von Herbert Brücker und Carola Burkert
Die Wohlfahrtsgewinne durch Migration steigen mit den Qualifikationen von ZuwandererInnen. Dafür sprechen zahlreiche Argumente. Die Zuwanderung von hoch qualifizierten Arbeitskräften führt zu einer steigenden Arbeitsnachfrage in anderen Arbeitsmarktsegmenten, die mögliche Verdrängungseffekte mehr als kompensiert. Zudem sind hoch qualifizierte MigrantInnen sehr viel geringer von Arbeitslosigkeit betroffen als gering Qualifizierte. Sie beziehen auch weniger soziale Transferleistungen und zahlen höhere Steuern, so dass die Gewinne des Wohlfahrtstaates durch Zuwanderung mit dem Qualifikationsniveau der MigrantInnen steigen. Die finanziellen Belastungen des Wohlfahrtsstaates durch den demographischen Wandel können deshalb durch die Zuwanderung von qualifizierten und hoch qualifizierten Arbeitskräften spürbar gesenkt werden.
Obwohl die Wohlfahrtsgewinne durch die Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften hoch sind, verzichten die meisten Einwanderungsländer in der OECD bislang auf eine gezielte Steuerung der Zuwanderung. Angesichts des demographischen Wandels zeichnet sich jedoch ab, dass immer mehr Länder ihre Einwanderungspolitik reformieren und in den Wettbewerb um hoch qualifizierte MigrantInnen eintreten wollen. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, was diese Länder bzw. Deutschland aus den Erfahrungen klassischer Einwanderungsländer, die die Zuwanderung gezielt steuern lernen können und welche Folgen sich daraus für die Integration von MigrantInnen in Arbeitsmarkt und Bildungssystem ergeben.
Angebots- oder nachfrageorientierte Steuerung der Zuwanderung?
Klassische Einwanderungsländer wie Australien, Kanada und die USA steuern einen Teil der Zuwanderung nach wirtschaftlichen Kriterien. Die Steuerung der Zuwanderung hat in diesen Ländern eine lange Tradition, die bis in die 1960er Jahre zurückreicht. Idealtypisch können dabei zwei Politikansätze unterschieden werden: angebots- und nachfrageorientierte Systeme der Steuerung (vgl. z.B. Chaloff/Lemaître 2009).
Angebotsorientierte Systeme setzen an dem Humankapital der ZuwanderInnen an und vergeben Punkte für Beruf, Bildung, Alter, Sprachkenntnisse sowie bereits im Land erworbene Erfahrungen und Qualifikationen wie z.B. Studienabschlüsse. Wer eine bestimmte Punktzahl erreicht, erhält eine temporäre oder dauerhafte Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung, die in der Regel auch Familienangehörige einschließt.
Derartige Systeme sind ursprünglich in Australien, Kanada und Neuseeland entwickelt worden. Hinter diesen Systemen steht die Idee, dass sich auf Grundlage von Humankapitalkriterien der Arbeitsmarkterfolg, aber auch die soziale Integration der ZuwandererInnen prognostizieren lässt und damit die Wohlfahrt des Einwanderungslandes erhöht werden kann. Die meisten Einwanderungsländer haben deshalb diese Systeme rigoros evaluiert und auf Grundlage dieser Evaluationen die Kriterien und die Punktzahlen für einzelne Kriterien angepasst. Unter anderem hat dadurch das Kriterium der Sprachkompetenz in Ländern wie Australien und Kanada an Gewicht gewonnen.
Im Unterschied zu den angebotsorientierten Systemen sind nachfrageorientierte Systeme auf den aktuellen Arbeitskräftebedarf der Arbeitgeber ausgerichtet. Das bekannteste Beispiel sind die H-IB Visa in den USA, in denen die BewerberInnen mindestens über einen Bachelor-Abschluss und ein Arbeitsplatzangebot verfügen müssen. Die Bewerbung des oder der potentiellen MigrantIn wird üblicherweise durch den Arbeitgeber bei der zuständigen Behörde eingereicht. Über die Visumserteilung entscheidet ein Arbeitsmarkttest, in dem geprüft wird, ob andere einheimische Arbeitskräfte verdrängt werden. Gegenwärtig werden rund 65.000 H-IB Visa pro Jahr in den USA vergeben, Unternehmensverbände fordern eine erhebliche Ausweitung der Visa. (Vgl. Bertoli et al. 2009.
Hinter beiden Systemen stehen unterschiedliche Philosophien. Das angebotsorientierte System betrachtet weniger die kurzfristigen Arbeitsmarktengpässe, sondern die langfristige Entwicklung des Humankapitals der ausländischen Bevölkerung. Das zweite System beruht auf der Annahme, dass Zuwanderung vor allem sinnvoll ist, um kurzfristige Engpässe auf dem Arbeitsmarkt zu überwinden. Beides kann durch theoretische und empirische Argumente gestützt werden.
Wir wissen, dass sich langfristig der Kapitalstock einer Volkswirtschaft durch Investitionen an das Arbeitsangebot anpasst. Je besser das Humankapital der ZuwanderInnen, desto höher die mittel- und langfristigen Wachstumsaussichten der Volkswirtschaft. Zudem sinken die Arbeitsmarktrisiken mit steigendem Humankapital. Auch kurzfristig können Volkswirtschaften durch eine Überwindung von Arbeitsmarktengpässen profitieren, weil es in einer dynamischen Volkswirtschaft immer wieder regionalen, sektoralen und qualifikatorischen Mismatch gibt, daher Nachfrageüberschüsse von Unternehmen nach bestimmten Arbeitskräften denen auch bei Arbeitslosigkeit kein entsprechendes Arbeitsangebot gegenübersteht.
Beide Systeme können jedoch auch ihre jeweiligen Ziele verfehlen: Auch komplexe Punktesysteme können die Zuwanderung an den Anforderungen von Arbeitsmarkt und Gesellschaft vorbeisteuern, während nachfrageorientierte Systeme unter Umständen die Zuwanderung in Bereiche lenken, in denen kurze Zeit später ein Überangebot an Arbeitskräften herrscht. Hinzu kommt, dass empirische Untersuchungen zeigen, dass nachfrageorientierte Systeme durch den Lobbyismus von Unternehmensverbänden, Gewerkschaften und Berufsverbänden häufig zu eine verzerrte Steuerung der Zuwanderung bewirken (Facchini et al., 2008).
In den letzten Jahren zeichnet sich ab, dass die angebots- und nachfrageorientierten Modelle der Zuwanderungssteuerung in vielen Ländern konvergieren. Punktesysteme werden häufig durch einen Arbeitsmarkttest oder den Nachweis eines vorliegenden Arbeitsangebotes ergänzt, weil Evaluationsstudien gezeigt haben, dass sich ZuwanderInnen mit einem Jobangebot sehr viel schneller in den Arbeitsmarkt integrieren. Umgekehrt gewinnt das Bildungskriterium bei der Erteilung von H-IB Visa in den USA an Gewicht. Es spricht vieles dafür, dass durch die Konvergenz der Systeme die kurz- und langfristigen Vorteile beider Systeme miteinander verbunden und damit eine höhere Effizienz der Steuerung erreicht werden kann.
Auch in den klassischen Einwanderungsländern wird nur der kleinere Teil der Zuwanderung nach ökonomischen Kriterien gesteuert. Familiennachzug und humanitäre Migration sind weitere bedeutende Kanäle der Zuwanderung in diesen Ländern. So entfallen in den USA nur rund 30 Prozent der Zuwanderung auf H-IB Visa und andere ökonomische Visa-Kategorien. Insofern kann diesen Ländern schwerlich vorgeworfen werden, sie orientierten sich in ihrer Zuwanderungspolitik ausschließlich am wirtschaftlichen Erfolg.
Der wichtige Aspekt ist jedoch, dass durch die Steuerung der wirtschaftlichen Zuwanderung nach Humankapitalkriterien oder der Arbeitsnachfrage Netzwerke qualifizierter MigrantInnen entstehen, die dann auch zum Nachzug anderer qualifizierter MigrantInnen in anderen Visa-Kategorien wie dem Familiennachzug führen. Auch kann die wirtschaftliche Integration von häufig gut qualifizierten Asylbewerbern und anderen Flüchtlingen besser erreicht werden, wenn ein Land über eine gezielte Anwerbe- und Integrationspolitik von qualifizierten Arbeitskräften verfügt.
Wirkt die Steuerung von Zuwanderung?
Eine Reihe von empirischen Studien hat untersucht, inwieweit die gezielte Steuerung der Zuwanderung und andere Faktoren Umfang und Qualifikationsstruktur der Zuwanderung beeinflussen (Belot/Hatton, 2008; Brücker/Defoort, 2009; Bertoli et al., 2009). Dabei zeigt sich, dass die Zuwanderungspolitik der wichtigste Faktor für die Erklärung der Qualifikationsstruktur der ausländischen Bevölkerung ist. Unterschiede zwischen nachfrage- und angebotsorientierten Ansätzen können dabei statistisch nicht nachgewiesen werden – dafür ist die Zahl der Länder zu gering. Neben der Einwanderungspolitik wirkt sich die Lohnprämie für Bildung positiv aus – d.h. je höher der Lohnabstand zwischen Hoch- und Geringqualifizierten, desto besser ist die ausländische Bevölkerung qualifiziert. Schließlich zeigen die empirischen Forschungsergebnisse, dass eine hohe Qualifikation der ausländischen Bevölkerung mit hohen Zuwanderungsraten stark korreliert, d.h. Länder, die eine qualifizierte ausländische Bevölkerung haben, haben zugleich einen hohen Ausländeranteil.
Die Blue Card und der Wandel der Europäischen Einwanderungspolitik
Die Europäische Union hat mit dem Gemeinsamen Binnenmarkt einen Wirtschaftsraum mit freier Arbeitsmobilität geschaffen, aber die Einwanderungspolitik gegenüber Drittländern in der Vergangenheit den einzelnen Mitgliedsstaaten der Union überlassen. Inzwischen rückt die Einwanderungspolitik auch in das Zentrum der Europäischen Politikinitiativen. Mit der 2009 angenommenen „Blue Card“-Initiative wurde ein erster Anlauf zu einer Harmonisierung der nationalen Einwanderungspolitiken unternommen.
Die 2009 angenommene Blue Card Direktive der Europäischen Union legt Kriterien fest, nach denen die EU Mitgliedsstaaten ihrer Einwanderungspolitik zu steuern haben: Vorliegen eines Arbeitsvertrags, Überschreiten einer minimalen Einkommensgrenze und Mindeststandards für die Qualifikation sind die wichtigsten Kriterien, die durch nationales Recht näher definiert werden. Inhaber einer Blue Card erhalten in den ersten 18 Monaten nur ein Aufenthaltsrecht in dem jeweiligen Mitgliedsstaat, danach jedoch in der gesamten EU.
Damit erhöhen sich die Mobilitätsspielräume für ausländische ArbeitnehmerInnen, was wiederum zu geringerer Arbeitslosigkeit und steigenden Löhnen der ausländischen Beschäftigten führen könnte. Ähnlich wie in den klassischen Einwanderungsländern kombiniert die Blue Card angebots- und nachfrageorientierte Elemente der Zuwanderungssteuerung. Inwieweit dies zu einer breiten Veränderung der restriktiven Einwanderungspolitik in Europa führen wird, hängt von der nationalen Ausgestaltung ab. Einzelne Länder wie Großbritannien und Tschechien haben inzwischen durch die Einführung eines Punktesystems ihr Einwanderungsrecht erheblich reformiert. Damit könnte der Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte und folglich der Druck auf andere Länder, ihr Einwanderungsrecht zu reformieren, erheblich steigen.
Reformen der Einwanderungspolitik in Deutschland
Die Struktur der ausländischen Bevölkerung in Deutschland ist nach wie vor durch die Anwerbung von Gastarbeitern der 1960er und frühen 1970er Jahren geprägt. Deutschland warb gezielt manuelle Arbeitskräfte aus Süd- und Südosteuropa an. Nach dem ersten Ölpreisschock von 1973 wurde die Gastarbeiteranwerbung durch eine restriktive Zuwanderungspolitik ersetzt, die durch einen Anwerbestopp und Rückkehrprämien versuchte den deutschen Arbeitsmarkt gegen ausländische Arbeitskräfte zu schützen.
Familienzusammenführung und humanitäre Migration wurden deshalb, neben dem Zuzug von Aussiedlern, zu den wichtigsten Kanälen der Zuwanderung in Deutschland. Im Ergebnis hat diese Politik zu starken Schwankungen der Zuwanderung mit dem Konjunkturzyklus, vor allem aber zu einer Verfestigung der Qualifikationsstruktur der ausländischen Bevölkerung in Deutschland geführt. Die Netzwerkbildung von MigrantInnen verstärkt diesen Trend. Das Qualifikationsniveau der ausländischen Bevölkerung in Deutschland ist deshalb heute deutlich geringer als im Durchschnitt der OECD Staaten (Brücker/Ringer 2008).
Zuwanderungsgesetz und Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz
Mit dem zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Zuwanderungsgesetz hat der Gesetzgeber erste Schritte zur Steuerung der Zuwanderung aus Drittstaaten nach Humankapitalkriterien eingeleitet. Neben hoch qualifizierten Wissenschaftlern ermöglichte das Zuwanderungsgesetz die Zuwanderung von Personen, deren Bruttoeinkommen das Doppelte der Bemessungsgrenze für die gesetzliche Krankenversicherung, d.h. rund 85,000 Euro, übersteigt. Darüber hinaus wurden Zuwanderungsmöglichkeiten für Selbständige, sofern sie eine Mindestsumme investieren und mindestens fünf Arbeitnehmer beschäftigte, geschaffen. Die Zuwanderung von anderen qualifizierten Arbeitskräften ist dagegen zu einem Großteil nur nach einer Vorrangprüfung durch die Bundesagentur für Arbeit möglich, die den Nachweis voraussetzt, dass keine einheimischen oder EU - Arbeitskräfte verdrängt werden.
Die Reform des deutschen Zuwanderungsrechts folgt also in weiten Teilen dem nachfrageorientiertem Politikansatz, nach dem die Zuwanderung nur dann erfolgen soll, wenn ein Arbeitskräftebedarf entweder durch das Überschreiten einer Gehaltsobergrenze oder durch eine Vorrangprüfung nachgewiesen werden kann. Anders als in den USA hat sich das deutsche Recht jedoch kaum als wirksam erwiesen. Im Jahr 2009 wurden insgesamt 689 Niederlassungserlaubnisse für Hochqualifizierte erteilt, davon lediglich 142 mit einer Ersteinreise ab Januar 2009 (2008: 473, davon 106 mit einer Ersteinreise ab Januar 2008). Die Bundesagentur für Arbeit erteilte im Jahr 2008 für die Beschäftigung von Fachkräften 28. 893 Zustimmungen für einen temporären Aufenthalt (Bundesagentur für Arbeit 2009). Angesichts dieser Größenordnungen kann von einer gezielten Steuerung der Zuwanderung nach Humankapital- und Arbeitsmarktkriterien in Deutschland keine Rede sein.
Mit der Reform des Zuwanderungsrechts durch das am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz hat die große Koalition versucht, insbesondere hochqualifizierten und qualifizierten Arbeitskräften den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern. Dabei wurde im Wesentlichen die Gehaltsobergrenze auf rund 65.000 Euro reduziert (Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung), HochschulabsolventInnen aus den neuen Mitgliedsstaaten der EU die Zuwanderung bereits vor Ablauf der Übergangfristen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit ermöglicht sowie die Investitionssumme für Selbständige auf 250.000 Euro reduziert. Weitergehende Maßnahmen wie die Steuerung der Zuwanderung nach einem Punktesystem (§ 20 des ursprünglichen Gesetzentwurfes) sind im Gesetzgebungsprozess gescheitert. Es ist zweifelhaft, ob diese Maßnahmen ausreichend sind um die Qualifikation der NeuzuwanderInnen und damit langfristig der Bevölkerung mit Migrationshintergrund in Deutschland spürbar zu erhöhen. Die Einführung eines Punktesystems und eine deutliche Absenkung der Gehaltsobergrenze wären notwendige Maßnahmen.
Die jetzt vorgeschlagene Einkommensgrenze liegt rund 50 Prozent über dem Durchschnittseinkommen von jungen AkademikerInnen in Deutschland: So erzielten Universitätsabsolventen des Jahres 2001 fünf Jahre nach Studienabschluss ein durchschnittliches Einkommen von 42.300 Euro (Kerst/Schramm 2008: 90). Zu berücksichtigen ist auch, dass viele hochqualifizierte ZuwanderInnen gerade unmittelbar nach ihrem Studienabschluss für ihren Lebens- und Arbeitsort entscheiden. Eine Einkommensgrenze von 35.000 bis 40.000 Euro wäre angemessen. Diese Maßnahmen ermöglichen HochschulabsolventInnen, aber auch qualifizierten FacharbeiterInnen in Berufen mit günstigen Beschäftigungsaussichten unbürokratisch einen attraktiven Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt.
Es ist auch fraglich, ob die deutschen Regelungen den Anforderungen an eine zunehmende Harmonisierung des Zuwanderungsrechts in der EU genügen. Durch die steigende Arbeitskräftemobilität in der Gemeinschaft, die durch die Europäische Blue Card-Initiative gefördert werden soll, ergibt sich ein zunehmender Druck die Zugangsbedingungen zu den nationalen Arbeitsmärkten anzugleichen. Eine Protektion des Arbeitsmarktes durch hohe Zuwanderungsbarrieren kann künftig durch die Blue Card leicht unterlaufen werden. Dies würde zu einer zunächst hohen Zuwanderung in Länder mit niedrigen Barrieren führen, danach aber zu einer Wanderung aus diesen Ländern in andere Zielländer. Derartige Umlenkungsprozesse sind nicht nur ineffizient und mit Einkommensverlusten für die MigrantInnen verbunden, sie könnte auch zu einer Umlenkung von hoch qualifizierten Migrationsströmen in andere Länder führen. Deutschland wäre daher gut beraten, etwa die Einkommensgrenzen für die Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften an das Niveau anderer wichtiger Zielländer der Migration anzupassen.
Folgen der Zuwanderung für die Integration in Arbeitsmarkt und Bildungssystem
Einwanderungspolitik und Integrationspolitik sind zwei Seiten einer Medaille: ohne eine gezielte Steuerung der Zuwanderung ist eine Integrationspolitik zum Scheitern verurteilt, während umgekehrt eine gezielte Steuerung der Zuwanderung auf eine Integrationspolitik angewiesen ist, die die Arbeitsmarktpartizipation der ZuwanderInnen unterstützt und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erleichtert. In beiden Feldern bestehen erhebliche Defizite.
Obwohl das Qualifikationsniveau der ausländischen Bevölkerung in den letzten zwanzig Jahren kontinuierlich gestiegen ist, verfügen in Deutschland nur 22 Prozent der ausländischen Bevölkerung über einen Hochschulabschluss, im Vergleich zu 60 Prozent in Kanada, zu 43 Prozent in den USA und zu 40 Prozent in Australien (Bertoli et al., 2009). Auch haben die Qualifikationsunterschiede zwischen der deutschen und der ausländischen Bevölkerung im Zeitverlauf zugenommen: Betrug der Anteil der AusländerInnen an den Erwerbspersonen ohne beruflichen Bildungsabschluss 1980 noch rund 20 Prozent, so ist dieser Anteil bis zum Jahr 2004 auf knapp 40 Prozent gestiegen (Nach eigenen Berechnungen auf Grundlage der IAB Beschäftigtenstichprobe).
Die Integration von AusländerInnen in den Arbeitsmarkt hängt jedoch eng mit ihrem Qualifikationsniveau zusammen: Je geringer die Qualifikation, desto höher das Arbeitslosigkeitsrisiko und desto geringer die Löhne. Auch die fiskalischen Erträge und Kosten der Zuwanderung hängen eng mit dem Qualifikationsniveau der MigrantInnen zusammen (Bonin 2002, 2006). Schließlich wird die soziale und kulturelle Integration maßgeblich von dem Bildungsniveau und der Arbeitsmarktintegration bestimmt. Je geringer die Qualifikation, desto bedeutender sind Migrationsnetzwerke und desto stärker ist die Bildung von ethnischen Enklaven ausgeprägt, die wiederum den Erwerb von Sprachkompetenz und anderer wichtiger Kompetenzen für die soziale, kulturelle und ökonomische Teilhabe behindern (Danzer/Yaman 2009).
Das vergleichsweise geringe Qualifikationsniveau von MigrantInnen der zweiten oder dritten Generation zeigt, dass die Integrationspolitik in Deutschland bislang keine oder nur geringe Erfolge aufweisen kann. Aufgrund der auch im internationalen Vergleich geringen Durchlässigkeit des deutschen Bildungssystems hat sich die geringe Qualifikation der ZuwanderInnen verfestigt (Geißler 2006, OECD 2006, Pisa-Konsortium 2004). In Deutschland bestimmt noch immer das Bildungsniveau der Eltern maßgeblich die Bildungschancen der Kinder– was sich insbesondere negativ auf die Bildungschancen von Kindern aus Familien mit Migrationshintergrund auswirkt, in denen das Bildungsniveau der Eltern vergleichsweise gering ist. Langfristig ist eine gezielte Bildungspolitik, die einerseits das durchschnittliche Bildungsniveau steigert und anderseits die Ungleichheiten der Bildungschancen verringert, unverzichtbar, um die die Potenziale von MigrantInnen und ihren Kindern zu entfalten und die Kosten einer verfehlten Arbeitsmarktintegration zu senken (Brück-Klingberg et al. 2009). Dabei handelt es sich allerdings um ein Langzeitprojekt, das mit Kosten verbunden ist.
Eine gezielte Steuerung der Zuwanderung kann dazu beitragen diese Kosten zu senken. Zum einen lassen sich qualifizierte ZuwanderInnen leichter in Arbeitsmarkt und Gesellschaft integrieren und ihre Kinder haben sehr viel bessere Bildungschancen als im Falle der traditionellen Einwanderfamilien in Deutschland. Zum anderen wird einer Netzwerkbildung von gering qualifizierten MigrantInnen entgegengewirkt, wodurch nicht nur die Integrationschancen der ausländischen Bevölkerung steigen, sondern auch die Qualifikation künftiger ZuwandererInnen erhöht wird. Somit fallen die Integrationskosten im Falle qualifizierter Zuwanderung. Allerdings, auch das zeigen die Erfahrungen klassischer Einwanderungsländer mit einer gezielten Steuerung der Zuwanderung, steigen die wirtschaftlichen und sozialen Erträge der Zuwanderung wenn die Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft durch Maßnahmen wie Sprachkursen etc. unterstützt wird. Insofern müssen Einwanderungs- und Integrationspolitik Hand in Hand gehen.
Fazit
Deutschland und andere Einwanderungsländer können also aus den Erfahrungen von Ländern mit einer gezielten Steuerung der Zuwanderung vieles lernen. Vor allem Ländern mit einer angebotsorientierten, an Humankapitalkriterien ausgerichteten Steuerung der Zuwanderung kann es gelingen in großem Umfang qualifizierte ZuwanderInnen zu gewinnen, die günstige Aussichten für eine erfolgreiche Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft haben.
Eine Ergänzung dieser an Humankapitalkriterien ausgerichteten Einwanderungspolitik durch nachfrageorientierte Elemente kann die schnelle Integration in den Arbeitsmarkt erleichtern, sofern diese nachfrageorientierten Steuerungsmechanismen nicht durch organisierte Interessen verzerrt werden. Begleitende integrationspolitische Maßnahmen wie das Angebot von Sprachkursen können die Teilhabe an Arbeitsmarkt und Gesellschaft zusätzlich erleichtern. Notwendige Änderungen sind aber auch auf Erkenntnissen einer wissenschaftlichen Bewertung der bisherigen Gesetze bzw. Neuerungen und deren Wirkungen aufzubauen.
Eine derartige Politik kann hohe wirtschaftliche und soziale Erträge für Einwanderungsländer aufwerfen, insbesondere die fiskalischen Gewinne sind in einer vom demographischen Wandel betroffenen Gesellschaft erheblich. Allerdings wird ein solcher Politikwechsel nicht über Nacht gelingen. Dazu hat sich die soziale und qualifikatorische Struktur der Bevölkerung mit Migrationshintergrund in den letzten vier Dekaden zu stark verfestigt. Nur ein Teil der Zuwanderung kann und sollte nach wirtschaftlichen Kriterien gesteuert werden, Familienzusammenführung und humanitäre Migration sind weiterhin wichtige Kanäle. Insofern wird Deutschland auf kurze und mittlere Sicht nicht das Qualifikationsniveau etwa der ausländischen Bevölkerung in Kanada, Australien oder den USA erreichen können. Eine Integrationspolitik, die vor allem auf eine Erhöhung des Bildungsniveaus und eine Verbesserung von Bildungschancen setzt, ist deshalb unverzichtbar.
Die Struktur der ausländischen Bevölkerung wird sich jedoch umso leichter verändern, je größer die Zuwanderung ausfällt. Um die Qualifikationsstruktur der ausländischen Bevölkerung spürbar zu verändern, müsste die Zuwanderung nach Deutschland um mindestens 200,000 Personen jährlich erhöht werden. Eine Akzeptanz für eine derartige Politik zu erreichen, dürfte nicht leicht sein. Allerdings zeigen viele empirische Untersuchungen, dass die öffentliche Akzeptanz der ImmigrantInnen and der Immigrationspolitik mit der Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften steigt (vgl. Canoy et al. 2006).
Literatur
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- Bonin, Holger (2002): Eine fiskalische Gesamtbilanz der Zuwanderung nach Deutschland. In: Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung 71 (2), S. 215–229.
- Bonin, Holger (2006): Der Finanzierungsbeitrag der Ausländer zu den deutschen Staatsfinanzen: eine Bilanz für 2004. IZA Discussion Paper No. 2444.
- Brücker, Herbert; Defoort, Cecily (2009): Inequality and the self-selection of international migrants * theory and new evidence. In: International Journal of Manpower, Vol. 30, No. 7, S. 742-764
- Brücker, Herbert; Ringer, Stefan (2008): Ausländer in Deutschland: Vergleichsweise schlecht qualifiziert. IAB-Kurzbericht 1/2008.
- Brück-Klingberg, Andrea; Burkert, Carola; Damelang, Andreas; Deeke, Axel; Haas, Anette; Schweigard, Eva; Seibert, Holger; Wapler, Rüdiger (2009): Integration von Migranten in Arbeitsmarkt und Bildungssystem. In: J. Möller & U. Walwei (Hrsg.), Handbuch Arbeitsmarkt 2009, (IAB-Bibliothek, 314), Bielefeld: Bertelsmann
- Bundesagentur für Arbeit (2009): Arbeitsgenehmigungen und Zustimmungen 2008. Statistik der Bundesagentur für Arbeit: Nürnberg
- Canoy, Marcel et al. (2006): Migration and public perception. Bureau of European Policy Advisers (BEPA). European Commission.
- Chaloff, Jonathan; Lemaitre, Georges (2009): Managing highly-skilled labour migration: a comparative analysis of migration policies and challenges in OECD countries. OECD social, employment and migration working papers no.79. Paris: OECD
- Danzer, Alexander, Yaman, Firat (2010): Enclave Effects and Language, Mimeo, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung: Nürnberg
- Facchini, Giovanni; Mayda, Anna Maria and Mishra, Prachi (2008): Do Interest Groups Affect US Immigration Policy? CEPR Discussion Papers 6898, C.E.P.R. Discussion Papers.
- Geißler, Rainer (2006): Bildungschancen und soziale Herkunft. In: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 37 (4). S. 34-49.
- Kerst, C./Schramm, M. (2008): Der Absolventenjahrgang 2000/2001 fünf Jahre nach dem Hochschulabschluss. Berufsverlauf und aktuelle Situation. HIS Forum Hochschule 10/2008.
- OECD (2006) Wo haben Schüler mit Migrationshintergrund die größten Erfolgschancen: Eine vergleichende Analyse von Leistung und Engagement in PISA 2003, Paris.
- PISA-Konsortium Deutschland (Hrsg.) (2004): PISA 2003. Ergebnisse des zweiten internationalen Vergleichs. Zusammenfassung.
Prof. Herbert Brücker leitet den Forschungsbereich „Internationale Vergleiche und Europäische Integration“ am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Dr. Carola Burkert leitet die Arbeitsgruppe „Migration und Integration“ ebenfalls am IAB.