das halt neu zugewanderte Frauen und auch geflüchtete Frauen da halt rausfallen. Das wird man jetzt erstmal nicht meinen, weil Deutschland immer auftritt als von feministischen Prinzipien geleitete Außenpolitik und auch andere Konventionen unterstützend. Aber das ist ein großes Problem, nicht nur was die Außenwirkung angeht. Dass andere Staaten dann auch sagen ja, wir schreiben uns da einfach auch raus, was den Gewaltschutz von nichtdeutschen Frauen angeht, sondern genau für diese lokale Ebene ist es halt auch ein Problem, dann effizienten Gewaltschutz zu betreiben. Ich glaube, an solchen Themen können wir ganz gut sehen, wie das ineinander greift.
Geraldine Mormin: Ja, hast du noch ein anderes Beispiel, noch ein anderes Thema, wo du so durch erklären kannst?
Prof. Dr. Helen Schwenken: Ja und dafür möchte ich uns alle ganz weit mitnehmen, nämlich nach Südasien. Das ist unser aktuell laufendes Forschungsprojekt, wo wir uns Geschlechterdifferenz in der Migrationspolitik angucken. Also das interessiert uns. Meist steht Geschlechterpolitik nicht drauf. Ist es für Frauen? Ist es für Männer, ist es für alle? Aber es gibt tatsächlich Politiken, wo das ganz klar gemacht wird. Und in ganz vielen südostasiatischen Staaten gibt es Auswanderungsbeschränkungen für Frauen, die als ArbeitsmigrantInnen in bestimmte Länder gehen möchten. Das sind vor allem nicht gut ausgebildete Frauen. Da wird gesagt: “Aus Schutzgründen dürfen die Frauen zum Beispiel nicht in die Golfstaaten oder in andere Staaten, wo es hohe Formen von Arbeitsausbeutung gibt und Gewalt gegen Frauen.” Das Problem ist, dass die Frauen sich halt andere Wege suchen, um zu migrieren. Manchmal ist da auch später noch Frauen mit Kindern oder Frauen unter 30 oder ähnliches. Und das funktioniert aber nicht, weil wie in anderen Migrationspolitik, wo es Vorgaben gibt, die man irgendwie umgehen kann. Es ist auch in dem Feld und führt sozusagen diese Geschlechterdifferenzierung eher zu einem größeren Maß an Gewalt. Und da kann man jetzt nicht sagen, okay, das ist jetzt eine Sache von Südasien. In den Ländern wird die Emigration von Frauen gefördert aufgrund auch von dem Wunsch, dass Rücküberweisungen zu Entwicklung oder zu Wohlstand von Familien und Regionen beitragen. Und, und da kommen auch Länder des globalen Nordens ins Spiel, wo es halt einen großen Bedarf an vor allem Care-Arbeiter*innen gibt und auch die aktive Anwerbung von Fachkräften im Gesundheitswesen, die halt auch dann verknüpft ist mit den lokalen Politiken. Wohin können Frauen gehen, welche Kosten sind damit auch verbunden? Halt sich die richtigen Papiere zu organisieren oder aber zum Beispiel Sprachkurse zu machen, um dann sicherer nach Europa zu kommen, weil es dafür dann die Anwerbeabkommen geht. In der Forschung zu Geschlecht und Migration sind diese Care Chains sehr bekannt. Aber das gibt sozusagen aktuell so eine Formulierung von naja, nicht nur Care, aber wirklich auch Extraktivismus von sozusagen Herausnehmen von von weiblicher Arbeitskraft und der Migration nach Europa. Und ja, da steckt stecken viele Aspekte von neoliberaler politischer Ökonomie sowohl in Europa her. Warum gibt es Bedarf an Fachkräften in Krankenhäusern, schlechte Arbeitsbedingungen, schlechte Bezahlung etc.? Es ist kein Beruf mit Perspektive für viele und dann aber auch von Politiken in den Herkunftsländern, die für Frauen bestimmte Sektoren beispielsweise vorsehen, wo sie halt emigrieren können und sollen oder aber nicht sollen und dann aber trotzdem tun.
Geraldine Mormin: Und wenn du jetzt mal die Situation in Deutschland anguckst, im Moment die Situation für zum Beispiel weibliche Migrantinnen, für weibliche Arbeitskräfte, die quasi gerade in diesen Care Chains, in diesen Sorgeketten gebraucht werden. Wo gibt es da ein paar Punkte, wo du sagen würdest, das wären so Knackpunkte? Da könnte man leicht was ändern, würde man es wollen, um die Situation zu verbessern? Also wie du vor das Beispiel gesagt hast es braucht enge lokale Bündnisse im Gewaltschutz, sonst hilft das beste Konzept nicht. Siehst du da Stellschrauben, die vielleicht nicht genutzt werden?
Prof. Dr. Helen Schwenken: Ja, die Frage nach den Stellschrauben kommt vielleicht ein bisschen zu schnell, weil sozusagen die die Grundkonstellation eine problematische ist. Also vielleicht bleiben wir halt bei der Anwerbung von Fachkräften im Gesundheitswesen. Das ist halt gerade ein beliebtes Thema auch in der Entwicklungszusammenarbeit oder auch von Stiftungen, von von diversen Firmen, aber auch von sozusagen progressiven Unternehmen. Oder die halt zum Beispiel eine Zertifizierung von Rekrutierungsagenturen vorsehen. Das ist alles total richtig und gut. Aber verkennt: Also bei dieser Zertifizierung geht es dann beispielsweise darum, dass bestimmte arbeitsrechtliche Standards eingehalten werden. Das zum Beispiel. Also was ein häufiges Problem ist: Es wird ein Arbeitsvertrag unterschrieben und wenn die Person dann migriert ist, na ja, dann gibt es halt eine andere Arbeitsrealität, dass das zum Beispiel eingehalten wird, dass die Person auch zum Beispiel länger mal Urlaub nehmen kann, um ins Herkunftsland zurückzugehen, dass Arbeitgeber die Kosten übernehmen für die Anwerbung und auch zum Beispiel Sprachkurse etc. Das sind alles total richtige und wichtige Sachen. Und weil wir es mit feminisierten Feldern zu tun haben, ist das ein Bereich, wo man sagen kann: Ja, das hat auch was mit Gender, mit Gleichstellung, mit sozusagen Standards in dem Bereich zu tun. Aber, dass das vielleicht gar nicht alle als die beste Lösung ansehen, Kinder, Familie zurücklassen oder aber zum Beispiel eine Ausbildung als Ärztin gemacht haben, aber hier dann erstmal als Hilfskraft quasi in dem Bereich arbeiten, weil die Anerkennung nicht funktioniert und auch nie funktionieren wird. Weil es einfach so kompliziert ist und ganz schön schwierig, überhaupt Fachsprache zu erlernen. Auf einem Niveau, dass das die Anerkennung passt, dass man sozusagen wissentlich halt auf so eine Idee steht, in diesen Bereichen halt eingeht. Ja, und wenn wir uns die Gesundheitssektoren dann in den Herkunftsländern angucken, das ist eine ganz alte Diskussion aus den 80er Jahren, ja, als Braindrain bezeichnet. Es gibt dann die Weltgesundheitsorganisation. Sie hat eine Verbotsliste. Eine rote Liste aus Ländern, wo nicht rekrutiert werden darf, zum Beispiel das südindische Bundesland Kerala. Indien stand auch lange, sozusagen war nicht möglich. Jetzt ist es möglich. Und was sieht man von einem Tag auf den anderen? Gibt es unglaublich viele Anbieter? Gibt es Krankenhäuser? Gibt es die das deutsche Konsulat? Gibt es Sprachschulen? Die kümmern sich alle um diese Frage. Jetzt. Jetzt dürfen wir in Kerala wieder anwerben. Das ist nicht zufällig. Und es gibt nicht in all den Regionen oder Ländern tatsächlich eine gute Gesundheitsversorgung. Das ist sehr umstritten. Oder aber es werden die besten Gesundheitsfachkräfte abgezogen. Die können dann halt ins Ausland migrieren und der Gesundheitssektor sozusagen, was bezahlt wird. Das ist einfach so unterschiedlich. Und da ist klar, dass Migration eine attraktive Perspektive ist, aber halt zulasten vieler.
Geraldine Mormin: Ja, verstehe. Danke, dass du das noch mal so aufgefächert hast. Wenn ich dir so zuhöre, dann erscheint mir auch nur in diesem, in diesem ersten Aufschlag erscheint es mir doch auch sehr logisch und auch die Perspektive heutzutage, also ein globaler Blick ist auch, finde ich nicht jetzt nur überfordern, sondern erschließt sich ja recht recht schnell, gerade in diesem Feld. Und wir nähern uns so ein bisschen dem Thema der aktuellen Debatte. Aber vielleicht noch eine Frage davor: Hast du Ideen? Warum ist es so, so schwer, eine globale Perspektive auf Migration, auf eine Gerechtigkeitsperspektive und oder auch eine feministische Sichtweise auf Migration? Warum ist das so schwer zu vermitteln? Ist das einfach? Wird das ignoriert, weil es sonst für die Wirtschaft Angst gibt, es wird zu teuer oder ist das einfach Egoismus oder was? Warum werden diese Logiken ignoriert?
Prof. Dr. Helen Schwenken: Also ich glaube auch die aktuelle Diskussion ist nur zu verstehen, wenn wir sozusagen uns die Bedeutung von Nation vergegenwärtigen. Und das gerade in so Krisensituation ist ganz schnell sozusagen die Diskussion haltzumachen. Wir müssen erst an uns denken und das ist wichtig. Und das ist halt auch bei diesen Fragen ganz zentral. Um das zu verstehen, müssen wir vielleicht auch so ein bisschen in die politische Theorie rein, in die feministische Theorie. Ich habe jetzt auch zur Vorbereitung auf unser Gespräch noch mal in Bücher reingeschaut, die schon ganz lange nicht mehr gelesen habe. Aber wo ich mir gestern dachte Oje! Eigentlich. Wir müssen wieder Birgit Rommelsbacher lesen, Nira Yuval-Davis, Birgit Sauer und andere, die halt dieses Verhältnis von Geschlecht, Staat, Nation sich anschauen und werden ja gleich denke ich noch mal auch über die Migrationspolitik allgemein gerade sprechen. Aber wenn wir jetzt erstmal auch bei Geschlecht bleiben und es gibt eine ganz enge Kopplung von Geschlecht, Weiblichkeit an Nation. Und auch das heißt zum Beispiel Nation mit Geschlecht identifiziert wird und entsprechend auch Angriffe auf Frauen, auf die Frauen der eigenen Nation verstanden wird als Angriff auf die gesamte Nation, auf eine Beschmutzung. Und das ist eine Jahrhunderte währende Denkfigur auch während des Kolonialismus. Die sozusagen schwarzen Frauen, wilden Männer, die sozusagen die weißen Frauen eine Gefahr für die weißen Frauen darstellen. Das ist so ein Topos, der sich durchzieht, also das, dass wir aktuell diese Messerstecher Debatte haben oder in 2015/16 die Silvesterunruhen- und Übergriffe -Diskussion, was das zur Folge hatte auch an Stigmatisierung und an Kriminalisierung von migrantisierter Männlichkeit, dass das immer wiederkommt, sei es Neukölln, Freibäder, was auch immer. Das ist nichts, wo wir sagen können ja, das wollen wir heute nicht, sondern das ist ganz schwer abzustellen, weil es halt diese enge Kopplung von von Nation, Geschlecht, von normativer Weiblichkeit, von auch überlegener weißer Männlichkeit. Und auch diese Frage: Wer rettet denn die Frauen? Das können nämlich dann nur die weißen Männer sein. Es klingt jetzt sehr stereotyp, aber ich glaube, in der aktuellen Diskussion finden wir alle genau diese Stereotype. Und finden wir das alles wieder? Ja, leider. Deshalb Werbung für feministische Literatur aus den 90er Jahren, 80er Jahren. Von einigen der Autorinnen, die ich gerade genannt habe. Ich glaube, das hilft viel, da auch noch mal nachzulesen. Wie sind denn genau die kolonialhistorischen Diskurse verlaufen?
Geraldine Mormin: Ja, Wahnsinn. Auch diese Kontinuitäten, die du da sehr klar benennen kannst, die genau bis heute in die Debatte immer wieder also wie so eine Schallplatte. Ich wollte auf die Frage hinaus: Wie verortest du gerade? Also wie werden gerade migrantische Frauen in der Debatte besprochen? Oder wird gerade gar nicht über sie gesprochen? Oder was für ein Bild? Du hast darüber gesprochen, wie die die Frauen aus dem eigenen Volk oder die weißen Frauen besprochen werden. So als Opfer oder schützenswert? Wie legt sich dieser Diskurs auf zugewanderte Frauen aus anderen Ländern? Also ganz aktuell betrachtet.
Prof. Dr. Helen Schwenken: Sehr wenig. Also es gab, ich glaube ein Zeitfenster von ein oder zwei Stunden vor ein paar Tagen, als es nach dem Messerangriff in Solingen auch den Messerangriff in Siegen gab. Das war aber eine weiße Frau, ganz untypisch. Die sind wirklich, ich glaube 95, die Kriminalstatistik oder Verurteilten sozusagen Messergewalt sind. Tatsächlich geht von Männern aus. Also erstmal untypisch, dass auch eine Frau mit Tötungsabsicht ein Messer in die Hand nimmt. Aber dann waren es drei muslimische Frauen. Mütter, die halt die Frau sozusagen überwältigt haben und Schlimmeres noch Schlimmeres verhindert haben. Das war ganz kurz in den Nachrichten und ich finde, das ist symptomatisch dafür, dass halt ganz viel auch gar nicht gesehen und gehört wird. Ja, das ist auch nicht zufällig und das ist auch ich meine. Da sind wir schon wieder, auch bei den Diskussionen der 80er und 90er Jahre, wo das auch ja ganz ähnlich war oder das auch ja bei bei rassistischen Übergriffen Gewalttaten ja auch häufig dann den Betroffenen nicht geglaubt wird oder aber halt in eine Opferposition hineingelangen und ja. Also zum Beispiel ich hatte da eben ja auch schon, DaMigra, den Dachverband der Migrant*innenorganisationen erwähnt. Sie sehen das natürlich auch, dass es schwierig ist, Gehör zu finden und haben halt auch als Gegenstrategie auch so einen transversalen Feminismus antirassistischen Feminismus vertreten. Mal zu gucken: Ja wo gibt es denn Bündnispartner*innen? Und ich glaube, das ist in dieser aktuellen Situation es ist halt total wichtig, aber es ist total schwer. Ich meine, wir haben ja jetzt nicht nur gerade hier die Migrationsdebatte und die Messerdebatte und ich weiß nicht Grenzen, sondern wir haben auch Konflikte im Bereich Israel, Palästina, Antisemitismus. Da ist auch, glaube ich, im letzten elf Monaten ganz viel an Bündnisarbeit, die es vorher gab und auch an Kommunikation kaputt gegangen, abgebrochen worden. Große Verletztheiten. Das ist jetzt auch nicht glaube ich, auf einmal wieder herstellbar, weil auf einmal der Diskurs sich so weit und so schnell nach rechts, weiter nach rechts verschiebt.
Geraldine Mormin: Ich bin da gerade nicht so richtig optimistisch, aber das wäre jetzt so meine nächste Frage an dich Wie siehst du es denn? Welche Entwicklungen erwartest du denn in dieser Debatte, wie sie sich jetzt verschärft hat? Du hast die Kontinuitäten beschrieben. Wie in den letzten 20/30/40 Jahren immer wieder ähnliche Stereotype hochgeholt werden. Wie schätzt du es denn im Moment ein? Vielleicht so was ist am Positivsten und am Negativsten? Vielleicht, weil wir haben uns ja auch ausgetauscht haben: Das Entsetzen gerade, was wir von Politiker*innen hören, von denen wir es nicht erwartet haben. Das Entsetzen ist groß. Was wären so deine zwei Varianten, wie es weitergeht?
Prof. Dr. Helen Schwenken: Also sozusagen werden wir vom heutigen Tag aus denken und und sehen, was jetzt wie Friedrich Merz es geschafft hat, die Ampelregierung sehr erfolgreich zu erpressen, zu sagen: Wir reden nur mit euch, wenn ihr bis Dienstag sagt, die Grenzkontrollen und die Zurückweisungen werden durchgeführt. Also da hätte sich niemand aus der Ampel darauf einlassen dürfen, sondern Erpressung Erpressung nennen müssen. Und heute wurden die Gespräche gerade vor wenigen Minuten von der Stunde, wann auch immer das genau war, abgebrochen. Die CDU ist wahrscheinlich total beleidigt. Sie wird das jetzt nutzen. Das nutzt nur der AfD. Es ist aktuell eine ganz, ganz schwierige Situation. Ein kleines Beispiel: Drei sehr geschätzte Kollegen, die im Vorstand vom Rat für Migration sind. (Der Rat für Migration ist ein Zusammenschluss von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die seit 1990 Jahren versuchen, evidenzbasierte Migrationsforschung in die Politik zu tragen. Nicht mit der naiven Idee. Ja, das wird aufgegriffen und umgesetzt, sondern der Gründer vom Rat für Migration, Klaus Bade, hat es halt Politikbegleitung genannt, also kritische Politikbegleitung. Aber häufig gab es auch sehr positive Resonanz. Es wurde gehört, die Stimmen.) Ja, die drei Kollegen Bernd Kasparek, Vassilis Tsianos und Max Pichl haben heute dankenswerterweise eine Stellungnahme herausgegeben zur aktuellen Diskussion um Rückweisung und Ähnliches. Aber Sie haben gesagt, Wir müssen jetzt Schengen verteidigen, wir müssen die Dublinregelungen verteidigen und sogar das, was in der neuen Gastpolitik drinsteht. Und wer die drei kennt, wundert sich jetzt zutiefst, weil es eigentlich genau diejenigen sind, die diese Politiken sehr fundiert und sehr radikal kritisiert haben. Aber das ist genau das, was jetzt ist. Oder auch die Hoffnung, dass Gerichte etwas zurücknehmen, beispielsweise das Herabsetzen der Leistungen für ausreisepflichtige Ausländerinnen auf Null, also sozusagen aushungern. Das, was sogar auch die deutsche Bundesregierung vor ein paar Jahren, als sie in den Niederlanden das eingeführt haben, kritisiert wurde, und sagen: “Nee, das können wir uns aus menschenrechtlicher Sicht gar nicht vorstellen.” Das ist sozusagen jetzt hier auch Ampelpolitik. Ja, es ist das, also ich glaube, im aktuellen Moment vielleicht ja, aber das kann es halt jetzt dann auch in Zukunft nicht bleiben, sondern wenn wir die Sprachlosigkeit irgendwie so überwunden ist, muss es sozusagen auch wieder in die Offensive gehen. Und das wurde auch von den genannten und von anderen sozusagen vor ein paar Monaten auch schon vorhergesehen, dass halt passieren muss und ein Statement entwickelt. Das heißt acht Thesen zur Verteidigung der Migrationsgesellschaft. Es gab auch sehr schöne künstlerische Interventionen, Prävention auch in verschiedenen Berliner Theater Institutionen in dem Bereich. Und ich glaube, dass das total wichtig ist zu sagen, na ja, jetzt Migration zu sagen, Leute abzuhalten, entweder zu kommen durch Zurückweisungen oder abzuschieben durch massive Abschiebungen, das wird nichts daran ändern, dass Deutschland eine Migrationsgesellschaft ist. Das kann niemand zurückdrehen, sondern es muss darum gehen, wie die Migrationsgesellschaft nach innen offen und nach außen offen sein kann. Das ist noch ein weiter Weg, insbesondere wenn wir uns die aktuellen Diskussionen angucken. Es ist eigentlich zehn Schritte wieder zurück, aber ich glaube, da führt kein Weg dran vorbei. Auch die unterschiedlichen Perspektiven. Jetzt nicht nur sagen: Ja, wir müssen jetzt gucken, dass es in Deutschland einigermaßen funktioniert”, sondern da diese globalen Blick auch immer mit zu denken.
Geraldine Mormin: Ja, vielen Dank Dir. Vielleicht von mir eine letzte kleine Minifrage. Ich habe auch so ein bisschen mitgenommen. Eben die Bündnisse, die du betont hast, den globalen Blick zu behalten, jetzt zu verteidigen, aber dann auch schnell weiter zu fordern. Hast du noch ein paar Gedanken: Wie können wir denn in diesen Zeiten auch progressiv bleiben oder den Mut nicht verlieren? Also da habe ich das mit den Bündnissen oder eben auch einfach nicht davon abzurücken mitgenommen. Aber hast du noch noch eine Idee, wo du sagst, das ist vielleicht auch, was du dir jetzt vornimmst oder was du dir erhoffst? Auch von einer, sagen wir mal progressiven Bevölkerung, die es gibt, ja auch gibt?
Prof. Dr. Helen Schwenken: Ganz schwierige Frage. In der Vorbereitung habe ich bei der Frage erst mal nur weiß stehen lassen. Aber ich glaube, vielleicht hilft eine Naivität. Ich habe gestern ein Interview gegeben für die Kindernachrichten und und gucke mit meiner Tochter auch sehr gerne selber Kindernachrichten und und. Vielleicht ist es so ähnlich wie Diskussionen, Nachdenken über Utopien, noch mal auch eine Perspektive zu verschieben. Und vielleicht nochmal an die Beweggründe für Migration zu erinnern: Dass eigentlich alle Menschen, die sich auf den Weg machen, versuchen, ihr Leben zu verbessern. Und das kann ja eigentlich nur im Sinne aller sein. Also nochmal auch die, sozusagen die eigentlich sehr positive Grundstimmung von Migration und zum Teil auch von Flucht. Also Flucht bringt ganz viele schlimme Erfahrungen auch mit sich. Aber eigentlich ist der Impetus ja zu sagen_ So, für mich, meine Familie, meine Freundin möchte ich was Besseres. Und das geht gerade nicht da, wo ich lebe, sondern es geht halt nur woanders. Ja, und uns vielleicht daran zu erinnern.
Geraldine Mormin: Schön, vielen Dank. Da kann ich total was damit anfangen. Genau. Wir haben auch schon eine. Eine Frage im Chat war zur Migrationspolitik in den Niederlanden. Ich glaube mit dieser Auf-Null-Setzung von ausreisepflichtigen Menschen. Und da ist die Frage, ob du das noch mal erklären kannst und was das mit Deutschland zu tun hat. Das war so in einem Halbsatz erwähnt.
Prof. Dr. Helen Schwenken: Wir haben ja eine aktuelle Situation, wo bestimmte Politikvorschläge gemacht werden und in anderen Ländern gab es diese auch schon, zum Beispiel unter anderen rechten Regierungen oder auch konservativen Regierungen. Und da war mein Beispiel, das jetzt aktuell gestern beschlossen wurde, dass ausreisepflichtige Ausländerinnen ausreisen sollen. Aber solange sie das nicht tun, sollen sie halt eigentlich kein physisches Existenzrecht mehr haben, in dem ihnen sämtliche Leistungen vorenthalten werden. Und das hatte mich halt daran erinnert, dass genau das vor ein paar Jahren auch in den Niederlanden eingeführt wurde. Und da alle noch sehr entsetzt waren und gesagt haben: Ja, in Deutschland würden wir das ja niemals machen, also da haben ja zumindest alle ein Grundrecht auf einen abgesenkten Lebensstandard, auch kein volles Bürgergeld, aber immerhin überleben soll man schon können. Und dass aber solche Vorstellungen jetzt einfach durch die Ampelkoalition halt verabschiedet werden, finde ich schon beachtenswert.
Geraldine Mormin: Danke dir für's nochmal in den Kontext setzen. Genau habt ihr aus dem zuhörenden, zuschauenden Publikum. Habt ihr noch andere Fragen oder auch sehr gerne Gedanken zur aktuellen Situation? Also ich finde, dass es ja auch sozusagen hier ein Austausch von Erfahrungen aus diversen Kontexten, vielleicht auch bezogen auf die jüngsten Wahlergebnisse oder auch die anstehenden Wahlen in Brandenburg, weil es ist ja durchaus abzusehen, dass die AfD eine sehr, sehr starke Stimme in Zukunft haben wird, in welcher Funktion auch immer. Und das macht ja gerade für die Arbeit vor Ort auch noch mal einen Unterschied. Ja, absolut. Na dann kommt hier die Frage Was kann man als Einzelperson tun, um die Situation zu verbessern?
Prof. Dr. Helen Schwernken: Das ist vielleicht eine Frage, die auf uns als Person darauf ankommt. In welchem Kontext man sich bewegt, irgendwo aktiv ist. Wird ja jetzt nicht so eine einfache Antwort darauf geben. Alleine es ist glaube ich, sehr schwer. Es ist natürlich immer total gut, im eigenen Bekannten oder Familienkreis zu diskutieren, sich zu informieren, auch zum Beispiel wenn man selber auf der Suche ist, vielleicht auch auf bei der Arbeit oder so und da diskutiert. Es gibt sehr, sehr gute Webangebote, wie man sich auf solche Gespräche auch vorbereitet, zum Beispiel was jetzt Zahlen angeht im Bereich Migration. Der Mediendienst Integration, der ist primär eigentlich für Medienschaffende gedacht, als sachliche Hintergrundquelle. Aber da ist sozusagen ja, heute ist etwas in den Nachrichten und morgen oder übermorgen oder heute auch schon. Gibt ja Mediendienst sozusagen entsprechende Statistiken oder Zusammenhänge oder Einschätzungen auch von Juristinnen und Juristen.
Geraldine Mormin: Und das finde ich, hilft total. Ja, und auch was du vorher gesagt hast. Das hat mich schon beeindruckt, dieses Rückbesinnen auf das Positive, was Migration auch bedeuten kann. Für alle. Also nicht mit einsteigen in so “Migration ist gerade schwierig”. So, das fand ich noch mal ganz, ganz wichtig. Also eine innere Haltung.
Prof. Dr. Helen Schwenken: Ja, das ist, glaube ich das. Also man sieht es ja. Also eigentlich hätte ich von professionellen Politiker*innen ein bisschen was anderes erwartet. Also jetzt auch in die grüne Partei hinein kommuniziert, Also zu sagen Ja, ja, ja, ja, genau, Grenzen ja, wir müssen ja alle zurückschicken. Das muss zwar irgendwie Europa kompatibel sein, aber dann, ja dann sind wir da eigentlich auch für. Und dann aber im Nachsatz zu sagen, ach ja, und die Fachkräfte soll das natürlich nicht betreffen, die sollen ja auch weiterhin. Wir müssen weiterhin anerkennen die Lebensleistung der Migrantinnen und der die Fachkräfte, die jetzt kommen, das funktioniert nicht. Also weil der Rassismus, der sich durch die erste Aussage und durch das Handeln anderer sozusagen manifest, wird natürlich viel dominanter als die kleinen Blumen, die es dann auch noch gibt. Da ist irgendwie so eine Schizophrenie [Widerspruch] in diesen Aussagen und auch in den Realitäten.
Eine Frage aus dem Chat. Die andere kommt auch noch dran, aber die die letzte noch mal hochziehen. Also für mich passt das gerade gut. Da wurde geschrieben: Ich verstehe nicht. Transnationale Vergesellschaftung findet statt. Sehr viele Menschen in Deutschland sind weltweit verbunden und finden das auch gut. Und dann wählen 30 bis 50 % völkische Abgrenzung.
Prof. Dr. Helen Schwenken: Ja, das ist auch nicht nur ein Ostphänomen. Also da müssen wir auch ganz vorsichtig sein, vielleicht in dem Ausmaß. Also wir sind jetzt virtuell in Niedersachsen, dass die niedersächsische Regierung gesagt hat, nein, bei uns würde die AfD nicht 40 % bekommen. Das ist sicherlich hoffentlich zum Glück richtig. Aber die AfD war am Anfang sehr, sehr stark, zum Beispiel in Baden Württemberg. Starke grüne und starke AfD. Also das muss sich nicht immer ausschließen in bestimmten Regionen. Es hat auch nicht nur was mit mit wirtschaftlicher sozusagen Deklassierung, Erfahrungen, politischer Nichtrepräsentanz zu tun. Oder DDR Erfahrung, die sich über Generationen sozusagen weitergibt. Auch in Westdeutschland ist das ein ganz wichtiges Thema. Na klar. Und die Wahlen in Bayern und Hessen letztes Jahr haben ja auch entsprechend genau das gezeigt.
Geraldine Mormin: Hier kommt dann noch eine ganz konkrete Frage. Also nicht, ob du da Einblicke hast. Aber wie wirkt sich der Fachkräftemangel Mangel in Botschaften und Ausländerbehörden auf Migrationsprozesse aus? Heißt mehr Fachkräfteeinwanderung, dass die Bearbeitungszeiten im Familiennachzug länger werden? Hast du da einen Einblick, ob das eine das andere verzögert?
Prof. Dr. Helen Schwenken: Oh, das glaube ich erstmal nicht. Die Ausländerbehörden sind sehr schlecht personell ausgestattet. Personen, die dort arbeiten, wollen immer in eine andere Abteilung sich versetzen lassen. Und durch die Überlastung steigt auch der Stress der Personen, die da arbeiten. Sie werden unfreundlicher und es kommen dann manchmal nicht ganz so schöne Wesenszüge hervor. Struktureller Rassismus, weil auch der Zweifel muss immer sozusagen artikuliert werden. Die Personen müssen immer nochmal nachfragen. Das wird von den Personen, den Kundinnen dann auch so wahrgenommen als “Ihr wollt mich nicht”. Vielleicht will die Person aber auch nur etwas überprüfen. Also da müsste es mehr Ressourcen geben und es müsste ganz viel Diversity Kompetenz in den Ausländerbehörden verbessert werden. Das hat nicht viel mit Fachkräftezuwanderung zu tun. Es ist eher so, dass die alte Logik der der Skepsis noch nicht der Willkommenskultur für Fachkräfte gewichen ist. Also das merken wir auch an der Universität, wenn wir neue Kollegen aus dem Auslandland einstellen. Die sind erstmal ganz schockiert, mit welchen, ja, wie sie sozusagen dort aufgenommen werden. Also die paar Fachkräfte, sie kommen nicht dazu, dass der Familiennachzug länger bearbeitet wird. In den Herkunftsländern auch nicht, weil da sind einfach die Wartezeiten an den Botschaften so unfassbar lang. Das ist natürlich eine Ungleichbehandlung, was auch ein großes Problem ist. Warten auf Termin für ein Visum für Familiennachzug. Ein Jahr, anderthalb Jahre ist keine Seltenheit in deutschen Botschaften. Und wenn dann Fachkräftemigration immerhin 3 bis 4 Monate nur braucht, um abgewickelt zu werden, dann stellt sich schon die Frage. Das ist nicht gerecht. Aber da muss man dann an die Grundproblematik ran, dass die Ausländerbehörden hier und die Botschaften und Konsulate generell eine bessere Ausstattung benötigen.
Geraldine Mormin: Da gab es noch die Frage, die wir vorher auch so ein bisschen gestreift haben. Es wird gefragt, ob du glaubst, dass es noch mal wieder auch einen Richtungswechsel in Bezug auf die Migrationspolitik geben wird, wann und auch wie wir das vielleicht befördern können. Oder was müsste da aus deiner Sicht jetzt folgen? Vielleicht von uns als Zivilgesellschaft, vielleicht aber auch von anderen Akteuren? Wie könnte sich es noch drehen?
Prof. Dr. Helen Schwenken: Ja, da habe ich aktuell keine Antwort drauf. Ich glaube, wir müssen jetzt erstmal abwarten, dass auch Wahlen vorbei sind. Vielleicht ist es auch gut, dass die CDU das Gespräch abgebrochen hat, je nachdem, wie sie es ausschlachtet, weil dieses Gespräch gar nicht hätte stattfinden dürfen. Die Grünen müssen mal in sich gehen, aber besonders optimistisch bin ich da auch nicht. Die FDP hatte auch mal eine Idee von Grundrechten. Der Flügel ist langsam altersmäßig nicht mehr so aktiv und wurde ersetzt von Personen, denen das nicht so wichtig ist. Da sehe ich auch wenig Hoffnung. Die Linke hat sich ja zerteilt und der Teil, der sozusagen eine eher menschenrechtsorientierte Migrationspolitik vertritt, ist absehbar nicht mehr in Parlamenten vertreten. Der andere Teil hingegen, ja, der sozusagen das Phantasma der Souveränität, der Abschottung sehr aktiv vertritt. Aktuell habe kann ich nicht viel Positives, Optimistisches sagen, aber ich meine ja, es ist nicht das erste Mal, dass das in der Geschichte so offenen Rassismus, so offene Abschottung gab. Es wird sicherlich auch wieder zu einer Konsolidierung von anderen Kräften kommen, aber aktuell sieht es eigentlich nicht gut aus. Und das ist auch nicht nur auf Deutschland bezogen. Also jetzt. Kolleginnen, die auch auf Konferenzen jüngst gerade international unterwegs waren, erzählten eigentlich von einer internationalen großen Ratlosigkeit, auch auch in der Migrationsforschung.
Geraldine: Danke dir. Genau. Wir sind schon so fast so am Einbiegen in den Abschluss. Vielleicht noch die letzte Frage, ob du da noch gute Tipps hast. Welchen Gruppen könnte frau* sich denn anschließen? In Berlin wird ganz konkret gefragt. Vielleicht auch. Es zeigt ja auch uns treibt um: Was können wir tun? Wo? Wo kann man sich anschließen? Hast du da Ideen?
Prof. Dr. Helen Schwenken: Das ist eine sehr allgemeine Frage. Also es gibt sehr viele kluge, aktive migrantische Selbstorganisationen. Es gibt viele andere Gruppen, aber aktuell in Berlin kann ich keine Tipps geben. Berlin ist auch immer, glaube ich, noch mal eine Sondersituation, was das Streitlevel und den Konflikt zwischen Gruppen und so angeht. Das kann ich jetzt auch nicht sagen, weil ich die Person nicht kenne, die die Frage gestellt hat und ihre Hintergründe. Zu Osnabrück könnte ich ein paar Tipps geben,
Geraldine: Ja, vielleicht kannst du sie ja nennen, wenn du magst. Es sind ja auch Menschen aus Osnabrück da.
Prof. Dr. Helen Schwenken: Die kennen sich sicherlich gut aus. Die Arbeit beispielsweise vom Exilverein, die finde ich auch gerade aus einer frauenpolitischen, feministischen wie auch immer emanzipatorischen Perspektive ganz, ganz wunderbar, weil es eine ganz, ganz alte Organisation ist, die sich schon auch mit den Bewegungen profilierter Personen seit den 80er Jahren sozusagen eine schöne Brücke schlägt zwischen Selbstorganisierung und auch solidarischen Ansätzen sich sehr professionalisiert hat und auch seit vielen Jahren eine sehr aktive Frauengruppe hat, wo es halt ein Austauschforum gibt, wo Frauen mit ganz unterschiedlichen Kontexten zusammenkommen und auch auch so Themen wie Feminismus diskutieren, auch mit Frauen, die vorher das vielleicht für ein suspekte Sache gehalten haben. Und auch wir haben ja gerade auch kurz über Fachkräfte und Arbeitsmigration gesprochen und auch über Qualifizierung von Fluchtmigrant*innen und auch in dem Bereich sehr schöne Impulse geben. Also so sehr eine umfassende Arbeit auch vor Ort machen.
Gerladine: Super, vielen Dank. Das klingt richtig, richtig gut. Ich sehe auch im Chat, da wirkt auch schon Schwarmintelligenz. Das auch noch mal die herzliche Einladung. Wir sind jetzt am Abschluss der Veranstaltung. Aber wenn ihr noch Tipps zu den Fragen habt, die wir jetzt nicht mehr bearbeiten konnten, schickt da gerne noch in den letzten Minuten was in den Chat. Das sind ja viele, viele Menschen mit vielen Erfahrungen heute hier. Genau. Und dann darf ich schon so ein bisschen in den Abschied einleiten. Wir haben ja bewusst ein kurzes, knackiges Format gewählt und trotzdem ist es am Ende immer so und das möchte ich dir auch sagen. Helen, vielen, vielen, vielen Dank! Und ich habe total viel mitgenommen.
Und würde gerne einfach noch eine Stunde mit dir reden und dich zu allen möglichen Punkten ausfragen. Ich war sehr beeindruckt davon, wie du diese aktuellen Dynamiken auch immer im Kontext von Kontinuitäten, von globalen Perspektiven setzen konntest. Und auch, was du ganz zu Anfang gesagt hast, was für Frauen, für weiblich gelesene Menschen, für queere Menschen gut ist, ist im Grunde genau das, was für alle Menschen gut ist. Das war so am Anfang ein ganz, ganz zentraler Satz für mich. Vielen Dank für deine Gedanken und auch deine Fragen, die du aufgeworfen hast. Und wir machen mit dieser Reihe Visionen zu Migrationspolitik auch weiter. Die nächste Ausgabe wird im Oktober stattfinden. Das Thema wird Arbeit sein oder der die Lupe, durch die wir auf Migrationspolitik und Visionen gucken, wird Arbeit sein.
Carmen Romano: Herzlichen Dank fürs Zuhören. Wenn auch du möchtest, dass diese Visionen Realität werden, müssen diese Inhalte ein breiteres Publikum erreichen. Abonniere deshalb unseren Podcast, teile den Link zu Folge mit deinen Freundinnen und deiner Familie usw. Jeder Klick hilft. Wenn du weitere Folgen hören möchtest, findest du alle unter “Es geht auch anders” in jedee Podcast App deiner Wahl oder auf Heimatkunde.de, dem migrationspolitischen Portal der Heinrich-Böll-Stiftung. Den Link findest du wie immer in den Shownotes und auch live geht es weiter, voraussichtlich ab Mai. Das Programm unserer Live Online Diskussion findest du im Bildkalender ebenfalls in den Shownotes. Bis zum nächsten Mal und bleib solidarisch.
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